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Vom Camp Nikolaus nach Berlin

Geheimdienst BND verlässt das bayerische Pullach

Von Gerhard Piper*

Mit der Verlegung der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin übersiedelte ein Ministerium nach dem anderen an die Spree. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist erst teilweise in Berlin präsent. Am 10. April 2003 beschloß das Sicherheitskabinett unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, daß auch dessen Geheimdienstzentrale vom bayerischen Pullach ins preußische Berlin verlegt werden soll. International ist es üblich, daß der nationale Nachrichtendienst seinen Sitz zumindest in der Nähe der Landeshauptstadt (Washington, London, Moskau) hat. In der deutschen Öffentlichkeit werden die Pläne zur Verlegung des Geheimdienstes bisher ignoriert.

Kundenorientierte Zusammenarbeit und Kontrolle

Auf den ersten Blick ist nur entscheidend, was ein Geheimdienst tut; die Frage, wo sich sein Hauptquartier befindet, mag vergleichsweise unbedeutend erscheinen. Dennoch gab seit 1947 die räumliche Trennung zwischen dem Regierungsviertel in Bonn und der Geheimdienstzentrale in Bayern immer wieder Stoff für kontroverse Diskussionen. Die Einen lobten die Abgeschiedenheit von Pullach, um in aller Stille den Spionageaktivitäten nachgehen zu können. Andere beklagten, daß der Dienst näher an der Regierung dran sein müsse. Der amtierende BND-Präsident August Hanning nannte die geographische Distanz einen "Geburtsfehler". (1) Bundeskanzler Gerhard Schröder begründete schon kurz nach seinem Amtsantritt am 17. Dezember 1998, warum er einen Umzug des BND nach Berlin für notwendig erachtete: "Die Krisenberichterstattung wird und muß zu seinem täglichen Geschäft werden. Im Gegensatz zu früheren Zeiten - als es sehr stark auf langfristige strategische Aspekte ankam - ist dazu eine schnelle Reaktion auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen unabdingbar. Je früher die Bundesregierung Bescheid weiß, umso größer ist ihr Entscheidungs- und Handlungsspielraum. Mit Blick auf die geforderte Schnelligkeit der Berichterstattung, die rasch wechselnden Auftragslagen und die dazu erforderliche intensive Abstimmung mit dem BND wird es wichtig sein, daß der BND mit einer deutlich stärkeren Kopfstelle als bisher am Regierungssitz - und das ist bald Berlin - vertreten ist. Die große räumliche Distanz zwischen dem BND und dem bisherigen Regierungssitz Bonn wird in diesen schnellebigen Zeiten mehr und mehr zum Nachteil - sowohl für den Auftraggeber als auch für den Bundesnachrichtendienst." (2)

