Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wie andere es sehen: Zu den Protesten gegen das Weltwirtschaftsforum (Wef) in Davos

Im "Pöstli" posieren - Ist die Anti-Wef-Bewegung tot?

Rund 2.400 Teilnehmer aus 90 Ländern werden vom 24. bis zum 28. Januar 2007 beim Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum/WEF) in dem Schweizer Wintersportort Davos erwartet. Unter den 24 Staats- und Regierungschefs, die sich zu der Konferenz angesagt haben, sind auch die deutsche Bundeskanzlerin und EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel, die die Eröffnungsrede halten wird, und der britische Premierminister Tony Blair. Auch der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas (Abu Mazen), der brasilianische Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva, der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki sowie der ukrainische Regierungschef Viktor Janukowitsch haben sich angesagt. Das Treffen wird von tausenden Soldaten und Polizisten bewacht werden.
Auch Gegenkräfte und Kritiker werden zur Stelle sein. Ob sie es zahlenmäßig mit der Polizei werden aufnehmen können? Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die in der jüngsten Ausgabe der Schweizer Wochenzeitung WOZ erschienen sind.



Im "Pöstli" posieren

Die Erklärung von Bern lädt zur Gegenveranstaltung, Greenpeace will das Wef für die Umwelt nutzen. Die Lobbyisten sowie Mahmud Abbas, Angela Merkel und Tortenwerfer sind im Anflug.

Von Daniel Ryser *

Greenpeace boykottiert das Weltwirtschaftsforum (Wef) nicht. Im Gegenteil: Gerd Leipold, Chef von Greenpeace International, fliegt zum zweiten Mal nach Davos, um, wie er selbst sagt, die grösste Lobbyveranstaltung Europas für die Umwelt zu nutzen. «Durch das enorme Wachstum in Asien werden die Ressourcen- und Abfallprobleme immer deutlicher. Deswegen ist es zu begrüssen, dass das Wef darüber redet», sagt der Chef einer der grössten Umweltorganisationen der Welt gegenüber der WOZ.

Leipold zählt seine Wef-Agenda auf: Zusammen mit Coca-Cola, Pepsi und Ikea lädt Greenpeace zur Veranstaltung zur Verminderung der Treibhausgase. «Wir sind mit diesen Firmen dabei, den Kühlmarkt ökologisch umzukrempeln.» Dann ein Treffen mit Michael Dell, dem CEO des weltweit grössten Computerherstellers Dell, um für eine geplante Kampagne gegen Elektroschrott «Nägel mit Köpfen» zu machen. «Dell ist da auf einem guten Weg, ganz anders als Apple», sagt der Greenpeace-Chef. «Wir nehmen kein Geld von Firmen oder Staaten, das erlaubt uns, unbeschwert Koalitionen zu bilden, wenn es der Umwelt dient.»

Das Wachstum beschleunigen

Leipold nimmt am Wef auch an einem Podium zum Thema Klimawandel teil. Der im Auftrag der britischen Regierung verfasste «Stern-Report», der die (katastrophalen) wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung aufzeigt, habe dafür gesorgt, dass das Thema Klimaschutz wieder weit oben auf den Traktandenlisten der PolitikerInnen stünde. «Klimaschutz ist unsere wichtigste Kampagne. Wir werden am Wef mit unserer Meinung nicht zurückhalten», sagt Leipold. Das Wef sei für Greenpeace wichtig, trotzdem stehe man der Veranstaltung kritisch gegenüber: «Unsere Kritik zielt darauf, dass eine private Veranstaltung für sich in Anspruch nimmt, die öffentliche Agenda bestimmen zu wollen.»

Das Wef hat laut einem ihrer Sprecher nichts von seiner Wichtigkeit als Lobbyveranstaltung verloren. Die Wirtschaft ist mit 800 ManagerInnen so präsent wie noch nie. Dazu kommen 150 «young global leaders», GewerkschafterInnen, VertreterInnen aus Forschung, Kultur und Sport, 180 RegierungsvertreterInnen, 80 VertreterInnen von NGOs, 180 RepräsentantInnen akademischer Organisationen, «20 religiöse Führungskräfte», 400 JournalistInnen, davon 70 aus der Schweiz. Die prominentesten Gäste sind der PLO-Vorsitzende Mahmud Abbas, der britische Premier Tony Blair, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Weltbank-Chef Paul Wolfowitz, WTO-Chef Pascal Lamy sowie Mohammed el-Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde. Des Weiteren reisen die PremierministerInnen Finnlands, Ägyptens, der Ukraine sowie der König von Jordanien an. Die Bush-Regierung glänzt (laut aktuellem Stand) durch Abwesenheit. Das Motto lautet: «Die globale Agenda gestalten im Zeichen sich verändernder Kräfteverhältnisse». Die Fragen: «Wie kann man das Wachstum beschleunigen? Wie steigern? Wie Fehlentwicklungen entgegentreten?»

Der Bundesrat misst dem Wef «grosse Bedeutung» zu, schreibt er in einer Medienmitteilung. SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey eröffnet als Bundespräsidentin gemeinsam mit Klaus Schwab den Anlass. Die Bundesräte Doris Leuthard und Hans-Rudolf Merz reisen ebenfalls nach Davos. UBS-Chef Marcel Ospel wird voraussichtlich wieder, wie in den vergangenen Jahren, im Trainer im Restaurant des Hotels Pöstli sitzen und im Dreissigminutentakt Lobbyisten empfangen. Leibwächter der Schweizerischen Eidgenossenschaft werden den Eingang schützen.

Begrenzte Proteste

Damit zum Beispiel keiner dem UBS-Chef eine Torte ins Gesicht wirft. Denn auch Tortenwerfer seien unterwegs nach Davos, berichtete die Sonntagspresse. Doch auch wenn der Klimawandel als Thema allmählich salonfähig ist, die weltweite Arbeitslosenzahl 2004 mit 185,9 Millionen einen neuen Höchststand erreichte und die Folgen der Globalisierung mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore oder dem Exchefökonomen der Weltbank Joseph Stiglitz immer mehr und vor allem populärere Kritiker finden: Der Protest wird sich in Davos voraussichtlich in Grenzen halten. Das liege vor allem an der massiven Repression gegen Wef-GegnerInnen, heisst es bei Attac Schweiz. Trotzdem seien kleine Protestaktionen in Davos geplant. Andere Gruppen laden für den Samstag in Davos zum Aktionstag.

Vor Ort findet auch die zentrale Gegenveranstaltung statt: Gemeinsam mit Pro Natura organisiert die Erklärung von Bern seit 2000 das Public Eye. Im Hotel Montana, in Sichtweite des Kongresszentrums und im Fokus internationaler Berichterstattung, verleihen die OrganisatorInnen am Wef-Eröffnungstag zum dritten Mal die Public Eye Awards für «besonders unverantwortliches Konzernverhalten». Vierzig Nominationen sind eingegangen, neun in- und ausländische Firmen kamen in die Endauswahl. Unter den Favoriten auf die «Anti-Oscars» befinden sich Ikea, Novartis, Ruag und Xstrata. Oliver Classen, Mediensprecher der Erklärung von Bern und Koordinator des Public Eye, spart nicht mit Kritik: «Das Wef ist ein Lobbyverein, der behauptet, es ginge ihm um eine bessere Welt. Dass das nicht stimmt, zeigen wir mit unserer Hitliste der unverantwortlichsten Unternehmen, worunter auch dieses Jahr viele am Wef vertretene Konzerne sind.» Es gehe dem Wef letztlich einzig um die Interessen seiner tausend exklusiven Klubmitglieder. Diese Interessen bestünden primär in einer ständigen Steigerung der Umsatzrendite, die Folge davon sei Wachstumswahn. «Diesem Wahn fallen ganze Volksgruppen und Ökosysteme zum Opfer. Das Wef ist ein Kristallisationspunkt dieser Logik.» Zwar hat das Wef laut Classen politisch an Bedeutung verloren, für die Weltwirtschaft sei es jedoch noch immer immens wichtig. «Was sich vor allem verändert hat, ist, dass niemand mehr die Legitimität des Davoser Schaulaufens infrage stellt.»

«Speditive Überprüfung»

Und dieses Schaulaufen ist gut bewacht: Die Armee darf dank Wef einmal im Jahr zeigen, was sie hat, und schickt «fünftausend Soldaten und Helikopter, Fahrzeuge, Sperrmaterial, Gepäckröntgenanlagen, Metalldetektorbogen, Fahrzeuge wie zum Beispiel Sicherheitslimousinen». Alois Hafner, Sprecher der Kantonspolizei Graubünden, sagt, man sehe dem Anlass gelassen entgegen. Und während zur Stunde in Davos Sicherheitszonen eingerichtet und ein Überwachungsstaat aus Armee inklusive Drohnen, Polizei, Geheimdiensten und privaten Sicherheitskräften installiert wird, heisst es im Wef-Papier der Bündner Regierung: Die Landschaft Davos sei bereit, eine Demonstration gegen das Wef zu bewilligen, «sofern die Gewähr besteht, dass die notwendigen Auflagen eingehalten werden. Mit der grosszügig angelegten Kontrollstelle Fideris kann die Überprüfung sämtlicher Reisender nach Davos speditiv erfolgen und ohne jegliche Schikanen.» Vor allem die «Kontrollstelle Fideris» wird von den Wef-GegnerInnen kritisiert: Wer am Tag einer allfälligen Demonstration nach Davos reist, wird hier kontrolliert, registriert, fichiert. Das Schleusensystem zeige, dass der Bundesrat beim Wef keine demokratische Äusserung des Protests auf der Strasse dulde, heisst es bei Attac.

Der Schutz des Privatklubs kostet die Schweiz wie jedes Jahr rund acht Millionen Franken.


Aus: WOZ Die Wochenzeitung (Schweiz), 18. Januar 2007


Bete mal den Bono an!

Ist die Anti-Wef-Bewegung tot? Nein, nur die Kameras sind nicht mehr da. Zwischen Basel und Davos ist einiges los.

Von Bettina Dyttrich **

Schon wieder ein Weltwirtschaftsforum (Wef). Wie jedes Jahr: dumme Reden, Stacheldraht, Militäreinsätze im Innern, Bundesrätinnen und Bono (kommt er?), Lamas und Pfarrer - und ein paar Demonstrantinnen und Strassentheateraktivisten, die damit rechnen müssen, fichiert oder in Tiefgaragen gesperrt zu werden. Wie geht es der Anti-Wef-Bewegung? Wer hat überhaupt noch Lust, gegen das Wef zu protestieren?

Die Anti-WTO-Koordination Bern war jahrelang eine wichtige Akteurin der Proteste. Vor kurzem hat sie sich mit der Aktion ungehorsamer Studierender zum Basiskollektiv RebElle zusammengeschlossen. «Es sind sicher weniger Leute aktiv gegen das Wef als vor fünf Jahren», sagt David Böhner von RebElle. Ist die Linke Wef-müde? Die Armeepräsenz, die Durchsuchungsschleuse in Fideris und die Einkesselungen in Landquart und anderswo hätten Wirkung gezeigt, meinen Karin Vogt und Florence Proton von Attac. Auch Fabio Botta von der Bündner Gruppe Dadavos stimmt dem zu. Ein weiterer Faktor seien die Medien, die sich kaum mehr für die Proteste interessierten: «Das hat bewirkt, dass Parteien, Gewerkschaften und NGOs, die auch auf die mediale Wirkung schielten, das Interesse verloren haben.» Trotzdem: «Wenn die bürgerliche Presse nicht mehr darüber berichtet, heisst das nicht, dass nichts stattfindet», schreibt der Revolutionäre Aufbau.

«Randale am Wef programmiert», titelte die «SonntagsZeitung» letzten Sonntag. Darunter eine magere, aus dem Internet abgeschriebene Meldung über den Aktionstag, der am 27. Januar in Davos geplant ist. Am gleichen Tag findet in Basel eine Demo statt. Also in Davos die bösen Randalierer, in Basel die gute (bewilligte) Demo? Oder umgekehrt: In Davos das kreative Strassentheater, in Basel der schwarze Block - immerhin ist der Revolutionäre Aufbau unter den OrganisatorInnen? Die in den Medien beliebte Aufteilung in Gute und Böse wird dieses Jahr wohl nicht funktionieren. Auch in der Bewegung sorgen die beiden Termine nicht für Streit. «Sie sollen sich nicht konkurrenzieren, sondern ergänzen», sagt Ursi Grimm von Dadavos. «Beide Anlässe sind ähnlich breit abgestützt», meint auch eine Aktivistin des Anti-Wef-Bündnisses Basel. Zum Aktionstag in Davos rufen unter anderem Dadavos, RebElle, Attac und die St. Galler Gruppe Aktiv unzufrieden auf, nach Basel wollen die Antifa Bern, der Revolutionäre Aufbau, die Bewegung für Sozialismus und andere; die Grüne Partei Bern und der Infoladen Kasama in Zürich unterstützen beide Aufrufe.

Was ist am 27. Januar also zu erwarten? Die Basler Demo ist bewilligt. Sie wird auf der Grossbasler Seite des Rheins bleiben - was den OrganisatorInnen ganz recht ist -, denn in Kleinbasel steigt das traditionelle Vogel-Gryff-Fest, mit dem die KleinbaslerInnen ihre Verachtung für Grossbasel demonstrieren. «Wir wollen an der Demo die Kriegs- und Aufrüstungstendenzen sowie den Sozialabbau thematisieren», heisst es beim Basler Anti-Wef-Bündnis. «Als Ausdruck einer Mensch und Umwelt ausbeutenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Die Polizei hat versprochen, sich im Hintergrund zu halten, aber sie wird wie letztes Jahr am Bahnhof Leute kontrollieren.» Basler AktivistInnen organisieren schon seit Jahren eine kleine Anti-Wef-Demo; als sie vor zwei Jahren nach dem Demoverbot in Bern etwas grösser wurde, kesselte die Polizei die Demonstrierenden auf dem Barfüsserplatz ein und verteilte anschliessend hohe Bussen. Im Januar 2006 konnte die Demonstration dann ungehindert stattfinden. «Wir sagten letztes Jahr: Wenn es gut geht, machen wir es wieder. An dieser Demo sollen möglichst viele Leute teilnehmen können.»

Und in Davos? Dadavos hat schon in den letzten beiden Jahren mit kleinen Aktionen Irritation gesät und das Ergebnis im Film «Grober Unfug» festgehalten: In elegantes Tuch gekleidete AktivistInnen erleiden groteske Stürze auf der Promenade, nagen mit ekligem Schmatzen an Pouletbeinen, werfen sich vor Wef-TeilnehmerInnen devot zu Boden, betteln sie an oder verfolgen sie und imitieren alle ihre Bewegungen. Gerüchten zufolge ist es gefälschten Wef-TeilnehmerInnen auch schon gelungen, sich in Nobelhotels einzuschleichen und sich in Lobbys und Swimmingpools zu tummeln. Es hängt alles vom überzeugenden Auftreten ab.

Für den Aktionstag in Davos gibt es keinen Treffpunkt und keine Anfangszeit. Die AktivistInnen sollen sich selber organisieren und in Kleingruppen anreisen, sich als Skifahrer oder Open-Forum-Besucherinnen ausgeben, um möglichst ungehindert durch die Kontrollen zu kommen. Hilfreich ist dabei, dass auf der Talstrasse eine lokale Demo der Grünen stattfindet. Doch für Leute, die etwas gegen das Wef tun wollen, aber keiner Gruppe oder Organisation angehören, ist der Aktionstag wahrscheinlich eine Überforderung. Sie werden wohl eher nach Basel reisen. Das glaubt auch David Böhner von RebElle: «Natürlich ist es aufwendiger, selbst eine Aktion zu planen. Wir rechnen nicht mit tausend Leuten. Aber hundert oder zweihundert können in Davos schon ganz schön Aufsehen erregen.» Dadavos richtet in der Werkstatt in Chur einen Anlaufpunkt ein, wo auch Polizeiübergriffe oder Wegweisungen - Davos hat seit 2005 einen Wegweisungsartikel - gemeldet werden können.

Der Wef-Protest ist nicht mehr, wie um die Jahrtausendwende, der Jahreshöhepunkt für die Schweizer AktivistInnen. Aber er ist ein selbstverständlicher Teil eines ganzjährigen Engagements. Attac ist vor allem zum Service public, zu Steuergerechtigkeit und Migration aktiv. Dadavos engagiert sich gegen das neue Churer Polizeigesetz. Der Revolutionäre Aufbau ist mit dem Finanzplatz Schweiz und mit der Solidarität für den kurdischen Flüchtling Erdogan Elmas beschäftigt. Leute von RebElle sind in der Berner Reitschule und im alternativen Bildungsprojekt Denkmal aktiv und arbeiten bei der linken Zeitung «Antidot» mit. «Viele Kontakte, die wir heute nutzen, wurden während der Anti-Wef-Mobilisierungen geknüpft», sagt David Böhner. Für alle Gruppen ist auch die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel im deutschen Heiligendamm im Juni ein Thema.

Doch das Wef bleibt wichtig: «Die alljährliche Verbunkerung Graubündens führt zu einem Gewöhnungseffekt, den ich als die gefährlichste reale Auswirkung des Wef betrachte. Allein schon deswegen lohnt sich der Widerstand», sagt Fabio Botta von Dadavos. Und Karin Vogt und Florence Proton schreiben: «Der Anspruch von Attac ist, die Verbindungen aufzuzeigen zwischen verschiedenen Themen und Kämpfen. Wir wollen zeigen, dass der Allerweltsspruch ‹Die Welt ist keine Ware› über die aktuelle Gesellschaftsform hinausgeht, wenn er zu Ende gedacht wird.»

** Aus: Die Wochenzeitung WOZ, 18. Januar 2007


Zurück zur Globalisierungs-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage