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"Lasst uns geduldig sein, wir haben keine andere Wahl"

Shirin Ebadi erhält den Friedensnobelpreis

Unter dem Titel "Lasst uns geduldig sein ..." erscheint am Tag der Verleihung des Friedensnobelpreises an die iranische Anwältin Shirin Ebadi ein Artikel in´m "Neuen Deutschland", den wir im Folgenden dokumentieren.


Von Jan Keetman, Istanbul

In Norwegens Hauptstadt Oslo wird die iranische Juristin und Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi heute für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte mit dem Friedensnobelpreis geehrt. »Ihre Stimme als Anwältin, Richterin, Dozentin, Autorin und Aktivistin«, so die Begründung, »ist in ihrem eigenen Land Iran und weit über ihre Heimat hinaus klar und deutlich erklungen«. In einer Isolationszelle in Teherans berüchtigtem Evin-Gefängnis schrieb die Anwältin Shirin Ebadi: »Wütend versuche ich mit dem Stiel meines Löffels an die Betonwand zu schreiben, dass wir geboren sind, um zu leiden, weil wir in der Dritten Welt geboren sind. Zeit und Ort sind uns auferlegt, lasst uns geduldig sein, wir haben keine andere Wahl.« Geduld hat Shirin Ebadi, wenn es sein muss, aber aufgeben würde sie nie.

Die 56-jährige Juristin hat schon immer gekämpft. Sie war die erste Richterin in der iranischen Geschichte. Als nach der Revolution gegen das Schahregime 1979 die Mullahs an die Macht kamen, befanden sie, Frauen seien zu emotional und irrational für das Richteramt. Shirin Ebadi, obwohl durchaus religiös eingestellt, verlor ihren Posten. Die Zeit hätte Shirin Ebadi nicht ändern können, aber sehr wohl den Ort ihres Handelns. Jedenfalls, wenn es nur auf eine Gelegenheit angekommen wäre, um wie viele andere Iraner ins Exil zu gehen.

Anwältin in einem Polit-Mordprozess

Doch für sie kam das nicht in Frage. Stattdessen zog sie sich in eine kleine Anwaltskanzlei im Souterrain zurück. Sie schrieb Bücher und hielt Vorlesungen. Wer sie besuchte war von ihrer großen persönlichen Ausstrahlung und ihrem klaren Denken beeindruckt. Sie ist überzeugt, dass das bestehende, religiös fundierte Recht der Zeit angepasst werden muss und angepasst werden kann. Schließlich hatte ja selbst der Führer der Islamischen Revolution, der greise Ayatollah Ruhollah Khomeini, das von ihm selbst eingeführte Verbot des Schachspiels wieder aufgehoben und das Verbot der Musik erheblich gelockert. Es ging also. Warum dann nicht auch bei anderen Gesetzen?

Die Forderung nach der Änderung von Gesetzen ist eine politische Angelegenheit, doch mit eigentlicher Politik wollte die Juristin nie etwas zu tun haben. »Wenn sie wissen wollen, ob ich mich eines Tages in die Politik einmischen möchte, so sage ich, dass ich hoffe, dieser Tag möge nie kommen«, war von ihr zu hören. Mit der Übernahme politischer Fälle war diese Ferne von der Politik nicht mehr möglich. Ende 1998 wurden mehrere oppositionelle Intellektuelle ermordet. Darunter befanden sich auch der ehemalige Arbeitsminister Darjoush Foruhar und seine Frau Pervaneh. Shirin Ebadi vertrat als Anwältin die Kinder des ermordeten Ehepaares Foruhar.

Die Morde an den Oppositionellen konnten tatsächlich bis zu einem gewissen Grade aufgeklärt werden. In einer sensationellen Wende, wie sie wohl auch in manchen anderen Staaten nicht zu erwarten gewesen wäre, gaben die Behörden schließlich zu, Mitarbeiter des Geheimdienstes hätten die Intellektuellen ermordet. Der Geheimdienstminister, der bisher unter dem Schutz des religiösen Führers Ali Khamenei gestanden hatte, musste zurücktreten. Die iranische Reformbewegung hatte ihren Glaubwürdigkeitstest bestanden. Dies wäre wohl nicht möglich gewesen, hätte Shirin Ebadi nicht die Unterstützung des Reformpräsidenten Mohammed Khatami gehabt.

Khatami hatte mit der Untersuchung einen besonders kompetenten Mitstreiter betraut. Said Hajjariyan gehörte zur Garde junger Revolutionäre der Islamischen Revolution, die zunächst zum Schwert von Khomeini's Staat wurden, dann aber Zweifel bekamen und die Reformbewegung bildeten. Er wird unter die Gründer des neuen iranischen Geheimdienstes gezählt und galt zugleich als das eigentliche Gehirn der Reformbewegung. Er beriet Khatami, war Stadtrat und Herausgeber der Zeitung »Sobh-e Emruz« (Der heutige Morgen).

Mahnende Worte von Präsident Khatami

Ein Jahr nach der Aufklärung der Morde an den Intellektuellen wurde Hajjariyan vor dem Stadtrat von Teheran mit zwei Schüssen in den Kopf niedergestreckt, sein Überleben grenzte an ein medizinisches Wunder. Die Attentäter wurden gefasst, fanden aber in den Konservativen äußerst milde Richter. Nicht so die andere prominente Aufklärerin der Morde an den Intellektuellen – Shirin Ebadi. Sie hatte ein Videotape veröffentlicht, das Beziehungen zwischen der halblegalen militanten Organisation Ansar-e Hezbollah (Gefolgsleute der Partei Gottes) und prominenten Konservativen enthüllte. Das wurde ihr zur Last gelegt – erst nach Wochen im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis kam Ebadi gegen Kaution frei.

Der Wind in Iran hatte sich gründlich gedreht. Die Zeitungen der Reformbewegung wurden im Dutzend verboten, prominente Reformer wanderten ins Gefängnis, statt durch Reformen machte das Land durch spektakuläre Enthüllungen über sein Atomprogramm von sich reden. Es sah so aus, als würde die in die Jahre gekommene Islamische Revolution ihr Überleben nicht mehr in der gesellschaftlichen Öffnung, sondern in atomarer Bewaffnung suchen.

In diese Zeit fällt die sensationelle Mitteilung aus Oslo, Shirin Ebadi sei der Friedensnobelpreis 2003 zuerkannt worden. Ein Preis, der in Iran allerdings zwiespältig aufgenommen wurde. Ebadi's Aufrufe zur Freilassung der politischen Gefangenen, Beendigung der Bestrafung durch Steinigung, Trennung von Politik und Religion haben die Konservativen einmal mehr gegen sie aufgebracht. Negativ wurde auch registriert, dass es Shirin Ebadi nicht für nötig hält, außerhalb Irans ihren Kopf unter einem Schador zu verhüllen.

Zu denen, die grummeln, gehört auch Präsident Khatami. Offenbar hat sich der als Reformer angetretene Ayatollah seinen »Dialog der Kulturen« anders vorgestellt. Shirin Ebadi gab er gleich eine Mahnung auf den Weg: »Frau Ebadi kommt aus einer religiösen Familie und ich hoffe, sie wird die Interessen Irans und der islamischen Welt im Auge behalten und keinen Missbrauch des Preises erlauben«, meinte der Präsident. Zugleich spielte er den Preis als nicht so wichtig herunter.

Begeisterter Empfang in Teheran

Eine indirekte Antwort auf Khatamis unterkühlte Reaktion kam ausgerechnet von seinem jüngeren Bruder Mohammed-Reza Khatami. Der Arzt, der als Vizesprecher des Parlamentes die derzeit wichtigste Stimme der Reformer ist, hob die Bedeutung des Friedensnobelpreises klar hervor und grenzte sich damit von seinem geistlichen Bruder Mohammed Khatami deutlich ab.

In der unterschiedlichen Bewertung von Shirin Ebadi's Nobelpreis selbst unter den Brüdern Khatami kommt die zunehmende Vereinsamung der einstigen Leitfigur Mohammed Khatami im Reformlager zum Ausdruck. Mohammed Khatami scheint es zunehmend nicht nur an der Macht, sondern auch am Willen zu fehlen, sich gegen die Konservativen durchzusetzen, sei es weil er deren Übermacht kennt, sei es, weil er fürchtet, der Reformprozess könne ihm entgleiten und weiter gehen, als er es selbst will.

Wie der begeisterte Empfang Ebadi's nach der Preis-Verkündung und ihrer Rückkehr von einer Konferenz in Paris gezeigt hat, ist sie in einer Situation allgemeiner Resignation noch einmal zu einer Hoffnungsträgerin geworden, auch wenn weiter völlig unklar bleibt, wie sich die Reformbewegung auf der politischen Ebene noch durchsetzen soll. Aber auch der Westen kann froh sein, dass es in der islamischen Welt nicht nur Leute gibt, die von der Zeit der ersten Kalifen oder gleich vom Himmelreich träumen, in das man am sichersten als Selbstmordattentäter eingeht, sondern auch Menschen wie Shirin Ebadi, die für eine Welt hier und heute kämpfen – die gar nicht so wenigen Shirin Ebadi's, die für die Rechte der Frauen, die Rechte der Minderheiten und der Andersdenkenden eintreten.

Aus: ND, 10.12.2003

Siehe auch:
"Für ihren Kampf um Demokratie und Menschenrechte"
Friedensnobelpreis 2003 für Schirin Ebadi


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