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Angeklagt: Zivilcourage

Britische Geheimdienstmitarbeiterin steht vor Gericht. USA-Abhöraktion in UNO aufgedeckt

Der Name Katharine Gun wird den meisten Menschen nichts sagen. Doch ihre größte Leistung kennt trotzdem jeder: die Weitergabe von Informationen an die Öffentlichkeit, wonach die USA bei der Vorbereitung des Irakkriegs im Sicherheitsrat sechs Mitgliedstaaten bespitzelten. Nun steht sie in London vor Gericht.
Im Folgenden eine Bericht von Wolfgang Kuhlmann.



Von Wolfgang Kuhlmann*

Katharine Gun schrieb Geschichte. Die 29 Jahre alte ehemalige Übersetzerin für einen britischen Geheimdienst wird ab kommenden Montag in London vor Gericht stehen – weil sie den Frieden erhalten wollte und deshalb ein Staatsgeheimnis publik machte. Gun wird der Prozeß gemacht, obwohl sie mit ihrer »Straftat« wesentlich dazu beigetragen hat, einen Krieg der UN gegen den Irak zu verhindern. Was friedensbewegte Menschen als Zivilcourage anerkennen, ist für britische Staatsanwälte nur eines: Verrat. Angeklagt wird Gun nach Abschnitt 1 des Official Secrets Act von 1989. Danach wird bestraft, wer unbefugt dienstliche Informationen jedweder Art »an nicht zum Empfang berechtigte Dritte« weiterleitet. Ihr drohen zwei Jahre Gefängnis. Die Verteidigung geht im Gegensatz dazu davon aus, daß Guns Enthüllungen gerechtfertigt, notwendig und sogar geboten waren.

Worum geht es konkret? Im Januar 2003 debattierte der UN-Sicherheitsrat einen Irak-Krieg. Die USA versuchten, das Gremium zu einem Votum für einen Militärschlag gegen den Irak zu gewinnen. Im Februar entdeckte Gun bei ihrer Arbeit eine »Top-Secret-Mail« des hochrangigen US-Geheimdienstlers Frank Kozas (National Security Agency, NSA). Aus der auf den 31. Januar 2003 datierten Mail ging hervor, daß US-Geheimdienste die Delegationen von sechs als »unentschlossen« geltenden Mitgliedern des Sicherheitsrates bespitzelten, um diese zu einer Pro-Krieg-Entscheidung zu »veranlassen«. So wurde der gesamte dienstliche und private E-Mail- und Telefonverkehr der Delegationsmitglieder überwacht. Betroffen waren Angola, Kamerun, Chile, Mexiko, Guinea und Pakistan.

Im März vergangenen Jahres gab Gun die Koza-Mail an die Presse. Der britische Observer berichtete über die brisante Information. Die Veröffentlichung der Mail war »notwendig, um einen illegalen Krieg zu verhindern, der Tausenden von irakischen Zivilisten und britischen Soldaten das Leben kosten oder sie verstümmeln würde«, erklärte Katharine Gun später. Die Massenmedien griffen den Skandal auf; ein Sturm der Entrüstung in den betroffenen Staaten war die Folge. Eine Zustimmung dieser Länder zur Kriegsresolution war politisch nicht mehr durchsetzbar. Die USA mußten den Rückzug antreten.

Schnell wurde Gun als »Leck« entdeckt. Sie wurde verhaftet und gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt. Schließlich folgte die fristlose Entlassung und nun das Gerichtsverfahren.

* Schreiben an Katharine Gun: kthgun@yahoo.co.uk
Musterschreiben sowie weitere Informationen bei FriedensTreiberAgentur http://www.FriedensTreiberAgentur.de


* Der Beitrag von Wolfgang Kuhlmann, Düsseldorf, Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag, wurde am 17. Januar 2004 in der Tageszeitung "junge Welt" veröffentlicht.


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