Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lieber Depp als informiert

Bundesregierung stellt sich blind: Millionenfache NSA-Daten-Spionage ist durch US-Gesetze gedeckt

Von René Heilig *

Putin-Gegner Chodorkowski bekam ein deutsches Visum. Nun solle man auch NSA-Whistleblower Snowden aufnehmen, fordert nun die Linkspartei.

Die Bundesregierung habe »unmittelbar nach den ersten Medienberichten« zum NSA-Spionageskandal – das war im Juni – »mit ihrer Sachverhaltsaufklärung begonnen und führt diesen Prozess angesichts weiterer neuer Veröffentlichungen ... intensiv fort«, ließ das Innenministerium den Vizechef der Linksfraktion Jan Korte wissen. Der hatte bezweifelt, dass man dabei mit dem gebührenden Ernst zu Werke geht.

Die »Aufklärer« wollten das nicht auf sich sitzen lassen und betonten, dass man wesentlich auf den Austausch mit ausländischen Partnern angewiesen sei. Dummerweise habe die US-Regierung zu bestimmten Aspekten – insbesondere zu konkreten Programmen und Maßnahmen der amerikanischen Nachrichtendienste – »bislang nicht oder nicht abschließend Stellung genommen«.

Sicher ist sich die Regierung aber in einer Frage: Alles, was die NSA unternahm, beruhe »auf einschlägigen Grundlagen des US-Rechts«. Zudem finde das Datensammeln nach Ansicht der Bundesregierung »lediglich zu Zwecken der Bekämpfung des Terrorismus, der Proliferation und der organisierten Kriminalität« statt. Es finde nicht »wie verschiedentlich berichtet, flächendeckend und anlasslos statt«.

Die Antwort empört den LINKE-Innenexperten, denn sie mache erstens deutlich, dass die deutsche Regierung, deren Chefin sogar von der NSA abgehört worden ist, »nichts, aber auch gar nichts selbst ermittelt«. Mehr noch: Während ein US-Bundesgericht die millionenfache NSA-Datenüberwachung in den USA als verfassungswidrig bezeichnet, weil sie gegen den Schutz vor unbegründeten Durchsuchungen verstoße, erlaube sich die deutsche Regierung »den unverschämten Dreh, mit angeblichem US-Recht zu wedeln, wenn es um die Grundrechte deutscher und europäischer Bürgerinnen und Bürger geht«.

Nun wird die Regierung ja vom Parlament kontrolliert. Für Geheimdienstdinge zuständig ist das Parlamentarische Kontrollgremium. Laut aktuellem Arbeitsbericht kam die geheime Runde zwischen November 2011 und Oktober 2013 insgesamt 31 Mal zusammen. Man ließ sich über Ermittlungen zum NSU-Terror informieren, traf sich zur Klausur beim BND in Pullach und besichtigte den Neubau des Auslandsgeheimdienstes in Berlin.

Unter Punkt 15 des aktuellen Gremiumsbericht werden »Überwachungssysteme ausländischer Nachrichtendienste« angesprochen. Die parlamentarischen Kontrolleure notieren da lediglich, dass die Bundesregierung »mit weiteren Informationen der US-Dienste« rechnet, und bitten um Prüfung, ob eine Vernehmung Snowdens in Moskau möglich sei. Weil er – außer bei dem Grünen Christian Ströbele und der Linkspartei – nicht willkommen scheint in Deutschland, schaut sich Snowden nach anderen Gastgebern um. Er sagte am Sonntag: »Wenn die brasilianische Regierung die Menschenrechte verteidigen will, wäre es mir eine Ehre, daran mitzuwirken.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Dezember 2013


Kein Schneid

Uwe Kalbe über die Maßstäbe der deutschen Politik gegenüber Dissidenten **

Man könne Michail Chodorkowski und Edward Snowden nicht vergleichen, ist zu hören. Damit erübrigt sich quasi die Frage, ob nicht dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter ebenso wie dem früheren russischen Ölmagnaten ein gefahrloser Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werden solle. Klar gibt es Unterschiede. Chodorkowski hat nichts getan, was einen besonderen Schutz Deutschlands, eine Bevorzugung durch die deutsche Politik rechtfertigen würde. Anders als Snowden.

Trotzdem ist die Aufnahme Chodorkowskis – auch unter Hinweis auf seine Gefährdung in Russland – politisch gewollt. Und das hat mit einem weiteren, dem eigentlich wichtigen Unterschied zu Snowden zu tun. Chodorkowski ist als Gegner Putins willkommen und gern auch instrumentalisiert worden. Obwohl man sich damit einer zweifelhaften politischen Figur bedient. Snowden hingegen hat in Moskau Schutz gefunden, ist als Gegner Putins also untauglich. Geradezu bekümmert klingen jetzt die Berichte über die Zurückhaltung Chodorkowskis, der es im Moment vorzieht, das Duell mit Putin zu meiden. Schon werden ihm die Pussy-Riot-Frauen vorgehalten, deren Schneid, weiter eine Lippe zu riskieren. Ein Schneid übrigens, den Deutschland nicht aufbringt, um Snowden gegen Obama zu verteidigen. Aber das darf man wohl wieder nicht vergleichen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Dezember 2013 (Kommentar)


Zurück zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage