Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Buhrufe für Keith Alexander

Snowdens neue Enthüllungen bringen NSA weiter unter Druck

Von John Dyer, Boston *

Zeitgleich mit neue Enthüllungen von Edward Snowden haben NSA-Mitarbeiter vor dem US-Senat einige Geheimpapiere offengelegt. Sie zeigen, wie gering die Ausbeute der massiven Überwachung ist. Die Senatoren bleiben deshalb skeptisch.

Der US-amerikanische Geheimdienst NSA ist vor dem US-Senat in die Offensive gegangen und hat eine Reihe von bisher geheim gehaltenen Dokumenten vorgelegt, um die Kritiker seines massiven Programms zum millionenfachen Abhören von Telefonen und Mitlesen der Internet-Kommunikation zu widerlegen. Doch die Senatoren blieben skeptisch. Denn die NSA machte nur ein mageres Ergebnis ihres Überwachungsprogramms öffentlich: So wurde eine Gruppe von Personen im kalifornischen San Diego entdeckt, die 8500 Dollar an mit Al Qaida verbündete Militante in Somalia transferiert habe.

»Wenn dieses Programm nicht effektiv ist, dann muss es beendet werden«, erklärte der Demokrat Patrick Leahy, Vorsitzender des Justizausschusses, vor dem die Anhörung der NSA-Mitarbeiter stattfand. »Bisher bin ich von dem, was ich gesehen habe, nicht überzeugt.« Senator Ron Wyden vom Geheimdienstausschuss nannte die magere Ausbeute der Bespitzelung von Millionen Amerikanern einen »Overkill«. Er sei »skeptisch, dass die massive Sammlung von Telefondaten wirklich einen solchen Wert für die Regierung hat«, sagte der demokratische Politiker. »Ich denke, dass die Geduld des amerikanischen Volkes zu Ende geht, aber was uns in einer Demokratie mit noch mehr Sorge erfüllen muss, ist, dass das Vertrauen des amerikanischen Volkes zu Ende geht«, betonte Leahy.

Das Weiße Haus hatte NSA-Beamte in das Senatskomitee geschickt und geheime NSA-Dokumente freigegeben, um in einer Öffentlichkeitskampagne der weitverbreiteten Kritik an den Überwachungen zu begegnen, die durch den Informanten Edward Snowden bekannt gemacht wurden. Diese Veröffentlichungen haben die US-amerikanische Öffentlichkeit schockiert, weil nahezu jedes Telefongespräch erfasst worden ist.

Im US-Abgeordnetenhaus wäre das Überwachungsprogramm der NSA in der Vorwoche beinahe beendet worden. Das Haus muss dessen Fortführung alle drei Monate genehmigen. Am vergangenen Freitag wäre es ausgelaufen und zahlreiche Abgeordnete wollten die Telefonbespitzelung stoppen. Nachdem das Weiße Haus Abgeordnete massiv bearbeitet hatte, wurde die Fortführung der Telefonkontrollen durch die NSA dann mit einer für Fragen der nationalen Sicherheit sehr dünnen Mehrheit von zwölf Stimmen gebilligt. Für drei Monate.

Und Snowden, der am Donnerstag von Russland sein beantragtes vorläufiges Asyl erhielt und den Transitbereich des Moskauer Flughafens verlassen durfte, hat noch weitere Enthüllungen parat. So veröffentlichte die mit ihm zusammenarbeitende britische Zeitung »The Guardian« nach dem umstrittenen Prism-Programm Einzelheiten über das Programm XKeyscore. Die Unterlagen dazu hatte Snowden der Zeitung schon vor einiger Zeit übergeben. XKeyscore ermöglicht der NSA, den Internet-Verkehr von 150 Großservern weltweit, darunter zahlreiche in Europa, in Echtzeit aufzunehmen. Snowden erklärte dem »Guardian«, dieses Programm habe ihm erlaubt, in Echtzeit alles mitzulesen, was ein Internetnutzer über seinen Computer eingebe und empfange.

Die Meldung kam zeitgleich mit dem Versuch der NSA, im Senat für Verständnis zu werben. Der stellvertretende NSA-Direktor John Inglis erzählte den Senatoren, es seien nur 22 Mitarbeiter direkt mit den millionenfach gesammelten Daten befasst. Die NSA habe ursprünglich mit 300 Telefonnummern von bekannten Terroristen begonnen und dann 500 weitere verdächtige Nummern gefunden, die sie an das Bundeskriminalamt FBI weitergeleitet habe.

Während die Senatoren mit den NSA-Mitarbeitern diskutierten, versuchte NSA-Direktor Keith Alexander in Las Vegas, talentierte Computer-Hacker für seinen Dienst anzuwerben. Er sprach auf der Jahreskonferenz der Hacker-Organisation »Black Hat«. Dort erklärte er, dass die NSA ihre Mitarbeiter »zu 100 Prozent« überprüfe. »Die NSA steht für die Freiheit. Helfen Sie uns, das Land zu verteidigen und bessere Lösungen zu finden«, sagte er zu den Computerspezialisten. Das Publikum war wenig freundlich. Alexander wurde immer wieder ausgebuht und sogar beschimpft.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 2. August 2013


Klage in Paris gegen Vertuschung des Spionageskandals

Neues französisches Gesetz soll Whistleblower vor Rache schützen

Von Ralf Klingsieck, Paris **


Der Skandal um die Schnüffelpraxis des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA, der europaweit Wellen schlägt und je nach Land unterschiedliche Reaktionen seitens der Regierungen und der Öffentlichkeit auslöste, hat in Frankreich eine juristische Dimension bekommen.

Um aufzudecken, wer das Treiben von NSA und FBI unterstützt hat, wurde von der Internationalen Föderation für Menschenrechte FIDH und der Liga für Menschenrechte LDH bei der Pariser Staatsanwaltschaft Klage gegen Unbekannt eingereicht. Nach Angaben des ehemaligen CIA- und NSA-Mitarbeiters Edward Snowden hatten NSA und FBI im Rahmen des Programms Prism insgesamt 97 Milliarden Verbindungsdaten von Internetnutzern vor allem in den USA, aber auch im Ausland abgefangen und registriert, darunter mindestens 15 Millionen in Deutschland und zwei Millionen in Frankreich. Durch die Klage sollen die französischen Filialen der Internetunternehmen Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, YouTube und Apple zu dem Eingeständnis gezwungen werden, dass sie seit 2007 den US-amerikanischen Geheimdiensten NSA und FBI direkten Zugriff auf ihre Server und damit zu den Daten der Kunden gewährt haben.

Die Klage zielt indirekt auch auf die französischen Behörden, ohne deren Wissen und Dulden ein solch umfangreicher Datenraub nicht möglich gewesen wäre. Sie ist zugleich eine Reaktion auf die nach Ansicht breiter Teile der Öffentlichkeit beschämend lasche Haltung der Linksregierung zu dem NSA-Spionageskandal.

Zwar hatte Präsident François Hollande zunächst erklärt, er verlange, »dass das sofort aufhört«. Besonders bedenklich sei, dass bis in die EU-Institutionen in Brüssel hinein spioniert worden war. Doch dann wurde es auffallend still um den Skandal. Die Regierung äußerte sich nicht mehr zu dem Thema und erst recht nicht zu eventuellen diplomatischen Schritten gegenüber den USA.

Dem waren Enthüllungen der Zeitung »Le Monde« und weiterer Medien vorausgegangen, wonach Frankreich an den »Erkenntnissen« der USA-Geheimdienste partizipiert. Außerdem wurde dargelegt, wie verschiedene französischen Inlands- und Auslandsgeheimdienste auf vergleichbare Weise – wenn aus ökonomischen Gründen auch in geringerem Umfang – ebenfalls systematisch Verbindungsdaten aus Computern und Telefonen abfangen und speichern. Die Linksregierung von Hollande erklärte dazu lediglich lapidar, eine solche Datensammlung erfolge »allein aus Sicherheitsgründen und auf streng rechtlicher Grundlage«.

Da das Aufdecken dieser Praktiken der Geheimdienste immer wieder zur Verfolgung und schweren Bestrafung von Leuten wie Julian Assange, Bradley Manning und Edward Snowden geführt hat, die damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, hat jetzt eine Gruppe von Abgeordneten linker wie rechter Parteien – von der FKP über die Grünen und die PS bis zur UMP – den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern vorgelegt. Unmittelbarer Anlass waren Auftritte ehemaliger Mitarbeiter von Schweizer Banken, die vor Parlamentsausschüssen in Paris über französische Steuerflüchtlinge ausgesagt haben. Dafür droht ihnen jetzt ein Prozess.

Frankreich gehört nicht zu den 60 Staaten, in denen das Aufdecken von Rechtsverstößen gesetzlich geschützt ist. Ob der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf daran grundlegend etwas ändern und echte Transparenz schaffen würde, ist fraglich. So kann vielleicht in Steuerfragen mehr Rechtssicherheit geschaffen werden, aber erfahrungsgemäß prallen alle Aufklärungsversuche zu wirklich brisanten Themen an einer Mauer mit der Formel »Secret Défense« ab. Dieses »Geheim im Interesse der Nationalen Sicherheit«, auf das man seit Jahrzehnten bei allen Politskandalen stößt, wird sehr großzügig ausgelegt und schützt traditionell in Frankreich alles, was politisch unangenehm für die Regierung werden könnte.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 2. August 2013


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