Der BND berichtet der Bundesregierung täglich durch nachrichtendienstliche Einzelmeldungen, Aufzeichnungen und Lagekurzorientierungen. Außerdem fliegt der BND-Präsident jeden Dienstag im eigenen Jet nach Berlin zur sog. Kanzlerlage. Dabei treffen sich die Spitzenbeamten aus dem Bundeskanzleramt mit verschiedenen Staatssekretären (Innenministerium, Verteidigungsministerium, Auswärtiges Amt) und den Präsidenten der deutschen Nachrichtendienste, um über die aktuelle Sicherheitslage zu debattieren. (3) Mit dem Umzug der Zentrale nach Berlin werden die Kontakte zwischen Bundesregierung und ihrem Auslandsnachrichtendienst zahlreicher, breiter und informeller. Damit könnte der BND an politischem Einfluß auf die Regierungsentscheidungen gewinnen. So verspricht sich BND-Vizepräsident Rudolf Adam vom Umzug eine Verbesserung der "kundenorientierten Zusammenarbeit", und der Vorsitzende des "Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland", Wolbert Smidt, ergänzt: "Durch die größere Nähe zur Bundesregierung wird die Effizienz steigen, auch das Vertrauen wird zunehmen. Wenn man sich persönlich kennt, läuft alles besser. In der Vergangenheit waren wir zu sehr die Schmuddelkinder." Schon im Strategischen Konzept der NATO-Strategie vom 23. April 1999 wurde auf den gesteigerten Erkenntnisbedarf, zugleich aber auf die Probleme der Informationsbeschaffung verwiesen: "Die Sicherheit des Bündnisses bleibt einem breitem Spektrum militärischer und nichtmilitärischer Risiken unterworfen, die aus vielen Richtungen kommen und oft schwer vorherzusagen sind." Man denke hier nur an die US-Geheimdienstpanne vom 11. September. So ist es zweifelhaft, ob der Auslandsgeheimdienst die Erwartungen der Politiker nach Informationen über Krisengebiete überhaupt erfüllen kann. Schließlich besitzt der BND am Hindukusch weder ein traditionelles Agentennetz, noch verfügt er über Aufklärungs- und Abhörsatelliten, die dieses Manko ausgleichen könnten. Stattdessen ist der BND auf die Zusammenarbeit mit den "Partnerdiensten" aus diktatorischen Staaten angewiesen. Weil die Bundeswehr mit den BND-Aufklärungsergebnissen nicht zufrieden war, gründete sie einen eigenen Auslandsspionagedienst, das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) in Grafschaft-Gelsdorf. So kann nun die Militärführung direkter auf die Spionageaktivitäten Einfluß ausüben; die Aufklärungsmöglichkeiten haben sich aber dadurch auch nicht nennenswert erweitert. (4)

Ob mit dem verbesserten Informationsfluß auch eine Verbesserung der Geheimdienstinformationen einhergeht, darf daher bezweifelt werden. Schon in den siebziger Jahren beklagte sich der damalige Regierungschef Helmut Schmidt darüber, daß ihm der BND oftmals lediglich das berichtete, was der Kanzler schon durch Lektüre der Tageszeitungen erfahren hatte. Droht hier der "Pisa-Effekt" in der Lageanalyse? Überraschender Weise ficht den BND diese vernichtende Kritik nicht an. In einem BND-internen Aufsatz über Qualitätsmanagement heißt es selbstgefällig: "Es kommt nicht darauf an, wie gut die Leistung ist, entscheidend ist, für wie gut man von den Kunden eingeschätzt wird." (5) Eine schlechte Qualität der Aufklärungsberichte muß sich aber besonders dann negativ auswirken, wenn der Einfluß des Geheimdienstes auf die Lagebeurteilung und Entscheidungsfindung der Bundesregierung zukünftig zunehmen wird. Dies gilt um so mehr, als der BND schon allein auf Grund seiner Finanzmittel, seines Personalumfangs und seiner besonderen Möglichkeiten zur Nachrichtenbeschaffung immer noch ein Informationsmonopol und damit eine exklusive Position in der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik hat.

Dieses Risiko wird noch dadurch gesteigert, daß dem Geheimdienst ein besonderer Geheimschutz gewährt wird. So beschränkt sich die gesamte parlamentarische Kontrolle seiner Aktivitäten auf die lediglich neun Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) unter Vorsitz des Abgeordneten Volker Neumann (SPD). Nicht zuletzt darf man übersehen, daß es zu den Aufgaben eines jeden Auslandsnachrichtendienstes gehört, die Entscheidungen anderer Regierungen auszukundschaften und günstig zu beeinflussen. Wer soll die BNDler darin hindern, ihre diesbezüglichen Sachkenntnisse und Methoden auch im Inland gegen den eigenen Staatsapparat einzusetzen? Neben seiner offiziellen Berichterstattungspflicht gegenüber den staatlichen Bedarfsträgern (Bundeskanzleramt, Verteidigungsministerium und Außenministerium) hat der BND - zumindest in der Vergangenheit - ausgewählte Politiker mit Geheiminformationen gefüttert, während andere Volksvertreter leer ausgingen, das nannte man "Strategische Aufklärung". Schon diese gezielte Selektion diente der politischen Einflußnahme. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß Bundespräsident Johannes Rau in letzter Zeit wiederholt die Tendenz beklagte, daß politische Entscheidungsfindungsprozesse aus den zuständigen Organen herausgelöst und irgendwelchen Kommissionen und Vermittlungsausschüssen übertragen werden: "Wo es an Transparenz und damit an Einsicht mangelt, da kann auch kein Vertrauen entstehen. (..) Die Politik darf nicht aus den Parlamenten auswandern. Expertenrunden können die Arbeit der Parlamente sinnvoll unterstützen - sie dürfen sie jedoch nicht ersetzen, denn ihnen fehlt die demokratische Legitimation." (6)

Auch eine indirekte Kontrolle durch eine kritische Presse existiert kaum, da der BND über seine Verflechtungen mit den Presseorganen die Berichterstattung über sich im Rahmen des sog. "positiven Verfassungsschutzes" mitbestimmen kann. Gerade weil der BND mit seinen weitreichenden Aktivitäten einer öffentlichen Kontrolle entzogen ist, muß er umso strenger an die Bundesregierung angebunden werden. So verspricht sich die Bundesregierung von der Verlegung der Auswertungsabteilung nach Berlin verstärkten Einfluß auf die politischen Zielsetzungen und Kriterien der Geheimdienstarbeit. Aber für den Geheimdienst bedeutet die zunehmende Nähe ein größeres Risiko: In Zukunft könnte die Bundesregierung eher geneigt sein, den BND zum Sündenbock für ihre eigene Politikfehler zu machen, wie dies beispielsweise bei der Rabta-Affäre um die Lieferung einer Chemiewaffenfabrik nach Libyen der Fall war.

Geheimhaltung statt Transparenz?

So wie der Teufel das Weihwasser fürchtet, schließen sich Transparenz und Geheimhaltung aus. Dennoch versprach der neue BND-Präsident August Hanning bei seiner Antrittsrede am 17. Dezember 1998, er wolle für mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit sorgen. Von diesem Versprechen ist in den letzten fünf Jahren wenig übriggeblieben. Noch nicht einmal zur Aufklärung der DDR-Vergangenheit konnte oder wollte der Dienst in den letzten Jahren etwas beitragen. Lediglich eine eigene Website (www.bundesnachrichtendienst.de) wurde eingerichtet. Im nächsten Jahr wird der BND in seinem Berliner Besucherzentrum einen "BND-Shop" eröffnen, indem es allerlei Geheimdienstkitsch zu kaufen gibt: Ein BND-Kochbuch mit dem Titel "Top(f) Secret" bietet "Speisen, Spannung und Spione". Auch Herrenunterhosen mit dem Aufdruck "Verschlusssache" oder "Nur für den Dienstgebrauch" sind im Angebot. Eine BND-Sprecherin behauptete dazu: "Viele Menschen, die zu uns kommen (sic!), möchten etwas vom BND mitnehmen." Aus der Offerte des Dienstes für größere Offenheit wurde so eine zweifelhafte Kampagne zur Imagepflege. Dennoch behauptet ex-Agent Wolbert Smidt: "Es hat ein Stimmungsumschwung stattgefunden. Manche sagen, der BND ist in Deutschland richtig populär geworden."

Außerdem hatte der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, im Mai 2001 angekündigt, der BND müsse durch seinen Umzug nach Berlin ein "integraler Bestandteil einer aufwachsenden sicherheitspolitischen Community am Regierungssitz werden". (7) Diese "Community" besteht aus wenigen politikwissenschaftlichen "Thinktanks", in denen viel gedacht und manchmal zu wenig nachgedacht wird: Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Friedrich-Ebert-Stiftung etc. Statt "Aufwachsen" ist angesichts knapper Kassen bestenfalls Besitzstandswahrung angesagt. Außerdem ist eine "Integration" zwischen einem Geheimdienst und Forschungsinstituten, die an wissenschaftlichen Publikationen interessiert sind, nur begrenzt vorstellbar. Dies schließt nicht aus, daß der BND-Präsident und seine Mitarbeiter bei (nicht-)öffentlichen Sicherheitskonferenzen zu den attraktiven Gästen gehören. In früheren Zeiten tauchten auf solchen Sicherheitskonferenzen Mitarbeiter eines ominösen "Amtes für Fernmeldestatistik" aus; heute geben sich die BNDler offen als Geheimdienstmitarbeiter zu erkennen, verteilen freundlich ihre Visitenkarten und melden sich sogar manchmal zu Wort, ohne natürlich als zu sehr ins Detail gehen zu können - man versteht. Die Geheimdienstler selbst gefallen sich in ihrer Rolle, zu den Trägern und Bewahrern der schwindenden außenpolitischen Szene zu gehören. "Ausgerechnet unter Rot-Grün schwimmt der BND im politischen Berlin wie das Fettauge auf der Suppe," hieß es dazu in einem Presseartikel. Nur wenn nachfragt wird, ob der Name auf der Visitenkarte der "echte" Name ist oder nur ein Deckname, können die Agenten grantig werden. Ansonsten treten die Geheimdienstler im Gegensatz zu einigen Bundeswehroffizieren immer dezent auf, während die Militärs die Vertraulichkeit solcher Sicherheitskonferenzen manchmal für schrecklich militaristische Vorträge mißbrauchen, ohne daß je ein Wort darüber nach draußen dringen und den Alltagstrott der Zivilisten stören würde.

Vom Camp Nikolaus nach Berlin

Der Bundesnachrichtendienst wurde ursprünglich im Juni 1946 von der US-Regierung unter der Bezeichnung "Organisation Gehlen" gegründet. Seine Agenten rekrutierten sich aus dem Geheimdienstpersonal des Dritten Reiches, dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter der Leitung von SS-Reichsführer Heinrich Himmler und der kleinen Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) der Wehrmacht unter der Führung von Reinhard Gehlen. Erst am 1. April 1956 wurde der Geheimdienst in Bundesnachrichtendienst umbenannt und der deutschen Regierung offiziell unterstellt. Seine Zentrale befindet sich in Pullach bei München. In die frühere Rudolf-Heß-Siedlung, die 1936 für die Angehörigen des Stabes des Führerstellvertreters errichtet worden war, zog am 6. Dezember 1947 der BND ein. Fortan hieß das Hauptquartier "Camp Nikolaus". Das BND-Gelände an der Heilmannstraße 30 hat eine Fläche von 650.000 qm und beherbergt heute 60 Gebäude. Zur Zeit arbeiten beim BND offiziell rund 5.800 hauptamtliche Mitarbeiter, von denen 3.000 bis 3.500 im Hauptquartier in Pullach arbeiten. Hinzu kommen die Spione, die der Dienst im Ausland angeworben hat. Der BND ist dem Bundeskanzleramt zugeordnet und wird aus dessen Etat finanziert. Der BND-Haushalt soll bei 500 Millionen Euro liegen.

Bereits seit 1945 ist die Organisation Gehlen bzw. der BND in Berlin, der alten Frontstadt im Kalten Krieg, präsent, zumal die DDR das Hauptbetätigungsfeld des westdeutschen Geheimdienstes war. (8) Mit der Standortwahl für sein zukünftiges Hauptquartier läßt sich der BND allerdings viel Zeit, sodaß der Umzug nach Berlin in drei Etappen erfolgt. Zunächst eröffnete der BND zwischen 1999 und 2001 eine sog. "Kopfstelle" in der Neumannsgasse 2. In dem Gebäude war früher der Bereich "Kommerzielle Koordinierung" (KoKo) des Ministeriums für Staatssicherheit unter Leitung von Alexander Schalck-Golodkowski untergebracht. Durch eine Fußgängerbrücke ist der Komplex mit dem einstigen DDR-Staatsratsgebäude verbunden, in dem Erich Honecker und zeitweise auch Bundeskanzler Gerhard Schröder residierten. Hier arbeiten rund 200 BNDler.

