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Snowden erwägt Aussage in Deutschland

Ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter will bei der Aufklärung der NSA-Spähaffäre helfen

Von Aert van Riel *

US-Informant Edward Snowden könnte wohl nur nach Deutschland kommen, wenn er hier oder in einem vergleichbaren Land bleiben könnte.

Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat seine Bereitschaft erklärt, an der Aufklärung der NSA-Spähaffäre mitzuwirken. Er hatte die Debatte durch seine Enthüllungen selbst angestoßen. In einem am Freitag veröffentlichten Brief schreibt Snowden, dass er hoffe, »an der verantwortungsbewussten Faktenklärung mitwirken« zu können. Das Schreiben wurde vom Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele an das Kanzleramt, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und die Bundesanwaltschaft verschickt. Ströbele und zwei deutsche Journalisten hatten sich am Donnerstag mit Snowden an einem geheimen Ort in Moskau zu einem Gespräch getroffen. Dabei ging es um die Frage, ob Snowden vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Deutschland aussagen kann. »Er wäre ein bedeutender Zeuge«, sagte Ströbele. Snowden sei nicht nur technischer Mitarbeiter für US-Geheimdienste, sondern auch an Operationen beteiligt gewesen.

Allerdings könnte der 30-Jährige, wenn er nach Deutschland kommen würde, wohl nicht mehr nach Russland zurückkehren und müsste in der Bundesrepublik oder einem vergleichbaren Land bleiben. Dies bedeutet, dass Snowden hier Asyl oder ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen müsste. In Russland ist ihm ein befristetes Asyl gewährt worden, das im Sommer 2014 ausläuft. Die USA suchen Snowden per Haftbefehl und werfen ihm Landesverrat vor. Dass deutsche Ermittlungsbeauftragte mit Snowden in Russland sprechen könnten, sieht dieser skeptisch. Ein solches Handeln ausländischer staatlicher Behörden in Russland würde »Probleme mit sich bringen«, so auch Ströbele.

Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Bundestages, Thomas Oppermann (SPD), sprach sich für eine Zeugenvernehmung Snowdens aus. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte: »Wenn die Botschaft heißt, Herr Snowden will uns etwas sagen, nehmen wir das sehr gerne auf.« Eine direkte Kontaktaufnahme der Bundesregierung zu dem US-Informanten sei allerdings »nicht das Thema«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Jan Korte (LINKE) forderte Friedrich auf, Snowden »zügig eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen«. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages will sich in der nächsten Woche in einer Sondersitzung mit dem Fall Snowden befassen.

Ströbele deutete an, dass neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch andere deutsche Politiker vom US-Geheimdienst NSA ausgespäht wurden. »Ich halte das für ziemlich wahrscheinlich«, sagte der Grünen-Politiker. Offenbar hat die NSA zudem Weltbank und Internationalen Währungsfonds in Washington überwacht. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters stoppte US-Präsident Barack Obama die Ausspähung als Reaktion auf eine Überprüfung der Aktivitäten des Geheimdienstes.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 2. November 2013


Snowdens Brief

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele veröffentlichte am Freitag einen Brief des US-Whistle­blowers Edward Snowden und leitete diesen an Bundesregierung, Bundestag und Generalbundesanwalt weiter. Das Schreiben hat nach einer von Ströbele verbreiteten Übersetzung folgenden Wortlaut:

An die Zuständigen

Ich wurde gebeten, Ihnen bezüglich Ihrer Untersuchung zur Massenüberwachung zu schreiben.

Ich heiße Edward Joseph Snowden und war früher vertraglich bzw. über eine Direktanstellung als technischer Experte bei der National Security Agency (NSA), der Central Intelligence Agency (CIA) und der Defense Intelligence Agency (DIA) der Vereinigten Staaten beschäftigt.

Im Zuge meiner Beschäftigung in diesen Einrichtungen wurde ich Zeuge systematischer Gesetzesverstöße meiner Regierung, die mich aus moralischer Pflicht zum Handeln veranlassten. Als Ergebnis der Veröffentlichung dieser Bedenken sah ich mich ich einer schwerwiegenden und anhaltenden Hetze ausgesetzt, die mich zwang, meine Familie und meine Heimat zu verlassen. Ich lebe derzeit im Exil und genieße befristetes Asyl, das mir die Russische Föderation gemäß internationalem Recht gewährt.

Ich bin ermutigt von der Resonanz auf mein politisches Handeln, sowohl in den USA als auch anderswo. Bürger auf der ganzen Welt und auch hohe Amtsträger – einschließlich der Vereinigten Staaten – haben die Enthüllungen zu einem System der allumfassenden Überwachung, das niemandem Rechenschaft schuldig ist, als einen Dienst an der Öffentlichkeit beurteilt. Diese Spionage-Enthüllungen zogen viele Vorschläge zu neuen Gesetzen und Richtlinien nach sich, die auf den vormals verdeckten Mißbrauch des öffentlichen Vertrauens abzielten. Der Nutzen für die Gesellschaft aus diesen gewonnenen Erkenntnissen wird zunehmend klarer; gleichzeitig wurden die in Kauf genommenen Risiken sichtlich vermindert.

Obwohl das Ergebnis meiner Bemühungen nachweislich positiv war, behandelt meine Regierung Dissens nach wie vor als Treuebruch und strebt danach, politische Meinungsäußerung zu kriminalisieren und unter Anklage (zu) stellen. Dennoch: Die Wahrheit auszusprechen ist kein Verbrechen. Ich bin zuversichtlich, daß die Regierung der Vereinigten Staaten mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft diese abträgliche Haltung ablegen wird. Ich hoffe, daß ich, wenn die Schwierigkeiten dieser humanitären Lage beigelegt sind, in der Lage sein werde, mich an der verantwortungsvollen Aufklärung der Sachverhalte bezüglich der in den Medien getätigten Aussagen, insbesondere im Hinblick auf Wahrheit und Authentizität der Berichte, angemessen und gesetzesgemäß zu beteiligen.

Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist und danke Ihnen für ihre Bemühungen, das internationale Recht zu wahren, das uns alle beschützt.

Mit besten Grüßen
gez. Edward Snowden

bezeugt durch Hans-Christian Ströbele





Aussage erwünscht?

Über »freies Geleit« und andere Optionen, Snowden als Zeugen zu hören

Von René Heilig **


Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, brachte es gestern auf (die hier ausgeschriebene) Twitter-Kurzformel: Wenn es die Möglichkeit gibt, Snowden als Zeugen zu hören – ohne ihn in Gefahr zu bringen und ohne zu riskieren, die Verhältnisse zwischen Deutschland und den USA komplett zu ruinieren – sollten wir sie nutzen. Umgehend lästerte der Parlamentarische Unionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer zurück: Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass Thomas Oppermann sich Sorgen um das deutsch-amerikanische Verhältnis macht?

Natürlich hätten die beiden das auch von Mann zu Mann bereden können – Oppermann ist Chef des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste und Grosse-Brömer sein Vize. Doch Konkretes überlassen die beiden kommenden Koalitionspartner lieber der Opposition. LINKE und Grüne fordern einen Untersuchungsausschuss. Und während Christian Ströbele nach Moskau reiste, um den Enthüller der NSA-Übergriffe als Zeugen für diesen Ausschuss zu gewinnen, hat die Linksfraktion Modalitäten geklärt, unter denen Edward Snowden aussagen könnte. Ungefährdet! Das ist wichtig, immerhin haben die USA bereits einen Auslieferungsantrag gestellt.

Der allerdings kann (trotz eines seit 2010 zwischen der EU und den USA sowie eines seit 1978 existenten bilateralen Auslieferungsabkommens zwischen Deutschland und den USA) abgelehnt werden. Das jedenfalls meinen die Juristen vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Voraussetzung ist allerdings, dass der um Auslieferung ersuchte Staat Snowdens »Verbrechen« als »eine Straftat mit politischem Charakter oder als eine mit einer solchen zusammenhängende Straftat« ansieht. Schon der Verdacht, dass ein politisches Motiv hinter der angegebenen Auslieferungsforderung steht, würde ausreichen. Fragt sich jedoch, ob die Entscheider hierzulande – also ein zuständiges Oberlandesgericht und die sogenannte Bewilligungsbehörde – den Mut haben, den US-Behörden zu misstrauen und Snowden statt Landesverratsabsichten politisch ehrenwerte Motive zuzubilligen.

