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CDU, SPD und GRÜNE preisen die "EU als Erfolgsgeschichte" und den EU-Reformvertrag als "alternativlos" - Willi van Ooyen (DIE LINKE): "Ein anti-demokratischer Vertrag"

Vor der endgültigen Ratifizierung des EU-Reformvertrags im Bundesrat am 23. Mai debattierte der Hessische Landtag - Dokumentation

Am 23. Mai wird der Bundesrat - voraussichtlich mit überwältigender Mehrheit - dem EU-Reformvertrag zustimmen. Im Hessischen Landtag fand hierzu eine Debatte am 13. Mai statt. Sie war geprägt davon, dass der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Willi van Ooyen, eine sehr kritische Rede zum politischen Inhalt des Reformvertrags hielt, der nichts anderes sei als eine Neuauflage des 2005 gescheiterten Verfassungsvertrags. Alle anderen Fraktionen feierten dagegen den EU-Vertrag als alternativlos und als Höhepunkt in der Integrationsgeschichte Europas.
Im Folgenden dokumentieren wir die Presseerklärungen von der LINKEN, CDU, und der GRÜNEN. Außerdem die Rede des SPD-Abgeordneten Dr. Michael Reuter (sie war an Stelle einer Pressemitteilung herausgegeben worden) sowie die Rede von Willi van Ooyen, die alle wesentlichen Bedenken der Friedensbewegung und der kritischen Friedensforschung zusammenfasste.
In dieser Reihenfolge:


PRESSEMITTEILUNG der Fraktion DIE LINKE
Wiesbaden, 13. Mai 2008

Kritik am EU-Reformvertrag ist berechtigt: Ja zu Europa – Nein zu diesem Reformvertrag

Zum `Dringlichen Antrag`, betreffend des Abstimmungsverhaltens im Bundestag zum `Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Lissabon, erklärt Willi van Ooyen, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag:

„Die Ankündigung der geschäftsführenden Landesregierung unter Roland Koch (CDU), dem vorliegenden Vertragswerk zuzustimmen, geht unserer Ansicht nach über gewichtige Bedenken und berechtigte Kritik hinweg: Unsere Fraktion teilt in vielen Punkten die Bedenken der Friedensbewegung, des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, des Europäischen Sozialforums und zahlreicher Gruppen und Initiativen. Wir unterstützten die von den genannten Organisationen und sozialen Bewegungen initiierte Kampagne `Ja zu Europa, Nein zum Reformvertrag`. Bemerkenwert ist, dass auch in den Gewerkschaften die Kritik in letzter Zeit zugenommen hat.“

Das vorliegende Vertragswerk, so van Ooyen anlässlich der Debatte um den Vertrag von Lissabon, enthalte u. a. einen Passus, der ausdrücklich eine Aufrüstungsverpflichtung und die Schaffung einer EU-Rüstungsagentur vorsehe. Außerdem sehe das Vertragswerk nur eine unzureichende, aber dringend gebotene parlamentarische Kontrolle der EU-Außenund Militärpolitik vor.

Für den europäischen Einigungsprozess sei es darüber hinaus kontraproduktiv, wenn sich bei den Bürgerinnen und Bürger das Gefühl einstelle, nicht mitreden zu dürfen. Nur Zuschauer zu sein, wenn weit reichende Neuerungen ohne Mitsprachemöglichkeit festgeschrieben werden sollen, schüre Europafeindlichkeit - nicht die berechtigte Kritik an vielen Stellen des EU-Reformvertrags, so van Ooyen.

„Schließlich handelt es sich bei dem EU-Reformvertrag nur um einen kosmetisch veränderten Entwurf des ehemaligen EU-Verfassungsvertrags. Dieser war im Rahmen eines Referendums sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt worden`,“ so van Ooyen. „Es ist alles, nur ganz sicher kein demokratisches Vorgehen, den fast wortgleichen Text nun an den Bevölkerungen der EUMitgliedsstaaten vorbei durchboxen zu wollen.“


Regierungserklärung zur Europapolitik

Gudrun Osterburg: "Das Ja zum Vertrag von Lissabon ist alternativlos" - "Verweigerung der Linken zeigt ihre völlige Regierungsunfähigkeit"

Europapolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion
13.05.2008

"Mit dem Vertrag von Lissabon wird die Europäische Union auf ein neues institutionelles Fundament gestellt, das die Handlungsfähigkeit Europas nach innen und außen stärkt und ihre demokratische Legitimation über das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente deutlich verbessert", erklärte die europapolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Gudrun Osterburg, während der heutigen Debatte über die Ratifizierung des EU-Vertrags von Lissabon. Allerdings sei es "völlig unverständlich", dass die Altkommunisten der Linken sich "diesem Vertragswerk verweigern" und der Ratifizierung ablehnend gegenüberstehen: "Zum Glück ist Rot-Rot-Grün gescheitert. Sonst wäre eine Zustimmung Hessens im Bundesrat akut gefährdet gewesen." Die Linken würde damit abermals ihre Regierungsunfähigkeit unter Beweis stellen, so die CDU-Politikerin.

