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Wer leint die Geheimdienste an?

Parlamentarisches Kontrollgremium gibt sich reformwillig – und bremst sich selber aus

Von René Heilig *

Eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste ist geboten – doch im Koalitionsvertrag steht kein Wort dazu. Auch nicht zur Transparenz. Im Gegenteil: Ds Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) baut ab.

25 Mal taucht der Begriff »Transparenz« – einzeln oder als Wortverbindung – im Koalitionsvertrag von Union und SPD auf. Im Zusammenhang mit »Nachrichtendiensten« findet man das Wort allerdings gar nicht. Nur wenn man die Passage zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) liest, findet man den Hinweis »auf Reformvorschläge für die Bereiche Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, zur parlamentarischen Kontrolle der Tätigkeit der Nachrichtendienste sowie zur Zukunft der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus«.

Klar, an den Vorschlägen des NSU-Untersuchungsausschusses kann man sich nicht vorbeimogeln. Aber was ist beispielsweise mit dem Bundesnachrichtendienst? Ist alles in Ordnung beim BND? Keineswegs. Es gibt zahlreiche Vorkommnisse, die eine strengere Kontrolle angemessen erscheinen lassen. Jüngstes Beispiel – die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW). Die gehört dem BND und deren Mitarbeiter führten im Durchschnitt der letzten beiden Jahre 500 bis 600 Gespräche mit Flüchtlingen, die hierzulande Schutz suchten. Jedenfalls gab die Regierung so viele Gespräche gegenüber dem Bundestagsinnenexperten der Linksfraktion Jan Korte zu. Sie gestand auch ein, dass man dabei mit »alliierten Partnerdiensten« zusammenarbeitet. Es gebe sogar ein »koordiniertes Befragungssystem«. So können Erkenntnisse und Daten wie Handynummern oder der Aufenthaltsort möglicher Zielpersonen zu US-Geheimdiensten gelangen, die daraus auch Zielkoordinaten für ihre Drohnenangriffe ableiten. Doch: »Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab«, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Allerdings ist man in Sachen HBW zu Reformen bereit. Man will »die Befragungen direkt in den Krisenregionen im Ausland intensivieren«, sagt die noch amtierende Bundesregierung. Das Ziel der »Vorneverteidigung« ist klar: Weniger Kontrolle durch Medien und das Parlament.

Der Bundestag hat zur Kontrolle der Geheimdienste ein Parlamentarischen Kontrollgremium eingesetzt. Je nach Verhältnis zur Regierung versichern dessen Mitglieder, das sei ausreichend oder nicht ausreichend informiert. Im Koalitionsvertrag findet sich kein Wort zum PKGr. Verbal wird – ob NSU und NSA – versichert, dass man die Geheimdienste stärker kontrollieren wolle. Intern sollen sich die Mitglieder des Gremiums – es sind noch die des vergangenen Bundestages – darauf geeinigt haben, dem Ausschuss ein mindestens fünfköpfiges Referat zur Seite zu stellen, dessen Mitglieder die Möglichkeit erhalten, eigenständig beim Verfassungsschutz, dem BND und dem Militärischen Abschirmdienst zu ermitteln.

Künftig wollen die Geheimdienstaufseher – ähnlich wie in Großbritannien und den USA – sogar öffentlich tagen. In Einzelfällen, versteht sich. So hofft man, Untersuchungsausschüsse zu umgehen. So steht das natürlich nicht in dem Antragsentwurf, den der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Oppermann (SPD), Ende vergangener Woche seinen Kollegen zukommen ließ.

»Jede Verbesserung ist zu begrüßen«, sagt Korte gegenüber »nd« und fragt: Warum tagt das PKGr nicht grundsätzlich öffentlich und macht nur bei begründeten Ausnahmen die Tür zu? Entscheidend sei der Wille »zum politischen Richtungswechsel. Nur weniger Geheimdienst bringt mehr Demokratie«.

Mit der Union und dem von ihr gestellten, für die Geheimdienstkoordinierung zuständigen Kanzleramt ist mehr Transparenz nicht zu machen. Wohl aber würde die CDU zustimmen, das bislang elfköpfige PKGr auf neun oder sogar nur sieben Mitglieder zu schrumpfen. Proportional gesehen würde das die Opposition aus Links- und Grünenfraktion stärken. Real wird jedoch nur die Anzahl der zur Verschwiegenheit verpflichteten Mitwissern weiter eingeschränkt. Von Kompetenz gar nicht zu reden.

Die ist auch zweifelhaft im Falle der sogenannten G-10-Kommission. Deren »Experten« werden vom PKGr für die Dauer einer Wahlperiode bestellt. Sie sind unabhängig und sollen die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste durchgeführten sogenannten Beschränkungsmaßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses kontrollieren. Schließlich wird so – ganz legal – der Artikel 10 des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt. Die G-10-Kommission bestätigt auch die Suchbegriffe, nach denen beispielsweise der BND staubsaugerartig die moderne Kommunikation durchsucht. Es sind über 30 500.

Man darf auch dabei Reformbedarf vermuten. Nicht nur, weil das Durchschnittsalter der G-10-Kommissionäre bei 73 Jahren liegt und alle bis auf einen »nur« Juristen sind.

* Aus: neues deutschland, Montag, 2. Dezember 2013


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