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Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem

Peter Wahl über die Devise der USA und die globalen Kosten der Krise


Peter Wahl ist Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung) und Spezialist für die Regulierung des internationalen Finanzsystems sowie Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac Deutschland. Er weilt während des G20-Gipfels in Seoul. Über das Treffen im Lichte von Währungskrieg und Handelsungleichgewichten sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.


ND: Beim G20-Gipfel stehen Währungskrieg und Handelsungleichgewichte ganz oben auf der Tagesordnung. Vor wenigen Tagen hat die US-amerikanische Notenbank Fed angekündigt, weitere 600 Milliarden US-Dollar durch den Kauf von Staatsanleihen auf den Markt zu werfen. Ein Beitrag zur Befriedung des Währungskrieges?

Wahl: Ganz im Gegenteil. Die Aktion der Zentralbank Fed wird den ohnehin schon bestehenden Trend zur Abwertung des Dollars beschleunigen und damit die Wettbewerbsbedingungen für alle anderen Volkswirtschaften verschlechtern, da der internationale Handel vorwiegend in der globalen Leitwährung Dollar abgewickelt wird. Mit einem schwindsüchtigen Dollar sinken die realen Exporterlöse für alle. Es bestätigt sich hier einmal mehr die verantwortungslose Devise, mit der die USA schon seit Langem operieren: »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.« Am härtesten trifft das arme Entwicklungsländer, deren Export oft nur von wenigen in Dollar gehandelten Produkten abhängig ist.

Ist die Zeit der Leitwährung Dollar, die seit dem Auflösen des Fixkurssystems von Bretton Woods im Jahre 1971 ohnehin erodiert, damit endgültig vorbei?

Der ganze Vorgang zeigt, dass es höchste Zeit ist, vom Dollar als Leitwährung wegzukommen. Die G20 wären eine nützliche Veranstaltung, wenn sie erste Schritte in diese Richtung wagen würde. Die Welt braucht eine neutrale Leitwährung. Die Abhängigkeit vom Wohl und Wehe der US-Wirtschaft ist untragbar geworden. Es bedarf auch einer Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den großen Währungen durch eine entsprechend kooperative Politik der Zentralbanken.

Allerdings muss man sehen, dass die 600 Milliarden der verzweifelte Versuch sind, den weiteren Absturz der US-Ökonomie zu bremsen. Zwar wäre es viel besser, die Löhne in den USA, die seit über zehn Jahren stagnieren, zu erhöhen und damit aus der Krise zu kommen, aber dazu reichen die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse nicht aus. Wie die jüngsten Wahlen gezeigt haben, hat selbst ein so moderater Reformer wie Obama kaum Chancen sich durchzusetzen. Da ein weiterer Niedergang der immer noch stärksten Volkswirtschaft in niemandes Interesse ist, könnte die Maßnahme der Fed kurzfristig das kleinere Übel sein. Auf Dauer sind strukturelle Veränderungen unumgänglich.

USA-Finanzminister Timothy Geithner will die Überschussländer des Welthandels – Deutschland, Japan und China – in die Pflicht nehmen. Beim Erreichen von vier Prozent Leistungsbilanzüberschuss im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sollen sie automatisch zur Stärkung der Binnennachfrage gezwungen werden. Ein sinnvoller Vorschlag?

Im Prinzip ja. Diese ganze Exportweltmeisterschaft mit ihrer gnadenlosen Konkurrenz ist der helle Wahnsinn – ökonomisch, sozial und ökologisch. Schon der britische Ökonom John Maynard Keynes hatte vorgeschlagen, Überschussländer in die Pflicht zu nehmen. Allerdings wäre es auch hier besser, wenn diese durch eine entsprechende Verteilungspolitik von sich aus umsteuern würden. Das vernünftigste Mittel dazu ist, die Binnennachfrage durch Erhöhung der Massenkaufkraft zu stärken. Also Lohnerhöhungen, Sozialtransfers rauf und öffentliche Investitionen in die soziale Infrastruktur. Ein Gutteil der deutschen Wettbewerbsfähigkeit kommt aus der Politik der Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung. Durch eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte abbauen und die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen verbessern.

Bisher hat die Normalbevölkerung die Zeche für die Krise gezahlt. Gibt es einen Ausweg?

Ja. Das Verursacherprinzip muss gelten. Die Finanzindustrie hat mit ihrem Kasino den ganzen Schlamassel verursacht. Deshalb muss sie auch für die Kosten herangezogen werden. Das beste – wenn auch nicht einzige – Mittel dafür ist die Finanztransaktionssteuer. Die Bundesregierung hat sich zwar dafür ausgesprochen. Berlin setzt sich jedoch nur halbherzig in der EU dafür ein. Da auch Frankreich, Belgien und Österreich zu den Befürwortern gehören, wäre es mit etwas Entschlossenheit möglich, diese Steuer wenigstens in der Euro-Zone durchzusetzen

Was ist in Seoul rund um den Alternativgipfel an Aktivitäten geplant?

Bereits am vergangenen Sonntag (7. Nov.) hat es eine Kundgebung der Gewerkschaften gegeben, an der 40 000 Menschen teilnahmen. Auch in Südkorea wird derzeit eine arbeitnehmerfeindliche Politik betrieben. Vom 8. bis zum 10. November findet an der Sogang-Universität ein Alternativgipfel statt, der von einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen getragen wird. Am 11. November gibt es eine Demonstration und daneben eine Anzahl kleinerer Aktionen. Da der Gipfel in Seoul der erste außerhalb der G8-Länder ist, ist das eine großartige Sache. Die koreanische Zivilgesellschaft nimmt damit die Tradition auf, die Regierenden bei solchen Ereignissen nicht einfach unter sich zu lassen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010


Gipfelagenda

Heute (11. Nov.) beginnt in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul der mittlerweile fünfte G20-Gipfel seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise. Zwei Tage lang beraten die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer über drängende Fragen der globalen Wirtschaftspolitik.

Ursprünglich sollte das Thema Finanzmarktregulierung im Mittelpunkt stehen. Die mächtigsten Politiker der Welt wollen nun endlich die schärferen Eigenkapitalrichtlinien für Banken (»Basel III«) beschließen. Zahlreiche Fragen sind aber auch nach zwei Jahren noch strittig: So soll eigentlich verhindert werden, dass Geldhäuser künftig noch so »systemrelevant« sind, dass sie im Krisenfall mit Steuermilliarden gerettet werden müssen. Gleichzeitig fördern einige Regierungen aber die Bildung großer nationaler Player im Finanzsektor. Weiter unklar sind ferner Vorgaben für den bislang unregulierten außerbörslichen Handel mit Kreditderivaten und für eine verringerte Bedeutung von Bonitätsbewertungen durch die großen Ratingagenturen.

Große Fortschritte in diesen Bereichen sind in Seoul schon deshalb nicht zu erwarten, weil andere Themen drängen. Aus der Bankenkrise ist längst eine Krise der Wirtschaft und der öffentlichen Haushalte geworden – Regierungen reagieren mit einseitigen Schritten (Sparpolitik in der EU, Geldflutung in den USA), die anderswo zu Problemen führen. Streit ist hier programmiert, insbesondere in der Frage der richtigen Wechselkurse: Die USA und die EU werfen China vor, seine Währung künstlich niedrig zu halten. Gleichzeitig werfen viele Gipfelteilnehmer den USA einen Abwertungskurs vor. Eng damit verbunden ist die Frage der großen Leistungsbilanzungleichgewichte: Die USA möchten hier eine Grenze für Überschüsse bzw. Defizite festlegen, was Länder mit hohen Überschüssen wie Deutschland, Japan und China ablehnen.

Kurt Stenger




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