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Nicht traditionsfähig

Die "Unabhängige Historikerkommission" zur Erforschung der Anfänge des BND hat Zwischenergebnisse vorgestellt

Von Markus Mohr *

Was der Bundesnachrichtendienst (BND) von 1945 bis 1968 unter dem Altnazi Reinhard Gehlen so getrieben hat, wird seit zwei Jahren von einer »Unabhängigen Historikerkommission« (UHK) untersucht. Die stellte am Montag in Berlin Zwischenergebnisse zur Diskussion. CDU-Ministerialdirektor Günter Heiß, der heute im Bundeskanzleramt die Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und MAD koordiniert, beliebte in seinem Grußwort zu scherzen: Das Manuskript des Vortrags von Klaus-Dietmar Henke über den damaligen »Auslandsgeheimdienst in der Innenpolitik« sei ihm unbekannt, meinte der Spaßvogel, und daß er »heute ja nur den Auslandnachrichtendienst repräsentiere«.

BND-Präsident Gerhard Schindler und einige seiner Vorgänger hatten sich zur Tagung im Leibniz-Saal der ehemaligen Preußischen Staatsbank eingefunden, in dem heute die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften untergebracht ist. Die Schäden an den Säulen des Saals stammen noch aus dem Jahr 1945, in dem die Wehrmacht in der Stadt besiegt wurde. Das Terrain der UHK, von dem es in der Einladung vornehm hieß, es sei »bisher unzugänglich gewesen«, wurde in einer Reihe von informativen Referaten sondiert, die engagierte Kommentatoren ergänzten.

Christoph Raas erstellte das »Sozialprofil eines Geheimdienstes«. Von etwa 12000 verfügbaren Personalakten aus den Anfangsjahren des BND hat er 3500 mittels sogenannter NS-Marker ausgewertet. Der Prozentsatz derer, die in der Nazizeit in Wehrmacht, Abwehr, Waffen-SS oder Gestapo gedient hatten, war erwartungsgemäß sehr hoch. Bis Mitte der 50er Jahre gab es bei den Einstellungen keinerlei Entnazifizierungsbemühungen.

Auf diesen Überblick folgte eine instruktive Mikrostudie über »Kettenrekrutierungen« auf Basis privater Netzwerke am Beispiel einer BND-Einheit in der vormals sudetendeutschen Gemeinde Reichenberg. Hier stammten sämtliche Beteiligten aus den lokalen nationalsozialistischen und völkischen Organisationen, so Gerhard Sälter, und folgerte: Die »im Nationalsozialismus entstandene Kameradschaft wurde zur Grundlage der Personalpolitik im BND«. Diesem Befund widersprach in der Diskussion der pensionierte BND-Mitarbeiter Hans-Henning Crome. Dieser war nach der Aufregung um den Doppelspion Heinz Felfe zu Beginn der 60er Jahre von Gehlen damit beauftragt worden, die »übelsten Burschen« nationalsozialistischer Provenienz aus dem Dienst zu entfernen, wie es Klaus-Dietmar Henke formulierte. Aus Henkes Sicht gab es allenfalls acht Prozent überzeugte Nazis im Dienst, die meisten mit SS-Vergangenheit. Sälter merkte dazu diplomatisch an, daß die Mitgliedschaft in anderen NS-Organisationen zuweilen doch wohl auch »ein bißchen« auf eine entsprechende Gesinnung schließen lasse.

Daraufhin erkundigte sich Michael Wildt, wie präsent – analog zu den braunen Wurzeln im BKA – Antisemitismus und Rassismus im Dienst gewesen seien. Zudem interessierte den Faschismusforscher, wieviel Arbeit auf die jahrelange Deckung von Straftätern entfallen sei und wie sich dieser Dienstalltag mit der Theorie des Rechtsstaates BRD in Einklang bringen ließ.

Andreas Hilger befaßte sich in seinem Vortag mit der Rolle des BND während des Einmarschs der russischen Truppen 1968 in Prag. Der Dienst habe in der CSSR über keine Quellen verfügt, sei deshalb von der Fernmeldeaufklärung abhängig gewesen und habe auf diesem Weg frühzeitig erfahren, daß keine Divisionen der DDR-Volksarmee die Grenze zur CSSR überschritten hätten. Gleichwohl habe sich die BND-Leitung für die gegenteilige Sicht entschieden. »Man sieht halt, was man sehen will«, kommentierte hier trocken Erwin A. Schmidl aus Wien.

Abschluß und Höhepunkt der Tagung war der erwähnte Vortrag von Henke. Die Nutzung des BND im Inneren war demnach unter Kanzler Konrad Adenauer einvernehmlich geregelt zwischen Gehlen, Adenauer und dessen »Auge und Ohr«, dem Kanzleramtsminister Hans Globke. Spitzeltätigkeiten in allen relevanten politischen und gesellschaftlichen Institutionen des Landes wurden koordiniert. Das reichte von den Gewerkschaften bis zum Parteivorstand der Sozialdemokratie. Dieser »Machtmißbrauch« (Henke) festigte die »Kanzlerdemokratie« der 50er und frühen 60er Jahre. Globke habe bis zu seinem Abgang 1963 täglich Besprechungen mit Gehlen durchgeführt, um gegebenenfalls im Anschluß politische Maßnahmen gegen die vom BND Denunzierten zu ergreifen. Für den heutigen Dienst ist Gehlen nach Henkes Einschätzung »nicht traditionsfähig.«

Die Forschungen der UHK sollen 2016 mit Publikationen abgeschlossen werden. Da ist weiterhin gutes Gelingen zu wünschen. Die Ergebnisse werden den Blick auf die Anfänge der BRD verändern. Daß Ministerialdirektor Heiß keine Irritationen oder Störungen in der Betriebsroutine erwartet, sondern statt dessen eine »neue Coporate-Identity« des Dienstes in Aussicht stellt, mit der sich – wie es immer so schön heißt – verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen ließe, verwundert nicht. So billig sind nun mal die Münzen im politischen Tagesgeschäft.

* Aus: junge welt, Samstag, 7. Dezember 2013


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