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Pofalla unter Druck

Kanzleramtsminister macht in der NSA-Affäre keine gute Figur

Von Fabian Lambeck *

Über das Ausmaß der deutsch-amerikanischen Kooperation bei der Überwachung des Internets kann nur spekuliert werden. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist, war tagelang von der Bildfläche verschwunden. Nun will er den Geheimausschuss des Bundestages informieren.

Ronald Pofalla (CDU) lebt, soviel scheint klar. Lange war vom Kanzleramtsminister nichts zu hören gewesen. Der verlorene Sohn, der auch für die Überwachung der deutschen Geheimdienste zuständig ist, war in letzter Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Doch am Montag ließ er verkünden, dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages noch in dieser Woche Informationen liefern zu wollen. Derzeit sei man aber noch mit einer umfangreichen Prüfung der »Spiegel«-Enthüllungen beschäftigt, so Vize-Regierungssprecher Georg Streiter.

Das Hamburger Nachrichtenmagazin »Spiegel« hatte am Wochenende berichtet, dass Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz eine Spähsoftware des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA nutzten. Zudem stünden deutsche und amerikanische Schlapphüte in regem Datenaustausch.

Ob diese Kooperation überhaupt mit den strengen deutschen Datenschutzgesetzen vereinbar ist, muss sich zeigen. Der BND wiegelte am Montag ab: Man habe 2012 zwei einzelne personenbezogene Datensätze deutscher Bürger an die NSA übermittelt. »Eine millionenfache monatliche Weitergabe von Daten aus Deutschland an die NSA durch den BND findet nicht statt«, hieß es aus der Behörde.

Die SPD schoss sich derweil schon mal auf Pofalla ein. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte, dass der Kanzleramtschef sagen müsse, ob und wann er Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA informiert habe. Sollten diese Fragen nicht geklärt werden, müsse Pofalla zurücktreten, so Nahles.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück grantelte, dass die Bundesregierung »entweder Unwissenheit vortäuscht und ihre Mitwisserschaft verschweigt oder die Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind«. Ein führender Genosse hielt sich in der Sache zurück. Kein Wunder, war der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier doch früher selbst als Kanzleramtschef für die Geheimdienste zuständig.

Auch deshalb wies CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Angriffe der SPD als »unverfrorene Doppelmoral« zurück. So solle Steinmeier erklären, was bei der Ausweitung der deutsch-amerikanischen Geheimdienstkooperation nach dem 11. September 2001 zum Schutz deutschen Rechts geschehen sei.

Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele, Mitglied des PKGr, stellte am Montag gleich die Kanzlerinnenfrage: »Wenn das stimmt, dass der BND sogar direkt beteiligt ist an dem Datenabgreifen, dann trifft die Verantwortung natürlich letztlich die Kanzlerin«, sagte er dem Sender NDR Info.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


Geheime Zusatznote

Erkenntnisse des Historikers Foschepoth zu Lauschaktionen der USA erscheinen in neuem Licht

Von Rudolf Stumberger **


Der Süden Deutschlands ist nach Presseberichten bevorzugte Abhörregion des amerikanischen Geheimdienstes NSA. Und das beruhe sogar auf geheimen Abkommen, meint der Freiburger Historiker Josef Foschepoth.

München, Arnulfstraße 60. Heute befindet sich in dem mächtigen Gebäude entlang der Eisenbahntrasse zum Hauptbahnhof ein »in warmen Gelbtönen gehaltener Bürokomplex«, so die Eigenwerbung. Früher befand sich hier die Oberpostdirektion, zusammen mit dem Telegraphen- und Fernamt. Der Behördenbau umfasste 40 000 Quadratmeter Grundfläche, fünf Innenhöfe und 530 Räume.

Bis 1968 hatten einige dieser Räume eine besondere Funktion. Auf 296,25 Quadratmetern in zehn Räumen zuzüglich eines Flurs und Toilette war hier die geheime US-amerikanische Überwachungsstelle untergebracht. Es war die zweitgrößte alliierte Überwachungsstelle in Räumen der Bundespost überhaupt. Dort fand die strategische Postzensur der Besatzungsmächte statt, bei der zum Beispiel allein 1960 rund 4,6 Millionen Briefsendungen aussortiert wurden. Millionenfach wurden Briefe aus dem Verkehr gezogen, geöffnet, ausgewertet und danach wieder in den Postverkehr gebracht.

