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Schwarz-Gelb: Das "schlechteste Wahlergebnis" aus Sicht der IG Metall

Auszüge aus der Wahlanalyse des Vorstands der IG Metall

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einer Wahlanalyse, die der Vorstand der IG Metall erstellt hat. Der vollständige Bericht inklusive Tabellen und Darstellungen kann bei der IG Metall angefordert werden.* [Hier herunterzuladen: (pdf-Datei] . Ganz unten außerdem noch eine kurze Wahl-Stellungnahme von ver.di-Chef Frank Bsirske.



Ergebnisse der Bundestagswahl und der Landtagswahlen am 27. September 2009

Schwarz-Gelb erreicht klare Mehrheit im Bundestag
  • SPD mit schlechtestem Ergebnis – Union verliert leicht
  • FDP, Linke und Grüne mit zweistelligen Ergebnissen
  • Union und SPD nur von 40 Prozent der Wahlberechtigten gewählt
  • Wahlbeteiligung auf Rekordtief - Nichtwähler erstmals stärkste Gruppe
  • IG Metall wird auch der neuen Regierung Zusammenarbeit anbieten
  • Inhaltlicher Diskurs über fortschrittliche, demokratische und soziale Politik erforderlich

1. Bewertung

A. Analyse der Wahlergebnisse

1. Mit dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb mit einer starken FDP ist das aus Sicht der IG Metall schlechteste Wahlergebnis eingetreten. Es droht, je nach dem, wie weit sich die FDP mit ihrem Wahlprogramm durchsetzt, eine ungerechte Verteilung der Krisenlasten und ein Angriff auf Arbeitnehmerrechte (Mitbestimmungsrechte, Kündigungsschutz, soziale Sicherungssysteme).

2. Auffällig ist zunächst der Rückgang der Wahlbeteiligung um fast 7 Prozent. Die niedrige Wahlbeteiligung ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass vielen Menschen eine überzeugende politische Perspektive gefehlt hat und dass insbesondere viele frühere SPD-Wähler sich der Wahlbeteiligung verweigert haben.

In der geringen Wahlbeteiligung drücken sich mehrere Entwicklungen aus.
  • Eine zunehmende Skepsis gegenüber politischen Parteien, denen man offensichtlich immer weniger die Lösung der anstehenden Herausforderungen zutraut (Kompetenzdimension).
  • Mangelnde Glaubwürdigkeit der Parteien, d.h., man nimmt ihnen nicht ab, dass sie ihre Wahlversprechen auch tatsächlich einlösen, z.B. Arbeitsplätze schaffen und Steuern senken (Glaubwürdigkeitsdimension).
  • Insbesondere ein wachsender Teil der traditionellen SPD-Wähler ist zur Zeit nicht mobilisierbar (soziale Dimension).
3. Von herausragender Bedeutung ist der dramatische Einbruch der SPD. Im Jahr 1998, als Rot-Grün an die Regierung kam, wählten noch 20 Mio. Wähler SPD, 2009 waren es nur noch 10 Mio. Soweit bis jetzt erkennbar, gibt es dafür mehrere Erklärungen:
  • Der fehlende selbstkritische Umgang mit der Agenda 2010 hat der SPD – trotz eines guten Wahlprogramms - viel Glaubwürdigkeit gekostet. Das hat sich schon seit längerem angedeutet.
  • Die Argumentation aus den scheinbaren Sachzwängen der Regierungspolitik heraus hat die eigenen Positionen und Ziele zu wenig erkennbar werden lassen. Es ist der SPD in der großen Koalition gelungen, die CDU stärker auf arbeitnehmerfreundliche Positionen zu verpflichten. Damit wurde aber zugleich ihr Profilierungsspielraum geringer und die Differenzen zur CDU weniger sichtbar. Die Kanzlerin hat diese Karte immer wieder gespielt und ihre Nähe zu Arbeitnehmerpositionen und Gewerkschaften erklärt, um der SPD Wind aus den Segeln zu nehmen.
  • Es wurden scheinbare Sachzwänge in den Vordergrund gestellt anstatt auf die Menschen zu hören und Lösungen zu suchen für deren Probleme und Themen (z.B. Rente mit 67). Nur in der Frage Mindestlohn und Ausstieg aus der Atomenergie ist der SPD ein eigenes Profil gelungen.
4. Das zweite herausragende Ergebnis ist der enorme Wahlerfolg der FDP. Ihr ist es gelungen die Wählergruppen aus dem bürgerlichen Lager zu binden, die an einer stärkeren marktradikalen Wirtschaftspolitik Interesse haben und denen die CDU-Politik zu „sozialdemokratisch“ ist. Die FDP konnte eine aussichtsreiche Koalitionsperspektive anbieten und von der Unzufriedenheit mit der großen Koalition profitieren. Unter den Gewerkschaftsmitgliedern lag der Stimmenanteil der FDP bei 9% (Arbeiter 11%). Dies lässt den Schluss zu, dass angesichts der realen Belastungen das Versprechen von Steuersenkungen auch bei Teilen der Gewerkschaftsbewegung durchaus auf Zustimmung stieß. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht zwischen Mitgliedern von DGB Gewerkschaften und anderen Gewerkschaften differenziert wird.
Darüber hinaus zeigt das Ergebnis, dass die Interpretation der Krisenursachen noch weiter geführt werden muss. Es gibt zwei Interpretationslinien: Diejenigen, die von dem neoliberalen Paradigma des Staatsversagens ausgehen, konnten sich in den Interpretationen der FDP und den daraus abgeleiteten Maßnahmen gut wiederfinden. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass sich unsere kritische Analyse der Krise und die daraus folgenden politischen Gestaltungsansätze im gesellschaftlichen Diskurs stärker durchsetzen.

5. Die Grünen haben ihren Stimmenanteil verbessern können, haben aber ihr Milieu nicht wesentlich erweitern können. Die Linke und die Grünen haben im Saldo zwar etwa 6 Prozent gewonnen, konnten aber die SPD-Verluste nicht kompensieren.

6. Die Linkspartei hat Zugewinne und konnte sich durch teilweise deutliche Gewinne in den alten Bundesländern, wo sie viele Stimmen von Arbeitslosen erhielt, im Parteiensystem etablieren. Trotzdem gibt es nach wie vor erhebliche Vorbehalte gegen die Partei, was z. T. an ungeklärten innerparteilichen Positionsfindungen liegt. Obwohl sie viele sozialdemokratische Ideen übernommen hat, kann sie nicht die machtpolitische Stelle der SPD einnehmen.

7. Die Union hat geschickt versucht, sich größeren Kontroversen zu entziehen, sich politisch in der Mitte zu verorten, Konflikte um Arbeitnehmerinteressen zu vermeiden und ist dadurch mit vergleichsweise geringen Verlusten aus der Wahl hervorgegangen. Unter den Gewerkschaftsmitgliedern lag der Stimmenanteil für die Union bei 24%, verloren hat sie vor allem an die FDP, während der größte Zugewinn auf Kosten der SPD erfolgte. Sie hatte die komfortable Situation, zwei Koalitionsoptionen zu haben und der sichere politische Gewinner der Wahl zu sein.

8. Die Volksparteien haben deutlich an Bedeutung verloren. Sie haben zusammen nur noch 57 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht. Die Nichtwähler einbezogen, haben sie nur noch 40 Prozent der Stimmen. Die Volksparteien sind nur noch bei den älteren Wählergruppen stabil dominant.

9. Die rechtsextremen Parteien haben nur etwa 2 % der abgegebenen Stimmen erreicht. Sie können offensichtlich nicht von der Krise profitieren. Das ist ein positives Ergebnis dieser Bundestagswahl.

Schlussfolgerung:

Die Wahl hat auf dramatische Weise die Schwäche fortschrittlicher Politik in der Bundesrepublik offengelegt.

Bedrohlich ist zugleich die wachsende Politikverdrossenheit und -distanz, die sich in der niedrigen Wahlbeteiligung niederschlägt.

Die Situation bei den Wählern unter 30 Jahren muss unbedingt weiter untersucht werden. Hier hat die FDP sogar 17 Prozent, die SPD kommt ebenfalls nur auf 17 Prozent und die Grünen erreichen 15 Prozent. Die Parteipräferenzen unterscheiden sich in dieser Wählergruppe deutlich vom Gesamtergebnis. Die traditionelle Dominanz des linken Lagers scheint nicht mehr gegeben zu sein.


B. Konsequenzen

Für die IG Metall sind mit diesem Wahlergebnis die Ausgangsbedingungen schlechter geworden, für ihre inhaltlichen Ziele Ansprechpartner in der Regierung und Mehrheiten im Bundestag zu finden. Gleichwohl wird sie der neuen Regierung Zusammenarbeit und einen konstruktiven Dialog anbieten, ohne auszuschließen, dass es in bestimmten Fragen zu Konflikten kommen wird. Wir werden als Einheitsgewerkschaft Kooperationsmöglichkeiten mit der neuen Regierung suchen. Wir sind uns bewusst, dass diese Kooperation schwieriger wird.

Wir werden darüber hinaus Diskursangebote machen an alle, die an einer fortschrittlichen, demokratischen und sozialen Politik interessiert sind. Das reicht vom christlichen Arbeitnehmerflügel bis zur Linkspartei. Gerade in dieser Situation wird es wichtig sein, alle Menschen zusammen zu führen, die an einer wirklichen sozialen Ausgestaltung der Marktwirtschaft interessiert sind.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Opposition entwickeln wird: Ob sie in der Lage ist, ein inhaltlich starker und handlungsfähiger Widerpart der Regierung zu sein, hängt von der programmatischen Entwicklung der Parteien und ihrer Verarbeitung des Wahlergebnisses ab. Die IG Metall wird ihre Vorstellungen in diese Debatten einbringen und auch die Zusammenarbeit mit den Oppositionsparteien für die Durchsetzung ihrer Ziele nutzen. Dabei spielt die Frage der Mehrheiten im Bundesrat eine wichtige Rolle, als ein möglicher Hebel zur Abwehr arbeitnehmerfeindlicher Politik.

