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Militär behält Führungsrolle

LINKEN-Abgeordnete kritisiert Regierungsstrategie "Für eine kohärente Politik gegenüber fragilen Staaten" *


Kathrin Vogler ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag, stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss und Obfrau im Unterausschuss zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit. Mit ihr sprach Michael Schulze von Glaßer über ein im März veröffentlichtes Strategiepapier der Bundesregierung für zukünftige deutsche Interventionen.


nd: Planungsstäbe aus dem Auswärtigen Amt, dem Entwicklungs- und dem Verteidigungsministerium haben Lehren aus dem gescheiterten Einsatz in Afghanistan gezogen. In einem neuen Papier mit dem Titel »Für eine kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten« wird von den Ministerien eine neue Interventionsstrategie vorgeschlagen. Gut?

Vogler: Nein, schon wie das Papier zu Stande kam ist fragwürdig. Es wurde von der genannten Dreierkonstellation ausgearbeitet, ohne die anderen Ministerien oder gar den Bundestag einzubeziehen. Dabei gibt es zur Ausarbeitung solcher Strategien extra den Ressortkreis zivile Krisenprävention. Darin sitzt auch das Wirtschaftsministerium, das für deutsche Waffenexporte zuständig ist und natürlich unbedingt eingebunden werden müsste. Der Ressortkreis, der noch ein Erbe aus rot-grünen Regierungszeiten ist, soll scheinbar durch kleinere Strukturen ersetzt werden.

Die Bundesregierung bekennt sich in dem Papier klar zur UN-Charta als »verbindliche Grundlage« deutscher Interventionspolitik.

Das wird aber auch gleich wieder eingeschränkt, da die Führungsrolle des Militärs bei Interventionen in dem Papier festgeschrieben ist. Es wird von einem »zu Beginn robusten Profil als Erfolgsfaktor« gesprochen. Zu deutsch: Die Bundesrepublik soll in Zukunft immer sofort militärisch eingreifen. Bei dem neuen Konzept handelt sich klar um ein Interventions-Legitimierungs-Papier.

Demzufolge soll aber auch mehr auf lokale Kräfte und Institutionen gesetzt werden. Gerade die LINKE fordert doch immer, die örtlichen Gegebenheiten etwa in Afghanistan zu respektieren. Warum kritisieren Sie den Entwurf dennoch?

Es ist natürlich positiv, dass die drei Ministerien erkennen, dass sich westliche Vorstellungen etwa von Demokratie nicht einfach Staaten der Dritten Welt überstülpen lassen. Die Strategie bedeutet aber vor allem: Nach über zehn Jahren Krieg in Afghanistan will die Bundesregierung die Taliban an der Regierung beteiligen, um gesichtswahrend aus dem vom Westen angerichteten Desaster aussteigen zu können.

Das Strategiekonzept sieht für solche Fälle eine klare Grenze: Werden von den lokalen Kräften die »universellen Menschenrechte verletzt«, soll es keine Zusammenarbeit geben. Die Bundesregierung ist sich der Problematik wohl bewusst ...

In wie weit sie die schönen Worte in die Tat umsetzt, ist dabei aber vollkommen offen. Schon heute hält die Regierung sich nicht an diese Regel. Die von der Bundesregierung gestützte afghanische Regierung unter Hamid Karsai tut kaum etwas gegen die massiven Menschenrechts- und insbesondere Frauenrechtsverletzungen in Afghanistan. Dennoch wird dem Wahlfälscher Karsai jede Hilfe gewährt. Diese Menschenrechtsrhetorik ist nur ein Feigenblatt.

Sie lehnen die bisherige deutsche Strategie ab, weil sie Ihnen zu militärisch ist. Jetzt lehnen Sie auch noch die neue Strategie ab, die mehr auf die Einbeziehung der örtlichen Gegebenheiten setzt. Sollen die Menschen in den sogenannten fragilen Staaten also weiter sich selbst überlassen werden und Not leiden - soll Deutschland davor die Augen verschließen und sich einigeln?

Definitiv nicht! Linke Politik wird von Grundwerten geleitet, die von denen der regierenden Politik stark abweichen. Einer unserer Werte ist die internationale Solidarität, ein anderer Frieden und Gerechtigkeit.

Die LINKE tut gut daran, deutlicher als bisher zu machen, dass wir das Spannungsfeld der untrennbaren Begriffe Frieden und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen. Die Bundesregierung und auch die anderen Oppositionsparteien neigen dazu, Sicherheit in den Mittelpunkt des Diskurses zu stellen - das zeigt sich auch bei dem neuen Papier.

Es gilt also vorrangig für Gerechtigkeit zu sorgen?

Krieg und Gewalt sind nur die Symptome einer tieferen Ungerechtigkeit. Es müssen deshalb die Ursachen bekämpft werden. Wenn man es unterlässt, sich für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einzusetzen und auf der anderen Seite in alle Welt Rüstungsgüter exportiert, muss man sich nicht wundern, wenn in Entwicklungsstaaten Milizen und Warlords ein Terrorregime errichten. Auf der anderen Seite bedeutet internationale Solidarität, dass wir den Menschen beistehen gegen Ungerechtigkeiten, damit sie Sicherheit haben und am gesellschaftlichen Prozess teilhaben können. Frieden und Gerechtigkeit müssen aber von den Menschen vor Ort initiiert werden und nicht von außen aufgezwungen - das funktioniert nicht.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. Juni 2012

Hier gehjt es zu den "Leitlinien":

Für eine kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten
Ressortübergreifende Leitlinien des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Verteidigungsministeriums, März 2012 (pdf-Datei)




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