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"Heute kämpfen wir gegen das gesichtslose globale Kapital"

Rede von Wanja Lundby-Wedin, Vorsitzende der LO (Landeszentralverband der schwedischen Gewerkschaften), am 3. April in Köln

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede, die Wanja Lundby-Wedin, Vorsitzende der LO (Landeszentralverband der schwedischen Gewerkschaften) auf der Großkundgebung gegen Sozialabbau am 3. April in Köln gehalten hat.


Liebe Freunde!
Ich wünschte, Ihr hättet die selbe herrliche Aussicht wie ich. Seht Euch um. – Wir sind viele. Was für eine Kraft. Was für ein Engagement.

Uns verbinden die gleichen Werte – über Generationen und nationale Grenzen hinweg. Frauen und Männer. Junge und Alte. Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Erfahrung. Wir haben uns hier und heute versammelt, um unseren Standpunkt deutlich zu machen. Europa darf nicht auf Unsicherheit und Ungerechtigkeit aufgebaut werden.

Gerechtigkeit ist eine treibende Kraft für eine bessere Gesellschaft. Sichere Menschen wagen, was sie wollen, können und vermögen. Wenn wir für Lohngerechtigkeit kämpfen, dann ist dies auch ein Kampf für Fortschritt und den Glauben an die Zukunft.

Es ist eine große Ehre für mich als Vorsitzende des Landesverbandes in Schweden, an Eurer Kundgebung und im Kampf für unsere Vereinigung teilnehmen zu dürfen.

In Schweden stritten wir schon früher um die selben Dinge wie ihr. Es geht um die einfachen und alltäglichen Dinge. Ein Lohn, von dem man auch leben kann. Ein wirkungsvoller Arbeitsplatzschutz. Einfluss auf die Arbeitsbedingungen. Gerechtigkeit und Wohlfahrt. Eure Probleme unterscheiden sich nicht von unseren. Das Neue an der Situation ist, dass es nicht mehr ausreicht, den Arbeitskampf auf nationaler Ebene zu führen.

Das Kapital kennt keine nationalen Grenzen mehr. Das setzt die Arbeitnehmer unter Druck. Das stellt unseren gewerkschaftlichen Zusammenhalt und unsere Solidarität auf die Probe. Die Unternehmer versuchen, uns gegeneinander auszuspielen, indem sie die Arbeitsplätze dahin verlegen, wo sie billiger sind oder die Steuern niedriger.

Wir müssen dies durch ein grenzüberschreitendes Recht unterbinden. Indem wir uns zu einer europäischen Gewerkschaft verbinden, stärken wir unsere grundlegenden Rechte und bekommen das Recht zu internationalen Sympathiekundgebungen.

Der Kampf ist ein gemeinsamer. Unsere Stärke besteht darin, dass wir viele sind. Gemeinsam erreichen wir mehr als jeder für sich. Das gilt für den einzelnen Arbeitsplatz und das gilt für Europa. Die Gewerkschaftsidee kennt keine Grenzen.

Selbst wenn wir für die selben Ziele kämpfen, können die tagesaktuellen Bedingungen verschieden aussehen. Die schwedische Gewerkschaftsbewegung wurde in den 1990ern zurück gedrängt. Die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich, während uns gleichzeitig der Abbau des Rechtssystems traf. Damals demonstrierten wir gegen unsere eigene sozialdemokratische Regierung.

Heute seid Ihr es, die gegen Arbeitslosigkeit, Verschlechterungen im Sozialwesen und Willkür am Arbeitsplatz demonstrieren. Ihr wisst besser als ich, wie Ihr mit der Situation in Deutschland umgehen müsst. Wir dürfen niemals zögern, die Regierung, ohne Rücksicht auf die Parteifarben, für Beschneidungen zu kritisieren, die sich gegen die sozialen und gesellschaftlichen Rechte unserer Mitglieder richten. Als Vorsitzende des schwedischen Gewerkschaftsverbandes und politisch engagierter Mensch stelle ich die hohe Anforderung an sozialdemokratische Regierungen, auch in schweren Zeiten für Gerechtigkeit einzutreten.