Und wie ist das mit dem Schutz des möglichen Zeugen? Der ließe sich mit einem »freien Geleit« regeln, das die Vollstreckung eines Haftbefehls verhindert. Die Strafprozessordnung räumt die Möglichkeit nicht nur Gerichten sondern auch Untersuchungsausschüssen ein. Man könnte dem Zeugen sogar eine Aufenthaltserlaubnis gemäß Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz zubilligen und sich dabei auf »völkerrechtliche oder dringende humanitäre Gründe« beziehen. Auch würden »politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland« ausreichen, damit das Bundesinnenministerium Snowden eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Keine Frage, dass es bei der – selbst bespitzelten – Regierung ein politisches Interesse geben sollte, die NSA-Machenschaften aufzuhellen. Oder?

Dagegen steht die realistische Einsicht, dass es sich bei den USA – im Unterschied zu Deutschland und den anderen betroffenen Staaten der EU, die keineswegs mit einer Stimme sprechen – um eine Großmacht handelt, die auf niemanden und auf nichts Rücksicht nimmt, wenn es um eigene Interessen geht. Also betont man bei aller inneren Empörung über den Vertrauensbruch die besonderen transatlantischen Beziehungen und gießt lieber nur kontrolliert Öl in das noch immer brennende Feuer.

Offenkundig sind Washington und Berlin gerade dabei, die hochgekochten Emotionen zu kühlen. Die deutsche Regierung hofft, dass die USA letztlich ein vorzeigbares No-Spy-Abkommen unterschreiben. Obwohl es dafür im Moment noch keine belastbaren Anzeichen gibt. Christoph Heusgen, das außenpolitische Gehirn des Kanzleramtes, ist dieser Tage nicht mit übermäßig gewichtigem politischen Gepäck aus Washington heimgekehrt.

Sicher ist jedoch, dass die NSA-Affäre auch im Inneren der USA Erschütterungen verursacht hat. Nicht so sehr auf der Straße, wie sich am vergangenen Sonntag bei einer nur mäßig besuchten Demonstration in Washington gezeigt hat. Doch die Worte, die die Demokratin Dianne Feinstein – sie ist die Grande Dame des US-Senats – gefunden hat, zeigen Nachdenklichkeit. Sie sei »ganz und gar dagegen«, Politiker verbündeter Nationen auszuspähen. Noch im Juli hatte sich die Kalifornierin dagegen verwahrt, Snowden als Whistleblower zu bezeichnen. Da hatte sie nur ein Wort parat: »Hochverrat«. Nun wird im Senat an einer Novelle gebastelt, die dem massenhaften Sammeln von Verbindungsdaten durch US-Geheimdienste zumindest Grenzen setzen soll.

Noch ist offen, ob es einen deutschen Untersuchungsausschuss geben wird und ob der dann einen Zeugen namens Edward Snowden begrüßen kann. Denn dessen Anwalt Anatoli Kutscherena hat auf ein weiteres Problem hingewiesen. Wenn sein Mandant aus Russland ausreist, verliert er seinen Flüchtlingsstatus. Etwas anderes wäre eine Aussage in Russland selbst. Das ist durchaus eine Option. Nicht zum ersten Mal würde ein deutscher Untersuchungsausschuss einen wichtigen Zeugen im Ausland vernehmen.

