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Er verriet das israelische Atomwaffenprogramm

Der israelische Techniker Mordechai Vanunu saß 18 Jahre im Gefängnis - Jetzt wird ihm die Carl-von-Ossietzky-Medaille verliehen / Israel verweigert ihm die Ausreise


Der Bundesausschuss Friedensratschlag hätte Mordechai Vanunu auch für einen würdigen Friedensnobelpreisträger gehalten (siehe: Friedensnobelpreis: Wieder ein Fehlgriff). Doch auch 2010 kam er beim Osloer Nobelpreiskomitee nicht zum Zug. Nun soll er die angesehene Carl-von-Ossietzky-Medaille erhalten; sie wird jährlich verliehen von der Internationalen Liga für Menschenrechte. Die Verleihung soll am 12. Dezember in Berlin stattfinden. Nur: Der Preisträger erhält von den israelischen Behörden keine Ausreisegenehmigung. Dagegen gibt es weltweite Proteste. Möglich also, dass sowohl die diesjährige Verleihung des Friedensnobelpreises als auch die Verleihung der Ossietzky-Medaille ohne Preisträger stattfindet.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Pressemitteilungen der Internationalen Liga für Menschenrechte zum Fall Mordechai Vanunu. Die erste ist eine Würdigung seiner Taten und seiner Zivilcourage, in der zweiten wird die israelische Regierung aufgefordert, Vanunu ausreisen zu lassen.


Carl-von-Ossietzky-Medaille für Mordechai Vanunu

Verleihung am Sonntag, 12. Dezember 2010 um 11 Uhr in Berlin

Presseerklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte vom 04. 10. 2010

Mordechai Vanunu setzt sich seit einem Vierteljahrhundert mit Zivilcourage und herausragender Standhaftigkeit für die vollständige atomare Abrüstung, für transparente Demokratie und für Frieden zwischen den Nationen ein.

International bekannt wurde Mordechai Vanunu 1986, nachdem er einer britischen Zeitung Informationen über das Negev Kernforschungszentrum zur Veröffentlichung überlassen hatte, das Israel in den 1950er und 1960er Jahren in der Negevwüste unweit des Ortes Dimona aufgebaut hatte und seitdem betrieb. Die Prüfung der Informationen durch einen britischen Atomphysiker und einen amerikanischen Kernwaffenexperten ergab: Das in der Atomanlage produzierte und verarbeitete Plutonium befähigte Israel zur Herstellung von 100 bis 200 Atomwaffen.

Vanunu war neun Jahre lang in der Atomanlage als Techniker beschäftigt. Er legte die ihm dort zugänglichen Informationen offen, weil ihn nach eigener Aussage die Menge des in Israel produzierten radioaktiven Plutoniums ängstigte. Er wollte die israelische und internationale Öffentlichkeit darüber aufklären, zumal Israels Führung die Bevölkerung über das Atomprogramm vollkommen im Unklaren ließ, was in einer Demokratie inakzeptabel sei.

Noch vor Veröffentlichung der Informationen in der Zeitung wurde Vanunu Ende September 1986 mithilfe einer Agentin des Mossad nach Rom gelockt, dort überwältigt und per Schiff nach Ashdod verbracht. Im März 1988 verurteilte ihn ein Militärgericht am Ende eines streng geheimen Verfahrens wegen Landesverrats und Spionage zu einer 18jährigen Freiheitsstrafe.

Während seiner Haft wurde er mehrmals für den Friedensnobelpreis nominiert und 1987 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Weitere Auszeichnungen folgten.

Am 21. April 2004 wurde Vanunu nach Verbüßung der Strafe – davon 11 Jahre in Isolationshaft in einer kleinen Zelle – aus dem Gefängnis entlassen. Allerdings unter Auflagen, die dem universellen Menschenrecht auf Freiheit Hohn sprechen: Vanunu darf u. a. Israel nicht verlassen und keinen Kontakt mit ausländischen Botschaften und Journalisten aufnehmen. Er muss die Behörden über jeden geplanten Ortswechsel verständigen.

Eingesperrt in Israel, wo ihm selbst freie Bewegung und Kommunikation untersagt sind, gelang es Mordechai Vanunu dennoch, zahlreiche Interviews zu geben, wofür er wiederholt inhaftiert wurde.

Zuletzt kam er am 10. Mai dieses Jahres wegen eines Interviews mit einem ausländischen Journalisten für drei Monate ins Gefängnis.

Für den 11. Oktober 2010 ist ab 9:00 Uhr beim Obersten Gerichtshof Israels eine Anhörung zu Vanunus widerrechtlicher Einsperrung in Israel anberaumt.

Die mutige Haltung Vanunus erinnert zweifellos an den unerschrockenen Widerstand Carl von Ossietzkys gegen Aufrüstung und Krieg in der Weimarer Republik. Mit der Würdigung von Mordechai Vanunu will die Liga die internationale öffentliche Aufmerksamkeit darauf lenken, dass er in Israel, trotz vollständig verbüßter Strafe und ungeachtet der nunmehr ein Vierteljahrhundert alten Informationen, weiterhin gefangen gehalten und elementarer Grund- und Menschenrechte beraubt wird.

Zugleich soll im 65. Jahr nach Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki durch die USA die Mahnung Mordechai Vanunus vor den Gefahren atomarer Massenvernichtungswaffen für Mensch und Natur unterstrichen und sein unnachgiebiger Einsatz für ihre vollständige und weltweite Abschaffung nachhaltig unterstützt werden.

Die Liga appelliert im Geiste Carl von Ossietzkys eindringlich an die Regierenden Israels, Mordechai Vanunu freie Ausreise zur persönlichen Entgegennahme der Carl-von- Ossietzky-Medaille 2010 in Berlin zu gewähren.


Freie Ausreise für den Ausgezeichneten aus Israel!

Seine Präsenz beim Festakt der Medaillenverleihung ist unverzichtbar! Internationale Liga für Menschenrechte: Presseerklärung Nr. 2 vom 09. 11. 2010

Mordechai Vanunu setzt sich seit einem Vierteljahrhundert mit Zivilcourage und herausragender Standhaftigkeit für die vollständige atomare Abrüstung, für transparente Demokratie und für Frieden zwischen den Nationen ein.

Mordechai Vanunu kommt das historische Verdienst zu, Informationsmaterial über das israelische Atomprogramm, das ihm in den achtziger Jahre zugänglich geworden war, nicht für sich zu behalten, sondern 1985 einer britischen Zeitung zur Publikation überlassen zu haben.

Am 27. März 1988 verurteilte ihn ein israelisches Strafgericht in einem Geheimverfahren zu einer 18-jährigen Freiheitsstrafe wegen "Unterstützung des Feindes in Kriegszeiten" sowie "Sammlung und Weitergabe geheimer Informationen in der Absicht, der Sicherheit des Staates Israel zu schaden". Alle eingelegten Rechtsmittel gegen das Urteil wies der Oberste Gerichthof ab.

Mordechai Vanunu betont seitdem, er habe Israel weder Schaden zufügen noch schwächen wollen. Die Gefahren, die von der Herstellung und Anreicherung von Plutonium und erst recht von dem Bau, der Stationierung und dem Export von Nuklearwaffen ausgehe, seien zu groß, als dass er die Freiheit hätte, sie zu verschweigen. Die israelische und internationale Zivilgesellschaft, so die Begründung für seine politische Einstellung, haben ein Recht zu erfahren, dass der Staat Israel hinter dem Rücken der Weltöffentlichkeit und unter Ausschaltung jeder demokratischen Kontrolle atomar aufrüstet.

Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde Mordechai Vanunu am 24. April 2004 aus der Haft entlassen.Allerdings unter Auflagen, die einer endlosen Strafverlängerung gleichkommen und seine bürgerlichen Grundrechte und politischen Freiheiten aussetzen. Untersagt sind ihm unter anderem: die Ausreise aus Israel, Kontakt zu ausländischen Botschaften und Medien sowie Ortsänderungen, die nicht vorab polizeilich gemeldet und genehmigt worden sind. Jeder Verstoß gegen die genannten Auflagen bringt ihn wieder vor Gericht und ins Gefängnis. Erst am 23. Mai d. J. wurde Vanunu erneut für drei Monate inhaftiert. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Verbindung zu Ausländern aufgenommen.


Die Behandlung des Mahners Mordechai Vanunus durch die israelische Gerichtsbarkeit und Staats­obrigkeit erinnert an die Behandlung, die der Vorsitzende der Deutschen Liga für Menschenrechte **und spätere Friedensnobelpreisträger (1936) **Carl von Ossietzky Anfang der 1930er Jahre - also in der Weimarer Republik - vom deutschen Reichsgericht erfuhr. (Die Deutsche Liga für Menschenrechte war die Vor­läuferorganisation der Internationalen Liga für Menschenrechte). Der leidenschaftliche Pazifist hatte als Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift "Die Weltbühne" im März 1929 einen Artikel drucken lassen, in dem die Aufrüstung der deutschen Luftwaffe und die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und der Sowjetunion, die gegen Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages verstießen, aufgedeckt wurden. Daraufhin ist Carl von Ossietzky gemeinsam mit dem Autor des Artikels im streng geheimen, so genannten Weltbühne-Prozessim November 1931 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden: wegen Landesverrats, Verrats militärischer Geheimnisse und Spionage. Mangels konkreter Beweise hatte sich das Gericht in seinem Urteil auf die Gesinnung des Angeklagten berufen. Weil Carl v. Ossietzky ,Pazifist' sei, müsse aus psychologischen Gründen unterstellt werden, dass er mit dem Artikel antimilitaristisch wirken wollte, d.h. dass er die Absicht hatte, Geheimwissen der Militärverwaltung aufzudecken.

Ganz ähnlich klingt in unseren Ohren das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofs Israels vom 11. Oktober 2010 - nur eine Woche nach Bekanntgabe der Auszeichnung Mordechai Vanunus mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille durch die Liga. Ein Gesuch Mordechai Vanunus, ihm die Ausreise aus Israel zu gewähren und innerhalb des Landes freie Bewegung und Meinungsäußerung zuzuerkennen wurde von den Richtern abgewiesen. Das Argument der Verteidiger, dass das Wissen Vanunus ein Vierteljahrhundert zurückliege und nach Bestätigung aller Sachver­ständigen veraltet sei, wurde im Urteilsspruch vom 13. Oktoberbestritten. Vanunu verfüge - so die Richter - über sicherheitsrelevantes Geheimwissen, das er bisher nicht bekannt gegeben habe. Sein Verhalten habe gezeigt, dass er dieses im Ausland preisgeben könne und wolle. Der Oberste Gerichtshof in Israel kam bei dieser Einschätzung ohne Beweise aus - so wie seinerzeit das Reichsgericht im Prozess gegen Carl von Ossietzky.

Carl von Ossietzky hatte damals vor Richtern gestanden, die es als Landesverrat betrachteten, die völker­rechtswidrige und damit illegale Aufrüstung der Reichswehr öffentlich bekannt zu machen. Hätten seine Veröffentlichungen die vom Reichsgericht unterstellte Wirkung gehabt, dass die ausländischen Mächte den Verstoß gegen den Versailler Vertrag unterbunden hätten, so wäre der Menschheit viel Leid erspart geblieben.



Die Mahnung Mordechai Vanunus gegen die atomare Aufrüstung ist 65 Jahre nach den verheerenden Folgen der auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben nach wie vor aktuell. Die jüngsten Auseinandersetzungen um den Atomwaffensperrvertrag, die Tatsache, dass Israel sich auch auf dem diesjährigen Gipfel zur nuklearen Sicherheit nicht bereit fand, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen und es folglich ablehnt, Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ins Land zu lassen,neuerliche Spannungen zwischen Israel und Iran sowie anderen Atommächten wie Nordkorea, Indien und Pakistan und schließlich die immer wieder bekannt werdenden Exporte nuklearer Ausrüstungen verleihen den Mahnungen des Whistleblowers, des Mahners und Warners Mordechai Vanunu eine größere Dringlichkeit als je zuvor.

Der Literaturnobelpreisträger- Günter Grass, der ebenfalls mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet wurde, erklärte 1995 - anlässlich des 50. Jahrestags der Befreiung Europas von der Naziherrschaft - zu Recht:

"Es ist nach all den Kriegen, die dieses zu Ende gehende Jahrhundert zu einem mörderischen gemacht haben, an der Zeit, jedes militärische Geheimnis offenzulegen - und sei es durch Verrat."

Die Liga fordert die Zuständigen in Israel auf, Mordechai Vanunu freie Ausreise zu gewähren, um am 12. Dezember 2010 an dem ihm gewidmeten Festakt der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille in Berlin teilnehmen zu können. Die Anwesenheit des zu Ehrenden an der Medaillenverleihung ist unverzichtbar!

Wir rufen die Regierungen und Zivilgesellschaften aller Länder, die der UNO-Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie dem Recht auf Leben in Frieden und Freiheit verpflichtet sind, dazu auf, die Forderung "Freie Ausreise" für Vanunu zu verbreiten und auf allen politischen Ebenen zu unterstützen. Dieser Appell richtet sich nicht zuletzt an die Bundesregierung und an die Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland.

Lesen Sie auch:

Gebt Vanunu den Friedensnobelpreis!
Von Norman Paech (21. Januar 2004)




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