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Der Krieg gegen die Vernunft / The War Against Reason

Von Harold Pinter / by Harold Pinter

Der Literaturnobelpreis 2005 wurde am 13. Oktober dem britischen Dramatiker und Dichter Harold Pinter zugesprochen. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir eine politische Rede aus dem Jahr 2002, in der Pinter in schonungsloser Offenheit die Kriegskomplizenschaft Tony Blairs mit George W. Bush anprangerte (das war noch Monate vor dem Irakkrieg). Wir hatten seiner Zeit Auszüge daraus als Zitat Nr. 46 in unserer Rubrik "Zitat der Woche" dokumentiert: Harold Pinter: "Schau in den Spiegel, Kumpel!". Im Folgenden also der ganze Text in Deutsch und im englischen Original.

Die Rede von Harold Pinter zur Preisverleihung wurde am 7. Dezember von der Schwedischen Akademie veröffentlicht. Sie ist hier dokumentiert: "Mit Hilfe der Sprache hält man das Denken in Schach".



Der Krieg gegen die Vernunft

Von Harold Pinter

Es gibt eine alte Geschichte über Oliver Cromwell. Nachdem er die irische Stadt Drogheda eingenommen hatte, wurden die Bewohner auf den größten Platz gebracht. Cromwell befahl seinen Stellvertretern: "OK! Tötet alle Frauen und vergewaltigt alle Männer!" Einer seiner Adjutanten sagte daraufhin: "Entschuldigung, General. Muss es genau umgekehrt heißen?" Eine Stimme aus der Menge rief: "Mr. Cromwell weiß, was er tut."

Diese Stimme ist die Stimme von Tony Blair. - "Mr. Bush weiß, was er tut."

Tatsache ist, dass Mr. Bush und seine Bande wissen, was sie tun und Blair, wenn er nicht wirklich der arme Irre ist, als der oft erscheint, weiß auch, was sie tun. Bush und Co haben, ganz simpel ausgedrückt, fest vor, die Welt und die Bodenschätze der Welt zu kontrollieren. Und es ist ihnen egal, wie viele Menschen sie auf diesem Weg umbringen. Und Blair ist an ihrer Seite.

Er besitzt nicht die Unterstützung der Labour Party, er besitzt nicht die Unterstützung des Landes oder die der gefeierten "internationalen Gemeinschaft". Wie kann er es rechtfertigen, dieses Land an einen Krieg zu beteiligen, den niemand will? Er kann es nicht. Er kann nur zurückgreifen auf Rhetorik, Klischees und Propaganda. Als wir Blair an die Macht wählten, haben wir nicht im geringsten daran gedacht, dass wir ihn eines Tages verachten würden. Die Vorstellung, er habe Einfluss auf Bush ist lächerlich. Seine gleichgültige Akzeptanz der US-Tyrannei ist jämmerlich.

Diese Tyrannei ist natürlich eine althergebrachte amerikanische Tradition. Lyndon Johnson sagte, als er 1965 den griechischen Botschafter in den USA ansprach: "Zur Hölle mit Ihrem Parlament und Ihrer Verfassung. Die USA sind ein Elefant, Zypern ist eine Fliege. Griechenland ist eine Fliege. Wenn diese beiden Typen weiterhin den Elefanten reizen, können sie vom Rüssel des Elefanten verprügelt werden, richtig gut verprügelt werden."

Er meinte das ernst. Kurze Zeit später ergriffen die von den USA unterstützten Generale die Macht in Griechenland und das griechische Volk verbrachte sieben Jahre in der Hölle.

Was nun den Elefanten betrifft, so hat er sich zu einem Monster entwickelt und groteske und ekelhafte Ausmaße angenommen. Die schreckliche Gräueltat auf Bali ändert nichts an diesem Sachverhalt.

Das "besondere Verhältnis" zwischen den USA und Großbritannien hat in den letzten zwölf Jahren tausende Menschen im Irak, in Afghanistan und Serbien den Tod gebracht. All dies bei der Führung des "moralischen Kreuzzuges" durch die USA und Großbritannien, um der Welt "Frieden und Stabilität" zu bringen.

Der Gebrauch von abgereichertem Uran im Golfkrieg war besonders effektiv. Die Strahlenwerte im Irak sind besonders hoch. Kinder werden ohne Gehirn, ohne Augen, ohne Genitalien geboren. Wo sie Ohren, einen Mund oder ein Rektum haben sollten, sind Öffnungen, aus denen Blut fließt.

Blair und Bush stehen solchen Tatsachen gegenüber natürlich gleichgültig gegenüber, nicht zu vergessen der charmante, grinsende, verführerische Bill Clinton, der auf dem Kongress der Labour Party anscheinend stürmischen Beifall erhielt. Wofür? Für das Töten irakischer Kinder? Oder serbischer Kinder?

Bush sagte: "Wir werden es nicht dulden, wenn die schlimmsten Waffen der Welt in den Händen eines der schlimmsten Führer der Welt bleiben." Richtig. Schau in den Spiegel, Kumpel. Du bist es.

Die USA sind dabei, fortgeschrittene "Massenvernichtungswaffen"-Systeme zu entwickeln und bereit, diese dort einzusetzen, wo sie geeignet sind. Sie haben sich von den internationalen Verträgen über biologische und chemische Waffen verabschiedet und verweigern die Genehmigung zur Kontrolle der eigenen Fabriken.

Sie halten hunderte afghanischer Gefangener in Guantanamo Bay, verweigern ihnen eine rechtmäßige Entschädigung, obwohl gegen sie keine Anklage vorliegt und halten sie praktisch für unbestimmte Zeit gefangen.

Sie bestehen auf ihre Immunität vor dem internationalen Strafgerichtshof, ein Standpunkt der nicht nachzuvollziehen ist, aber jetzt von Großbritannien unterstützt wird. Die Heuchelei ist atemberaubend. Tony Blairs verächtliche Unterwürfigkeit diesem kriminellen US-Regime gegenüber ist entwürdigend und entehrend für dieses Land.

Harold Pinter ist Dramatiker, Regisseur, Schauspieler, Dichter und politischer Aktivist. Dieser Text wurde zuerst als Rede bei einem Antikriegsversammlung am Unterhaus gehalten.

Aus: Red Pepper / ZNet 27.11.2002



The War Against Reason

by Harold Pinter

November 27, 2002
Red Pepper


There's an old story about Oliver Cromwell. After he had taken the Irish town of Drogheda the citizens were brought to the main square. Cromwell announced to his lieutenants: "Right! Kill all the women and rape all the men." One of his aides said: "Excuse me, general. Isn't it the other way around?" A voice from the crowd called out: "Mr Cromwell knows what he's doing."

That voice is the voice of Tony Blair - "Mr Bush knows what he's doing."

The fact is that Mr Bush and his gang do know what they're doing and Blair, unless he really is the deluded idiot he often appears to be, also knows what they're doing. Bush and company are determined, quite simply, to control the world and the world's resources. And they don't give a damn how many people they murder on the way. And Blair goes along with it.

He hasn't the support of the Labour Party, he hasn't the support of the country or of the celebrated "international community". How can he justify taking this country into a war nobody wants? He can't. He can only resort to rhetoric, cliche and propaganda. Little did we think when we voted Blair into power that we would come to despise him. The idea that he has influence over Bush is laughable. His supine acceptance of US bullying is pathetic.

Bullying is, of course, a time-honoured US tradition. Addressing the Greek ambassador to the US in 1965, Lyndon Johnson said: "Fuck your parliament and your constitution. The US is an elephant. Cyprus is a flea. Greece is a flea. If these two fellows continue itching the elephant they may just get whacked by the elephant's trunk, whacked good."

He meant what he said. Shortly afterwards the colonels, supported by the US, took over in Greece and the Greek people spent seven years in hell.

As for the US elephant, it has grown to be a monster of grotesque and obscene proportions. The terrible atrocity in Bali does not alter the facts of the case.

The "special relationship" between the US and the UK has, in the last 12 years, brought about the deaths of thousands upon thousands of people in Iraq, Afghanistan and Serbia. All this in pursuit of the US and UK "moral crusade" to bring "peace and stability" to the world.

The use of depleted uranium in the Gulf War has been particularly effective. Radiation levels in Iraq are appallingly high. Babies are born with no brain, no eyes, no genitals. Where they do have ears, mouths or rectums, all that issues from these orifices is blood.

Blair and Bush are of course totally indifferent to such facts, not forgetting the charming, grinning, beguiling Bill Clinton, who was apparently given a standing ovation at the Labour Party conference. For what? Killing Iraqi children? Or Serbian children?

Bush has said: "We will not allow the world's worst weapons to remain in the hands of the world's worst leaders." Quite right. Look in the mirror chum. That's you.

The US is at this moment developing advanced systems of "weapons of mass destruction", and is prepared to use them where it sees fit. It has walked away from international agreements on biological and chemical weapons, refusing to allow any inspection of its own factories.

It is holding hundreds of Afghans prisoner in Guantanamo Bay, allowing them no legal redress despite their being charged with nothing, holding them captive virtually for ever.

It is insisting on immunity from the international criminal court, a stance that belegers belief but which is now supported by the UK. The hypocrisy is breathtaking. Tony Blair's contemptible subservience to this criminal US regime demeans and dishonours this country.

Harold Pinter is a playwright, director, actor, poet and political activist. This text was first delivered as a speech to an anti-war meeting at the House of Commons.

Source: www.zmag.org



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