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"Ein Stachel im Fleisch der Mächtigen, einer, der die heißen Eisen anpackt, von My Lai bis Abu Ghraib"

"Blätter"-Demokratiepreis 2007 an den Journalisten Seymour Myron Hersh verliehen. Reden von Albert Scharenberg, Blätter-Redaktion, und (in Auszügen) von Hans Leyendecker

Mit Seymour Myron Hersh zeichnen die "Blätter für deutsche und internationale Politik" einen Journalisten aus, der wie kein anderer seit 40 Jahren die Strukturen der Macht durchleuchtet. Hersh sieht die Aufgabe des kritischen Journalismus darin, die Staatsgewalt seines Landes investigativ zu kontrollieren und die Doppelmoral der Herrschenden bloßzustellen. Dies belegen seine großen Reportagen: von der Aufdeckung des Vietnamkriegs-Massakers von My Lai im Jahre 1969 über seine Ermittlungen zur Rolle der CIA und Henry Kissingers in den 70er und 80er Jahren und zum zweiten Golfkrieg in den 90er Jahren bis zur Aufklärung des Folter-Skandals im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis im Jahr 2004.
2005 und 2006 Jahr machte er mit zwei großen Artikeln im "New Yorker" auf die geostrategischen Ziele und die Kriegsvorbereitungen der USA gegen Iran aufmerksam. Siehe:

Im Folgenden dokumentieren wir die Eröffnungsrede sowie die Laudatio zur Preisverleihung, die am 26. September 2007 in Berlin stattfand.
Alle Reden der Presiverleihung finden Sie auf der Website der "Blätter":
www.blaetter.de
Die Dankesrede des Preisträgers haben wir hier dokumentiert:
Die Brüchigkeit der Demokratie. Von Seymour M. Hersh



Patriot mit Moral

Von Albert Scharenberg, Blätter-Redakteur

Lieber Seymour Hersh, wir, die „Blätter für deutsche und internationale Politik“, freuen uns sehr, dass Sie heute hier in die Akademie der Künste gekommen sind, um unseren diesjährigen Demokratiepreis entgegenzunehmen – obwohl wir doch alle wissen, wie ausgesprochen ungern Sie ihre Arbeit verlassen. Umso mehr ist es für uns eine Ehre, dass Sie heute hier sind. Ebenso freuen wir uns, dass wir mit Hans Leyendecker und Erhard Eppler zwei Laudatoren gewinnen konnten, die geradezu prädestiniert sind, uns Seymour Hersh näher zu bringen.

Doch bevor ich das Wort an Hans Leyendecker weitergebe, möchte ich kurz darlegen, was uns, die „Blätter“, dazu veranlasst hat, Seymour Hersh den Demokratiepreis zu verleihen. In der Preis-Begründung heißt es dazu: „Mit Seymour Hersh zeichnen die ‚Blätter‘ einen Journalisten aus, der wie kein anderer seit 40 Jahren die Strukturen der Macht durchleuchtet. Gegen den allgemeinen Trend zur ‚Boulevardisierung‘ der Medienlandschaft sieht Hersh die Aufgabe des kritischen Journalismus in der Demokratie darin, die Staatsgewalt seines Landes investigativ zu kontrollieren. [...] Durch seine Arbeit und sein Engagement hat er wesentlich dazu beigetragen, dass die Apparate von Regierung, Verwaltung, Geheimdienst und Militär weiterhin, allen administrativen Widerständen zum Trotz, einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterliegen.“ Ich möchte im Folgenden kurz auf die damit benannten drei zentralen Aspekte eingehen.

Erstens: Seymour Hersh ist geradezu der Inbegriff des investigativen Journalismus. Das alleine ist schon sehr viel in der Ära von Rupert Murdochs „Fox News“, in der die Kontrolle und Kritik der Mächtigen immer weniger opportun, ja mitunter regelrecht in Verruf geraten zu sein scheint. Daher gibt es auch leider von Journalisten seines Schlags zunehmend weniger – bzw. bei weitem nicht genug, und zwar nicht nur im Ursprungsland des investigativen Journalismus, sondern auch hier in Europa.

Seymour Hersh indes hat sich nicht abgeschliffen, bis er mitten in den immer näher an die Macht rückenden Zeitgeist passte; er ist, anders als viele seiner früheren Mitstreiter, auch nicht zu einem Kummerkasten der Reichen und Mächtigen geworden. Vielmehr bleibt er im besten Sinne des Wortes eigen-willig, ein Stachel im Fleisch der Mächtigen, einer, der die heißen Eisen anpackt, von My Lai bis Abu Ghraib.

Und damit bin ich bereits beim zweiten Punkt.

Hershs Engagement ist Teil der Selbstheilungskräfte der US-amerikanischen Demokratie. Einer, der so viele heiße Eisen anpackt, wird, so möchte man meinen, unempfindlich. Unempfindlich gegenüber Schmerz, vielleicht sogar unempfindlich gegenüber moralischen Maßstäben.

Nicht so Seymour Hersh. Zählt doch sein unerschütterliches Eintreten für Demokratie, Recht und die Geltung der Menschenrechte zum Besten, was die amerikanische „liberal tradition“ zu bieten hat.

Es war Karl Deutsch, der feststellte, dass Macht nicht zuletzt die Fähigkeit ist, „nicht lernen zu müssen“. Dank Seymour Hersh, ist man geneigt hinzuzufügen, müssen aber auch die Mächtigen lernen, dass sie sich nicht alles erlauben können, dass auch ihr Handeln Kriterien unterliegt: nämlich den Kriterien der Demokratie.

Hersh weiß, was Frederick Douglass, der große Kämpfer für die Sklavenbefreiung, vor über anderthalb Jahrhunderten so formulierte: „Power concedes nothing without demand.“ Frei übersetzt: Freiwillig räumen die Mächtigen kein Terrain.

Die Erkenntnis, wie zerbrechlich die amerikanische – aber auch jede andere – Demokratie ist, macht deren Selbstheilungskräfte so eminent wichtig – und für diese steht in besonderem Maße Seymour Hersh, der aufklären will über die Fehler und die, schlimmer noch, vorsätzlichen Lügen der Herrschenden, damit diesen durch die Institutionen der amerikanischen Demokratie ein Ende gesetzt werden kann.

Damit komme ich zum dritten, uns besonders wichtigen Punkt.

Hershs Kritik an der US-Regierung bewahrt vor Antiamerikanismus. Das hervorzuheben ist angesichts der Verbundenheit von altem Europa und Neuer Welt – und gerade hierzulande – von besonderer Bedeutung. Hat doch das amerikanische Volk Deutschland im 20. Jahrhundert die Demokratie gebracht wie im Jahrhundert zuvor das französische den Code Civil. In diesem Sinne sprach auch Karl Bredthauer vor zehn Jahren anlässlich der Verleihung des Demokratiepreises an den Historiker Daniel J. Goldhagen von der bundesdeutschen Demokratie als dem „Geschenk, das noch verdient sein will.“

Heute bedürfen gerade wir solcher Stimmen wie Seymour Hersh, die unserer Kritik an der Politik der Bush-Regierung und unserer Sorge um den zukünftigen amerikanischen Weg Ausdruck verleihen, die aber niemals Gefahr laufen, in antiamerikanische Stimmungsmache zu verfallen.

Dies gewährleistet unser Preisträger Seymour Hersh. Er ist ein amerikanischer Patriot – und zwar ein Patriot mit Moral. „Ich fühle mich heute,“ sagt Hersh, „wie zu Zeiten des Vietnamkrieges – ich hasse es, Steuern zu zahlen, so dass sie losziehen und noch mehr Menschen bombardieren können.“ Hier spricht ein moralisch unbestechlicher Patriot. Und Seymour Hersh wäre sicherlich froh, wenn er eines Tages nichts mehr fände, was er aufdecken müsste.

Quelle: www.blaetter.de


Laudatio von Hans Leyendecker

Der Sisyphos der Demokratie

(Auszüge aus der) Laudatio auf Seymour M. Hersh

Von Hans Leyendecker *


„Wir haben es hier mit einem Gegner zu tun, der schlimmer ist als die Kommunisten. [...] Die wollen uns drankriegen. [...] Was ich, ehrlich gesagt, nie bedacht habe, war, wie weit diese Bastarde gehen würden. [...] Es ist mir wurscht, wie es gemacht wird. Tut nur, was getan werden muss, um diese undichten Stellen zu stopfen. Ich will nicht hören, warum es nicht möglich ist. [...] Ich will keine Ausreden. Ich will Ergebnisse. Ich will, dass es gemacht wird. Um jeden Preis. [...] Haltet die heiße Ware unter Verschluss“.

Diesen Auftrag gab Anfang der 70er Jahre der 37. Präsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, seinen engsten Mitarbeitern; darunter Robert Haldeman und John Ehrlichman. Auch seinen Mann fürs Grobe in der feinen Welt der Diplomatie, Henry Kissinger, schaltete er ein.

Gemeint mit dem Wort Bastard war, neben den Washington-Post-Reportern Carl Bernstein und Bob Woodward, auch Seymour Hersh, der damals für die „New York Times“ arbeitete. (...)

Wir sind heute zusammengekommen, um Seymour Hersh zu ehren, der in diesem Jahr den Demokratiepreis bekommt. Er hat sich die Anerkennung nimmermüde erarbeitet. Die Furcht vor dem Bastard, der die heiße Ware der Regierenden an die Öffentlichkeit bringt, ist der beste Schutz der Demokratie. Vor Parlamenten fürchten sich manche der Regierenden weit weniger als vor Leuten wie ihm.

(...)

Hersh komme „im amerikanischen Journalismus dem am nächsten, was man einen Terroristen nennt“, hat der Bush-Berater Richard Perle, vor ein paar Jahren gesagt. Kann es einen besseren Laudator als Perle geben? Mit seiner offenen Feindschaft adelte Perle den Journalisten. Hersh hatte im „New Yorker“ aufgedeckt, dass Kriegs-Befürworter Perle mit Firmen verbändelt war,die am Irakkrieg gut verdienen konnten. Und der Boss, George W. Bush? Auch er hat Hersh geehrt. Er hat ihn einen „Lügner“ genannt.

"Sein Wort zählt, weil es Deckung hat"

Ich bin geehrt, heute an diesem Platz zu stehen und den Journalisten Hersh würdigen zu dürfen. Das Wort Kollege verwende ich nicht. Es würde wie Anmaßung klingen. Der Sohn jüdischer Immigranten aus Osteuropa, ein gelernter Historiker, fing als Polizeireporter an. Er war freier Journalist, Agenturjournalist, Hauptstadtkorrespondent, arbeitet seit 1992 beim „New Yorker“ und schreibt Bücher. Hersh hat in all diesen Jahren Geschichte und Geschichten gemacht wie kein anderer lebender Reporter: Als junger Nachrichtenredakteur schon deckte er 1969 das Massaker von My Lai auf, 35 Jahre später enthüllte er den Abu-Ghraib-Skandal. Dazwischen lagen Enthüllungen über die Rolle der CIA im Putsch von Chile, die Rolle Kissingers beim Bombenkrieg gegen Kambodscha, die amerikanische Unterstützung von Atomprogrammen in Israel und Pakistan, die Massaker im ersten Golfkrieg, die Manipulationen des Office of Special Plans vor dem Irakkrieg, die Desinformationen der CIA.

(...)

Seine Arbeit zeigt: Erkennbare Linien, langer Atem zahlen sich doch aus. Wenn er die Iran-Abenteuer der Regierenden in Washington enthüllt, macht er weltweit Nachrichten und regt manche zur Nachdenklichkeit an. Was er über Syrien oder den Libanon sagt, hat Gewicht. Sein Wort zählt, weil es Deckung hat in einem Leben der Glaubwürdigkeit.

Wer mit einer seiner ersten großen Geschichten (das war bei dem Mann, der heute den Demokratiepreis bekommt, die Enthüllung von My Lai) den wohl wichtigsten Journalisten-Preis, nämlich den Pulitzer-Preis, gewinnt, ist normalerweise gefährdet: Eine frühe Geschichte, die in die Haut der Nation gewachsen ist, hinterlässt gewöhnlich Spuren in den eigenen Jahresringen. Man muss stark sein, um keine Starallüren zu entwickeln.

Hersh mimt nicht den Star. Siebzig Jahre alt ist er mittlerweile und er ist noch immer eine Gefahr für diejenigen in der Regierung, die sich über die Gesetze stellen. Er kämpft unverdrossen dagegen, dass demokratisch gewählte Politiker zu Machthabern mutieren.

(...)

„Wir leben in einer Demokratie, die sich vor der Wahrheit fürchtet“

Hersh ist eine Art Sisyphos der Demokratie. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat darauf hingewiesen, dass jener Sisyphos mehr war als ein Outsider, der in übergroßer Tragik unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufwälzte. Enzensberger nennt Sisyphos eine „Figur des Alltags“ – sehr klug, ein bisschen trickreich, kein Philosoph. So sei Sisyphos gewesen.

Hersh ist kein Philosoph. Er schreibt sorgfältig, vergleichsweise spröde, ist auch sonst von ziemlicher Kargheit, und die lebt er vor. Den Kontakt in die Redaktion pflegt er über die Faktenprüfer des New Yorker, die seine Quellen kennen. Auch mit dem Chefredakteur redet er über seine Quellen, die im Blatt meist anonym vorkommen.

„Es gibt Leute an entscheidenden Stellen, die die Wahrheit sagen wollen. Aber sie wollen auch ihre Jobs nicht verlieren. Sie wollen sagen, was los ist, aber sie haben eine Frau, ein Kind, eine Hypothek“ hat Hersh den Umgang mit den Quellen umschrieben. Wir leben manchmal in einer Demokratie, die sich vor der Wahrheit fürchtet.

Die Glaubwürdigkeit des Reporters ist sein Markenzeichen und deshalb hassen ihn Bush und die anderen. Hersh ist ein unnaiver Romantiker, der noch an die Wahrheit glaubt. An seinem Schreibtisch, in dem engen Nest aus Papieren, Büchern und Zeitungen sitzt er wie ein Alchemist in seiner Bude, mit nie erlahmender Passion. Nicht er sei wichtig, seine Arbeit sei wichtig, sagt er gern.

(...)

(...) Wenn Journalismus mehr ist als ein Geschäft, wenn Journalisten mehr sind als harmlose Narren, müssen sie brennen. Ludwig Börne hat Jean Paul nachgerühmt, mit dem Blut seines Herzens und dem Saft seiner Nerven zu schreiben. Das klingt in unserer Zeit vielleicht altmodisch, aber Hersh, der kein rasender Verfolger, sondern ein verantwortungsbewusster Journalist ist, ist altmodisch.

Wirklich gefährlich sind die rasenden Mitläufer. Der „embedded journalism“, ganz gleich ob vom Militär und im Regierungsflugzeug eingebettet, stellt eine ganz neue Klasse dar. Sogenannte Chronisten lassen sich in Inszenierungen einbauen; sie sitzen bei den Mächtigen am Katzentisch und schreiben die Brocken auf, die man ihnen zuwirft. Sie würden sich vermutlich sogar in ein Kinderstühlchen zwängen, nur um dazuzugehören.

Es gibt in allen Demokratien die Idee einer Kräfteverteilung zwischen Bürgern, Machtinhabern und Kontrolleuren. Den Politikern und Wirtschaftsführern stehen, jedenfalls in der Theorie, völlig unabhängige Journalisten gegenüber, die wirtschaftliche und politische Prozesse transparent machen und den Mächtigen auf die Finger gucken, sie kontrollieren. In diesem Sinne sollen sie auch Anwälte der Bürger sein. Keine Richter, aber doch Zeitzeugen im Dienste derjenigen, die Zeitungen kaufen und den Fernsehapparat einschalten. Demokratie basiert auf öffentlichen Prozessen der Willens- und Entscheidungsbildung. Die zentrale Frage ist dabei, wie Medien mit ihrer Rolle als Vermittler zwischen Wirtschaft, Politik und Publikum und mit ihrer Rolle als Kritiker und Kontrolleur tatsächlich umgehen. Die Antwort darauf lautet seit Jahren: eben nicht so autonom und kompetent wie es dem Ideal der politischen Kommunikation in unserer Gesellschaftsordnung entsprechen würde.

„Hersh ist kein Lautverstärker, er heult nicht mit den Wölfen“

Der große liberale Journalist Russel Baker hat neulich in der „New York Review of Books“ über die Zukunft oder Nicht-Zukunft der Zeitungen geschrieben und beklagt, dass sich viele Journalisten nur noch am Mainstream orientierten. Er hat beim Lob des guten Journalismus das schöne Bild von dem pferdebespannten Wagen verwendet, der auf einer achtspurigen Autobahn fahre.

In der neuen Flüchtigkeit, die oft so wichtigtuerisch in dicken Limousinen daher kommt, fällt ein Kutscher wie Hersh auf. Er ist kein Lautverstärker. Er heult nicht mit den Wölfen. Er ist keiner jener spätbürgerlichen Neojournalisten, die der Neoliberalismus und der Neokonservatismus hervorgebracht haben. Er ist überhaupt nicht anfällig für rasche Moden und Beliebigkeit.

(...)

Mancher Journalist ist von Berufswegen furchtbar bang. Nicht nur in den USA, aber dort besonders. Die Geschichte über Abu Ghraib beispielsweise lag zunächst beim Fernsehsender CBS. Als Hersh davon Wind bekam, wollte er die Kollegen unterstützen. Dann erkannte er, dass die sich nicht richtig trauten und begann selbst mit einer umfassenden Recherche. Über die Folter im Namen der Freiheit machte er in ein paar Wochen drei, vier große Geschichten, die weltweit Beachtung fanden.

Seine konservativen Feinde wollen ihn gern mit dem Vorwurf treffen, er sei ein Parteigänger der Demokraten und erledige deren Geschäfte. In den späten 60ern hat Hersh tatsächlich eine kurze Karriere bei den Demokraten gemacht, auf deren Seite er auch heute noch steht. Ist er deshalb ein Parteigänger? Er ist ein Parteigänger des Journalismus. Weil er weiß, dass die anderen seine Ein stellung kennen, muss er in der Arbeit seine Unabhängigkeit demonstrieren. Wehe den Demokraten, die fehlen. Er hat eine Menge kritischer Berichte über den früheren Präsidenten Clinton geschrieben.

„Hersh ist hemmungslos altmodisch – und damit aktuell“

Die Amerikaner benennen die Wühlerei von Journalisten mit einem Wort ihres ehemaligen Präsidenten George Roosevelt, der von „muckraking“ sprach. Gemeint war der Job jener Journalisten, die, um einer Sache auf den Grund zu gehen, den Schmutz wie ein Schwein umgraben. Hierzulande nennt man einen wie Hersh einen investigativen Journalisten. Das „Handbuch Journalismus und Medien“ definiert den Begriff so: Investigativer Journalismus bedeutet nicht nur eine systematische und möglichst vollständige, das heißt alle relevanten Möglichkeiten ausschöpfende Informationssuche, die den Dingen auf den Grund gehen möchte. Vielmehr bedeutet investigativer Journalismus vor allem auch Recherchieren und Schreiben gegen Widerstände und Barrieren. Die Themenfelder zeichneten sich durch ein hohes Maß an sozialer Relevanz aus und dem Journalisten komme dabei immer die aktive Rolle zu.

(...)

Weltweit gibt es einen Wettbewerb um Schlagzeilen und atemraubende Enthüllungen. Wir leben heute in einer permanenten Gegenwart, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Ständig wird eine neue Sau durchs globale Dorf getrieben, es sind ganze Herden von Schweinen unterwegs und es werden immer mehr. Erstrebenswert scheint manchem nur noch das frühzeitige Besetzen von Themen, das Anzetteln von Aufregungskommunikation, die dafür sorgt, dass das eigene Blatt, der eigene Sender von anderen Blättern, von anderen Sendern erwähnt wird. Laut der Devise: Es gibt uns wirklich! In einigen Ländern werden Statistiken darüber geführt, welches Medium die meisten exklusiven Nachrichten veröffentlicht hat. Statistiken darüber, wie viele dieser Meldungen recycelt oder falsch waren, gibt es allerdings nicht.

An das Ohr dringt eine Geräuschkulisse aus Wörtern und Tönen, die ihre Inhaltslosigkeit durch Aufdringlichkeit ersetzen. Laut geht es zu, unüberhörbar laut. „Jetzt ist es nicht mehr die Geheimpolizei, die bei den Bürgern Gehirnwäsche betreibt, sondern die als Abfolge von Moden dahinwogende Oberflächlichkeit“, hat György Konrad der frühere ungarische Dissident und spätere Präsident der Akademie der Künste zu Berlin gesagt.

Dahinwogende Oberflächlichkeit – dieses Bild ist zur Lagebeschreibung geworden. Immer weniger Blätter leisten sich festangestellte Redakteure, die über längere Zeit eine Geschichte gründlich recherchieren können. Hersh ist in dieser unübersichtlichen Zeit hemmungslos altmodisch und gerade deshalb aktuell.

„Ein guter Journalist ist ein Unzufriedener“

Ein guter Journalist ist ein Unzufriedener. Niemand, der zufrieden ist, ist fähig zu schreiben. Niemand, der mit der Wirklichkeit einverstanden, mit ihr versöhnt ist, wird ein guter Journalist werden. Guter Journalismus kann erstickt werden, aber er wird niemals konformistisch sein. Die Wirklichkeit unserer Tage bietet dem Journalisten ein Füllhorn von Gründen, unzufrieden zu sein.

(...)

(...) Selbst ein Enthüller vom Format des Seymour Hersh kann nicht die Welt verändern. Was er tut, bewirkt meist – die ignorante Regierung Bush stellt da eine Ausnahme dar – ein Nachdenken, ein Zögern, eine Selbstprüfung. Aber auch das ist schon eine ganze Menge.

Macht hat immer zwei Seiten: Man kann sie zum Guten nutzen und gleichzeitig kann sich der Mächtige an ihr berauschen. Damit wird Macht zum Selbstzweck.

Der recherchierende Journalist hat die Aufgabe, die dunkle Seite der Macht auszuleuchten und den Mächtigen das Gefühl zu geben, dass der Missbrauch nicht völlig gefahrlos ist. Dies macht er in dem Wissen, dass sich die Sudler auf einen langen Zermürbungskrieg einrichten und am Ende sogar mit dem Zynismus des Publikums rechnen dürfen.

Auch dafür, dass Hersh dies alles weiß und dennoch unermüdlich weitermacht, gebührt ihm der Demokratiepreis.

Ihnen danke ich für Ihre Geduld.

* Hans Leyendecker ist leitender politischer Redakteur der "Süddeutschen Zeitung"

Quelle: www.blaetter.de



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