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Friedenspreis für Kriegspräsidenten?

Friedensbewegung kritisiert Nobelpreiskomitee und protestiert gegen Obama

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel/Hamburg, 10. Dezember 2009 - Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Dr. Peter Strutynski und Lühr Henken in einer Stellungnahme:

Schon die Bekanntgabe der diesjährigen Nobelpreisvergabe Anfang Oktober an Barack Obama war als faustdicke Überraschung aufgenommen worden. Kommentatoren wunderten sich, denn viel mehr als wohl klingende Ankündigungen und Absichtserklärungen waren vom Preisträger nicht zu vermelden. Von "Vorschusslorbeeren" und "unverdientem Wechsel auf die Zukunft" war die Rede.

Nachdem sich Obama in seiner West-Point-Rede vor einer Woche für die Ausweitung des Krieges in Afghanistan und Pakistan entschieden hat und die Truppen um weitere 30.000 Soldaten erhöht - was mit der bereits erfolgten Truppenverstärkung im Frühjahr einer Verdoppelung der US-Truppen in Afghanistan seit Obamas Amtsantritt gleichkommt - wird allenthalben deutlich, dass es sich um eine der größten Fehlentscheidungen des Nobelkomitees in seiner über hundertjährigen Geschichte handelt. Einen Staatsmann, der für den höchsten Rüstungshaushalt der Menschheitsgeschichte steht, mit der angesehensten Friedensauszeichnung zu ehren, ist grotesk. Schließlich sollte der Preis - so bestimmt es das Testament des Stifters Alfred Nobel, an jemanden vergeben werden, "der am meisten oder am besten auf die [...] Abschaffung oder Verminderung stehender Heere [...] hingewirkt" hat.

Eine Preisvergabe an einen US-Präsidenten scheidet nach Auffassung des Friedensratschlags darüber hinaus so lange aus, als die US-Militärdoktrin daran festhält, eine "full spectrum dominance" auf sämtlichen militärischen Gebieten aufrecht zu erhalten. Der von der US-Administration verfolgte sog. "No-Rivals"-Plan bindet die US-Außen- und Sicherheitspolitik an den imperialen Grundsatz, keinen ebenbürtigen Rivalen globalen Ausmaßes zuzulassen. Dies verträgt sich nicht mit Obamas schönen Worten vom "Multilateralismus", den angeblich die Bush-Politik des Unilateralismus abgelöst hätte. Erst wenn die USA dieses hegemoniale Projekt und das weltweite Vormachtstreben aufgegeben haben, wäre ein echter Fortschritt in den internationalen Beziehungen zu verzeichnen. Das zweite Kriterium des Friedenspreis-Stifters wäre damit erfüllt, nämlich demjenigen den Preis zu verleihen, der "am besten auf die Verbrüderung der Völker hingewirkt" hat. Die US-Regierung hat sich nicht vom globalen Vormachtstreben verabschiedet, sondern ganz im Gegenteil, sie führt sogar Kriege um diese Vormacht aufrecht zu erhalten.

Die dritte Begründung des Nobelpreiskomitees betraf Obamas Eintreten für eine Welt ohne Atomwaffen. Es stützt sich dabei allerdings allein auf die Prager Rede des US-Präsidenten, worin er die Vision einer atomwaffenfreien Welt angesprochen, gleichzeitig aber auch erklärt hat, dass die USA an ihrer Nuklearwaffenkapazität festhalten werden, solange solche Waffen noch existieren. Die Friedensbewegung hat klare Vorstellungen, wie Obama die Ernsthaftigkeit seiner Rede unter Beweis stellen könnte: Er müsste in einem ersten Schritt auf jegliche Modernisierung der US-Atomwaffen verzichten (Stichworte: Miniaturisierung, Bunker brechende Sprengköpfe) und er könnte in einem zweiten Schritt (oder gleichzeitig) das Atomwaffenarsenal der USA reduzieren. Besonders in Deutschland wartet die Friedensbewegung schon lange auf den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel (Pfalz).

Die Preisvergabe an Obama beschädigt den weltweit anerkannten Friedensnobelpreis. Wenn heute die norwegische Friedensbewegung gegen die Preisverleihung demonstriert, dann hat sie eben dies im Auge.

1973 lehnte der (nord-)vietnamesische Militärführer und Politiker Le Duc Tho den Friedensnobelpreis ab, der ihm zusammen mit Henry Kissinger für die Bemühungen um ein Ende des Vietnam-Krieges zugesprochen worden war. Seine Begründung: In seinem Land herrsche noch kein Frieden (tatsächlich war der Krieg erst 1975 mit dem Abzug der US-Truppen beendet).

Leider hat Obama die Gelegenheit verpasst, den Preis bei Bekanntgabe der Komitee-Entscheidung vor zwei Monaten abzulehnen. Er hat es nicht getan - und er verbrämt die heutige Auszeichnung mit dem Versprechen, als "Kriegspräsident" in Afghanistan Frieden schaffen zu wollen.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag hofft, dass die Fehlentscheidung des Nobelpreis-Komitees eine Ausnahme bleiben wird. Es gibt viele Kandidatinnen und Kandidaten, die ihr Leben dem Kampf um Frieden gewidmet und dabei in verschiedenen Konfliktregionen oder global Wirkung erzielt haben. Die Friedensbewegung wird entsprechende Vorschläge vorlegen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg,
Peter Strutynski, Kassel

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pax christi - Mitteilung an die Medien
Berlin, 09.Dezember 2009

Nur öffentlicher Druck kann ein Ende des Afghanistankrieges bewirken

Präsident Obamas geplante Truppenaufstockung in Afghanistan ist grundfalsch und seine Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises eine Enttäuschung

„Obamas Truppenaufstockung, die einer Invasion gleichkommt, wird nicht zur Stabilisierung der Region beitragen, sondern zur Eskalation der katastrophalen Lage der afghanischen Bevölkerung.“ kommentiert pax christi-Generalsekretärin, Christine Hoffmann, Obamas neue Afghanistanstrategie, die er in seiner heutigen Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises erneut rechtfertigte.

„Sowohl in Amerika als auch hier in Europa ist es höchste Zeit, die Ablehnung dieses Krieges durch die Bevölkerung in verstärkten, öffentlichen Druck auf die Regierungen umzusetzen, damit die Gewaltspirale dort endlich gestoppt wird anstatt sie immer wieder anzuheizen. Die Stabilisierung Afghanistans und Pakistans ist nur durch ein Ende des Krieges und die Stärkung der zivilen Unterstützung zu bewirken. 30.000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken und gleichzeitig den Rückzug für 2011 anzukündigen ist keine Exit-Strategie, sondern eine Invasion an der Deutschland sich keinesfalls beteiligen darf.“ betont Hoffmann.

Pax christi USA kommentierte Obamas Rede heute ähnlich: Es sei enttäuschend, dass dieser Präsident sich kurz vor der Ehrung zur Eskalation des Krieges in Afghanistan mittels der Entsendung von 30,000 zusätzlichen Soldaten ausgesprochen hat. Pax Christi USA bedauert, dass er sich nicht vom Beispiel des früheren Friedensnobelpreisträgers, Dr. Martin Luther King, Jr. hat leiten lassen, der den Preis als starke Bestätigung dafür angesehen hat, dass Gewaltfreiheit die Antwort auf die politischen und ethischen Herausforderungen unserer Zeit ist – und als Ansporn für die Menschheit, Unterdrückung und Gewalt zu überwinden ohne selbst zu Gewalt und Unterdrückung zu greifen.

Präsident Barack Obama hat heute in Oslo für sein außerordentliches Engagement zur Stärkung internationaler Diplomatie und der Zusammenarbeit der Völker den Friedensnobelpreis entgegen genommen.

Ansprechpartnerin bei pax christi für die Presse: Christine Hoffmann

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Die IPPNW widerspricht Obamas These:

"Ja, die Mittel des Krieges spielen eine Rolle in der Erhaltung des Friedens."

Die IPPNW setzt gegen die These des US-Präsidenten Obama auf die Kraft der Gewaltfreiheit. Sie steht zu dem Ziel der Charta der Vereinten Nationen, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat".

Die IPPNW setzt sich mit anderen Organisationen der Friedensbewegung für eine Strategie des Friedens ein. Diese will neben dem Abbau von Gewalt die Gestaltung des positiven Friedens herstellen, erhalten und optimieren, und zwar auf allen Ebenen des Handelns und in allen Feldern des Lebens: politisch, ökonomisch, ökologisch, soziokulturell, individuell.

In einem umfassenden Sinn der Auseinandersetzung mit "struktureller Gewalt" beschäftigt sich Friedenspolitik nicht nur mit der Abwehr konkreter Kriegsgefahr, sondern schafft mittel- und langfristig Bedingungen für einen Frieden, der auf Gerechtigkeit, Solidarität und einem nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen beruht.

Weil das Zusammenleben von Menschen und Völkern immer von Konflikten geprägt ist, werden Strukturen und Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung gebraucht. "Zivile Konfliktbearbeitung" (ZKB) ist der bewusste Einsatz nicht-militärischer Mittel zur Vermeidung, Beilegung und Nachsorge gewaltsamer Auseinandersetzungen, es ist zugleich ein Gesamtsystem von Institutionen und Mitteln.

Gegen Militär, Kriegsvorbereitungen und Krieg sind Widerspruch und Protest sowie die Formen des direkten gewaltfreien Widerstandes und zivilen Ungehorsams notwendig. Dieser Widerstand steht in der Traditionen des gewaltfreien zivilen Ungehorsams, den z.B. Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela und Aung San Soo Kyi ausgeübt haben. Die gewaltfreien Widerstandsaktionen in Mutlangen gegen die atomare Aufrüstung mit Pershing-II-Raketen bis hin zu den Airbase-Blockaden gegen den Irak-Krieg sind beispielhaft.

In dieser Tratdition engagiert sich die IPPNW.

IPPNW-Stellungnahme vom 11.12.2009


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