Osterburg begrüßte ausdrücklich, dass die Parlamente der Mitgliedstaaten - und damit auch Bundestag und Bundesrat - durch den Vertrag von Lissabon erstmalig direkte Mitwirkungsrechte gegenüber den Organen der Europäischen Union bei der Subsidiaritätskontrolle und bei institutionellen Entscheidungen erhalten werden.

Osterburg machte abschließend deutlich, dass die Landesregierung auch weiter erfolgreich darauf achten solle, dass die Mitwirkungsrechte der Länder nicht eingeschränkt würden und in Europa das Subsidiaritätsprinzip zur Geltung komme. Zudem begrüßte sie, dass die Hessische Landesvertretung in Brüssel eine wirksame Vorfeldbeobachtung übernehme und wichtige Möglichkeiten zur Einflussnahme bei der europäischen Rechtssetzung schaffe.


Pressemitteilung der GRÜNEN - 13. Mai 2008

Vertrag von Lissabon zustimmen

EU als Erfolgsgeschichte - Linksfraktion rückwärtsgewandt

"Wir GRÜNE begrüßen den Vertrag von Lissabon und demzufolge auch die angekündigte Zustimmung der geschäftsführenden Landesregierung am kommenden Freitag im Bundesrat. Nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden und einer langen Debatte um die Neuordnung der EU Strukturen befand sich die EU in einem regelrechten Formtief. Man hatte den Eindruck alle Welt redet vom Wetter sprich vom Klimawandel, der Klimakatastrophe - nur die Bürokratie der Europäischen Union beschäftigt sich mit sich selbst", sagt die europapolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag, Ursula Hammann. "Gerade die Auseinandersetzung um die richtigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel haben doch gezeigt: Nationale Maßnahmen allein reichen nicht mehr aus, CO2 ist grenzenlos. Die EU-Richtlinie zur Änderung des europäischen Emissionshandels wird dafür sorgen, dass besonders starke CO2 Produzenten wie Kohlekraftwerke für ihren CO2 Ausstoß auf die Dauer unrentabel werden und die ökonomische Vernunft den Umstieg auf die Erneuerbaren Energien enorm beschleunigen werden."

"Wir erwarten von der geschäftsführenden Landesregierung eine Initiative zur Veränderung der Genehmigungspraxis auf europäischer Ebene zur Verhinderung einer Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Es muss endlich eine Verbesserung der Risiko- und Folgenabschätzung, vor allem hinsichtlich der Berücksichtigung von bodenökologischen Aspekten stattfinden. Es muss endlich gewährleistet werden, dass die am Zulassungsverfahren mitwirkenden Experten unabhängig sind und nicht gleichzeitig an den Forschungen beteiligt, mit der Wirtschaft verflochten sind oder in diesem Arbeitsfeld wirtschaftliche Interessen wahrnehmen."

"Gerade wir GRÜNE wünschen uns von einem Europa, das zukunftsfähig bleibt, auch weiterhin starke übernationale Impulse in der Umweltpolitik – auch wenn sich die geschäftsführende Landesregierung noch im Kampf gegen die Windmühlen befindet und bisher das Zentrum ihrer Europapolitik im Kampf um die Abschaffung der FFH Richtlinien gesehen und versucht hat sich im erbitterten Widerstand gegen die REACH Verordnung als Chemielobbiist zu profilieren. Dazu sagen wir ganz deutlich: Auch in der Europapolitik brauchen wir an einigen wichtigen Stellen einen Politikwechsel in Hessen.