Dann wurde in einem zweiten Schritt die Abteilung 3 Auswertung mit ihren 800 bis 1.000 Mitarbeitern nach Berlin-Lichterfelde verlegt: "Die Abteilung 3 bildet den Start- und Endpunkt der gesamten nachrichtendienstlichen Arbeitskette im Bundesnachrichtendienst. Sie dient als Drehscheibe für Auftragseingang und - erfüllung," heißt es in einer Selbstdarstellung. Ihr neuer Standort wurde die kaiserliche Infanterie-Kaserne im Gardeschützenweg 70-101 mit einem Haupteingang von der Viktoriastraße aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Gelände der US Army als Roosevelt Barracks. (9) Deren 16 Altbauten -zwölf davon hat der BND bezogen - wurden in den letzten Jahren für 15 Millionen Euro durch das Bauunternehmen Heinemann & Busse saniert und ein Neubau für das Berliner Lage- und Informationszentrum (LIZ) mit seinen rund 110 Mitarbeitern errichtet. In kommenden Jahr soll auf dem Gelände ein Besucherzentrum eröffnet werden. Obwohl der BND die sanierte Kaserne in Lichterfelde gerade erst bezogen hat, gibt es bereits jetzt Zweifel, ob der Geheimdienst dort auf Dauer stationiert bleibt.

Wenn der BND in einem dritten Umzugsschritt seine Zentrale nach Berlin verlegt, ist es möglich, daß dann die Auswertungsabteilung ins zukünftige Hauptquartier umzieht, um alle für die Auslandsaufklärung tätigen BND-Kräfte an einem Standort zu vereinen. Nach dem Beschluß der Bundesregierung vom 10. April 2003 zur kompletten Verlegung des BND hatte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) geheime Verhandlungen mit dem BND über die Standortwahl geführt. Ausgewählt wurde das Sportgelände südlich der Chausseestraße in Ostberlin, wo 1992 das Stadion der Weltjugend abgerissen wurde. Eigentümer des Geländes (132.000 qm) ist das Land Berlin, aber noch wird das Gebiet von mehreren Sportunternehmen genutzt, deren Pachtverträge erst 2006 ablaufen. Erst dann könnte mit dem Neubau begonnen werden. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis der sog. "Gesamtumzug" abgeschlossen ist.

Proteste innerhalb und außerhalb des BND

Innerhalb des Bundesnachrichtendienstes regt sich Protest: Rund ein Drittel der betroffenen BNDler sollen den Umzug nach Berlin ablehnen. Diese müßten ihre privaten Villen im Raum Pullach veräußern. Da ein plötzliches Überangebot an Immobilien die Nachfrage bei weitem überstiege, wäre mit einem Verfall der Immobilienpreise zu rechnen. Ex-Agent Smidt befürchtet daher einen Personalverlust durch umzugsbedingte Kündigungen, der durch Neueinstellungen kompensiert werden müsse. Diese Befürchtung scheint unbegründet, denn beim bisherigen Teilumzug von 1.000 Agenten nach Berlin ist es - soweit bekannt - nicht zu einem nennenswerten Personalausfall gekommen. Unklar ist, in welchem Umfang die Bundesregierung ihren BND-Beamten den Umzug nach Berlin finanziell "versüßen" will. In diesem Zusammenhang taxierte der BND-Personalrat die Umzugskosten auf mindestens 1 Milliarde Euro.

