Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Druck auf Politik und Banken wächst

In Paris treffen sich an diesem Wochenende die G20-Finanzminister zum soundsovielten Krisengespräch. Zugleich rufen Aktionsgruppen in vielen Ländern zum internationalen Protesttag gegen das Finanzsystem auf

Von Haidy Damm *

Wenn an diesem Wochenende die Finanzminister der G-20-Staaten zusammenkommen, haben sie nur ein Thema: die Euro-Krise. Um diese zu bewältigen, haben die Schwellenländer Brasilien und China Medienberichten zufolge ihre Unterstützung angekündigt. Die europäischen Staaten sind derweil weiter uneinig über den richtigen Weg aus der Krise.

Letzte Meldung

Hunderttausende auf der Straße

Am 15. Oktober haben hunderttausende Menschen in aller Welt gegen die Macht der Banken demonstriert. Allein in Deutschland protestierten Zehntausende für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit. An der zentralen Demonstration vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main nahmen bis zu 6000 Menschen teil.

Beteiligt waren unter anderem das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die Bewegung "Occupy Frankfurt" ("Besetzt Frankfurt"). Vor der EZB errichteten Demonstranten Zelte für einen längeren Protest. Die Polizei sprach von insgesamt 5000 Teilnehmern, Attac von 6000 Protestierenden. In Berlin zogen nach Angaben von Attac bis zu 10.000 Menschen zum Bundeskanzleramt. Dort verhinderte die Polizei das Aufstellen von Zelten. Bundesweit demonstrierten laut Attac 40.000 Menschen.

In Europa protestierten Kritiker des internationalen Finanzsystems unter anderem in London, Rom, Lissabon, Paris, Madrid und Brüssel und Den Haag. Den Auftakt der Proteste hatten Demonstrationen im asiatisch-pazifischen Raum gebildet. Unter anderem in Hongkong, Tokio, Seoul und Sydney gingen hunderte Menschen auf die Straße.

Vorbild für die Demonstrationen sind die Proteste in den USA, wo Kritiker des Finanzsystems seit Wochen auf einem Platz nahe der New Yorker Börse unter dem Motto "Occupy Wall Street" gegen die Macht der Banken protestieren. In der Ostküstenmetropole demonstrierten am Abend erneut tausende Menschen.

Nachrichtenagenturen, 15. Oktober 2011



Streitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich bleibt die Änderung des EU-Vertrages von Lissabon. Im Kern geht es um eine engere Abstimmung der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will »einen Vertrag nur für die Euro-Zone«. Bundeskanzlerin Angela Merkel will alle 27 EU-Staaten einbeziehen.

Uneinig sind sich beide Länder auch in der Frage, wie der EU-Rettungsfonds EFSF gestaltet werden soll. Während Frankreich den Ländern freie Hand lassen will beim Ankauf von Staatsanleihen, fordert die Kanzlerin eine Begrenzung. Das Vorgehen gegenüber dem verschuldeten Griechenland scheint dagegen inzwischen abgestimmt. So kündigte der französische Finanzminister Francois Baroin einen gemeinsamen Vorschlag über die Höhe der Bankenbeteiligung an. Demnach haben sich laut dpa die privaten Geldgeber darauf eingelassen, eine Wertminderung von 21 Prozent und längere Kreditlaufzeiten zu akzeptieren.

Die Banken verstärkten gestern ihre Ablehnung gegenüber den Forderungen nach einer stärkeren Kapitalisierung. Im Gespräch ist eine Erhöhung der Kernkapitalquote auf neun Prozent, um die Banken bei Ausfällen besser zu schützen. Besonders Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann will weiter ohne Unterstützung des Staates auskommen und kritisierte, die Politik vergrößere die Unsicherheit »durch unbedachte und vielstimmige Äußerungen«.

Die Unsicherheit spürt nun auch das größte deutsche Bankhaus. Die Ratingagentur Fitch warnte zwölf große Banken vor einer Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit - darunter die Deutsche Bank. Fitch stufte zudem die Landesbank Berlin und die Berlin-Hannoversche Hypothekenbank herab. Von einer drohenden Abstufung betroffen sein könnten zudem die französischen Banken Crédit Agricole und BNP Paribas, das Schweizer Institut Credit Suisse und die US-Geldhäuser Goldman Sachs und Morgan Stanley. Deren Geschäftsmodelle seien besonders anfällig für die Probleme an den Finanzmärkten. Zwar gehörten diese Banken zu den weltgrößten, erklärte Fitch. Es habe sich aber gezeigt, »dass auch große Banken zusammenbrechen können«. Die Kreditwürdigkeit Spaniens sinkt ebenfalls. Nach Fitch hat die Ratingagentur Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit des Landes auf »AA-« herabgesetzt.

Kanzlerin Merkel scheint derweil weiter die Ruhe in Person. Sie warnte vor übertriebenen Erwartungen an den EU-Gipfel am 23. Oktober. »Es gibt nicht den einen großen Wurf«, sagte sie beim Gewerkschaftstag der IG Metall in Karlsruhe. Jeder Schritt müsse abgewogen werden. Das gelte auch für einen möglichen Schuldenschnitt in Griechenland.

* Aus neues deutschland, 15.10.2011


Weltweit für echte Demokratie

Von Stephan Lindner **

Der 42-jährige Diplompolitologe ist Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis von Attac und einer der Mitorganisatoren der heutigen (15. Okt.) Protestveranstaltung vor der Europäischen Zentralbank.

Heute gehen weltweit Menschen auf die Straße, um für echte Demokratie und gegen die Macht der Finanzmärkte zu demonstrieren. Erstmals werden auch in Deutschland Proteste in Dutzenden von Städten erwartet. Ein Teil der Veranstaltungen wird hauptsächlich in sozialen Netzwerken im Internet geplant - wobei neue Akteure auf den Plan treten. Anderswo sind bereits breite Bündnisse in Aktion. Jetzt gilt es überall, alte und neue Akteure zu vernetzen und dann diese Bündnisse zu verbreitern und zu verstetigen, ohne dass dabei Einzelne das Geschehen dominieren.

Die Empörung über die Finanzwirtschaft ist groß. Drei Jahre, nachdem viele Kreditinstitute erst unter dem massiven Einsatz von Steuergeldern gerettet werden mussten, sollen wieder viele Milliarden zu ihrer Rettung bereitgestellt werden. Wieder droht, dass das nicht nur ohne jede Gegenleistung geschieht, sondern auch, dass die Strukturen, die uns binnen kürzester Zeit zum zweiten Mal an diesen Abgrund geführt haben, abermals unangetastet bleiben.

Seit auch an der Wall Street protestiert wird, befeuern die Medien die Proteste auch in Deutschland. Überall gibt es Diskussionen, ob ähnliches wie in den USA auch in Deutschland möglich ist. Wer die Medienberichterstattung aber genauer verfolgt, der muss feststellen, dass viel über die Empörung gesprochen wird, aber wenig von unseren Forderungen. Der »Spiegel« zitierte sogar einen Protestforscher, der Attac eine »Pseudofokussierung« vorwirft, weil wir in Frankfurt am Main vor der Europäischen Zentralbank demonstrieren - und nicht an der Börse oder der Deutschen Bank.

Die Absicht dahinter ist klar: Die Proteste sollen als Ventil dienen, mit dem Druck aus dem Kessel gelassen wird - ohne ernsthaft an den Strukturen der Finanzmärkte zu rütteln. In diese Falle darf die Bewegung nicht tappen. Stattdessen müssen wir uns zu dem Feuer entwickeln, das den Druck auch da weiter erhöht, wo die wichtigen politischen Entscheidungen fallen.

Und genau deshalb hat Attac auch beschlossen, neben einem Aufruf zu Protesten in möglichst vielen Städten, wo zumeist vor Banken Demonstrationen stattfinden, zwei Orte besonders herauszustellen: die Europäische Zentralbank (EZB) und das Bundeskanzleramt. Denn das sind jene Orte, wo Entscheidungen darüber fallen, ob die Finanzindustrie so weitermachen kann wie bisher - oder ernsthaft darangegangen wird, die Finanzmärkte zu schrumpfen.

Attac fordert, Großbanken wie in den USA der 30er Jahre zu zerschlagen. Banken sollen entscheiden müssen, ob sie Kreditgeschäft oder Investmentbanking betreiben. Banken wie die Deutsche Bank würden dadurch aufgespalten. Zudem muss Investmentbanken der Zugang zu billigen Krediten der Zentralbank versperrt werden.

Nicht zuletzt fordert Attac, die EZB demokratisch zu kontrollieren sowie ihr Versagen bei der Aufsicht der Banken zu untersuchen. Weltweit muss echte Demokratie hergestellt werden. Vermögende und Krisenprofiteure sind durch eine Vermögensabgabe zur Kasse zu bitten. Statt eines pauschalen Haircuts muss ein Audit in den besonders hoch verschuldeten Staaten stattfinden - und dann sind alle illegitimen und nicht tragfähigen Schulden auf sozialverträgliche Weise zu streichen.

** Aus neues deutschland, 15.10.2011 (Gastkommentar)


Zurück zur Globalisierungs-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung und andere soziale Bewegungen"

Zurück zur Homepage