So wie Hessen einen Politikwechsel in der Europapolitik, mit neuen anderen Schwerpunkten, so sehr braucht auch die Europäische Union eine Chance sich zu reformieren. Durch den Vertrag von Lissabon können nun wesentliche Reformen des Verfassungsvertrages vollzogen werden können. So wird durch die Ratifizierung des Vertrags die Grundrechtecharta rechtsverbindlich, das Europäische Parlament erhält mehr Rechte, es wird ein 'Mehr' an europäischer Außenpolitik möglich, das Mehrheitsprinzip löst das bisherige Einstimmigkeitsprinzip des Rates ab und die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente werden gestärkt. Damit wird die demokratische Legitimation der EU erhöht, und auch die Beteiligung der europäische Bürgerinnen und Bürger möglich."

"Wir GRÜNEN sehen es als Verpflichtung an, mit dazu beizutragen, die Europäische Union transparenter und handlungsfähiger zu gestalten. Es stände Hessen gut an, wenn sich alle Fraktionen im Hessischen Landtag dafür einsetzen würden. Umso mehr sind wir über die Haltung der Linken enttäuscht. Die Linke Fraktion lehnt die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag kategorisch ab und damit auch die Erweiterung der Bürgerrechte. Das Mitglied des Verfassungsausschusses des Europaparlamentes, die stellv. Vorsitzende der linken Fraktion und Vertreterin der LINKEN im Verfassungskonvent, Frau Sylvia-Yvonne Kaufmann, sieht dies anders und deshalb sollten die Kolleginnen und Kollegen der Linken ihre Vertreterin im Verfassungskonvent ernst nehmen. Ansonsten bleibt der Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit wie Pech an ihnen kleben."

"Wir können stolz sein auf die Europäische Union. Sie ein Friedensprojekt, eine Wirtschaftsunion, eine Solidargemeinschaft – eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Vertrag von Lissabon ist ein Pflock eingeschlagen: Die Union wird handlungsfähiger, effizienter. Nun kommt es darauf an, die Herzen der Bürgerinnen und Bürger wieder für das europäische Integrationsprojekt zu begeistern. Der Reformvertrag formuliert sicherlich nicht alle wünschenswerten Ziele. Aber die Ratifizierung ist ein wichtiger Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Europäischen Union. Dieser Weg muss fortgeführt werden, damit die Vision einer demokratischen, solidarischen, sozialeren und ökologischen Union verwirklicht werden kann."


Pressemeldungen

Dr. Michael Reuter (SPD): Sozialdemokraten stimmen Vertrag von Lissabon zu

Wir dokumentieren nachfolgend die Rede des europapolitischen Sprechers der SPD-Landtagsfraktion, Dr. Michael Reuter, im Plenum des Hessischen Landtags in Auszügen. Es gilt das gesprochene Wort:

„…, dass wir uns heute hier im Hessischen Landtag mit dem Thema Europa beschäftigen. Und dies zu einem politisch hochaktuellen, ja ich möchte sagen zu einem geschichtlichen Zeitpunkt, wo der Bundestag mit großer Mehrheit dem Vertrag von Lissabon zugestimmt hat und wo die Entscheidung im Bundesrat am 23. Mai unmittelbar bevorsteht. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, worin wir die Entscheidung des Bundestages begrüßen und worin wir die geschäftsführende Landeregierung auffordern, dem Vertragswerk im Bundesrat zuzustimmen. Und wir wissen es nach der heutigen Regierungserklärung, dass es diesbezüglich zwischen der geschäftsführenden Landesregierung und uns keinen Dissens gibt. Damit ist aber auch klar, dass wir der in dem Antrag der Linken ausformulierten Ablehnung des Lissabonvertrages nicht zustimmen. Dem Antrag des Bündnisses90/die Grünen stimmen wir dagegen ebenfalls zu.

Für uns ist und bleibt der Vertag von Lissabon ein Meilenstein in der Erfolgsgeschichte von Europa, einem Europa, wo es nach den schrecklichen Kriegen der letzen Jahrhunderte seit nunmehr 63 Jahren kein Krieg mehr gegeben hat. Dieses Europa des Friedens schickt sich nun an in dem Vertrag von Lissabon seinen Beziehungen unter den 27 Staaten auf eine moderne und nachhaltige Grundlage zu stellen. Gewiß, auch wir hätten uns durchaus einige Regelungen anders vorstellen können, ich erinnere nur daran, dass wir uns eine europäische Verfassung gewünscht hätten. Bei einer Gesamtbetrachtung stehen wir aber dem Vertrag von Lissabon positiv gegenüber.

