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"Wenn das der Gipfel war, wie schlimm muss dann erst das Tal sein!"

Zwei kritische Kommentare zum G-8-Gipfel in Evian

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Kommentare über den G-8-Gipfel in Evian, der am 3. Juni zu Ende ging. Im ersten Beitrag zieht Andreas Zumach (Genf) eine bittere Bilanz des Treffens, das eigentlich gar nicht hätte sein müssen. Im zweiten Kommentar (Rainer Falk) werden die Verlierer des Gipfels benannt: Die armen Länder der Dritten Welt. Der eine Beitrag ist der Schweizer Wochenzeitung WoZ, der zweite Beitrag der deutschen Wochenzeitung "Freitag" entnommen.

Nur für Bush ein Erfolg

G8-Gipfel: Vage Ankündigungen und leere Versprechen

Von Andreas Zumach, Evian


«Wenn das der Gipfel war, wie schlimm muss dann erst das Tal sein!» Mit diesen Worten kommentierte Justin Forsyth, Sprecher des britischen Hilfswerks Oxfam, Verlauf und Ergebnisse des G8-Gipfels zu den Themen Entwicklungszusammenarbeit, Schuldenerlass, Aidsbekämpfung und Überwindung der Armut sowie Verbesserung der Teilnahmechancen der Länder des Südens am Welthandel. Zwar hatten sich die Staats- und Regierungschefs der acht grössten Industriestaaten zur Diskussion dieser Themen zwanzig handverlesene Amtskollegen aus Afrika, Asien und Lateinamerika als Gäste eingeladen. Doch die Beschlüsse und Erklärungen der Gruppe der acht (G8) gingen dann nicht über vage Ankündigungen hinaus, die sich schon bald als leere Versprechen erweisen dürften. Das gilt selbst da, wo die Gipfelteilnehmer konkrete Summen nannten. Etwa die eine Milliarde US-Dollar, die die USA, und die 900 Millionen Euro, die die vier EU-Staaten Frankreich, Deutschland, Britannien und Italien im laufenden Jahr «zusätzlich» an den 2002 gegründeten Globalen Fonds der Uno zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria bezahlen wollen. Doch die EU-Staaten wollen erst jetzt – nach dem Gipfel – beraten, aus welchen Kassen die in Evian zugesagten 900 Millionen Euro kommen sollen. Und die Ankündigungen der USA sind mit allergrösster Skepsis zu betrachten. Laut einer kurz vor dem Gipfel erschienenen Untersuchung US-amerikanischer nichtstaatlicher Organisationen haben die Regierungen in Washington (schon in den neunziger Jahren) durchschnittlich weniger als fünfzig Prozent der von ihnen öffentlich versprochenen Mittel für Entwicklungshilfe, Armuts- oder Aidsbekämpfung tatsächlich auch bezahlt. Selbst wenn die in Evian verkündeten Summen wirklich bis Ende dieses Jahres in den Globalen Fonds fliessen sollten, bliebe dieser – gemessen an dem bei seiner Gründung festgestellten Mittelbedarf – zu fast zwei Dritteln unterfinanziert.

Auch Uno-Generalsekretär Kofi Annan legte den acht Staats- und Regierungschefs in Evian eine nüchterne Bilanz der Nichterfüllung früherer Gipfelbeschlüsse vor. Annan mahnte die G8-Teilnehmer, sich auf die Umsetzung der acht «Millenniums-Entwicklungsziele» zu konzentrieren, die 147 Staats- und Regierungschefs im September 2000 an einem Gipfeltreffen in New York verbindlich beschlossen hatten. Diese acht Ziele – jedes davon ist eine konkrete Verpflichtung, die Ausbreitung von Armut und Krankheiten bis zum Jahr 2015 zu stoppen und zurückzudrängen – enthalten einen Aktionsplan mit achtzehn quantifizierbaren Zielvorgaben und konkreten Verantwortlichkeiten für die Industriestaaten wie für die Länder des Südens. Zu den Verpflichtungen der Industriestaaten gehört der Abbau aller Handelspraktiken mit diskriminierenden und schädlichen Auswirkungen für die Länder des Südens.

Doch weder hinsichtlich einer Verbesserung des Marktzugangs für Produkte aus dem Süden noch zum Abbau von Agrarexportsubventionen machte die G8 konkrete Zusagen. Es blieb bei der vagen Absichtserklärung, über diese Themen «rechtzeitig» bis zur nächsten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im September im mexikanischen Cancún eine Einigung herbeizuführen. Dasselbe gilt für den WTO-Streit über den Zugang armer Länder zu kostengünstigen Medikamenten zur Behandlung von Aids und anderen Krankheiten. Hierzu hatte Gipfelgastgeber Frankreich im Vorfeld einen «Aktionsplan für Gesundheit» mit konkreten Massnahmen vorgelegt. Doch die USA, Deutschland und Japan (die drei Staaten, in denen – neben der Schweiz – die weltgrössten und einflussreichsten Pharmakonzerne ihren Sitz haben) verhinderten die Annahme dieses Planes. Heraus kam in Evian lediglich ein «Aktionsplan des Stillstands» (so die Organisation Ärzte ohne Grenzen), der sich im Wesentlichen auf die Bekämpfung der Lungenkrankheit Sars konzentriert.

