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Wohlfeile Worte

Ausspähaffäre: Bundesregierung schwadroniert über Datenschutz – Opposition fordert Zeugenschutz für Snowden

Von Ulla Jelpke *

Angesichts der immer neuen Enthüllungen über großangelegte Datensammlungen des US-Geheimdienstes NSA in der Bundesrepublik üben sich Politiker der schwarz-gelben Regierungskoalition mit untauglichen Vorschlägen für mehr Datenschutz und Geheimdienstkontrolle in Schadensbegrenzung. Der Spiegel hatte am Wochenende unter Berufung auf den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden berichtet, der BND habe millionenfach Verbindungsinformationen zu E-Mails, SMS oder Telefonaten an den US-Geheimdienst weitergegeben. Zu diesem Zweck unterhält die NSA in einer US-Kaserne im bayerischen Bad Aibling eine eigene Kommunikationszentrale mit direkter elektronischer Verbindung zum BND.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fordert nun in der Tageszeitung Die Welt (Montagausgabe) ein »Maßnahmenpaket gegen die Massenausspähung ausländischer Geheimdienste«. Die deutschen Datenschutzstandards sollten zum Maßstab zukünftiger EU-Regelungen wie der EU-Datenschutzgrundverordnung werden, meint die Liberale, obwohl diese Standards offensichtlich nicht die massenhafte Datenweitergabe von deutschen Geheimdiensten an die USA verhindern konnten. Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach verteidigt grundsätzlich die Zusammenarbeit des BND mit dem US-Nachrichtendienst NSA gegen den Vorwurf, dies würde gegen Recht und Gesetz verstoßen. Gleichzeitig brachte der CDU-Politiker am Montag die Einrichtung eines Bundestagsbeauftragten für Geheimdienste in der nächsten Legislaturperiode ins Gespräch. Durch weitgehende Zugangs- und Akteneinsicht solle dieser eine verbesserte parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste gewährleisten. Für die Linksfraktion handelt es sich bei diesem Vorschlag um »reine Augenwischerei«, da ein solcher Parlamentsbeauftragter ebenso wie die Mitglieder des bestehenden Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Verschwiegenheit verpflichtet und damit machtlos wäre. »Ob BND und NSA oder Verfassungsschutz und NSU – wieder einmal zeigt sich, daß die trüben Machenschaften der Geheimdienste demokratisch nicht zu kontrollieren sind«, heißt es in der Presseerklärung der Linksfraktion. Um jetzt ein Mindestmaß an Transparenz zu schaffen, fordert die Linksfraktion die vollständige Offenlegung und Kündigung aller Abkommen, die es ausländischen Geheimdiensten erlauben, in der Bundesrepublik zu spitzeln oder deutsche Dienste zur Datenweitergabe an ausländische Partner ermächtigen. Bislang wurde Freitag letzter Woche lediglich eine Verwaltungsvereinbarung von 1968 im gegenseitigen Einvernehmen aufgekündigt, die den westlichen Alliierten erlaubte, zum Schutz der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen von BND oder Verfassungsschutz erhobene Daten zu nutzen oder solche Datenerhebungen durch bundesdeutsche Dienste in Auftrag zu geben. Davon hätten die ausländischen Dienste seit 1990 keinen Gebrauch mehr gemacht, hatte die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage mitgeteilt. Weiterhin gültig ist das NATO-Truppenstatut von 1954, in dem Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) den ausländischen Diensten weitreichende Vollmachten zur eigenen Spitzeltätigkeit in der Bundesrepublik einräumte.

Linksfraktionschef Gregor Gysi und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast fordern unterdessen, die Aufnahme Snowdens in ein deutsches Zeugenschutzprogramm, um ihm so hier »Schutz« zu gewähren. »Dafür brauchen wir einen Kanzler, der nicht wie Angela Merkel demütig hinter den USA herläuft, sondern klare Kante zeigt«, wirft Künast der Bundesregierung mangelndes Selbstbewußtsein gegenüber der US-Regierung vor. »Wenn wir den Mumm nicht haben, dann sollten wir aber nicht gegen Rußland meckern, sondern selber hinfahren und ihn vernehmen«, schlägt Gysi in die gleiche Kerbe. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte vorige Woche vorgeschlagen, Snowden die Gelegenheit zu geben, in Deutschland auszusagen. Der IT-Spezialist Snowden hat nach seinen umfangreichen Enthüllungen über die Überwachung des weltweiten Internet- und Telefonverkehrs durch US-Geheimdienste in Rußland vorläufiges Asyl erhalten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 6. August, 2013


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