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Dem Friedensnobelpreis kommt der Frieden abhanden

Beschädigtes Vermächtnis: Al Gore wäre vermutlich ohne den Segen des Stifters geblieben

Von Frederik S. Heffermehl *

In diesem Jahr werden ein ehemaliger US-Vizepräsident und der UN-Klimarat gemeinsam mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sie stehen in einer Reihe mit herausragenden Persönlichkeiten, die vor ihnen geehrt wurden. Bedenkt man freilich Alfred Nobels Idee, diesen Preis zu stiften, um damit Frieden zu stiften, dann würde er vermutlich inzwischen bedauern, das norwegische Parlament mit der Preisvergabe betraut zu haben.

Gewiss, das fünfköpfige Auswahl-Komitee sieht sich stets vor einer schwierigen Mission - doch wurde die von Nobel insofern erleichtert, als er in seinem Testament von 1895 eine präzise Beschreibung der Friedensvision sowie der Friedensarbeit hinterlassen hat, die er finanziell zu fördern gedachte. Es ist nichts falsch daran, den Preis an Al Gore zu vergeben, um seine Anstrengungen zur Rettung der Umwelt zu würdigen. Der Klimawandel ist zweifellos eine Gefahr für die internationale Sicherheit und beschwört großes Unheil, Gewalt und selbst Kriege herauf.

Alfred Nobel, der mit seinem immensen Vermögen fünf der prestigeträchtigsten Auszeichnungen schuf, war überzeugt, dass Wissenschaft und Medizin wahre Wunder für die Menschheit vollbringen und so einen direkten Beitrag leisten könnten, den Krieg auszurotten. Er nahm außerdem an, "dass an jenem Tag, an dem sich zwei Armeen in wenigen Sekunden gegenseitig ausrotten könnten, alle zivilisierten Nationen von Krieg Abstand nehmen und ihre Truppen entlassen würden."

Nichts davon ist geschehen. Wir sind bereits mehr als zwei Generationen lang in der Lage, nicht nur ganze Armeen in kürzester Zeit auszulöschen, sondern unseren Planeten mehrfach zu zerstören - und trotzdem haben wir es nicht geschafft, den Teufelskreis zu durchbrechen, der eine mächtige Militärlobby in allen Gesellschaften nährt.

All jene, die es notwendig finden Militarismus und Krieg ein Ende zu bereiten, bevor diese uns den Garaus machen, sind sich gewiss bewusst, wie viel getan werden muss, um dieses Ziel zu erreichen. Von daher hätte auch das norwegische Nobelpreiskomitee allen Grund, den Letzten Willen des Stifters noch einmal genau zu lesen, um sich dessen präzise Vorstellungen vor Augen zu halten. Man wird dem Testament von Nobel keineswegs gerecht, folgt man einer sehr generellen Auffassung von Frieden und vergibt den Preis an "jene, die während des vorangegangenen Jahres den größten Nutzen für die Menschheit erbracht haben". Auch wenn diese Worte im Testament Nobels zu finden sind, so waren damit im Sinne des Friedensnobelpreises zweifellos Persönlichkeiten gemeint, die den "größten Nutzen" für eine grundlegende Wende erbracht haben - hin zu einer Welt frei von Militarismus und Krieg.

Um das Prestige des Preises zu erhalten, sollten mehrere der letzten Auszeichnungen offenbar eine Vielfalt von Aktivitätsfeldern würdigen, die zum Frieden beitragen können. Die Preise an Wanghari Maathai (2004) und Mohammad Yunus (2006) hatten allerdings nur am Rande - wenn überhaupt - etwas mit den Visionen von Nobel zu tun. Es lag ihm ganz gewiss fern, einen Preis für Umwelt oder Wirtschaft zu stiften. Er wollte - wie es in seinem Nachlass heißt - "ständige Armeen abschaffen". Er wollte das Kriterium "Brüderlichkeit zwischen den Nationen" bedacht wissen. Ihm schwebten zivile Beziehungen zwischen den Staaten vor, um einem Ende der "militaristischen Anarchie in der heutigen Sicherheitspolitik" näher zu kommen.

Alfred Nobels jahrzehntelange Freundschaft und Korrespondenz mit Bertha von Suttner und anderen Persönlichkeiten beweisen ebenfalls, dass es sein Wille war, einen anti-militaristischen Preis zu stiften, der es den Ausgezeichneten erlaubte, ihren Kampf gegen den Krieg fortzuführen.

Während die anderen Nobelpreise in Stockholm vergeben werden, hat Nobel aus unbekannten Gründen das norwegische Parlament mit der Vergabe des Friedenspreises beauftragt. Anfangs kamen die Mitglieder des dazu eingesetzten Komitees entweder aus der Friedensbewegung oder waren Politiker, die ihr nahe standen. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert und der Verdacht liegt nahe, dass die prestigeträchtige Berufung ins Komitee vom Parlament in Oslo als Auszeichnung für Parteikollegen und treue Dienste betrachtet wird. Es wäre höchste Zeit, einen solchen Verdacht zu entkräften und wieder Persönlichkeiten zu nominieren, die Tuchfühlung zu internationaler Friedenspolitik halten und in der Lage sind, die Vision Nobels zu verstehen und ihr treu zu bleiben.

* Frederik S. Heffermehl ist Anwalt und ehemaliger Vizepräsident des Internationalen Friedensbüros.

Aus: Freitag 44, 2. November 2007


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