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Jobkiller NAFTA

Wie ein Zusatzvertrag zum nordamerikanischen Freihandelsabkommen die Verletzung von Arbeitsrechten legalisiert

Von Werner Rügemer *

Durch das Freihandelsabkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zwischen der EU und den USA soll das Wachstum gefördert werden. Damit sollen auch Hunderttausende Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks entstehen. Die Erfahrung zeigt aber: Freihandelsabkommen nach kapitalistischem Muster vernichten bisherige Arbeitsplätze und schaffen eine geringere Zahl neuer, prekärer Jobs.

Seit 1994 gilt zwischen den USA, Mexiko und Kanada das North Atlantic Free Trade Agreement (NAFTA). Im Unterschied zum 1947 beschlossenen Freihandels-Rahmenabkommen GATT ist es Neoliberalismus pur: Es geht weniger um Zollfragen als um die Freiheit der Investoren. So enthält NAFTA erstmalig auch die private Schiedsgerichtsbarkeit. Die US-Regierungen von William Clinton bis Barack Obama legten und legen seitdem für weitere Freihandelsabkommen (GATS, TRIPS u.a.) das NAFTA-Muster zugrunde, so auch jetzt für TTIP mit der EU und für die Trans-Pacific Partnership (TPP) mit elf pazifischen Staaten.

Auch durch NAFTA sollten Hunderttausende neue Arbeitsplätze in allen drei beteiligten Staaten entstehen. Aber ohne daß dies ausdrücklich als Ziel beschlossen wurde, wurden die Arbeitsverhältnisse dereguliert. Das wurde rechtlich durch ein Nebenabkommen abgesichert: das Nordamerikanische Abkommen über Arbeitszusammenarbeit (englische Abkürzung NAALC).

In dessen Präambel heißt es vielversprechend: Die drei Vertragspartner orientieren sich an den Arbeits- und Menschenrechten nach dem Standard der Internationalen Arbeits-Organisation ILO. Doch zu diesem Nebenabkommen gehört noch ein Anhang: Darin sind die ILO-Standards aufgelistet, die von den USA, Mexiko und Kanada ratifiziert oder auch nicht ratifiziert waren. Verbunden damit verpflichten sich die drei Staaten, den jeweiligen Rechtszustand in den anderen Staaten anzuerkennen.

Das kam und kommt einseitig den USA zugute. Sie haben die meisten und wichtigsten Arbeitsrechte nach den ILO-Standards nicht ratifiziert: Recht der Beschäftigten zur Gewerkschaftsbildung (Koalitionsfreiheit), Recht der Beschäftigten auf kollektive Interessenvertretung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, festgelegte Verfahren für die Festsetzung des Mindestlohns, Gesundheits- und Sicherheitsschutz am Arbeitsplatz, Recht auf bezahlten Urlaub, Mindeststandards für soziale Sicherheit, Mindestalter für die Arbeitsaufnahme und viele andere mehr. Deswegen blieben praktisch alle Beschwerden wegen Verletzung von Arbeitsrechten ergebnislos.

Verbunden mit den neuen Freiheiten der Investoren sieht das Ergebnis nach zwei Jahrzehnten deshalb düster aus, jedenfalls aus Sicht der Lohnabhängigen. Nach einer Bilanz der Bürgerrechtsvereinigung »Public Citizen« (Washington) vom Januar 2014 verdreifachte sich der Handel. Aber gleichzeitig wurden in Mexiko und in den USA Arbeitsplätze vernichtet; in den USA sind dies etwa eine Million vorher meist besser bezahlter Industrie-Arbeitsplätze. Zum Beispiel: General Electric lagerte 4900 Arbeitsplätze nach Mexiko und Kanada aus, Chrysler 7700.

Mexiko wurde zur verlängerten Werkbank für ausländische Konzerne, vor allem aus den USA. Von NAFTA profitieren auch Konzerne aus Europa, die in den USA eine Niederlassung betreiben. Sie investierten wegen der niedrigen Löhne in sogenannte »Maquiladoras«: Fabriken, in denen vor allem Textilien und Elektrogeräte aus importierten Vorprodukten für den Export produziert werden. Die hochsubventionierten Nahrungsmittel aus den USA und der EU führten gleichzeitig zum Ruin der für Mexiko bis dahin prägenden klein- und mittelbäuerlichen Agrarwirtschaft. So wurde in der Landwirtschaft eine knappe Million mehr Arbeitsplätze vernichtet, als in den »Maquiladoras« geschaffen wurden. In Kanada entstanden durch die Auslagerung von Unternehmen der Autozulieferindustrie »Maquiladoras« auf höherem Niveau.

Die Investoren aus den USA und aus Europa brachten ganz legal ihre niedrigen Arbeitsrechtsstandards mit. In den USA wie in Mexiko führte das – über die unmittelbar betroffenen Arbeitsplätze hinaus – zu einem Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen überhaupt. Löhne wurden auf ein noch niedrigeres Niveau als 1994 gedrückt. Die Einkommensunterschiede wurden verschärft: Die Armutsrate in Mexiko stieg von 45 Prozent (1993) auf 51 Prozent (2010).

[Unter www.arbeitsunrecht.de/ttip kann der Aufruf »Arbeitsrechte verteidigen! TTIP stoppen!« unterzeichnet werden.]

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4, Februar 2014


Kleine Schwierigkeiten

Simon Poelchau über Angela Merkels Werben für Freihandelsabkommen **

Die Bundeskanzlerin, sie sagt selten was. Doch wenn sie etwas sagt, dann hat es Gewicht. So war es auch am Montagabend, als Angela Merkel für ein Freihandelsabkommen mit Asien warb.

Die wirtschaftliche Annäherung an den größten Kontinent der Erde dürfte da jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Eher fällt ins Gewicht, was Merkel über das zurzeit auf Eis gelegte Freihandelsabkommen mit den USA – fast nebenbei – bemerkte: Dies dürfe »vor lauter kleinen Schwierigkeiten« nicht aus den Augen verloren werden. Aha. Der gesamte NSA-Abhörskandal, der sogar vor Merkels eigenem Handy nicht Halt machte, ist für sie offenbar nur eine »kleine Schwierigkeit«. Auch nur »kleine Schwierigkeiten« sind für Merkel die zahlreichen schweren Bedenken, die Opposition, Verbände und Bevölkerung gegen das Abkommen mit den USA haben. Sie haben Angst, dass Gentechnik in Europas Landwirtschaft Einzug hält und so auf die Teller der Menschen gelangt. Sie haben Angst, dass Unternehmen noch mächtiger werden, weil sie die Möglichkeit bekommen sollen, ganze Staaten zu verklagen.

Das alles sind für Merkel nur »kleine Schwierigkeiten«. So drängt sich der Verdacht auf, dass sie sich mit dem Abkommen in die Geschichtsbücher einschreiben will. Es wäre ja das größte seiner Art.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. Februar 2014 (Kommentar)


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