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WikiLeaks lässt sich nicht stilllegen

Assange verteidigt neue Art des Journalismus und klagt Regierungen der USA und seines Heimatlandes Australien an *

Der australische WikiLeaks-Gründer Julian Assange hat seine Enthüllungen verteidigt. WikiLeaks sei ein »Underdog«, auf den sich seine und die US-Regierung einschießen. Doch werde man sich nicht mundtot machen lassen.

Trotz der Festnahme von WikiLeaks-Gründer Julian Assange hat die Enthüllungsplattform in der Nacht zum Mittwoch 46 weitere Geheimdokumente veröffentlicht. In einer Nachricht bekräftigte ein WikiLeaks-Vertreter, dass die Organisation weitermachen will: »Wir lassen uns nicht mundtot machen, weder von juristischen Aktionen noch von Zensur durch Firmen«, schrieb Sprecher Kristinn Hrafnsson.

WikiLeaks gab sich in einer Twitter-Nachricht angriffslustig. Assanges Festnahme werde die Organisation nicht lähmen, die Veröffentlichungen gingen weiter. Die Depeschen seien an mehr als 500 Stellen im Netz zu finden, die Dokumente würden täglich 50 Millionen Mal aufgerufen. Hrafnsson attackierte die US-Politik. Die USA seien im kommenden Jahr Gastgeber der UNESCO-Veranstaltungen zum »Tag der Pressefreiheit«. Gleichzeitig greife Senator Joe Lieberman die Zeitung »New York Times« wegen der Veröffentlichung der Dokumente an. »Wir hoffen, dass die UNESCO künftig die Pressefreiheit irgendwo feiert, wo sie auch existiert.«

Assange selbst hat am Mittwoch zu einer scharfen Attacke gegen seine Kritiker ausgeholt. In einem Zeitungsartikel, der in seiner australischen Heimat erschien, schreibt Assange, er fühle sich von seiner Regierung im Stich gelassen. »WikiLeaks verdient Schutz, nicht Bedrohungen und Angriffe«, schreibt er im »Australian«. »Wir sind die Underdogs«, so Assange. »Die Gillard-Regierung versucht, den Überbringer der Nachrichten abzuschießen, weil sie nicht will, dass die Wahrheit rauskommt, unter anderem über ihre eigenen diplomatischen Aktivitäten.« WikiLeaks sei nicht das einzige Medium, das die Depeschen veröffentliche. Premierministerin Julia Gillard und US-Außenministerium Hillary Clinton hätten kein einziges Wort der Kritik über die anderen verloren. Das liege daran, dass »Guardian«, »New York Times« und »Der Spiegel« groß und alteingesessen seien, WikiLeaks dagegen klein und neu.

Premierministerin Gillard bezeichnete die Veröffentlichungen von WikiLeaks als unverantwortlich und illegal. Außenminister Kevin Rudd beteuerte aber, dass Assange in London alle konsularische Hilfe zuteil werde. Rudd schob der US-Regierung Mitverantwortung für die Enthüllung hunderttausender Geheimdokumente über WikiLeaks zu. »Der ordentliche Schutz vertraulicher Informationen durch die Regierungen selbst muss oberste Priorität haben«, sagte er in Brisbane.

Assange verteidigte die Rolle von WikiLeaks als eine neue Art des Journalismus. Zusammen mit den Nachrichten würden den Lesern gleichzeitig die Originaldokumente zugänglich gemacht, damit jeder sich selbst überzeugen könne, was wahr ist. Er und andere WikiLeaks-Mitarbeiter seien zahlreichen Drohungen vor allem aus den USA ausgesetzt. »Man hätte erwarten können, dass eine australische Regierungschefin ihre Landsleute dagegen verteidigt, stattdessen gab es nur völlig unbegründete Vorwürfe der Illegalität«, schrieb Assange. Australiens Regierung biedere sich den Amerikanern an.

Die deutsche Adresse www.wikileaks.de ist weiterhin erreichbar, jedoch nicht mit den aktuellen US-Papieren.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2010


Seit der Veröffentlichung diplomatischer Depeschen durch WikiLeaks mehren sich die Stimmen, dass solcher »Geheimnisverrat« gegen die »Spielregeln« der Pressefreiheit verstoßen würde. Wie sehr das Engagement von WikiLeaks und seiner Informanten, die große persönliche Risiken in Kauf nehmen, der öffentlichen Aufklärung dient, zeigt jedoch eine Liste vorausgegangener Enthüllungen durch WikiLeaks:
  • August 2007: Report über milliardenschwere Korruption in der Familie des ehemaligen kenianischen Präsidenten Daniel Arap Moi.
  • November / Dezember 2007: Richtlinien der US-Armee für das Gefangenenlager Guantánamo Bay.
  • Februar 2008: Interne Dokumente eines Unternehmens der Schweizer Bankhausgruppe Julius Bär auf den Cayman Islands zu Steuerangelegenheiten. Deutsche Behörden nutzten einige der von einem ehemaligen Bankmitarbeiter entwendeten Dokumente, um Ermittlungen gegen mutmaßliche Steuerhinterzieher einzuleiten.
  • April 2008: Interne Dokumente der Scientology-Kirche
  • November 2008: Mitgliederliste der rechtsextremistischen British National Party.
  • seit 2008: Internetsperrlisten verschiedener Länder, darunter China, Thailand, Dänemark, Finnland, Norwegen, Italien und Australien.
  • Juli 2009: Internes Dokument der Kaupthing-Bank, das kurz vor dem finanziellen Kollaps des isländischen Bankensektors erstellt worden war.
  • September 2009: Interner Bericht des Schweizer Rohstoff- und Energiekonzerns Trafigura über seine an die Elfenbeinküste verkauften Giftabfälle.
  • November 2009: Entwurf des zwischen der EU und den USA ausgehandelten SWIFT-Abkommens zur Auswertung und Weitergabe von Bankdaten an die USA.
  • November 2009: Nachrichten von Funkmeldeempfängern, die vor und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 abgefangen wurden, darunter offizielle Mitteilungen aus dem Pentagon und der New Yorker Polizei.
  • November 2009: E-Mails aus dem Klimaforschungszentrum der University of East Anglia; die Veröffentlichung erfolgte im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen.
  • November 2009: Auszüge aus den geheimen Toll-Collect-Verträgen, u. a. zur Funktionsfähigkeit des Maut-Systems
  • Dezember 2009: Feldjäger-Report über die Bombardierung zweier Tanklaster in Kunduz, Afghanistan, bei der rund 140 Menschen starben.
  • März 2010: Dokument des US-Geheimdienstes CIA mit der Empfehlung, die Zuträger (Whistleblower) von WikiLeaks zu verfolgen.
  • März 2010: CIA-Dokument über Strategien US-amerikanischer Geheimdienste in Deutschland und Frankreich zur Schwächung der Opposition gegen den Afghanistan-Krieg.
  • April 2010: Video über den Angriff eines US-Hubschraubers in Bagdad, bei dem ein Dutzend Passanten kalkuliert erschossen wurden, darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters.
  • Juli 2010: Sammlung von rund 77 000 Dokumenten über den Afghanistan-Krieg.
  • August 2010: Unterlagen über die Planung und Genehmigung der Love Parade in Duisburg, bei der 21 Menschen starben und über 500 verletzt wurden.
  • August 2010: CIA-Memorandum mit Gedankenspielen über den Export US-amerikanischer Extremisten.
  • Oktober 2010: Sammlung von rund 400 000 geheimen Dokumenten über den Irak-Krieg.
ND-Zusammenstellung nach Wikipedia




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