Wenn der Gipfel von Evian in die Geschichte eingeht, dann vor allem wegen der devoten und prinzipienlosen Art, in der die ehemaligen Irak-Kriegs-Gegner Jacques Chirac, Gerhard Schröder und Wladimir Putin ihre richtige und weiterhin dringend notwendige Kritik an diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ad acta gelegt haben. Für das Linsengericht eines Gesprächs unter vier Augen oder auch nur eines kurzen Wortwechsels und Händedrucks mit George Bush.

Der Kniefall erfolgte just zu dem Zeitpunkt, als durch Veröffentlichungen in führenden britischen und US-amerikanischen Medien deutlich wurde, dass die Regierungen Bush und Blair die Welt mit ihrer zentralen Begründung für diesen Krieg (der angeblichen Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen) nach Strich und Faden belogen haben. Doch das war – abgesehen von einer Frage an Tony Blair – auch für die rund 2000 JournalistInnen beim Gipfel in Evian offensichtlich kein Thema mehr.

Für Präsident Bush war die eintägige Stippvisite am Genfer See nicht nur wegen der Unterwürfigkeit der ehemaligen Kriegskritiker ein voller Erfolg. Seine Delegation konnte alle vorab formulierten Ziele durchsetzen, darunter einen Beschluss der G8 zum Aufbau einer gemeinsamen Antiterrorgruppe, die unter anderem die Weiterverbreitung von Flugabwehrraketen an Terroristen verhindern soll. Auch gelang es Bush, das Thema der Parität zwischen US-Dollar und Euro sowie Forderungen nach einer Stärkung der US-Währung völlig aus der Abschlusserklärung des Gipfels herauszuhalten. Mit der Art seines Auftretens und seiner vorzeitigen Abreise aus Evian hat der US-Präsident zugleich deutlich gemacht, dass nach Uno, Nato und EU nun auch die G8 für Washington nur noch interessant ist, solange ihre Mitgliedstaaten widerspruchslos die Politik der USA unterstützen.

Aus: Woz, 4. Juni 2003

Rhetorik und Realität

Von Rainer Falk Unübersehbar ist, dass die Legitimitätskrise der G 8 von Jahr zu Jahr offenbarer wird. Dies liegt an mangelhaften Konzepten ebenso wie am undemokratisch-exklusiven Klubcharakter des Treffens, das sich einer Partizipation anderer wichtiger Akteure der Weltwirtschaft verschließt, jedoch mit einem Dominanzanspruch gegenüber dem Rest der Welt einher geht. In Evian konnten zwar Nord-Süd-Fragen für Aufmerksamkeit sorgen, doch erwiesen sie sich erneut als gewaltiger Rohrkrepierer der G 8. Daran änderte auch der pompöse Empfang von Regierungschefs aus der Dritten Welt nichts, der in Evian dem offiziellen Talk vorausging.

Mit erheblichem Getöse war 2001 in Genua der Afrika-Plan/NEPAD beschlossen und seither im schmückenden Beisein afrikanischer Staatschefs verfolgt worden. Doch blieb der sogenannte "Aktionsplan für Afrika" - er stand in Evian erneut zur Debatte - bis heute ein Aktionsplan ohne Aktion. Finanzzusagen für NEPAD lassen auf sich warten. Wenigstens hat sich im Kreis der Erwählten - zumindest auf rhetorischer Ebene - allmählich die Einsicht durchgesetzt, dass der seit Jahren anhaltende Trend zum Rückgang öffentlicher Entwicklungshilfe umgekehrt werden muss. Anlässlich der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung in Monterrey (Mexiko/ März 2002) hatten sich die G 8-Regierungen zu Aufstockungen verpflichtet: die USA mit ihrem sogenannten Millenium Challenge Account zu einer stufenweise Steigerung der Hilfe um 50 Prozent bis 2006, die EU-Länder einer Erhöhung auf 0,39 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ebenfalls bis 2006. Gemessen an der allseits anerkannten Schätzung, dass eine Verdoppelung der Transferniveaus nötig wäre, sind diese Vorhaben "Tropfen auf heiße Steine" - von der Zweckentfremdung der Mittel für die Exportförderung einmal abgesehen.

Schon seit dem G 7-Gipfel vor acht Jahren in Halifax/Kanada stehen Maßnahmen zur Entschuldung für die ärmsten Länder auf der Tagesordnung. In Birmingham 1998 wurde eine Entschuldungsinitiative lanciert, in Köln 1999 bekräftigt, doch wurde diese Hilfe zu spät begonnen und zu gering veranschlagt: Nur acht Länder sind bis heute substantiell entschuldet und nach wie vor sichert die damit verknüpfte Strukturanpassung vorrangig Gläubigerinteressen ab. Selbst gemessen an bescheidenen Kriterien werden 19 der 26 hochverschuldeten, armen Länder (HIPC) nach dem Abschluss der Initiative keine nachhaltige Schuldensituation erreichen. Die zusätzlich von den G 8 bereit gestellten Entschuldungsmittel reduzieren vorrangig die Kosten von IWF und Weltbank bei der Schuldenrefinanzierung.

Die G 8 beschwören in ihrem Kommuniqué die "Chancen der Globalisierung". Die Konfrontation ihrer Versprechungen mit der Realität zeigt jedoch: Gemeint sind wohl die eigenen Chancen. Den Verlierern der Globalisierung zeigte auch Evian die kalte Schulter.

Aus: Freitag, 6. Juni 2003


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