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BND spioniert gegen die Türkei – logisch

Dass der NATO-Partner ausgeforscht wird, sollte den für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Abgeordneten nicht entgangen sein

Von René Heilig *

Wegen der Spionageaktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) hat die türkische Regierung den deutschen Botschafter zum Gespräch gebeten. Alles verlief in freundschaftlicher Atmosphäre.

Schlagzeilen sind Gegenstände des täglichen Verbrauchs. Auch die über die Spionage des BND gegen die Türkei. Zudem hat niemand je ernsthaft behauptet, dass die Bundesrepublik und die Türkei in Freundschaft verbunden seien. Wer sich nicht mit Schlagzeilen begnügt, konnte zumindest ahnen, dass der BND seine Nase auf noch zu klärende Art und Weise in türkische Angelegenheiten steckt. Umgekehrt ist das ja auch so, beides muss man nicht gut finden.

Hinweise aber gab es. Am 9. Januar 2013 waren in den Räumen eines Pariser Kurdistan-Informationsbüros drei weibliche Funktionärinnen aus dem PKK-Umfeld umgebracht worden. Es gab einen Tipp, der zur Ergreifung des Mörders führte. Der war zwar Vereinsmitglied, stammte in Wahrheit aber aus einer nationalistischen Familie mit engen Verbindungen zu den faschistischen »Grauen Wölfen«. Der Mann arbeitete für Ankaras Geheimdienst. Er flog auf, weil – das Gerücht war überdeutlich – der BND einer geplanten europaweiten Mordserie den Riegel vorschieben wollte. Kam es zum Skandal? In Berlin hieß es lapidar: »Der Bundesnachrichtendienst führt die Zusammenarbeit mit dem Millî İstihbarat Teşkilâtı (MIT) auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen des Bundesnachrichtendienstgesetzes (BNDG) und im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages fort.«

Wie immer man zu den Geheimdiensten und dem teiloppositionellen Ziel ihrer Auflösung steht, sie sind ein Faktum. Und mit den Organisationen »Graue Wölfe« und PKK sind zwei sehr unterschiedliche Gründe benannt, weshalb der BND – vor allem aus inneren Verfassungsschutz-Gründen – die Türkei im Blick hat. Und im aktuellen Syrien-Konflikt kommen zahlreiche weitere Notwendigkeiten einer gründlichen Beobachtung hinzu.

Eine Notwendigkeit heißt ISIS, oder IS, wie sich die ebenso modernen wie mörderischen Kalifat-Reiter jetzt nennen. Die Türkei öffnete ihre Grenze für diese und andere Terrorgruppen, ließ Kämpfer und Nachschub wechseln, bot Rückzugsräume – alles in der Hoffnung, das Assad-Regime zu destabilisieren und letztlich zu stürzen. Dieses Spiel mit dem Feuer blieb nicht lange beherrschbar, der Brand sprang über nach Irak. Womit ein weiterer brisanter Grund für BND-Aufklärungstätigkeit genannt ist. Den muss man zusammendenken mit der Möglichkeit, dass kurdische Gruppen nun politisch und militärisch erstarken, womöglich bis zu einem eigenen Staatsgebilde, das Teile der Türkei, Iraks und Syriens umfasst. Wie friedlich das ablaufen würde, ist unklar.

Die Türkei hat als NATO-Mitglied eine wichtige Flankenfunktion. Wie schnell Ankara andere NATO-Staaten in die Beistandspflicht und damit in den Strudel von militärischen Auseinandersetzungen ziehen kann, zeigte sich an der Stationierung deutscher Raketen in der Türkei. Gerichtet sind sie gegen Syrien.

Wohin entwickelt sich die Türkei? Die Frage treibt alle maßgeblichen Regierungen um. Nicht nur seit Ministerpräsident Erdogan sich zum Präsidenten wählen ließ und versprach, das Land umzukrempeln. Wie stark ist die Demokratiebewegung, kann ein »türkischer Frühling« ausbrechen? Ein möglicher Beitritt der Türkei zur EU ist ein westeuropäischer Streitfall – folglich ein Aufklärungsgrund auch für den BND.

Zudem erhebt die immer islamischer werdende Türkei den Anspruch, zur Regionalmacht aufzusteigen. Bis 2023, dem 100. Geburtstag der Republik, will man beispielsweise unter den zehn führenden Waffenexporteuren der Welt sein. Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Konkurrenz für Deutschland. Der BND kooperiert bestens mit den israelischen Diensten. Gegenseitige Lohnarbeit ist Pflicht. Das Verhältnis zwischen Israel und der Türkei hat sich in den letzten Jahren zum Negativen gewandelt. Auch das ist ein Grund, wissen zu wollen, was vorgeht in der Türkei.

Kurzum, all jene, die als Mitglieder des Gremiums zur Kontrolle der deutschen Geheimdienste vorgeben, nichts vom speziellen Türkei-Auftrag des BND gewusst zu haben, sind entweder politische Ignoranten oder sie wollten nichts wissen. Das Argument, man sage den Abgeordneten nichts, ist hohles Gerede. Sie haben das Recht und sie haben die Pflicht zur Nachfrage – mit der man sich ganz nebenbei auch profilieren kann. Denn das Thema Geheimdienstkontrolle steht spätestens seit der millionenfachen Schnüffelpraxis der NSA ganz oben auf der Liste demokratischer Forderungen. Zu gelten hat: Solange Nachrichtendienste in diesem Land nicht abgeschafft sind, bestimmt und wacht das Parlament über deren Arbeit. Nicht das Kanzleramt allein.

Wohlan, es gibt auch in der Sommerpause viel Arbeit fürs Parlament.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 19. August 2014


BND-Spionage verärgert Türkei

Deutscher Botschafter in Ankara einbestellt. Opposition im Bundestag fordert Aufklärung **

Die türkische Regierung hat nach Bekanntwerden der Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) den deutschen Botschafter einbestellt, um ihm offiziell ihre Besorgnis mitzuteilen. Aus Ankara hieß es, sollten sich die Berichte bewahrheiten, wäre dies eine ernste Angelegenheit. Man erwarte »eine offizielle und zufriedenstellende Erklärung und – falls die Behauptungen zutreffen – ein sofortiges Ende dieser Aktivitäten«. Das Auswärtige Amt erklärte, daß das »Gespräch in einer freundschaftlichen Atmosphäre« stattgefunden habe.

Die Bundesregierung hielt sich weiter bedeckt. Eine Sprecherin sagte, sie könne die Medienberichte zu den BND-Aktivitäten in keiner Weise bestätigen. Der Ort für Aufklärung sei das für die Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages. Weiter hieß es, daß bereits im Juli von sich aus über einen Teil des Sachverhalts informiert worden sei. Der Vorsitzende des PKGr, Clemens Binninger (CDU), dazu: »Es stimmt, daß wir in Teilen auf Sachverhalte hingewiesen wurden, aber sehr abstrakt und ohne Nennung von Namen.« Der BND lehnte es auch am Montag ab, sich öffentlich zu den Berichten zu äußern.

Der stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende Jan Korte kritisierte, daß »das Agieren deutscher Geheimdienste nicht nur die Demokratie, sondern auch die öffentliche Sicherheit in der Bundesrepublik« gefährde. Außerdem monierte er, der BND sei »zumindest für das Parlament nicht mehr zu kontrollieren«.

Nach Medienberichten vom Wochenende ist die Türkei offizielles Spionageziel der deutschen Geheimdienste. Das NATO-Land wird im »Auftragsprofil« der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 gelistet, das bis heute gültig ist. Der BND soll zudem mindestens je ein Gespräch von US-Außenminister John Kerry sowie dessen Vorgängerin Hillary Clinton abgehört haben. Beide Telefonate seien als »Beifang« bei einer Überwachungsaktion des Geheimdiensts im Nahen Osten abgefangen worden.

** Aus: junge Welt, Dienstag 19. August 2014


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