Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Minister auf Treu und Glauben

Friedrich: US-Geheimdienste halten sich an deutsche Gesetze

Von Uwe Kalbe *

Sieben Vorgänge sind es angeblich, in denen US-Geheimdienste Deutschland mit Informationen Amtshilfe geleistet haben. Das ist Ergebnis der Sitzung des Innenausschusses des Bundestages am Mittwoch in Berlin.

Eine Frage der Ehre: Während die US-Regierung Edward Snowden auffordert, seinen Unterschlupf im Moskauer Transit aus Gründen der Ehre zu verlassen und sich einem Verfahren in den USA zu stellen, müht sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CDU) darum, sein Gesicht zu wahren. Er solle den Mut haben, sich zu stellen, appellierte Washington an den Ex-Geheimdienst-Mann Edward Snowden. Sie sollten mehr Vertrauen in die USA haben, appellierte Friedrich an die Abgeordneten im Bundestagsinnenausschuss. Bei seinen Gesprächen in Washington sei ihm versichert worden, dass deutsche Gesetze von den US-Geheimdiensten beachtet würden, es keine flächendeckende Internetüberwachung und keine Industriespionage gebe, so der Minister.

Die LINKE kann solche Gutgläubigkeit nicht aufbringen. Es sei absurd, die Beschuldigten zu fragen statt den Urheber der Informationen, sagte Frank Tempel, Mitglied im Ausschuss anschließend. Die Bundesregierung habe bisher keine Anstalten zu einem Gespräch mit Snowden gemacht.

Die Rolle des BND sei am Mittwoch ausgespart worden, kritisiert Tempel. Immerhin sprachen – anders als Friedrich – die Geheimdienstchefs Hans-Georg Maaßen und Gerhard Schindler im Ausschuss erstmals über konkrete Beispiele von »Amtshilfe«. In sieben Fällen seien Ermittlungen mit Hilfe von Informationen aus den USA geführt worden, so gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe sowie bei den angeblichen Anschlagsplänen gegen den Berliner Reichstag, über die 2010 berichtet worden war.

Ein Supergrund zur Zusammenarbeit auch mit illegal wirkenden Geheimdiensten, wie Friedrich wohl findet. Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages hatte er am Vortag ein »Supergrundrecht« der Bürger abgeleitet – das Supergrundrecht auf Sicherheit. Schon SPD-Bundesinnenminister Otto Schily hatte einst von einem solchen gesprochen und damit weit reichende Eingriffe in bürgerliche Freiheitsrechte begründet.

Die Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping forderte am Mittwoch die Bundesanwaltschaft dagegen auf, Ermittlungen wegen der Ausspähung durch den US-Geheimdienst aufzunehmen. Millionen Menschen seien womöglich unter Beteiligung eigener Behörden ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung beraubt worden. Wie mittlerweile bekannt geworden ist, hat der Generalbundesanwalt bisher ein sogenanntes Beobachtungsverfahren eingeleitet, Vorstufe zu einem Ermittlungsverfahren.

Für informationelle Selbstbestimmung ist auch Friedrich. Die Bürger sollten sich mit ordentlichen Virenschutzprogrammen ausrüsten, riet der Minister – und rief damit allgemeines Kopfschütteln hervor.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. Juli 2013


NSA griff nach Microsofts Cloud

Outlook und Skype-Telefonate überwacht / Yahoo erstritt Offenlegung von Daten

Von John Dyer, Boston **


Microsoft und Yahoo wehren sich gegen Vorwürfe, ihre Kunden von der US-Regierung ausspähen zu lassen. Microsofts Dementi zum Telefonieprogramm Skype führt zu neuen Spekulationen, Yahoo gelingt ein Erfolg.

Die Kritik an dem Überwachungsprogramm der USA nimmt zu. Technologiekonzerne wie Microsoft und Yahoo fordern die Regierung auf, Informationen über die Überwachung des Internets offen zu legen. Bürgerrechtsgruppen gehen vor Gericht gegen die Abhörmaßnahmen vor.

Am Dienstag veröffentlichte Microsofts Anwalt Brad Smith einen Brief an Generalstaatsanwalt Eric Holder. Damit reagierte er auf jüngste Berichte im britischen »Guardian«, nach denen dem Geheimdienst National Security Agency (NSA) Zugriff auf mehrere Dienste von Microsoft gewährt worden sei. Dazu gehören das Kommunikationssystem Skype, das E-Mail-Programm Outlook und das Cloud-Angebot SkyDrive.

Der »Guardian« und die »Washington Post« hatten berichtet, die NSA habe mit ihrem Programm PRISM seit Jahren Daten aus dem Internet gesammelt, um damit den Terrorismus zu bekämpfen. Zudem hieß es, die NSA würde nahezu jedes Telefonat innerhalb der USA registrieren. »Die Verfassung selbst ist in Mitleidenschaft gezogen worden«, schrieb Smith an Holder. »Es bedarf des persönlichen Einsatzes des Präsidenten oder des Ihrigen, um das wieder in Ordnung zu bringen.«

Microsoft wies zudem Beschuldigungen zurück, nach denen der NSA Zugang zu unverschlüsselten Daten gegeben wurde. Es sei denn, Gesetzeshüter hätten entsprechende Vollmachten vorgelegt. »Wir geben keiner Regierung Zugang zu E-Mails oder Nachrichten. Mehr ist dazu nicht zu sagen«, schrieb Smith. Der »Guardian« hatte berichtet, Microsoft habe die Struktur seines Skype-Angebotes so verändert, dass die Regierung Zugriff darauf nehmen könne. Über Jahre hatte Microsoft behauptet, Skype sei abhörsicher. Experten haben daran schon lange Zweifel geäußert.

Smith hatte in seinem Brief geschrieben, dass alle Telefonate, ob über das Festnetz, mobile Geräte oder das Internet von der Regierung im Hinblick auf die Privatsphäre gleich behandelt würden. Kritiker hatten darin ein Eingeständnis gesehen, dass auch Skype-Telefonate abgehört werden. Datenschutz-Forscher Ashkan Soltani sagte: »Solange sie uns nichts sagen dürfen, machen sie klar, dass Skype nicht anders ist. Das sagt doch alles.«

Vergangene Woche hatte Microsoft bei dem geheimen Gericht, das die Abhörmaßnahmen überwacht, angefragt, ob die offiziellen Anfragen nach Daten veröffentlicht werden dürfen. Die Antwort steht noch aus. Yahoo hingegen hat seine Antwort bereits erhalten. Das geheime Gericht ordnete an, dass die Regierung Anfragen an das Technologieunternehmen offen legen muss. Regierungsmitarbeiter gaben an, dem nachzukommen. Sie bräuchten aber Zeit, um die Informationen zu zensieren, welche die nationale Sicherheit betreffen. »Wenn diese Informationen erst einmal öffentlich sind, werden sie einen wertvollen Beitrag zur öffentlichen Debatte beitragen«, hieß es dazu in einer Erklärung von Yahoo.

Patrick Toomey von der Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union sieht das genauso. »Erst wenn wir wissen, welche Rechte die Regierung da wirklich hat, können wir uns mit der Gesetzgebung auseinander setzen.«

Währenddessen gehen 19 Organisationen vor Gericht gegen die Abhörmaßnahmen vor. Darunter christliche wie islamische Verbände und auch Greenpeace. Shahid Buttar vom Bill of Rights Defense Committee sagte, die Überwachung an sich, »ist ein Angriff«.

Doch dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen und bis zur obersten Instanz reichen. Insbesondere angesichts der vehementen Reaktionen von Präsident Obama und anderen Offiziellen, mit denen sie das Überwachungsprogramm verteidigten.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. Juli 2013


Nur Mut!

Von Klaus Joachim Herrmann ***

Der abtrünnige Geheimdienstler Edward Snowden solle den Mut beweisen, sich in den USA den Anschuldigungen zu stellen, sagt das offizielle Washington. Schon solches Ansinnen scheint von Edelmut und Anstand zu zeugen. »Wenn du das schon machst, dann steh' auch dazu«, wäre die Übersetzung für den Alltagsgebrauch. Das wiese Edward Snowden gleich noch die Schuld und mit ihr die Pflicht zur Sühne zu. Doch muss es um die Täter, nicht den Überbringer der Botschaft gehen.

Das nun offenbarte Geheimnis hätten dessen Hüter am besten für alle Ewigkeit gewahrt gesehen. Es war ja das Geheimnis, dass alles und jeder bespitzelt wird. Sei das nun Recht oder Unrecht, sei es Freund oder Feind, sei es jedermann. Gar zu gern blieben die »Dienste« ewig heimlicher Gast überall und Mitwisser von allem. »1984« war eine düstere Vision, sie haben die Welt längst in eine viel erschreckendere Wirklichkeit versetzt. Snowden machte das Unheil öffentlich und warnte die Welt. Er hat mehr als genug Mut bewiesen.

Niemand hat bisher ernstlich behauptet, der »Whistleblower« künde die Unwahrheit. Dann aber wäre es noch mehr als angebracht, den gnadenlos Bespitzelten Aufklärung zuteil werden zu lassen. Welches Grundrecht wurde gebrochen, welches Recht gebeugt? Wer hat dies getan, zugelassen, verantwortet – oder einfach nur schmarotzt? Warum wird der Datenklau nicht sofort gestoppt, die Beute gelöscht? Überfällig ist, dass sich die Verantwortlichen zu ihren Taten bekennen. Nur Mut!

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. Juli 2013 (Kommentar)


Bürgerrechtler klagen gegen Geheimdienst

Anwalt: Snowden könnte auch Russe werden ****

Eine Koalition aus 19 Bürgerrechtsgruppen hat den US-Geheimdienst NSA wegen seiner Überwachung von Internet- und Telefondaten verklagt. Die Electronic Frontier Foundation, die sich für digitale Bürgerrechte einsetzt, reichte die Klage vor einem Bundesgericht in Kalifornien ein. Dort wird der National Security Agency zur Last gelegt, mit ihrem Spähprogramm »Prism« Verfassungsrechte der US-Bürger verletzt zu haben.

Washington forderte den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden zur Rückkehr auf. »Er sollte nach Hause kommen und den Mut haben, den kriminellen Anschuldigungen gegenüberzutreten«, sagte Außenamtssprecher Patrick Ventrell. Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, betonte, Washington sei weiterhin in Kontakt mit Moskau wegen Snowden. Es gebe hinreichende Gründe, ihn auszuliefern. Washington hoffe, dass der Fall nicht zu einer Verschlechterung der Beziehungen zu Russland führe. Es gebe derzeit aber keine Überlegungen, die Reisepläne von Präsident Barack Obama zu ändern. Obama will Anfang September nach Moskau und zum G20-Gipfel nach St. Petersburg reisen.

Snowdens Antrag auf vorläufiges Asyl sei bei der russischen Migrationsbehörde eingegangen, wie deren Chef Konstantin Romodanowski in Moskau mitteilte. Der Antrag werde im Lauf von maximal drei Monaten bearbeitet. Russlands Präsident Wladimir Putin sei informiert, sagte dessen Sprecher Dmitri Peskow. Die Entscheidung darüber, ob der USA-Bürger als politischer Flüchtling anerkannt werde, treffe aber allein die Migrationsbehörde – »und nicht einmal auf Direktorenebene«.

Snowden könnte laut dem Anwalt Anatoli Kutscherena, der ihn berät, die russische Staatsbürgerschaft beantragen: »Er hat diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen.«

**** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. Juli 2013


Bund lauscht stereo

Regierungssprecher weiß auf einmal: Es gibt zwei "Prism"-Überwachungsprogramme. Snowden will Moskauer Flughafen verlassen

Von Arnold Schölzel *****


Neben dem Spähprogramm »Prism« des US-Geheimdienstes NSA gibt es eine zweite staatliche Diebstahlsoftware mit demselben Namen. Sie soll im Kommando­bereich der Bundeswehr in Afghanistan zur Überwachung eingesetzt worden sein.

Bild berichtete am Mittwoch zunächst, »Prism« sei auch in Afghanistan zum Einsatz gekommen. Ein geheimes NATO-Dokument, das von dem Blatt im Faksimile veröffentlicht wurde, deute darauf hin, daß das dortige Bundeswehrkommando im September 2011 über die Existenz des Programms informiert worden sei. Aus dem Papier gehe auch hervor, daß es sich um eine Software zur Erfassung und Überwachung von Daten handele. Regierungssprecher Steffen Seibert, der bisher wenig zu »Prism« wußte, konnte am selben Tag auf einmal von BND-Erkenntnissen berichten, wonach es sich um »nicht identische« Programme handele. Das in Afghanistan verwendete System werde nicht von den USA, sondern von der NATO-Besatzungstruppe ISAF betrieben. Auch der BND, bisher zu diesem Thema stumm, ging an die Öffentlichkeit. Er betonte, das ISAF-Programm sei nicht als geheim eingestuft. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), war noch besser informiert und verkündete, es gehe bei diesem zweiten »Prism« offenbar um Radaraufklärung und Luftüberwachung. Der Sprecher des Verteidigungsressorts, Stefan Paris, blieb bei der gewohnten Linie: Sein Ministerium habe nichts gewußt. Die NATO-Information sei innerhalb des Einsatzraums Afghanistan geblieben.

Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour bezeichnete die Aussagen der Regierung als unglaubwürdig. »Die Bundesregierung hat bisher behauptet, nichts vom »Prism«-Programm zu wissen«, sagte er Reuters. »Woher kann sie dann wissen, daß die beiden Programme nichts miteinander zu tun haben?« Es sei »absurd anzunehmen, daß Hunderte von Bundeswehrangehörigen über »Prism« Bescheid wußten, aber im Kanzleramt hatte keiner eine Ahnung.« Der Linke-Abgeordnete Jan Korte meinte: »Von Tag zu Tag wird deutlicher, daß die Bundesregierung die Öffentlichkeit seit Wochen an der Nase herumführt.«

Der Urheber des Wirbels, der Exgeheimdienstler Edward Snowden, richtet sich inzwischen offenbar auf einen längeren Aufenthalt in Rußland ein und denkt sogar über seine Einbürgerung nach. Sein Anwalt Anatoli Kutscherena erklärte dies jedenfalls am Mittwoch. Der 30jährige hatte am Dienstag vorläufiges Asyl beantragt. Kutschera erklärte, sein Mandant halte es wegen der US-Bemühungen um seine Auslieferung für unsicher, nach Lateinamerika zu reisen.

Moralische Unterstützung erhielt Snowden am Dienstag abend (Ortszeit) vom früheren US-Präsidenten Jimmy Carter. Der Friedensnobelpreisträger sagte laut dpa bei einer Veranstaltung des Politiknetzwerks »Atlantik-Brücke« in Atlanta/US-Bundesstaat Georgia: »Amerika hat derzeit keine funktionierende Demokratie«. Die Enthüllungen Snowdens seien »wahrscheinlich nützlich«. Der ehemalige republikanische US-Senator Gordon Humphrey wandte sich laut Guardian in einer E-Mail an Snowden und lobte: »Sie haben das Richtige getan«, vorausgesetzt, er habe dadurch keine Agenten in Gefahr gebracht.

Über die sogenannte Information des Bundestagsinnenausschusses, der am Mittwoch in einer Sondersitzung Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hörte, berichteten die Nachrichtenagenturen bis jW-Redaktionsschluß nichts.

***** Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. Juli 2013


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