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NSA stahl Hunderte Millionen Kontaktlisten

Snowden-Dokumente enthüllen weitere gigantische Dimensionen der US-Spionage im Internet

Von John Dyer, Boston *

Die NSA hat sich Hunderte Millionen Adress- und Kontaktlisten von E-Mail- und anderen Kommunikationskonten gesichert. Dies geht aus Enthüllungen und auch Dokumenten von Edward Snowden hervor.

Das Abschöpfen von nationalem und internationalem E-Mail-Verkehr durch den US-Geheimdienst NSA ist noch umfangreicher als bisher angenommen. Die National Security Agency hat laut Medienberichten nicht nur Inhalte mit verdächtigen Hinweisen auf terroristische Zusammenhänge abgeklopft. Sie hat auch millionenfach Adressbücher und Kontaktlisten, sogenannte »Freunde« auf sozialen Netzwerken heruntergeladen. Betroffen sind nach einem Bericht der »Washington Post« Facebook, G-Mail, Hotmail, Yahoo und andere Dienste. Die Zeitung beruft sich auf Unterlagen des »Whistleblowers« Edward Snowden, der nach der Veröffentlichung von NSA-Unterlagen nach Russland geflüchtet ist und dort Asyl gefunden hat.

Beim Zusammentragen dieser Kontaktinformationen hat die NSA auch mit ausländischen Geheimdiensten und möglicherweise Internet-Anbietern zusammengearbeitet. Facebook, Google, Microsoft, Yahoo haben erklärt, dass sie diese Informationen nicht an die NSA liefern.

Die Arbeitsweise der NSA wird laut »Washington Post« aus einem Zitat des Direktors der Agentur, Keith Alexander, vom Juli dieses Jahres nach Bekanntwerden der Snowden-Papiere deutlich: »Du brauchst den Heuhaufen, wenn du die Nadel darin finden willst«, sagte der NSA-Direktor zu dem massenweisen Abschöpfen von Daten aus nationalen und internationalen Netzen. Die NSA benutzt diese, um Hinweise auf Terrorgruppen und ihre Verbindungen zu suchen. So lautet ihr gesetzlicher Auftrag. Der besagt aber auch, dass sie die Daten unbescholtener Bürger soweit wie möglich schonen soll.

Dass die NSA nicht nur die E-Mails sondern auch die Kontaktlisten auf ihre Server kopierte, war bei ihrer Aufgabenstellung zwar logisch, aber bisher nicht öffentlich bekannt. Vor allem überrascht auch hier wieder das Ausmaß der Aktionen. So hat die NSA im vergangenen Jahr an einem einzigen Tag 444 743 E-Mail-Adressbücher von Yahoo kopiert, 105 068 von Hotmail, 82 857 von Facebook, 33 697 von G-Mail und 22 881 von anderen Diensten. Pro Jahr schöpft der Geheimdienst nach dem Bericht rund 250 Millionen Kontaktlisten ab. In den Adressbüchern sind oft Hunderte Kontakte mit Adressen und Telefonnummern gespeichert.

Eine der großen Probleme für die NSA sind die sogenannten Spam-Mails, die unerwünschten und unaufgefordert versandten Mails, die schon den normalen Internet- und E-Mail-Benutzer nerven. Fast jeder Nutzer hat heute einen Spam-Filter vor seinen Posteingang geschaltet. Tut die NSA das, dann könnten ihr allerdings jene Informationen verloren gehen, nach denen sie sucht.

Als 2011 ein Hacker in einen verdächtigen iranischen E-Mail-Account einbrach und dessen Inhalt zum Aussenden von Massen-Mails benutzte, brach der Server des australischen Geheimdienstes zusammen, der das Vorgehen in Zusammenarbeit und für die NSA beobachtete.

Bürgerrechtsgruppen in den USA betonen, die neue Meldung beweise, dass die »NSA unter dem Vorwand der Informationsgewinnung im Ausland außerordentliche Mengen von Informationen über ganz gewöhnliche Amerikaner sammelt«, so Alex Abdo, Anwalt der Bürgerrechtsgruppe American Civil Liberties Union. »Das kann nicht mehr mit Sicherheitsgründen gerechtfertig werden.« Es sei eine »ernste Bedrohung der bürgerlichen Freiheiten«. NSA-Sprecher Shawn Turner hielt dagegen, die Daten würden nur gesammelt, um Terroristen, Menschenhändler und Drogenschmuggler aufzuspüren. »Wir sind an persönlichen Informationen über gewöhnliche Amerikaner nicht interessiert.« Die Arbeit der NSA wird vom Sondergericht Foreign Intelligence Surveillance Court genehmigt und kontrolliert.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. Oktober 2013


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