Unabhängig von parlamentarischen Parteikonstellationen gilt: Wir repräsentieren die soziale Mehrheit und müssen auf die tiefen Spaltungen in unserer Gesellschaft aufmerksam machen. Und mit eigener Kraft und eigenen Inhalten in die Debatten eingreifen, um unseren Positionen Geltung zu verschaffen.

Politisch-strategische Optionen im Fünf-Parteien-System:

Wir sind endgültig im Fünf-Parteien-System angekommen. Die Partei Die Linke ist keine kurzfristige und temporäre Erscheinung. Im Drei-Parteien-System der alten Bundesrepublik spielte die kleinste Partei die Rolle der Mehrheitsbeschafferin in zwei langen Phasen. Im Vier-Parteien-System der letzten 20 Jahre bildeten sich zwei Blöcke heraus, die sich insgesamt in vielen Fragen unversöhnlich gegenüberstanden. Im Fünf-Parteien-System haben sich die Voraussetzungen für parlamentarische Mehrheitsbildungen grundlegend gewandelt. Neue Möglichkeiten öffnen sich. Die CDU hat mit der FDP und mittelfristig mit den Grünen Optionen von Zweier- und Dreierkoalitionen. Die Koalitionsmöglichkeiten der SPD sind angesichts der derzeitigen Zersplitterung des linken Lagers stark eingeschränkt.

Die SPD trägt die Hauptverantwortung für die Formulierung einer mehrheitsfähigen sozialeren Alternative zu Schwarz-Gelb. Wenn sie dieser Verantwortung gerecht werden will, muss sie ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen und die politischen Fehler von 11 Jahren in der Bundesregierung offen diskutieren. Die SPD war zwar auf dem Weg zu inhaltlicher Erneuerung, aber nicht weit und klar genug.

Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Koalitionsmöglichkeiten der SPD mit der Linken sind eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die Machtposition der SPD insgesamt. Wird der SPD die Option ‚Die Linke’ aus der Hand geschlagen, dann wird sie ins Gefängnis der Alternative Juniorpartner in einer Großen Koalition oder Opposition gestoßen.

Die SPD schränkt ihre strategischen Optionen ein, wenn sie eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei kategorisch ausschließt.

Indem die IG Metall die Interessen der Beschäftigten vertritt, repräsentiert sie die Mehrheit der Bevölkerung. Sie wird an politischen Konstellationen arbeiten, die Gewähr für die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen bieten. Deshalb liegt es auch in ihrem Interesse, die Blockierung rot-rot-grüner Koalitionen zu überwinden, auch im Bund.

Um ein Gegengewicht zur zukünftigen Bundesregierung zu bilden, ist es im Augenblick besonders wichtig, dass sich in Thüringen und im Saarland Koalitionen jenseits von schwarz-gelb bilden.

Die jetzige politische Konstellation stellt erhöhte Anforderungen an die Mobilisierungsfähigkeit und organisatorische Stärke der IG Metall. Um Einschnitte in Arbeitnehmerrechte abzuwehren und eigene Ziele durchzusetzen sind wir mehr denn je auf die Entfaltung unserer eigenen Kraft angewiesen. Darauf müssen wir die Organisation einstellen. Dies stellt auch besondere Anforderungen an den zielstrebigen Ausbau unserer Organisation und die Effektivität unserer inneren Abläufe.


2. Ergebnis

Die Wahlbeteiligung ist bei der Bundestagswahl 2009 um 6,9 Prozentpunkte auf 70,8 Prozent gesunken. Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl seit Bestehen der Bundesrepublik. In drei Bundesländern ist die Wahlbeteiligung um rund 10 Prozent zurückgegangen, darunter Sachsen und Thüringen. In beiden Ländern haben erst vor vier Wochen Landtagswahlen stattgefunden.

CDU und CSU gewinnen die Wahl trotz leichter Verluste von 1,3 Prozent mit 33,8 Prozent. Das ist das schlechteste Ergebnis, das die Union seit 1949 erzielt hat (1949: 31 Prozent). Selbst bei der Bundestagswahl 1998 (Regierungswechsel zu Rot-Grün) erzielte die Union 35,1 Prozent. Die Union erlangt insgesamt 239 Sitze. Davon die CDU 194 (plus 14) und die CSU 45 (minus 1). Darunter befinden sich insgesamt 24 Überhangmandate: Zehn aus Baden-Württemberg, vier aus Sachsen, drei aus Bayern, zwei aus Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern und je eins aus Schleswig-Holstein, Thüringen und dem Saarland. Die CDU gewinnt 173 von 299 Wahlkreisen direkt (2005: 106). Zusätzlich gewinnt die CSU alle 45 Wahlkreise in Bayern.

Die SPD landet mit 23 Prozent hinter der Union auf Platz zwei. Dies ist ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis nach 1949 (1949: 29,2 Prozent). Die SPD muss mit minus 11,2 Prozentpunkte so hohe Verluste wie noch nie bei einer Bundestagswahl hinnehmen. Ihre höchsten Einbrüche hatte sie bisher 1983 und 2005 mit je knapp fünf Prozentpunkten erlitten. Die SPD erlangt im Vergleich zu 2005 76 Sitze weniger im Parlament. Sie ist zukünftig nur noch mit 146 Abgeordneten vertreten. Während sie 2005 noch 145 Wahlkreise direkt gewonnen hatte, sind es 2009 nur noch 64. Die SPD erhält keine Überhangmandate.

Die FDP erreicht mit 14,6 Prozent ihr bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl und landet zum zweiten Mal in Folge auf Platz drei. Sie legt bei dieser Wahl stärker als alle anderen Parteien zu (plus 4,7 Prozentpunkte) und erzielt ihre höchsten Zuwächse bei einer Bundestagswahl. Sie zieht mit 93 Abgeordneten in den Bundestag ein und vergrößert ihre Fraktion um 32 Sitze. Ein Direktmandat kann die FDP nicht gewinnen.

Die Linke erzielt nach der FDP die zweitstärksten Zuwächse (plus 3,2 Prozentpunkte) und landet mit 11,9 Prozent wieder auf dem vierten Platz. Sie erzielt ihr bestes Bundestagswahlergebnis. Die Linke wird mit 76 Abgeordneten im Bundestag vertreten sein, 22 mehr als nach der Wahl 2005. Die Linke gewinnt 16 Direktmandate, alle in Ostdeutschland (2005: 3 Sitze).

Bündnis 90/Die Grünen erzielen ebenfalls ihr bestes Ergebnis auf Bundesebene. Sie können um 2,6 Prozentpunkte zulegen und landen mit 10,7 Prozent auf Platz fünf. Die Grünen gewinnen wie auch schon 2005 einen Wahlkreis direkt und ziehen mit 68 Abgeordneten in den neuen Bundestag ein. Damit umfasst die grüne Fraktion 17 Abgeordnete mehr als in der letzten Legislaturperiode.

NPD und Republikaner landen bei 1,5 bzw. 0,4 Prozent. Sie verlieren jeweils 0,1 Prozentpunkte. Die DVU - 2005 nicht angetreten - erreicht 0,1 Prozent. Die erstmals bei einer Bundestagswahl angetretene Piratenpartei erzielt von den nicht im Bundestag vertretenen Parteien mit zwei Prozent das beste Ergebnis. CDU/CSU und FDP erreichen zusammen 332 Sitze. Sie liegen damit 20 Sitze über der „Kanzlermehrheit“. Ohne Einbezug der 24 Überhangmandate hätten sie 308 von 598 Sitzen - also auch nach dieser Betrachtung eine eindeutige Mehrheit.


3. Mobilisierung der Wählerschaft und Betrachtung einschließlich Nichtwählern

Wie bei der Bundestagswahl 2005 gelang es den beiden großen Parteien auch diesmal nicht, ihr Wählerpotential der vorangegangenen Wahl auszuschöpfen: CDU/CSU und SPD erhalten deutlich weniger Zweitstimmen als 2005. Die Union erhält fast zwei Mio. Stimmen weniger als 2005. Jeder vierte CDU-Wähler (28 Prozent) wendet sich einer anderen Partei zu oder nimmt nicht an der Wahl teil. Bei der SPD ist das Bild noch drastischer: Sie hat 38 Prozent weniger Wähler als 2005. Dies sind rund 6 Mio. Menschen. Insgesamt wurden die beiden Volksparteien von rund 21 Mio. Wählern gewählt (Wähler insgesamt: 43,9 Mio.).

FDP, Linke und Grüne schöpfen ihr Wählerpotential hingegen aus und gewinnen zusätzliche Stimmen in der Größenordnung zwischen einer und zwei Mio. Stimmen. Bei der letzten Bundestagswahl war es nur FDP und Linkspartei gelungen, ihr Stimmenpotential auszuschöpfen. Zusammen kommen die drei kleineren Parteien mittlerweile auf rund 16 Mio. Wählerstimmen. Die Grünen haben ihre Stimmenzahl um 20 Prozent erhöht, die Linkspartei um 25 Prozent und die FDP sogar um 35 Prozent.

Durch die geringe Wahlbeteiligung haben sich die relativen Anteile der Parteien zusätzlich zu ungunsten der beiden großen Parteien verschoben. Größte Gruppe wird bei einer Bundestagswahl erstmals die Gruppe der Nichtwähler mit rund 30 Prozent. Union und SPD fallen zusammen genommen erstmals bei einer Bundestagswahl unter die 40-Prozent-Marke bei den gültigen Zweitstimmen (2005: noch knapp über der 50-Prozent-Marke). Den kleinen im Bundestag vertretenen Parteien kann die geringe Wahlbeteiligung auch in der Betrachtung inklusive Nichtwähler „nichts anhaben“, sie landen auch in dieser Betrachtungsweise noch deutlich über fünf Prozent.


4. Wählerwanderung

Die CDU verliert im Saldo massiv an die FDP (minus 1,13 Mio. Stimmen). Von der SPD gewinnt sie rund 870.000 Stimmen hinzu. Die größten Verluste erleidet sie an die Nichtwähler (minus 1,17 Mio. Stimmen).

Die SPD verliert rund 3,7 Mio. Stimmen im Saldo an die anderen Parteien. Darunter eine Million Stimmen an die Linkspartei. Dahinter folgen Netto-Verluste an Union und Grüne von 870.000 bzw. 860.000 Stimmen. Aber auch an die FDP verliert die SPD 520.000 Stimmen (Saldo). Fünf Millionen Wähler, die 2005 die SPD gewählt haben, haben diesmal eine andere Partei gewählt. Im Gegenzug konnte die SPD nur 1,4 Millionen Wähler anderer Parteien für sich gewinnen. An die Nichtwähler verliert die SPD im Saldo 2,1 Mio. Menschen. Insgesamt haben 2,7 Millionen Menschen, die 2005 SPD gewählt haben, dieses Mal nicht an der Wahl teilgenommen. Mobilisieren konnte die SPD aus dem Nicht-Wählerspektrum hingegen nur eine halbe Million Wähler.

Die FDP gewinnt von allen im Bundestag vertretenen Parteien hinzu, am stärksten von der Union (plus 1,1 Mio. Stimmen im Saldo) und der SPD (plus 520.000 im Saldo). Die Zugewinne von Linken und Grünen an die FDP sind eher gering, die dahinterstehenden Austauschbewegungen dennoch beachtlich. Bezüglich der Nichtwähler weist auch die FDP - wie übrigens alle im Bundestag vertretenen Parteien - eine negative Bilanz auf (Saldo: minus 110.000).

Die Linkspartei gewinnt 1,1 Mio. Stimmen von der SPD, von den Grünen (plus 130.000) und der Union (plus 40.000) gewinnt sie ebenfalls Stimmen hinzu. Lediglich an die FDP muss sie im Saldo Stimmen abgeben. Bei den Nichtwählern kommt sie auf minus 350.000 Stimmen im Saldo: 760.000 ehemalige Linksparteiwähler wenden sich von der Wahlurne ab, im Gegenzug können 410.000 Nichtwähler zum Wahlgang bewegt werden.

Die Grünen gewinnen ihre meisten Stimmen von der SPD (plus 860.000 im Saldo) und geringfügig von der Union (plus 60.000 im Saldo). An die anderen erfolgreichen kleinen Parteien verlieren sie hingegen, besonders stark an die Linke mit minus 130.000 Stimmen im Saldo. Die Grünen weisen die beste Bilanz in der Generationenbetrachtung von Erstwählern und Verstorbenen auf, im Saldo plus 210.000 Wählerstimmen. (Zum Vergleich: Die Union landet in dieser Kategorie bei minus 600.000 Stimmen im Saldo.)

Durch die geringe Wahlbeteiligung verlieren alle fünf Parteien im Saldo Stimmen an die Gruppe der Nichtwähler. Bei den großen Parteien fallen diese Verluste verhältnismäßig höher aus als bei den kleinen. Dennoch verbergen sich auch hinter dem Saldo der kleinen Parteien große Austauschbewegungen. Beispielsweise verlieren die Grünen, die mit minus 40.000 Stimmen im Saldo bei den Nichtwählern noch am besten dastehen, insgesamt 320.000 Stimmen an die Nichtwähler, können aber auch 280.000 hinzugewinnen. Die Union verliert insgesamt rund 2 Mio. Stimmen an die Nichtwähler und gewinnt 920.000 Stimmen aus dieser Gruppe hinzu. Die SPD verliert 2,7 Mio. Stimmen an die Nichtwähler, kann aber nur 540.000 Stimmen aus dieser Gruppe hinzugewinnen.


5. Wahlentscheidende Themen / Parteikompetenzen

Das Jahr 2009 wurde medial, ökonomisch und politisch von den Folgen der Wirtschaftskrise dominiert - drohende Entlassungen, massive Ausweitung der Kurzarbeit, der Ansturm auf die Umweltprämie, Debatten zur Regulierung der Finanzmärkte usw. Dies spiegelt sich bei den von den Wählern genannten wahlentscheidenden Themen nicht wider, jedenfalls gab es keine größeren Verschiebungen gegenüber der Bundestagswahl 2005. Damals wie heute (und nur um einen Prozentpunkt verändert) war „Wirtschaft“ das wichtigste Thema für die Wähler. Es wird von 39 Prozent der Wähler als wahlentscheidendes Thema benannt. „Gerechtigkeit“ folgt ebenfalls kaum verändert als zweitwichtigstes Thema (34 Prozent). „Arbeitsmarkt“ ist auf den dritten Platz zurückgefallen (27 Prozent, gegenüber 35 Prozent im Jahr 2005). Hier hat offenbar der Zuwachs an Arbeitsplätzen seit 2005 eine größere Rolle gespielt als die Sorge vor kommender Arbeitslosigkeit in der Krise. Deutlich nach vorn gerutscht ist das Thema „Bildung“ (21 Prozent, gegenüber 12 Prozent im Jahr 2005).

CDU/CSU und FDP mobilisierten ihre Wähler besonders mit Wirtschaftsthemen. Bei der FDP gibt es mit der Steuerpolitik ein klares Zweitthema (von 31 Prozent der FDP-Wähler genannt).

Bei den SPD-Wählern steht Gerechtigkeit als entscheidendes Thema obenan. Aber auch Wirtschaft und Arbeitsmarkt werden häufig genannt. Damit ist die SPD breiter aufgestellt als die anderen Parteien - oder, je nach Betrachtungsweise, profilloser.

Linke und Grüne haben mit Gerechtigkeit bzw. Umwelt/Klima herausragende Nummer-Eins-Themen, die von ihren Wählern als wahlentscheidend genannt werden.

Kompetenzzuweisung vor der Wahl:

Anfang September 2009 wurden im Vorfeld der Wahl Wahlberechtigte nach den Kompetenzen der Parteien in verschiedenen Politikbereichen befragt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der heiße Wahlkampf bereits begonnen, das „Kanzlerduell“ fand zwei Wochen später statt. Das Ergebnis dieser Umfrage zeigt, dass die Union in den meisten Politikfeldern als kompetenter bewertet wurde. 43 Prozent der Wahlberechtigten trauten der Union zu, die aktuelle Wirtschaftskrise und ihre Folgen zu bewältigen. Nur 17 der Wahlberechtigten trauten dies der SPD zu. Auch „Arbeitsplätze sichern und neue schaffen“ wurde eher der Union zugetraut (36 Prozent der Wahlberechtigten). Die SPD kam bei diesem Politikfeld auf nur 22 Prozent. Bei der Aufgabe „die Altersversorgung langfristig zu sichern“ lag die Union im September 2009 - anders als 2005 - ebenfalls vor der SPD. In der Steuerpolitik wurden CDU und SPD - wie auch schon vor der Wahl 2005 - ähnlich bewertet.

Die Stärken der SPD lagen laut dieser Umfrage in den Bereichen soziale Gerechtigkeit und Arbeitnehmerorientierung: Die Aufgabe „für soziale Gerechtigkeit sorgen“ sehen die Wahlberechtigten am besten bei der SPD aufgehoben, 33 Prozent bescheinigten der SPD, diese Aufgabe am ehesten lösen zu können. Das Gleiche galt für „sich in der Krise am ehesten um die Arbeitnehmer kümmern“. Auch hier landete die SPD klar vor der Union.

Die CDU/CSU wurde insgesamt besser als die SPD bewertet, jedoch hat sich seit Beginn des Bundestagswahlkampfes die Bewertung der SPD in fast allen Politikbereichen verbessert; die Union verzeichnete hingegen in allen Politikbereichen schlechtere Werte als im Juli 2009.

Bewertung der Spitzenkandidaten vor der Wahl

Zwei Wochen vor der Wahl - direkt nach dem TV-Duell - wurde die Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier von den Wahlberechtigten sehr ähnlich bewertet. Mit der Arbeit der Bundeskanzlerin waren 67 Prozent der Wahlberechtigten zufrieden (minus vier Prozentpunkte im Vergleich zur ersten Septemberwoche), 32 Prozent waren mit ihrer Arbeit nicht zufrieden. Mit der Arbeit von Steinmeier waren 64 Prozent zufrieden (plus drei Prozentpunkte) und 31 Prozent unzufrieden. Auch bei der Antwort auf die Frage, wen die Wahlberechtigten als Kanzler oder Kanzlerin wählen würden, wenn dies durch eine Direktwahl möglich wäre, legte Steinmeier zu. Die Kanzlerin verlor hingegen bei dieser Frage deutlich an Unterstützern, lag aber auch zwei Wochen vor der Wahl immer noch mit 23 Punkten Vorsprung vor ihrem Herausforderer (53 Prozent für Merkel, 30 Prozent für Steinmeier). Die Unionsanhänger und FDP-Wähler favorisierten in dieser Frage klar Angela Merkel, die SPD-Wählerschaft hielt in diesem Punkt deutlich zu Steinmeier. Die Wählerschaft der Grünen und der Linken war an diesem Punkt gespalten: 43 Prozent der grünen Wähler hätten Merkel gewählt, 35 Prozent Steinmeier. Von den Linken-Wählern hätten 24 Prozent ihre Stimme der Bundeskanzlerin und 27 Prozent dem Herausforderer der SPD gegeben (fehlende Werte zu 100 Prozent: „weiß nicht“ oder keine Angabe).


