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"Es gibt kein Recht und keine Gerechtigkeit in Israel/Palästina, und unsere Preisträger kämpfen dagegen seit vielen Jahren"

Sumaya Farhat-Naser und Reuven Moskovitz erhalten den Amos-Preis. Laudatio von Felicia Langer


Am 20. März 2011 wurde der Stuttgarter Amos-Preis für Zivilcourage in Religion, Kirchen und Gesellschaft an Dr. Sumaya Farhat-Naser,Friedensvermittlerin, "Jerusalem Center for Women", Birseit, und an Reuven Moskovitz, Friedensaktivist, Mitbegründer von "Neve Shalom/Wahat al Salam", Jerusalem, verliehen. Beide genießen auch in der deutschen Friedensbewegung eine hohe Wertschätzung. So auch Felicia Langer, Tübingen, die die Laudatio hielt.
Im Folgenden dokumentieren wir die Laudatio.


Felicia Langer:

Sehr geehrter Vorsitzender der Offenen Kirche, Evangelische Vereinigung in Württemberg,
Sehr geehrte Geschäftsführung des Amos-Preises,
Sehr geehrter Schirmherr des Amos-Preises, Dr. Erhard Eppler,
Sehr geehrte Dr. Sumaya Farhat-Naser,
Sehr geehrter Reuven Moskovitz,


ich bedanke mich herzlich für die Ehre, die Laudatio halten zu dürfen anlässlich der Verleihung des Amos-Preises an die honorigen Dr. Sumaya Farhat Naser und Reuven Moskovitz.

Im Buch Amos 5(15 bzw. 24) sagte der sozialkritische Prophet, der für Gerechtigkeit eintrat: „Hasst das Böse, liebt das Gute…Sorgt lieber dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt. ... Recht und Gerechtigkeit sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet.“

Es gibt kein Recht und keine Gerechtigkeit in Israel/Palästina, und unsere Preisträger kämpfen dagegen seit vielen Jahren, bis zum heutigen Tag. Es ist ein Segen, sie dafür auszuzeichnen und zu weiterem Einsatz für Gerechtigkeit zu ermutigen. Danke Ihnen!

In dem Aufruf palästinensischer Christen und Christinnen zur Beendigung der Besatzung (Kairos Palästina, 11.12.2009) wird die Besatzung als ein Übel und eine Sünde bezeichnet. Ich erlaube mir die Bemerkung, dass ich das Übel persönlich miterlebt habe, als Augenzeugin. Es gibt in dem Dokument einen Appell an die Weltgemeinschaft, die „Doppelmoral“ zu beenden und die internationalen Resolutionen zur Palästinafrage auf alle Parteien anzuwenden. Auch Deutschland ist hier gemeint, insbesondere die pro-israelische Einseitigkeit von Frau Merkel, ohne die friedensblockierende Haltung Israels und seine grausamen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinensern zu verurteilen. Frau Merkel muss begreifen, dass wir in einer Ära der Revolutionen leben. Die unvergess-lichen Bilder vom Tahrir-Platz in Kairo, wo Millionen für die Freiheit demonstriert haben, sprechen Bände. Diese Massen werden, anders als die bezahlten Despoten, deren Zeit abgelaufen ist, die Entrechtung der Palästinenser nicht länger dulden. Es ist heute eine historische Preisverleihung, ohne Anführungszeichen, meine liebe Damen und Herren!

Sumaya Farhat-Naser: geboren 1948 im Jahr der israelischen Staatsgründung in Birseit bei Jerusalem. Schule im deutschen Internat Thalita Kumi in Beit Dschala bei Bethlehem. Studium der Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg, Promotion in angewandter Botanik. 1982 -1997 Dozentin an der palästinensi-schen Universität Birseit. Seit Mai 1997 Leiterin des palästinensischen „Jerusalem Center for Women“. Regelmäßige Vorträge u. A. über Erziehung, Alltag, Ökologie, Frauen und die politische Lage in Palästina, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Lebt in Birseit. 1989 erhielt sie „für ihr öffentliches Eintreten für die politische Aussöhnung von Palästinensern und Juden in Gerechtigkeit und Freiheit“ die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Universität Münster, Westfalen. 1995 wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Preis und 1997 mit dem Buchpreis des Deutschen Verbandes Evangelischer Büchereien sowie mit dem Versöhnungspreis „Mount Zion Award“ in Jerusalem ausgezeichnet. (aus „Thymian und Steine“ 1995/2005)

Sumaya Farhat-Naser schrieb weitere Bücher: „Verwurzelt im Land der Olivenbäume“ (2002); „Disteln im Weinberg“ (2008). In ihrer Heimat leistet sie hervorragende Friedensarbeit; in Deutschland wurde sie 1994 über den Streit der von Palästinenserinnen erstellten Weltgebetstags-Liturgie bekannt – durch viele Veranstaltungen; sie spricht fließend deutsch und hat besondere Beziehungen zu dem Förderzentrum der Herrnhuter Brüdergemeinde für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen auf dem Sternberg bei Ramallah, dessen Leitung sie in den Jahren 2008 und 2009 innehatte.

Sumayas langjährige Freunde, Mechthild und Hans Karl Henne, die sich auch für Verständigung und Frieden engagieren, charakterisieren Sumaya als warmherzig, gewinnend, liebenswert und freundlich. Sie ist heimatverbunden, bestimmt, mutig, gradlinig, gerecht und durchsetzungsfähig. Sie ist eine gute Pädagogin, macht Friedensarbeit an Schulen, an der Uni, mit jungen Menschen. Sie hegt keinen Hass, sondern ist immer um Verständnis bemüht, obwohl ihr Sohn und der Schwiegersohn im Gefängnis saßen. Unrecht benennt sie deutlich.

In ihrem Buch „Verwurzelt im Land der Olivenbäume“ (S. 30-31) erzählt Sumaya, wie sie mit der Familie nach Ramallah gefahren ist, und auf dem Rückweg haben die Soldaten, neuen Bestimmungen zur Folge, die Autos nicht durchgelassen. Hunderte von Menschen und Autos standen an dem Checkpoint. Sumaya schrieb:

Ein junger Mann konnte sich nicht beherrschen und gab dem Soldaten mit der Hand einen Stoß. Wütend richtete dieser sein Gewehr auf die Brust des Mannes. „Schieß doch! Ich habe nichts zu verlieren“, schrie dieser. Ich trat dazwischen, so dass das Gewehr nun auf mich zielte. Der Soldat brüllte mich an: „Geh weg, was mischst du dich ein!“ Ich sagte: „Ich möchte dich schützen! Du hast ein Gewehr, doch ich spüre deine Angst. Du könntest mein Sohn sein, ich möchte nicht, dass du zum Mörder wirst!“ Ein anderer Soldat, der dies gehört hatte, holte seinen Kameraden weg. „Danke!“, sagte ich. „Wir leiden alle gleichermaßen unter der Situation.“ Der Soldat sagte: „Ich bin aus Holon in Israel, und am liebsten wäre ich dort.“ – „Dann geh nach Hause, weigere dich, hier Dienst zu tun!“, entgegnete ich ihm. „Es ist schrecklich für dich, es macht dich kaputt.“ Er nickte. - Dies ist Sumaya.

Mabruk, liebe Sumaya, ich gratuliere Dir herzlich zum Amos-Preis 2011!

Reuven Moskovitz wurde 1928 im nordrumänischen Schtetl Frumusica geboren. Mit elf Jahren wurde er ins Getto vertrieben.

Reuven Moskovitz war Mitbegründer der Siedlung „Neve Shalom/Wahat al Salam“, in der israelische Juden und Palästinenser zusammenleben. Er organisierte Studienreisen durch Israel, mit denen er sich sowohl um die jüdisch-palästinensische Aussöhnung wie auch um die deutsch-israelische Aussöhnung bemühte. Er initiierte das Projekt „Versöhnungsräume und Versöhnungswege“ in Neve Shalom/Wahat al Salam, hielt in Deutschland Vorträge in Kirchengemeinden und engagierte sich bei Kirchentagen, auch bei besonderen Anlässen wie zum Beispiel beim Hungerstreik von Firas Maraghy vor der israelischen Botschaft in Berlin (August 2010) sowie für ein Schiff der „European Jews for Just Peace“ gegen die Blockade von Gaza (September 2010). Vorbildlich, so die Jury, sei Moskovitz darin, „Wege zu suchen und zu gehen, um Feinde zu Freunden zu machen“.

Diejenigen, die ihn kennen, sagen, dass er ein lieber und engagierter Mensch ist. 2001 wurde Moskovitz mit dem „Mount Zion Award“ und 2003 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Er hat das Buch „Der lange Weg zum Frieden. Deutschland – Israel – Palästina. Episoden aus dem Leben eines Friedensabenteurers“ veröffentlicht.

Die freie Enzyklopädie Wikipedia schreibt, dass Moskovitz die israelische Politik gegenüber den Palästinensern für verfehlt hält. Demütigungen und Gewaltanwendung seitens der Israelis, so Moskovitz, müssten seiner Meinung nach immer mehr palästinensische Gewalt provozieren. Bis heute bekämpft er diese Politik als menschenrechtswidrig und gefährlich. Er engagierte sich früh in der israelischen Friedensbewegung und wurde nach dem Sechstagekrieg Sekretär der neu entstandenen „Bewegung für Frieden und Sicherheit“.

Reuven Moskovietz erzählt in seinem Rundbrief über seine Entscheidung, sich an der Bootsfahrt nach Gaza zu beteiligen, um die Gaza-Blockade zu durchbrechen. Er schreibt, dass ihm klar war, dass ein kleines Boot mit einer Handvoll Menschen die politischen Umstände nicht ändern wird. „Ich habe meine Hoffnung nur darauf gesetzt, dass nach dem mörderischen Piraterie-Drama auf der Mavi Marmara meine israelische Regierung sich siebenmal überlegen würde, ein kleines Boot, hauptsächlich mit Juden besetzt, ebenso zu überfallen.“

Der Einsatz mörderischer Gewalt gegen die Gaza-Freiheitsflottille (31.5.2010) war eine Abschreckung seitens Israels. Das jüdische Gaza-Boot Irene am 26. September war eine Antwort. Reuven Moskovietz, 82 Jahre alt, war dabei. Er beschreibt in seinem Rundbrief, dass die Menschen an Bord erklären werden, dass sie sich in einem Boot unter britischer Flagge befinden, dass sie keinen gewalttätigen Widerstand leisten. „Die einzigen Waffen, die wir haben, sind symbolische Güter wie Wasserreinigungsgeräte, Fischernetze, Medikamente, Kinderspielzeug und 50 Mundharmonikas für Kinder in Gaza.“ Reuven Moskovitz beschreibt, was danach passierte: „Dann der blitzartige Überfall: etwa sieben Kommandoschnellboote umzingelten unseren winzigen Katamaran…Gemäß unserer Entscheidung saßen wir untergehakt – und ich spielte auf meiner Mundharmonika „Hevenu Shalom Elechem“ – Wir wollen Frieden für alle. „We shall overcome“ zu singen haben wir nicht mehr geschafft, da plötzlich Dutzende von schwer bewaffneten Soldaten mit voller Wucht auf das Schiff sprangen und den Kapitän gewaltsam vom Steuer entfernten. Ich zog instinktiv einen Hebel, um die Motoren zu stoppen. Dabei merkte ich, dass mehrere Soldaten und ein Oberleutnant versuchten, Jonathan und Rami El Chanan zu trennen, und andere fielen über Itamar her, sein Sendegerät wurde beschlagnahmt und die Antenne zerbrochen. Ich sah, wie ein Offizier seine Pistole zog und auf Jonathan eine Kugel abschoss, die einen elektrischen Schock verursachte, worauf er einen schrecklichen Schmerzensschrei ausstieß. Rami versuchte, Jonathan zu schützen, und wurde von mehreren Soldaten überfallen. Da fing ich an zu schreien und zeigte auf meine und die anderen Mundharmonikas, dass das die einzigen Waffen sind, die wir besitzen. Dazu, dass Rami kein Verbrecher, sondern Vater einer bei einem Terroranschlag getöteten Tochter sei. Unser Gepäck, auch die Tasche mit meinen Medikamenten und Ausweisen, schleuderte man auf die angreifenden Schiffe. Dann wurden Israelis und nicht-israelische Insassen getrennt. Jonathan und Itamar wurden mit Gewalt von uns gerissen und auf ein Kommando-boot transportiert. Mir wurden derweil die Mundharmonikas, die Geschenke für die Kinder, mit einem Gewehrstoß aus den Händen geschlagen, und ich hörte das Knirschen der ,Waffen’ unter den Soldatenstiefeln.“

Ich habe jedes Wort von Deinem Bericht, Reuven; verinnerlicht. Danke Dir, dass Du auf diesem Boot warst und uns das alles so nahe gebracht hast. Ich betrachte es als Heldentum, beispielhaft für uns alle.

Mazel Tov, lieber Reuven, ich gratuliere Dir herzlich zum Amos-Preis 2011.

Danke.


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