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Der Geheimdienst residiert im Keller

Im Grenzdurchgangslager Friedland werden Flüchtlinge ausgeforscht

Von Reimar Paul *

Asylbewerber sollen ausgefragt und ihre Angaben für militärische Zwecke missbraucht worden sein. Die Flüchtlinge wussten offenbar von nichts.

Im aktuellen Telefonbuch für Südniedersachsen findet sich dieser Eintrag auf Seite 181: »Hauptstelle für Befragungswesen Lager Friedland«. In dem Lager, in diesen Wochen die erste Anlaufstelle in Deutschland unter anderem für 5000 syrische Flüchtlinge, residiert eine Dependance dieser eng mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) verbandelten Behörde im Keller einer der barackenähnlichen Gebäude.

Die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW) wurde 1958 zunächst als eigene Abteilung des BND gegründet. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung horchten die Mitarbeiter vor allem DDR-Flüchtlinge und Spätaussiedler aus. Es ging dabei vorrangig um militärische Informationen, die zum Beispiel Männer aus ihrer sowjetischen oder DDR-Militärdienstzeit mitbrachten.

Nach den Anschlägen vom 11. September wurden männliche Flüchtlinge aus arabischen Ländern als potenzielle Informanten interessant. Nach nd-Informationen hat die Hauptstelle für Befragungswesen in Friedland – und wohl auch in anderen der rund zehn Außenstellen – unter anderem irakische Asylbewerber ausgefragt und anschließend offenbar kriegsrelevante Informationen aus diesen Gesprächen an US-Dienste weitergegeben. Trotz der offiziellen Ablehnung des Irak-Kriegs durch die rot-grüne Bundesregierung sollen die Informationen an den Militärgeheimdienst DIA weiter geleitet und zur Zielplanung benutzt worden sein.

Nach einem Bericht von »Süddeutscher Zeitung« (SZ) und Norddeutschem Rundfunk (NDR) greifen die USA sogar für Drohnenangriffe auf Informationen zurück, die von Asylbewerbern in der Bundesrepublik stammen. Teilweise seien ausländische Partnerdienste wohl direkt an den Befragungen in Deutschland beteiligt, heißt es. Ihre Agenten würden Asylbewerbern als »Praktikanten« vorgestellt.

Ein Iraker erzählte 2009, er sei im Lager von einem HBW-Mitarbeiter angesprochen worden, ob er nicht Deutschland helfen und einige Fragen beantworten wolle. Er habe sich auf das Gespräch eingelassen. In der »Unterhaltung« sei es dann vor allem um die politische Lage in der Ninive-Ebene gegangen, einem Siedlungsgebiet der Christen im Norden von Irak, aus dem der Befragte stammte.

Nach Angaben von NDR und »SZ« interessiert sich die HBW auch für die Lebensumstände einzelner Personen, beispielsweise mutmaßlicher Extremisten. Die »Interviewpartner« würden nicht aufgeklärt, wozu ihre Informationen dienten. Anwälte haben nach Angaben der Medien über Versprechen der Interviewer berichtet, dass sich eine Teilnahme an der Befragung positiv auf die Bewertung des Asylverfahrens auswirken könne.

Das Bundesinnenministerium ließ diese Darstellung gestern nicht gelten. Die Befragungen fänden auf freiwilliger Basis statt, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Jens Teschke. Auch den Vorwurf, die Gespräche hätten Einfluss auf das laufende Asylverfahren, widersprach er.

Für den Rechtsanwalt Victor Pfaff ist das Vorgehen der HBW ein »Missbrauch des Asylverfahrens und des Vertrauens, welches man von dem Antragsteller erwartet«. Die Informationssammlung verstoße gegen deutsches und europäisches Asylrecht sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 21. November 2013


Asylbewerber werden ausgehorcht

»Hauptstelle für Befragungswesen« schöpft Wissen von Flüchtlingen ab. Informationen gehen an US-Dienste **

Diese Behörde kannte bisher kaum einer. Die »Hauptstelle für Befragungswesen« (HBW) residiert am Hohenzollerndamm 150 in Berlin-Wilmersdorf. Zu ihren Büros im vierten Stock gelangt man nur über einen gesicherten Aufzug. Ihre Aufgabe: das systematische Aushorchen von Asylbewerbern.

Wie die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch berichtete, führt die HBW nach amtlichen Angaben jährlich 500 bis 1000 Vorgespräche mit Flüchtlingen und befragt anschließend 50 bis 100 von ihnen intensiv. Die ursprünglich von den Westalliierten eingerichtete und seit den 50er Jahren dem BND zugeordnete Behörde verlangt von den Asylbewerbern umfassend Auskunft über die Verhältnisse in deren Heimat, über dortige Politiker und über Terrorverdächtige und deren Netzwerke.

Dem Blatt zufolge werden US-Geheimdienste von der deutschen Behörde mit den so gewonnenen Informationen vor allem von Personen aus Somalia und Afghanistan versorgt, um den gezielten Einsatz von Kampfdrohnen zu ermöglichen. Die SZ beruft sich dabei auf einen früheren hochrangigen Pentagon-Mitarbeiter. Die Erkenntnisse flössen in das »Zielerfassungssystem« der US-Dienste ein.

Kritik äußerten der Frankfurter Asylrechtsanwalt Victor Pfaff und der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Nach Pfaffs Ansicht verstoße die verdeckte Informationssammlung gegen deutsches und europäisches Asylrecht sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonventionen. Ströbele bezeichnete die deutschen Stellen als strafrechtlich möglicherweise »mitschuldig« an illegalen Tötungsaktionen der USA.

Das Bundesinnenministerium wiegelte derweil ab. Die Befragungen fänden ausschließlich auf freiwilliger Basis statt, sagte dessen Sprecher Jens Teschke am Mittwoch in Berlin. »Niemand von den Asylbewerbern wird gezwungen, dort Auskunft zu geben.« Die Gespräche hätten auch keinen Einfluß auf das laufende Asylverfahren. (jW)

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. November 2013


Asyl als Kriegswaffe

Gastkommentar. BND schöpft Flüchtlinge ab

Von Ulla Jelpke ***


Die westliche Wertegemeinschaft läßt nichts aus: Nicht nur, daß sie durch Waffenexporte brutale Diktaturen unterstützt, Kriege befeuert und Hunderttausende Menschen zur Flucht vor Hunger und Gewalt zwingt – auf Wegen, deren Ende viele nicht lebend erreichen. Sie mißbraucht auch noch das Asylrecht, um durch ihre Geheimdienste die wenigen Flüchtlinge auszuquetschen, die es bis hierher geschafft haben.

Im Fokus der Geheimdienste stehen offenbar vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Somalia. Sie erwarten von diesen Flüchtlingen eine Vielzahl von Informationen: Auskünfte über militärisch-politische Akteure, die den westlichen Staaten ein Dorn im Auge sind; Angaben zu Lebensgewohnheiten von Rebellenführern, mitunter auch deren Handynummern; Berichte über die Stimmung in ihren Heimatdörfern. Solche Informationen dienen der »Verbesserung« der eigenen militärischen und geheimdienstlichen Aktivitäten. Aber letzlich sollen sie weitere Terrorangriffe mit Drohnen, Bomben und Bodentruppen vorbereiten.

Denn die Informationen der abgeschöpften Flüchtlinge bleiben ja nicht beim BND, sondern gelangen zum amerikanischen »Partner«. Dessen Agenten, genauso wie jene des britischen Geheimdienstes, sitzen, getarnt als »Praktikanten«, mit am Tisch oder führen die Befragungen gleich allein durch. Die Telefonnummer des Al-Schabab-Führers, die ein somalischer Flüchtling womöglich preisgegeben hat, wird zum Instrument, den Rebellenchef zu orten und ihm eine Drohne ins Haus zu jagen; zivile »Kollateralschäden« werden wie immer mit eingeplant. Die Dorfbevölkerung, die nach Angaben eines afghanischen Flüchtlings womöglich mit den Taliban kooperiert, muß ebenfalls mit »gezielten Tötungen«, wenn nicht gar mit kollektiven »Bestrafungsaktionen« der NATO oder ihrer örtlichen Komplizen rechnen. Das Asylrecht, eigentlich Ausdruck einer zutiefst humanitären Gesinnung, wird zum Instrument der Kriegführung entstellt.

Nicht immer wissen die Flüchtlinge, vom wem sie da eigentlich ohne Beistand von Rechtsanwälten befragt werden. Oft genug dürften sie vermuten, es handele sich um eine Anhörung des für Asylanträge zuständigen Bundesamtes. Mitunter tarnen sich die Befrager auch als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Die Frage, wie »freiwillig« diese Befragungen eigentlich sind, kann dahingestellt bleiben, weil es sich in jedem Fall darum handelt, die Notlage von Flüchtlingen schamlos auszunutzen.

Eine andere Frage drängt sich allerdings auf: Woher weiß der BND überhaupt, welche Flüchtlinge für ihn interessant sein könnten? Wird er von der Asylbehörde unterrichtet, obwohl die Asylverfahren vertraulich sein sollen? Schöpft er die Behörde eigenmächtig und illegal ab? Die lange Liste der Geheimdienstskandale ist um einen Punkt länger geworden.

*** Unsere Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. November 2013 (Gastkommentar)



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