6. Wahlverhalten nach Alter, Berufsstand und Geschlecht

Alter: CDU/ CSU und SPD verlieren in allen Altergruppen, die drei kleinen Parteien gewinnen in allen Altersgruppen. Die CDU liegt in allen Altersgruppen vorne. Sie ist wiederholt bei den über 60jährigen am stärksten (43 Prozent). Generell gilt: Je höher das Alter, desto besser das Ergebnis für die CDU. Überdurchschnittliche Verluste von drei Prozentpunkten musste die CDU bei den 45- bis 49-jährigen hinnehmen. Die SPD erleidet sehr hohe Verluste in den jüngeren Altersgruppen (minus 20 und minus 16 Prozent bei den 18- bis 24-jährigen bzw. 25-bis 34-jährigen), was dazu führt, dass sie ihr bestes Ergebnis mit 27 Prozent ebenfalls bei den über 60-jährigen erzielt, ihr schlechtestes bei den jüngsten Wählern mit 18 Prozent. Bei der Wahl 2005 hatte die SPD in der Altersgruppe der jüngsten Wähler die mit Abstand meisten Stimmen erlangt (38 Prozent, CDU 26 Prozent). 2009 liegt nun die CDU mit 25 Prozent vorne. Zu dem schlechten SPD-Ergebnis bei jüngeren hat auch der Erfolg der Piraten-Partei beigetragen. Sie erreichten bei männlichen Erstwählern 13 Prozent der Stimmen. Splittet man die Betrachtung nach Geschlecht auf, zeigt sich, dass die SPD bei den jungen Frauen von den Grünen überholt worden ist (SPD 18 Prozent, Grüne 19 Prozent). Bei den jungen Männern liegen SPD und FDP mit 17 Prozent gleichauf. Ihre höchsten Zuwächse erzielt die FDP bei den 35- bis 44-jährigen, ihr bestes Ergebnis nach Altersgruppen erzielt sie mit 21 Prozent bei den 25- bis 34-jährigen Männern. Deutlich unterdurchschnittlich wurde die FDP nur noch von ganz jungen Frauen und Frauen über 60 gewählt. Die Linkspartei erzielt ihr bestes Ergebnis bei den 45- bis 49-jährigen mit 15 Prozent. Sie erzielt in allen Altergruppen (auch nach Männern und Frauen getrennt betrachtet) durchschnittliche Zuwächse von drei bis vier Prozent. FDP und Linkspartei sind die altershomogensten Parteien, sie verzeichnen geringere Abweichungen zwischen den Ergebnissen Altersgruppen als die anderen Parteien. Die Grünen haben überdurchschnittlich bei den jüngeren Wählern zugelegt. Sie erzielen in allen Altersgruppen überdurchschnittlich Ergebnisse von 12 bis 16 Prozent – nur bei den über 60-jährigen nicht (fünf Prozent). Diese größte aller Wählergruppen (nach Alter betrachtet) drückt das grüne Ergebnis auf insgesamt elf Prozent.

Geschlecht: Die CDU/CSU erzielt in allen Altergruppen bei den Frauen ein besseres Ergebnis als bei den Männern. Bei den Männern verliert sie deutlich in allen Altersgruppen im Vergleich zu 2005, bei den Frauen legt sie in allen Altersgruppen zu (Ausnahme: 45- bis 59-jährige minus ein Prozentpunkt).
SPD verliert bei den Frauen stärker (minus 13 Prozentpunkte) als bei den Männern (minus zehn Prozentpunkte), auch das Gesamtergebnis liegt diesmal bei den Frauen unter dem der Männer. Auch die „wahltreueren“ Frauen haben der SPD diesmal den Rücken gekehrt. Dies gilt besonders für die jungen Frauen (s.o.). Die FDP hat bei den Männern stärker hinzugewonnen als bei den Frauen, so dass die FDP-Unterstützung nach der Wahl 2009 noch stärkere geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist als 2005. Dennoch verzeichnet die FDP auch unter den Frauen höhere Zuwächse als alle anderen Parteien. Die Linke gewinnt bei Männern wie Frauen drei Prozentpunkte hinzu.
Bei den Grünen liegt das Ergebnis der Frauen „traditionell“ über dem der Männer. Die Zuwächse bei den jungen Frauen liegen höher als bei allen anderen Parteien.

Tätigkeit: Die großen Parteien verlieren in allen Gruppen (Ausnahme: Union bei Angestellten plus ein Prozentpunkt), die kleinen gewinnen überall hinzu (Ausnahme: Linke bei Selbstständigen: keine Veränderung). Die CDU liegt abgesehen von den Arbeitslosen in allen Gruppen vorn, ihr bestes Ergebnis erzielt sie mit überdurchschnittlichen 40 Prozent bei den Rentnern. Bei den Arbeitern liegt sie erstmals bei einer Bundestagswahl vorn: vier Punkte vor der SPD. Die SPD liegt in keiner Gruppe mehr vorn. Ihr bestes Ergebnis erzielt sie - analog zu den Altersgruppen - bei den Rentnern (29 Prozent). Die FDP erzielt gewohnheitsgemäß ihr bestes Ergebnis bei den Selbstständigen. Die Linkspartei liegt bei den Arbeitslosen vorne, die SPD hier auf Platz zwei und die Union auf Platz drei. Die Grünen erzielen ihr bestes Ergebnis bei den Beamten (18 Prozent).


7. Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder

Das Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder unterscheidet sich auch bei dieser Bundestagswahl deutlich vom Gesamtergebnis. Die drei Parteien des linken Spektrums erhalten zusammen 60 Prozent. Sie verlieren dabei allerdings sieben Punkte im Vergleich zur Wahl 2005. Schwarz-Gelb erreicht bei Gewerkschaftsmitgliedern 33 Prozent, ein Plus von fünf Punkten.

Die SPD verliert bei Gewerkschaftsmitgliedern mit minus 13 Prozent leicht überdurchschnittlich, bleibt aber in dieser Gruppe mit 34 Prozent stärkste Partei. Dies ist das beste SPD-Ergebnis in einer in der Wahlforschung abgebildeten Bevölkerungsgruppe - und das einzige jenseits von 30 Prozent. Die CDU/CSU legt anders als im Gesamtergebnis einen Punkt zu und kommt jetzt auf 24 Prozent. Die FDP gewinnt auch Gewerkschaftsmitglieder hinzu und erreicht 9 Prozent. Grüne und Linke erreichen je drei Punkte mehr als 2005 und kommen auf 11 bzw. 15 Prozent.

Unter den Gewerkschaftsmitgliedern wird zusätzlich das Wahlverhalten der Arbeiter abgefragt und dargestellt. Hier erreichen SPD, Linke und FDP etwas stärkere Werte als im Gesamtergebnis der Gewerkschaftsmitglieder. CDU/CSU und besonders die Grünen unterdurchschnittlich ab, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie ihre Stärken bei gewerkschaftlich organisierten Angestellten haben. Im Einzelnen erreicht die SPD bei den Arbeitern 35 Prozent (bei hohen Verlusten von 16 Prozent), die CDU/CSU 22 Prozent, die Linke 17 Prozent, Grüne 7 Prozent und die FDP 11 Prozent (bei der Wahl 2005 hatte sie hier nur vier Prozent erreicht).

* Herausgeber: IG Metall-Vorstand, FB Koordination der Vorstandsaufgaben, Berliner Büro, Alte Jakobstr. 149, 10969 Berlin; Tel: 030/25387-255, Fax: 030/25387-261, E-Mail: buero-berlin@igmetall.de

Rechtsverschiebung

Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, nahm in einem Interview für ver.di-streik.tv am Montag (28. Sept.) zu den Bundestagswahlen Stellung:

Frank Bsirske: Das Wahlergebnis ist Ausdruck einer deutlichen Rechtsverschiebung des Kräftespektrums in der Bundesrepublik. Das muß man zur Kenntnis nehmen. Es führt zu einer Schwächung derjenigen Kräfte, die das Thema soziale Gerechtigkeit nach vorn geschoben haben.

streik.tv: Die FDP hat ja in ihrem Programm ziemlich deutlich gemacht, wohin sie möchte. In der Steuerpolitik möchte sie Entlastungen, vor allem für die Reichen. Sie möchte auf der Arbeitsmarktpolitikseite die Arbeitnehmerrechte beschneiden – wie Mitbestimmung usw. Wie können wir das verhindern?

Frank Bsirske: Es bleibt abzuwarten, ob zunächst mal Frau Merkel die Zusagen, die sie gemacht hat, einlöst. Sie hat ja im Vorfeld der Wahlen deutlich gemacht, an die Mitbestimmung nicht rangehen zu wollen, die Bindungswirkung des Tarifvertragssystems weiter respektieren und schützen zu wollen und auch das Thema Kündigungsschutz nicht anfassen zu wollen. (...)

Streik.tv: Was bedeutet das Ganze jetzt für die politischen Ziele von ver.di, für den Mindestlohn zum Beispiel?

Frank Bsirske: Zum einen muß man erst mal feststellen, daß es uns gelungen ist, die Sicht der Gesellschaft auf dieses Thema zu drehen in den letzten Jahren. Mittlerweile haben wir deutlich über 80 Prozent der Bevölkerung, die sich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns auf dem Niveau unserer westeuropäischen Nachbarländer aussprechen. Das ist beachtlich. Der Druck auf dem Thema wird bleiben, einfach deswegen, weil der Armutslohnsektor nicht kleiner werden wird, sondern unter einer solchen Regierung eher zunehmen wird. Und deswegen bleibt die Forderung als eine zentrale auf der Tagesordnung.

Streik.tv: Wenn wir uns das Wahlergebnis genauer anschauen, stellen wir zunächst einmal fest: Wir hatten eine ziemlich geringe Wahlbeteiligung. Anscheinend ist es so gewesen, daß gerade die SPD-Wähler, die Klientel der SPD zu Hause geblieben ist – wahrscheinlich, weil man ein bißchen unzufrieden war mit der Politik der letzten Jahre. Ist das auch eine Chance für die nächsten Wahlen?

Frank Bsirske: Natürlich liegt in der Mobilisierung dieses Teils der Wählerschaft, der jetzt zu Hause geblieben ist – das sind ja immerhin 1,7 Millionen Menschen, die 2005 SPD gewählt hatten, aber jetzt gar nicht mehr zur Wahl gegangen sind – auch eine Chance für die Zukunft. Und da wird es in erster Linie auch darum gehen, diese Teile der Bevölkerung politisch zu reaktivieren, denn letztlich sind sie negativ Betroffene von bestimmten politischen Entscheidungen der letzten Jahre. Sie sind gefordert, sich wieder einzubringen in den politischen Prozeß in unserem Land. Wir als Gewerkschaften sollten dazu unseren Beitrag leisten. Ich gehe davon aus, daß sich die sozialen Konflikte durchaus zuspitzen können und daß vor diesem Hintergrund auch die Herausbildung einer deutlichen politischen Alternative zu Schwarz-Gelb an Kontur gewinnen kann. Das wäre sicherlich nicht das Schlechteste, weil uns das 2013 die Wiederholung eines Wattewahlkampfes, in dem die Positionen etwa der CDU bis zur Unkenntlichkeit verschwommen sind, ersparen wird.

* Aus: junge Welt, 1. Oktober 2009



Hier geht es zu einer Wahleinschätzung aus Sicht der Friedensbewegung:
Bleibt der Frieden auf der Strecke?


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