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So-als-ob-Abkommen

Bundesregierung will No-Spy-Vereinbarung mit USA. Um Bürgerrechte geht es dabei nicht

Von Ulla Jelpke *

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Nach diesem altbekannten Motto verfahren die US-Geheimdienste gegenüber befreundeten Staaten. Wie aus Dokumenten aus dem Archiv des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden hervorgeht, in die der Spiegel Einblick nehmen konnte, steht die Bundesrepublik für die US-Schnüffler in der Dringlichkeitsskala der Aufklärung auf einer mittleren Ebene mit Frankreich und Japan. Davor kommen Ziele wie Rußland, China, Iran, Afghanistan und Pakistan. Um die Wogen nach Snowdens Enthüllungen über das massenhafte Absaugen von Telekommunikationsdaten der Bundesbürger durch den US-Geheimdienst NSA zu glätten, hat die Bundesregierung jetzt ein »No-Spy-Abkommen« in Aussicht gestellt.

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler hat sich bereits Ende letzter Woche an NSA-Direktor Keith Alexander gewandt, um ein entsprechendes US-Angebot für ein No-Spy-Abkommen anzunehmen. Jetzt liegt es ausgerechnet bei den beiden Geheimdiensten, deren Aktivitäten begrenzt werden sollen, untereinander ein entsprechendes Abkommen auszuhandeln – und sich dabei wohl entsprechende Hintertürchen offenzuhalten. Von der Politik werde das Abkommen anschließend »bewertet« und beschlossen, versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Ein am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedeter »Fortschrittsbericht für den besseren Schutz der Privatsphäre«, der Spiegel-online vorliegt, enthält die folgenden Punkte für ein solches Abkommen mit den USA: »Keine Verletzung der jeweiligen nationalen Interessen, d.h. keine Ausspähung von Regierung, Behörden und diplomatischen Vertretungen«; »Keine gegenseitige Spionage, d.h. keine gegen die Interessen des jeweiligen anderen Landes gerichtete Datensammlung«, »Keine wirtschaftsbezogene Ausspähung, d.h. keine Ausspähung ökonomisch nutzbaren geistigen Eigentums«. Der Schutz soll offenbar nur Staat, Regierung und Unternehmen betreffen, denn von einem Verbot, die normalen Bürger und ihre Telekommunikationsdaten auszuspähen, ist gar nicht erst die Rede. Dafür sollen die Geheimdienste allerdings dazu verpflichtet werden, »keine Verletzung des jeweiligen nationalen Rechts« zu begehen, was wohl einem Verzicht auf Geheimdiensttätigkeit an sich gleich käme.

Es bestehe die »einmalige Chance, einen Standard zu setzen, der mindestens unter den westlichen Diensten stilbildend sein könnte für die zukünftige Arbeit«, erklärte Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). Realistischer zeigt sich Unionsfraktionschef Volker Kauder bezüglich der Möglichkeiten der USA, auch von ihrem Territorium aus elektronische Spionageaktivitäten gegen Deutschland zu betreiben. »Ich glaube kaum, daß sich die Amerikaner von irgendwem vorschreiben lassen, was sie in ihrem eigenen Land machen«, erklärte Kauder der Märkischen Allgemeinen. Hier stießen die Nationalstaaten und selbst die EU an die Grenzen ihrer Regelungsmöglichkeiten. »Wenn Chefs von Spionagediensten ein Anti-Spionage-Abkommen aushandeln, ist das, als ob Frösche mithelfen, den eigenen Teich trockenzulegen«, kommentierte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), über Twitter.

Für den »Gipfel der Naivität« hält die Linksfraktion die Vorstellung, daß sich US-Nachrichtendienste durch ein Abkommen vom Spionieren abhalten ließen. Schließlich gehöre »Tarnen, Täuschen und Betrügen« zum Wesen der Geheimdienstarbeit. »Ein wirkungsvoller Schritt zum Schutz der Bundesbürger vor Spionage wäre die Schließung aller US-Geheimdienststützpunkte in Deutschland«, schlägt die Linke statt dessen vor und nennt die NSA-Europazentrale in Stuttgart-Vaihingen und das im Bau befindliche Abhörzentrum im US-Army-Hauptquartier in Wiesbaden.

Selbst wenn sich die NSA an den Buchstaben eines solchen No-Spy-Abkommens hielte, käme sie weiterhin in den Genuß eines Großteils der gewünschten Daten. Denn der britische Geheimdienst überwacht den europäischen Internetverkehr weiterhin mit dem Programm Tempora über die durch Großbritannien verlaufenden Glasfaserkabel und teilt seine Erkenntnisse anschließend mit der NSA. Pläne für ein Anti-Spy-Abkommen mit Großbritannien gäbe es nicht, erklärte der Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. August 2013


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