In Rom, London und Dublin versammeln sich heute engagierte Gewerkschafter, um unserer Zusammengehörigkeit Ausdruck zu verleihen. Europa sind wir. Wir sind 60 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Ohne uns kommt Europa ins Stocken. Millionen Mitglieder geben uns die Macht und die Möglichkeiten zu Veränderungen. Wenn wir nur selber daran glauben, dass dies möglich ist. Heute kämpfen wir gegen das gesichtslose globale Kapital, ein weitaus aggressiveres Wirtschaftsleben und die neoliberalen Rechtsregierungen in Europa.

Wir dürfen uns nicht zerschlagen lassen. Wir in der Gewerkschaftsbewegung halten die Zukunft in unseren eigenen Händen. Wenn es etwas gibt, was uns die Geschichte leeren kann, dann, dass für die Gewerkschaften Erfolg selbst dann möglich ist, wenn der Gegner übermächtig zu sein scheint.

Die Gewerkschaftsbewegung hat immer die Mächtigen herausgefordert. Unsere Gegner finden sich sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. So wie Arbeitgeber früher Lohnempfänger mit gleichem Arbeitsplatz gegeneinander ausspielen konnten, können Arbeitgeber heute die Arbeitnehmer in verschiedenen Ländern gegeneinander ausspielen. Um Arbeitgeber unter gleichen Bedingungen treffen zu können, muss die Gewerkschaftsbewegung darum ihre Zusammenarbeit mit gewerkschaftlichen Organisationen in anderen Ländern ausweiten.

Darum ist Solidarität so wichtig in der Gewerkschaftsbewegung. Sie ist gleichzeitig ein grundlegender Wert und eine praktische Arbeitsmethode, um erfolgreich zu sein.

Sie ist ein Ausdruck unseres gegenseitigen Mitgefühls in der Erkenntnis, dass sie alle stärker macht. Solidarität und Zusammenhalt sind zwei Seiten der gleichen Münze.

Wir müssen auf allen Ebenen zu einem Beschluss kommen, der sich für unsere Mitglieder auswirkt. Die schwedische und die deutsche Gewerkschaftsbewegung können nicht jede für sich die Arbeitslosigkeit bekämpfen oder soziale Gerechtigkeit erreichen. Wir müssen dies zusammen tun.

Darum müssen wir über die Grenzen in Europa hinweg noch besser in unserer Zusammenarbeit werden. Die Zusammenarbeit in Europa bietet uns eine neue Arena. Sie ist eine wichtige und notwendige Ergänzung zur nationalen Gewerkschaftsarbeit. Wir haben erfolgreich die Entwicklung in der EU vorangetrieben, so dass wir heute Vereinbarungen treffen und Gesetzgebungen beeinflussen, die für unsere Mitglieder wichtig sind.

Das schafft gleichwertige Bedingungen für unsere Mitglieder und verhindert, dass die Arbeitgeber uns gegeneinander ausspielen. Aber die Entwicklung wird durch Rechtsregierungen bedroht und darum legen wir in Schweden großen Wert auf die Wahl zum Europaparlament im Juni. Wir setzen uns für eine hohe Wahlbeteiligung und Vertreter ein, die unsere Werte teilen und unsere Interessen vertreten.

Für uns gibt es keine deutschen oder schwedischen Interessen. Es gibt nur Gewerkschaftsinteressen. Und die müssen wir vertreten. Ungeachtet, ob der Kampf hier, in Brüssel, Dublin oder in Stockholm stattfindet. Und noch einmal – seht Euch um. Wir sind viele. Gemeinsam sind wir erfolgreich.

Quelle: www.dgb.de


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