Und wie geht es dem Mann, der den globalen Spionageskandal ins Rollen gebracht hat, sonst? Seit dem gestrigen 1. November kommt der 30-jährige IT-Profi wieder selbst für seinen Lebensunterhalt auf. Ein »großes Unternehmen« hat ihn angestellt und er an seinem neuen Arbeitsplatz keine Probleme. Nicht nur, weil es da um Computerprogramme geht. Auch sprachlich laufe alles gut, sagt Anwalt Kutscherena. Snowden lernt Russisch.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 2. November 2013


Unerwünschter Zeuge

Edward Snowden bietet BRD-Behörden Aussagen zur Ausspähung an. New York Times: NSA fertigt massenhaft Berichte über Telefonate deutscher Politiker

Von Jana Frielinghaus ***


Der Whistleblower Edward Snowden ist bereit, gegenüber deutschen Behörden und Politikern über die Aktivitäten der US-Geheimdienste in der Bundesrepublik Auskünfte zu erteilen. Dies berichtete der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele am Freitag in Berlin. Am Donnerstag nachmittag war er mit dem früheren Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) der USA in Moskau zusammengetroffen.

Ströbele veröffentlichte zugleich einen Brief Snowdens, in dem er deutschen Verantwortlichen dieses Angebot unterbreitet. Voraussetzung für eine Aussage, etwa vor einem Untersuchungsausschuß des Bundestages oder vor Vertretern der Generalbundesanwaltsschaft, wäre, daß die BRD dem 30jährigen eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt, sagte der Politiker. Weiter müsse »freies Geleit« und der Schutz vor Auslieferung an die US-Behörden gewährleistet sein. Ströbele hat das Schreiben Snowdens nach eigenen Angaben an das Bundeskanzleramt, die Generalbundesanwaltschaft und das Präsidium des Bundestages weitergeleitet. Für ihn ist der Computerspezialist ein »bedeutender Zeuge, auch für Deutschland«.

Grünen-Chefin Simone Peter forderte die Bundesregierung am Freitag auf, sich für einen sicheren und ständigen Aufenthalt Snowdens in Deutschland stark zu machen. Er habe »Deutschland und Europa einen Riesendienst erwiesen«. Ähnlich äußerte sich der Linke-Bundestagsabgeordnete Jan Korte.

Aber es ist unwahrscheinlich, daß eine Vernehmung des Whistleblowers in der Bundesrepublik zustande kommt. Die Regierung ist in erster Linie darauf bedacht, das Verhältnis zur US-Administration nicht zu »belasten«. Snowden hatte im Juni umfangreiche Informationen u.a. über die streng geheimen Programme US-amerikanischer und britischer Geheimdienste zur Überwachung der weltweiten Internetkommunikation an den für den britischen Guardian tätigen Journalisten Glenn Greenwald weitergegeben. Seit dem 14. Juni wird er mit Haftbefehl von der US-Bundespolizei FBI wegen »Geheimnisverrats« gesucht, Anfang August erhielt er zunächst für ein Jahr Asyl in Rußland. Ströbele betonte am Freitag, Snowden sei keineswegs nur für die technische Verwaltung von Daten und Programmen zuständig gewesen. Seinen Angaben zufolge war er direkt an Geheimdienstoperationen beteiligt.

Unterdessen zeigte sich John Emerson, US-Botschafter in der Bundesrepublik, gegenüber deutschen Medien außerstande einzuschätzen, ob auf dem Dach seines Hauses Technik zum Ausspionieren deutscher Behörden und Politiker installiert ist. Auf die Frage des Deutschlandfunks, ob er ausschließen könne, daß in der Botschaft gegen deutsche Gesetze verstoßen werde, sagte Emerson am Donnerstag nachmittag, er sei »kein Fachmann für deutsches Recht«. Sein Haus vertrete »die Interessen Amerikas, und wir tun das, was wir als amerikanische Botschaft tun sollten«.

Die New York Times (NYT) hatte am Donnerstag in bezug auf die US-Geheimdienstaktivitäten im deutschen Politikbetrieb unter Berufung auf mehrere Exmitarbeiter der NSA berichtet, auch ranghohe Beamte und die Chefs von Oppositionsparteien seien Spionageziele. US-Diplomaten seien dabei eine wichtige Quelle für Festnetz- und Handynummern. Die Dienste erfassen laut NYT die Inhalte von Telefonaten von Politikern und speichern sie. Im NSA-Hauptquartier würden »Heerscharen von Analysten« Telefonatsmitschriften auswerten und darüber Berichte für Regierungsstellen in Washington verfassen.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 2. November 2013


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