Diesen Tatbestand kann man seit Anfang 2012 in dem Buch »Überwachtes Deutschland« des Freiburger Historikers Josef Foschepoth nachlesen. Die mediale Resonanz hielt sich in Grenzen. Seit aber der Whistleblower Edward Snowden den digitalen Groß-Lauschangriff des amerikanischen Geheimdienstes NSA publik machte, steht bei Foschepoth das Telefon nicht mehr still. Denn anscheinend anders als die Bundesregierung geht der Historiker davon aus, dass in Deutschland prinzipiell noch immer quasi nach dem alten Besatzungsrecht gelauscht, ausspioniert und abgehört wird. Was auch für Wirtschaftsspionage gilt.

Zurück zur Arnulfstraße. Die faktisch nicht bestehende Rechtsgrundlage für die praktizierte flächendeckende Überwachung endete 1968 mit dem sogenannten G-10-Gesetz. Damit wurde die Überwachung des Post- und Telefonverkehrs weg von den Alliierten hin auf die westdeutschen Nachrichtendienste des Verfassungsschutzes, BND und MAD übertragen. In 20 Städten der Bundesrepublik wurden insgesamt 25 Überwachungsstellen eingerichtet, zur Grundausstattung gehörten ein Dampferzeuger, ein Bügeleisen, ein Fotoapparat, ein Blitzgerät, ein Koffer und ein Dienstwagen. Die Telefonüberwachung fand aus Kostengründen möglichst in der Nähe der Postämter statt. »Jetzt war gesetzlich geregelt«, so Foschepoth, was bisher schon ohne Legitimation gang und gäbe war.

Foschepoths Fazit: »So viel Macht und Möglichkeiten zur politischen Überwachung der eigenen Bevölkerung wie ab 1968 hatte es in der Hand der Deutschen seit dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland nicht gegeben.« Formal hatten die Alliierten damit ihre Vorbehaltsrechte (auf Überwachung und Abhörung) abgegeben, sie in Wirklichkeit jedoch erneut in einer sogenannten Verwaltungsvereinbarung untergebracht. Die deutschen Geheimdienste waren nun in Sachen Überwachung Dienstleister für die Alliierten geworden. Eine geheime Zusatznote vom 27. Mai 1968 berechtigte die Alliierten und damit die Amerikaner, im Falle einer direkten Bedrohung ihrer Streitkräfte auch weiterhin eigene Abhör- und Überwachungsaktionen zu tätigen. Foschepoth: »Da das NATO-Truppenstatut bis heute noch in Kraft ist, bedeutet dies, dass auch die deutsch-alliierten Verwaltungsvereinbarungen und die darin geregelte enge Zusammenarbeit in Sachen Post- und Fernmeldeüberwachung in der Bundesrepublik ebenfalls noch in Kraft sind und entsprechend angewendet werden dürfen.« Im Klartext: Die NSA dürfe in Deutschland im Grunde alles machen. Der »Spiegel« berichtete jedenfalls, die NSA überwache täglich bis zu 60 Millionen Telefonverbindungen in Deutschland.

Szenenwechsel nach Mitraching, nahe dem oberbayerischen Bad Aibling. Seit 2005 entsteht hier auf einem ehemaligen Militärgelände von 130 Hektar eine ökologische Mustersiedlung mit Holzhäusern und Solarheizung. Bevor das Gelände 2004 von der US-Army an die Bundesrepublik zurückgegeben wurde, war hier jedoch eine geheime Siedlung mit Wohnhäusern, Schulen und einem Krankenhaus. Und den mächtigen Abhörantennen in mehreren Radomen. Sie existieren weiter und werden heute vom Bundesnachrichtendienst genutzt.

Zuvor war hier unter der Regie der NSA als Teil des weltumspannenden Abhörsystems Echolon gelauscht worden. Und Wirtschaftsspionage betrieben, so jedenfalls ein Sonderausschuss der Europäischen Union in seinem »Bericht über die Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation« vom Juli 2001. Denn in den 1990er Jahren war klar geworden, dass auch wirtschaftsrelevante Daten abgeschöpft wurden.

So zum Beispiel beim VW-Spitzenmanager José Lopez. Der VW-Konkurrent General Motors konnte mit Hilfe der NSA beweisen, dass Lopez – früher Manager bei General Motors – von dort geheime Entwicklungsunterlagen zu VW mitgenommen und weiter genutzt hatte.

In Sachen Bad Aibling beruhigten die USA die aufgescheuchte deutsche Öffentlichkeit schließlich mit der Versicherung, die Abhöraktion verstoße »nicht gegen deutsches Recht«. Seit Foschepoths Forschung freilich erschließt sich eine derartige Erklärung erst in ihrer vollen Bedeutung.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


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