Weil der geplante BND-Umzug von der Öffentlichkeit bisher kaum zur Kenntnis genommen wurde, gab es außerhalb des BND lediglich vereinzelt kommunalpolitischen Protest. In Bayern nannte der Bundestagsabgeordnete Herbert Frankenhauser (CSU) die Verlegungspläne eine "unnötige und unverständliche Maßnahme der Bundesregierung". Insgesamt gehen der bayerischen Region rund 4.000 Arbeitsplätze verloren, darunter 200 in Pullach selbst. Betroffen sind Wachpersonal, Reinigungskräfte, Küchenpersonal, Gärtner etc. Aus denselben Gründen, aus denen die Bayern einen Weggang des BND ablehnen, "begrüßt" der rot-rote Senat aus SPD und PDS in Berlin den geplanten Zuzug der BND-Zentrale. Nicht am Umzug, sondern nur an der Standortwahl wurde Kritik geübt: Der Berliner CDU-Landesvorsitzende und Bezirksbürgermeister Joachim Zeller bedauerte, daß das ausgewählte Baugelände zukünftig der kommunalen Nutzung entzogen und stattdessen ein Hochsicherheitstrakt mit Sichtblenden errichtet werde. Gegen die Angst vor einem übersteigerten Sicherheitsgebaren erklärte der BND, niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten. Kritik kam auch von kleineren Stadtteilinitiativen: der Bürgerinitiative gegen die Straßenverbindung Westtangente, dem Landesverband Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe sowie vom Landessportbund.

Hätten die Umzugpläne vor Jahren noch eine außerparlamentarische Opposition auf den Plan gerufen, hält sich heute der Protest in Grenzen. Hatten die Grünen als Oppositionspartei 1996 noch die völlige Abschaffung des BND gefordert, möchten sie jetzt den Dienst lediglich an den Stadtrand verbannen. Ihre Abgeordnete Claudia Hämmerling schlug als Ausweichstandort eine frühere Polizeikaserne in Ahrensfelde vor. In den letzten Jahren waren schon mehrere Standorte für eine mögliche Niederlassung der BND-Zentrale genannt worden, so z.B. das frühere US-Hauptquartier in der Lucius D. Clay-Kaserne an der Clayallee 172 oder das neue Gelände der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes in der Straße Am Treptower Park 5-8. Das eine Objekt stand unter Denkmalschutz, das andere war zu klein. Es ist halt schwierig, für tausende BND-"Schlapphutindianer" (so der frühere BND-Präsident Klaus Kinkel) eine geeignete und friedfertige Nachbarschaft zu finden.

Fußnoten
  1. August Hanning, Neue Herausforderungen für den Bundesnachrichtendienst, Konferenzbeitrag, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden im Zeitalter der Globalisierung, Berlin, 21./22.5.2001, S. 53.
  2. Gerhard Schröder, Rede des Bundeskanzlers anläßlich der Übergabe der Amtsgeschäfte des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, am 17. Dezember 1998 in Pullach, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, www.dgap.org/IP/ip9902_3/171298bnd.htm
  3. Gabriele Gast, Kundschafterin des Friedens - 17 Jahre Topspionin der DDR beim BND, Frankfurt, 1999, S. 152-163.
  4. Armin Hasenpusch, Das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, Europäische Sicherheit, 6/2002, S. 7-11.
  5. Werner Nöller, Qualitätsmanagement im Bundesnachrichtendienst, Mai 2001, S. 4, www.bundesnachrichtendienst.de/download/qm-bnd.pdf
  6. Johannes Rau, Rede beim Jahresforum des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie e. V.", Berlin, 14. Oktober 2000.
  7. Ernst Uhrlau, Nachrichtendienste im Zeitalter der Globalisierung, Konferenzbeitrag, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden im Zeitalter der Globalisierung, , Berlin, 21./22.5.2001, S. 19.
  8. Noch in Betrieb ist der auf dem Flughafen Tegel befindliche Turm zur elektronischen Aufklärung, der vom französischen Auslandsnachrichtendienst DGSE übernommen wurde. Ergänzend hat die Bundesluftwaffe seit 1995 in der General Steinhoff-Kaserne in Berlin-Gatow eine Eloka-Einheit stationiert, den sogenannten Fernmeldesektor D.
  9. Hier war erst die US-Militärpolizei, danach das 6941st Guard Battalion mit 750 deutschen Zivilbeschäftigten und von 1984 bis 1994 die Spezialeinheit Physical Security Support Element Berlin (PSSE-B) stationiert.
* Gerhard Piper ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS). Der Artikel erschien im Dezember 2003 in der antimilitarismus-information (ami).


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