Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Guter Draht ist nicht teuer

NSA soll von Google und Yahoo Hunderte Millionen Daten abgegriffen haben

Von Max Böhnel, New York *

Die Wellen, die die Enthüllungen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden seit Wochen weltweit schlagen, breiten sich endlich auch in den USA aus.

Die jüngsten Nachrichten überraschten selbst die deutschen Geheimdienstler, die sich seit Mitte der Woche zu Konsultationen bei ihren Kollegen in Washington aufhalten. Laut »Washington Post« vom Mittwoch, die zur Pflichtlektüre des Establishments gehört, griffen die Späher der National Security Agency (NSA) zusammen mit dem britischen GCHQ von Netzwerken der Großkonzerne Google und Yahoo Hunderte Millionen Daten ab. Das Überwachungsprogramm namens »Muscular« geht der Zeitung zufolge weit über das vor Wochen bekannt gewordene System »Prism« hinaus. Die Dienste haben einem Dokument von Anfang Januar dieses Jahres zufolge bei den beiden Internetfirmen allein in den davor liegenden vier Wochen fast 200 Millionen Datensätze abgefangen.

Der US-Geheimdienstapparat operierte damit an den Geheimgerichten – wie bei »Prism« üblich – vorbei. Denn die Dateneinbrüche erfolgten an Knotenpunkten außerhalb des Landes, um eine Straffälligkeit zu umgehen.

Die US-Regierung reagierte auf die jüngsten Enthüllungen mit Schweigen. NSA-Chef Keith Alexander behauptete kurz nach Bekanntwerden des Berichts dreist das Gegenteil. Seine Behörde habe »keinen Zugang zu Google-Servern, Yahoo-Servern und so weiter«. Seit mehreren Tagen sehen sich die Geheimdienstchefs gezwungen, Dementis, Klarstellungen und Erklärungen abzugeben. Bisher kannte kaum jemand ihre Namen. Bis zu Edward Snowdens Enthüllungen wusste kaum ein Durchschnittsamerikaner, was das Kürzel NSA überhaupt zu bedeuten hat. Doch inzwischen mehren sich in den Massenmedien die kritischen Kommentare.

»NSA greift im Ausland angeblich auf Google und Yahoo zu«, hieß es jetzt auf der Titelseite der »New York Times«. Zuvor hatte ein ungenannter NSA-Sprecher gegenüber der »Los Angeles Times« dementiert, dass auch der Papst Ziel von Abhörmaßnahmen gewesen sei. Das hatte die italienische Zeitschrift »Panorama« berichtet. Gespannt wird jetzt auf die nächste Enthüllung gewartet. Denn der in Brasilien lebende US-Journalist Glenn Greenwald, der die Snowden-Dokumente bekannt macht, hatte vor eineinhalb Wochen die Veröffentlichung vieler weiterer brisanter Wahrheiten aus der NSA-Küche angekündigt.

Schon im vergangenen Monat griff Präsident Barack Obama die seit mehreren Monaten unterschwellig gärende Debatte auf und mahnte vorsichtig Reformen an: »Nur weil wir Informationen erhalten können, bedeutet das noch nicht, dass wir sie immer bekommen müssen.« Bei Anhörungen im Kongress in dieser Woche verteidigten NSA-Chef Alexander und der Leiter der »National Intelligence«, James Clapper, die Massenüberwachung so kaltschnäuzig als »Antiterror«-Maßnahmen, dass selbst loyale Abgeordnete mit den Augenbrauen zuckten. Noch im Juli hatte das Repräsentantenhaus mit knapper Mehrheit für die Beibehaltung eines Telefonabhörprogramms gestimmt. Damit sammeln die Geheimdienste Daten von Milliarden Telefonverbindungen und deren Dauer – angeblich aber nicht die Gesprächsinhalte.

Seit sich enge Verbündete wie Deutschland, Frankreich und Spanien über die Schnüffelei öffentlich beschweren und dabei das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA in Frage stellen, ist die Debatte ins Zentrum der Washingtoner Politik gerückt. In der »New York Times« hieß es am Mittwoch in einem Kommentar erneut, die Abhörmaßnahmen gegen Staatschefs von Verbündeten würden die Glaubwürdigkeit der USA, deren »soft power« bei Alliierten und damit die nationale Sicherheit untergraben. Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, Dianne Feinstein aus Kalifornien, kündigte inzwischen eine »groß angelegte Überprüfung« der US-Geheimdienstpraktiken an. Sie sei »völlig gegen« die Überwachung befreundeter Staatschefs.

Das Prinzip des Überwachungsstaats, wie von US-amerikanischen Linken vehement kritisiert, stellte Feinstein allerdings nicht in Frage. Unterdessen fühlen sich die Geheimen sogar von Satire bedroht. Laut der Bürgerrechtsorganisation »Public Citizen« haben die NSA und das Heimatschutzministerium eine Unterlassungsklage gegen einen T-Shirt-Händler im Minnesota angestrengt. Auf einer Kreation heißt es unter dem NSA-Logo: »NSA – die einzigen in der Regierung, die zuhören«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 1. November 2013


NSA klaut Daten von Google und Yahoo

Weitere Enthüllungen über Arbeit der US-Geheimdienste. Kanzleramtsdelegation in Washington **

Der US-Geheimdienst NSA greift laut neuen Enthüllungen massenhaft Daten bei den Internetriesen Google und Yahoo ab. Davon könnten alle möglichen Informationen von Hunderten Millionen Menschen betroffen sein. Die NSA klinke sich in Leitungen zwischen Rechenzentren ein, berichtete die Washington Post am Mittwoch unter Berufung auf Papiere des Informanten Edward Snowden.

Die Internetkonzerne schirmen ihre Systeme gegen Angriffe von außen ab. Die NSA greift den neuen Erkenntnissen zufolge jedoch dort zu, wo die Daten bisher weitgehend unverschlüsselt unterwegs sind: in den Leitungen zwischen den gewaltigen Rechenzentren – vermutlich außerhalb der USA.

Aus einem geheimen Papier von Januar dieses Jahres gehe hervor, daß binnen 30 Tagen mehr als 180 Millionen Datensätze aus den Netzen von Google und Yahoo abgegriffen worden seien, schrieb die Zeitung. Darunter seien Informationen, wer wann E-Mails abgeschickt oder erhalten habe, aber auch Inhalte mit Texten, Audiodateien und Videos. Auch Konten vieler Amerikaner seien betroffen, berichtete die Washington Post. Das könnte zu einer innenpolitischen Bombe werden: Der NSA ist es verboten, US-Bürger zu überwachen.

Google reagierte extrem verärgert über die neuen Enthüllungen. »Wir sind aufgebracht darüber, wie weit die Regierung anscheinend gegangen ist, um Daten aus unseren privaten Glasfaser-Netzwerken abzugreifen«, erklärte Chefjustitiar David Drummond. »Yahoo äußerte sich zurückhaltender und betonte nur, man habe der NSA oder anderen Behörden keinen Zugriff auf Rechenzentren gewährt.

Wegen der Abhöraffäre um das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel trafen unterdessen Spitzenvertreter des Kanzleramtes in Washington mit ranghohen US-Beamten zusammen. Der Dialog werde in den kommenden Tagen und Wochen fortgesetzt, teilte die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice im Anschluß mit. Über den Inhalt wurde Stillschweigen vereinbart.

** Aus: junge Welt, Freitag, 1. November 2013


Zurück zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage