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Erfolgreiche Klage von FDP, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen beim Bundesverfassungsgericht

Karlsruhe stärkt die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Regierung / Paech: "Schallende Ohrfeige für Regierung / Aber keine Fortsetzung des Untersuchungsausschusses

Im Folgenden informieren wir über eine Bundestagsdebatte, die am 26. August 2009 stattfand. Sie war von der Opposition erzwungen worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem im Juli verkündeten Urteil die regierungsseitigen Behinderungen des BND-Untersuchungsausschusses für rechtswidrig erklärt hatte (siehe: Urteil des Bundesverfassungsgerichts). Außerdem dokumentieren wir die Rede von Norman Paech in der Bundestagssitzung.



Beifall für Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte *

Die Regierung soll als Konsequenz eines Urteils des Verfassungsgerichts (2 BvE 3/07) dem BND-Untersuchungsausschuss bislang vorenthaltene Akten noch vor der Bundestagswahl aushändigen. Max Stadler als FDP-Obmann in dem Gremium sagte am Mittwoch, 26. August 2009, bei einer Plenardebatte, im Interesse einer weiterhin nötigen und bis zum Ende der Legislaturperiode auch möglichen Aufklärungsarbeit könne die Regierung diesem Ansinnen nachkommen, selbst wenn ein Antrag der liberalen Fraktion (16/13865) mit dieser Forderung an die Adresse der Regierung keine Mehrheit fand. Der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU/CSU) erklärte hingegen, dieses Verlangen laufe ins Leere, da das Gremium seine Tätigkeit beendet habe und nicht mehr existiere: "Der Markt hat sich verlaufen." Alle fünf Fraktionsobleute im Ausschuss begrüßten es, dass Karlsruhe die Kontrollrechte des gesamten Parlaments gegenüber der Regierung gestärkt habe.

"Handlungsanleitung für die Regierung"

Der Ausschuss sollte die Rolle der seinerzeitigen Regierung und deutscher Geheimdienste im Anti-Terror-Kampf nach dem 11. September 2001 durchleuchten. Aufgrund einer Klage von FDP, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen befanden die Verfasssungsrichter, dass die Regierung die Arbeit des Gremiums durch das Zurückhalten oder Unkenntlichmachen von Akten und durch die Beschränkung von Aussagenehmigungen für Zeugen grundgesetzwidrig behindert habe. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Regierung die Beschränkung der Informationsweitergabe pauschal mit dem Hinweis auf den "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" oder das "Staatswohl" rechtfertige. Vielmehr sei es erforderlich, die Nichtweitergabe von Informationen im Einzelfall präzise zu begründen.

Kauder kritisierte, bei der Plenardebatte würden "Schaufensterreden" gehalten. Das Karlsruher Urteil werde zwar die Tätigkeit künftiger Untersuchungsausschüsse beeinflussen. Das Verfassungsgericht habe jedoch keinen Auftrag an die Regierung formuliert, dem seitherigen Gremium nun sämtliche Akten auszuhändigen. Das Urteil sei vielmehr eine "Handlungsanleitung" für die Regierung für den Umgang mit Beweisanträgen von Untersuchungsausschüssen, so der CDU-Abgeordnete, Sperrerklärungen müssten im Einzelfall begründet werden.

"Epochale Entscheidung erwirkt"

Aus Sicht Stadlers hat die Opposition in Karlsruhe mit der Stärkung der Kontrollrechte des Bundestags gegenüber der Regierung eine "epochale Entscheidung" erwirkt. Die Bedeutung des Urteils reiche weit über den BND-Ausschuss hinaus. Der FDP-Politiker kritisierte, dass die Opposition diesen Spruch allein und ohne die Hilfe von Union und SPD habe erstreiten müssen. Während der Ausschussarbeit habe sich gezeigt, dass in Zeiten einer Großen Koalition die großen Fraktionen als Kontrollinstanzen der Regierung ausfielen.

Für Prof. Dr. Norman Paech von der Linkspartei ist der Karlsruher Spruch eine "schallende Ohrfeige" für die Regierung und die Koalitionsfraktionen. Im Ausschuss sei die Opposition "immer wieder an der Geheimniskrämerei der Regierung aufgelaufen", Widerstand sei auch von den Fraktionen von Union und SPD gekommen. Paech bezeichnete es als "beschämenden Abschied von der 16. Legislaturperiode", dass sich der Bundestag trotz des Verfassungsgerichtsurteils einer Fortsetzung des Untersuchungsausschusses verweigere. Diese Forderung sei "kein Klamauk".

"Über viele Jahre die Verfassung gebrochen"

Hans-Christian Ströbele (Grüne) bedauerte es, dass die FDP den von der Linken und seiner Fraktion geplanten Antrag auf Einsetzung eines zweiten BND-Ausschusses nicht unterstützt habe. Linke und Grüne haben ihre Vorlage deshalb auch nicht ins Plenum eingebracht. Aus Sicht Ströbeles bestätigt die Karlsruher Entscheidung, dass die Regierung "über viele Jahre die Verfassung gebrochen hat" und Akten immer noch zurückhalte. Der Grünen-Abgeordnete warf Union und SPD vor, in keiner Weise die Bemühungen der Opposition unterstützt zu haben, obwohl es um mehr Rechte für das gesamte Parlament gegangen sei.

Stadler begründete die Absage der FDP an einen neuen Ausschuss mit dem Hinweis, die Koalition könne dessen Arbeit in der verbleibenden knappen Zeit verzögern.

"Das wäre nur Klamauk"

Auch Michael Hartmann (SPD) und Dr. Kristina Köhler (CDU/CSU) begrüßten die Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte. Es sei jedoch offen, so Hartmann, ob nun die Herausgabe von mehr Akten und erweiterte Aussagegenehmigungen für Zeugen zu erwarten seien. Da die Regierung Beschränkungen fortan jedoch näher begründen müsse, könnten Abgeordnete aber kritischer nachfragen. Der SPD-Politiker meinte, auch in Zukunft dürfe die Aufklärungsarbeit in Untersuchungsausschüssen nicht dazu führen, dass Deutschland von Informationen befreundeter Geheimdienste abgeschnitten werde. Angesichts der begrenzten Zeit und des komplizierten Procederes mache die Neuauflage des BND-Ausschusses keinen Sinn, "das wäre nur Klamauk".

Die Union habe nichts dagegen, so Köhler, wenn bei den Themen des Gremiums wie dem Einsatz des BND im Irak-Krieg noch neue Fakten auf den Tisch kämen. Dies gehe aber "nicht hopplahopp", in ein bis zwei Sitzungen könne man nicht gründlich Akten prüfen und Zeugen befragen. Ein ernsthaft arbeitender Untersuchungsausschuss könne erst nach der Wahl eingerichtet werden. (...)

** Auszüge aus: Website des Deutschen Bundestags, 26. August 2009; www.bundestag.de


Plenarrede vom 26. August 2009

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist wahrlich kein rühmliches Ende der 16. Legislaturperiode. Da verpasst das Bundesverfassungsgericht der Regierung und den Regierungsfraktionen eine schallende Ohrfeige und erinnert sie an ihre Rechte und Pflichten im Parlament, und Sie, Herr Kauder, sagen: Diese Rechte interessieren uns nicht.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Davon war auch ich enttäuscht!)

Mehr als drei Jahre hat sich die Opposition im Untersuchungsausschuss abgemüht, um Licht in das Dunkel der geheimdienstlichen Aktivitäten des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigem Amtes und seiner Geheimdienste im Krieg der USA gegen den Terror zu bringen. Immer wieder sind wir wegen der Geheimniskrämerei der Regierung aufgelaufen. Aber es war nicht nur die Regierung, die unsere Arbeit behindert hat. Der größte Widerstand kam von den Regierungsfraktionen. Dieser Widerstand hat unseren Gang zum Bundesverfassungsgericht und später zum Bundesgerichtshof überhaupt erst notwendig gemacht.

Herr Hartmann und Herr Kauder, in allen wesentlichen Punkten hat das Bundesverfassungsgericht der Klage der Opposition recht gegeben.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Max Stadler (FDP) und Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Geradezu lehrbuchartig hat es nicht etwa nur die Rechte des Parlaments gestärkt, sondern es hat dem Parlament seine Rechte und Aufgaben, die die Mehrheit des Parlaments gar nicht haben wollte, auch vor Augen geführt. Das sind nämlich unsere Rechte, und die braucht man nicht zu stärken, wir müssen sie nur ergreifen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Da Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bislang offensichtlich nicht vollständig gelesen haben, bin ich gezwungen, Ihnen eine kurze Passage vorzulesen. Da heißt es: Es geht

im Untersuchungsausschuss um die Aufklärung eines Sachverhalts zu politischen Zwecken, vor allem um die Wahrnehmung der Kontrollfunktion des Parlaments. Die einzelne Beweiserhebung eines Untersuchungsausschusses muss daher nicht auf bestimmte Tatsachen bezogen sein, sondern kann darauf abzielen, zunächst „Licht ins Dunkel“ eines Untersuchungskomplexes zu bringen, um auf diese Weise die Aufklärung von politischen Verantwortlichkeiten zu ermöglichen …

So weit das Bundesverfassungsgericht.

Die Regierung und beide Regierungsfraktionen haben mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die Opposition - FDP, Grüne und Linke - Licht ins Dunkel bringen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Siegfried Kauder?

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

Ich würde das jetzt gerne erst einmal zu Ende bringen. Vielleicht ergibt sich die Frage dann.

Wie oft haben wir uns mit lückenhaften, geschwärzten und bis zur Unkenntlichkeit gekürzten Unterlagen herumschlagen müssen!

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hunderte von Seiten!)

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Geheimhaltung nicht nur als unangemessen, sondern als verfassungswidrig, als grundgesetzwidrig gerügt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Es hat, weil die Begründungen der Regierung vollkommen unzureichend waren, nunmehr die Herausgabe der vollständigen Akten verfügt.

Nur ein Beispiel: Als es darum ging, warum der Bremer Türke Murat Kurnaz nicht aus Guantánamo nach Deutschland zurückkehren durfte, blockten die Regierung und die beiden Koalitionsfraktionen die Auskunft über die Beratungen in der sogenannten Präsidentenrunde des Sicherheitschefs ab. An ihr nahm auch der ehemalige Chef des Kanzleramts, Steinmeier, regelmäßig teil. Die Regierung hat Auskünfte darüber mit der Behauptung verhindert, sie seien von der Aussagegenehmigung nicht erfasst, das alles falle in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.

Das Bundesverfassungsgericht hat darin zu Recht eine unzulässige Verkürzung des parlamentarischen Untersuchungsrechts nach Art. 44 Grundgesetz gesehen, und es hat gerügt, dass es in all diesen Fällen regelmäßig an einer substanziellen Begründung dafür gefehlt hat.

Besonders peinlich sollte diese Kritik den beiden Regierungsfraktionen sein, die immer wieder Anträge und Beschwerden von uns niedergestimmt haben und ihre subalterne Rolle als Regierungsunterstützungsverein offensichtlich gar nicht bemerkt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Als es um die zweifelhafte Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten ging - ich erinnere an die Kriegsunterstützung in Bagdad im Frühjahr 2003 -, hat die Regierung eine Gefährdung des Staatswohls beschworen, um unsere Fragen leerlaufen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass mögliche Unannehmlichkeiten mit ausländischen Regierungen „keine Gefährdung des Staatswohls“ darstellen, „sondern eine hinzunehmende verfassungsgewollte Folge der Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts“.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach dem Urteil zum Lissabon-Vertrag war dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bereits die zweite Entscheidung, mit der das höchste deutsche Gericht die Bundesregierung für die Missachtung des Parlaments schwer gerügt hat. Im Juli hat das Bundesverfassungsgericht in einer dritten Entscheidung die Verweigerungsstrategie der Regierung noch einmal als verfassungswidrig gerügt. Jedes Mal - das ist zu betonen - war es die Opposition, waren es die drei Parteien, die drei Fraktionen der FDP, der Grünen und der Linken, die das höchste Gericht zur Hilfe rufen mussten, um ihre Rechte - die ja Rechte des ganzen Parlaments sind - gegen die Regierung und ihre Vasallen, die Regierungsfraktionen, durchzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Die logische Konsequenz daraus, Herr Kauder, Herr Hartmann, wäre, die Arbeit des Untersuchungsausschusses jetzt fortzusetzen. Wir hätten dem Plenum den Abschlussbericht niemals übergeben, wenn wir gewusst hätten, dass am Tage vorher das Bundesverfassungsgericht unserer Klage stattgibt. Die Arbeit des Ausschusses wäre ohne Zweifel und ohne besondere Probleme weitergegangen. Wenn SPD und CDU/CSU jetzt erneut die Rechte der Opposition und eine Wiederaufnahme der Ausschussarbeit blockieren, so ist das nicht etwa mit Wahlkampf oder einem der vielen Kollateralschäden einer Großen Koalition zu entschuldigen, sondern, meine Damen und Herren und liebe Kollegen, dies ist wirklich ein beschämender Abschied von dieser 16. Legislaturperiode.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))


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