Ich möchte auf folgende Punkte des Vertrages von Lissabon hinweisen, die Grundlage für unsere positive Bewertung aus landespolitischer Sicht sind. Diese sind zum einen die Grundrechtecharta, die, sofern alle Mitgliedsstaaten der EU dem Vertragswerk zustimmen, ab nächstem Jahr fast in ganz Europa rechtverbindlich wird. Dass sich Großbritannien und Polen Sonderkonditionen ausbedungen haben, ist aber auch, wie in der Vergangenheit schon öfters erlebt, ein Stück europäische Realität.

Da ist zum anderen die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, wodurch Europa handlungsfähiger wird. Das Europaparlament und die nationalen Parlamente, und damit auch die Landtage, werden gestärkt. Dies heißt: Europa wird in Zukunft nicht nur eine Veranstaltung von Regierungen sein; nein, die Parlamente und damit auch unser Landtag wird in Zukunft eine gewichtigere Rolle einnehmen. Und das ist gut so! Was wir ebenfalls begrüßen, ist die Einführung eines Bürgerbegehrens, was ebenfalls europaweit einen Fortschritt bedeutet.

Aber auch die kommunalen Rechte werden durch den Vertrag gestärkt: Ich nenne die ausdrückliche Anerkennung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung, den Ausbau des Konsultationsrechts der Kommunen in Europa, die Einführung von Folgeabschätzungsverfahren im Hinblick auf die administrativen und finanziellen Folgen der EU-Gesetzgebung, und die Einbeziehung der Kommunen in die Subsidiaritätsprüfung und eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Durch die Installierung eines Subsidiaritäts-Frühwarnsystems und des Klagerechts zugunsten der nationalen Parlamente wird die Kompetenzabgrenzung zwischen EU und den Mitgliedstaaten zukünftig verbessert. Auch der Rat der Regionen wird künftig eine gewichtigere Rolle spielen, indem auch diesem ein Klagerecht zum EuGH bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und bei Verletzung eigener Rechte eingeräumt wird, was wir auch begrüßen. Das hat aber auch zur Folge, dass, um das Subsidiaritätsfrühwarnsystem nicht ins Leere laufen zu lassen, der hessische Landtag rechtzeitig darüber informiert werden muss, inwieweit Belange des Gesetzgebers tangiert sein könnten. In der Tat ist die Frage, wie geht eigentlich die Subsidiaritätskontrolle praktisch vonstatten, von eminenter Bedeutung. Wir haben hier im Hessischen Landtag zwei Anläufe unternommen, dieses Problem anzugehen. Es gibt den einstimmigen Beschluss des Hessischen Landtages vom 14. Juli 2005, der aber meines Erachtens zu kurz greift. Da gefällt mir im Ansatz im FDP-Gesetzesentwurf vom 27. August letzten Jahres viel besser, der aber nicht mehr im Landtag abgestimmt wurde. Auch wenn dieser Gesetzesvorschlag bei den Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Holstein abgeschrieben wurde, sollten wir diesen Ball wieder aufnehmen und erneut ins Spiel bringen! … Oder sollten wir uns ein Beispiel an anderen Bundesländern nehmen, wo man regelrechte Vereinbarungen zwischen Landesregierung und Landtag abschließen will oder bereits abgeschlossen hat? Ich nenne zum Beispiel unser Nachbarland Rheinland-Pfalz. Hierüber müssen wir im Europaausschuss in der nächsten Zeit unbedingt reden!

Wichtig ist uns dabei, um in ihrem Fahrradbild zu bleiben, Herr Minister, dass nicht das Parlament hinten auf dem Gepäckträger sitzen muss, und die Regierung vorne lenkt! Herr Hoff, sie haben in Ihrer Regierungserklärung von Testläufen gesprochen .Für meine Fraktion ist diese Frage, nämlich der Einbindung des Parlaments in europäische Fragen, der Lackmustest, inwieweit den Worten auch Taten folgen werden! Wenn wir schon in einer öffentlichen Debatte und nicht in der von der Öffentlichkeit abgeschotteten Welt des Ausschusses über Europa reden, so sei es mir gestattet einige Ausführungen darüber zumachen, inwieweit globale ,dass heißt hier europäische Vorgaben mit lokalem, dass heißt hier hessischen Handeln kompatibel sind Und wo für uns als SPD-Landtagsfraktion die Themenschwerpunkte, auch unter Einschluss der europäischen Förderinstrumente, liegen. Wir müssen die Chancen, die uns Europa bietet, produktiv umsetzen. Wer Wettbewerb will, muss dafür sorgen, dass er fair ausgetragen wird und nicht zu Dumpingpraktiken ,zu Abwärtsspiralen bei Löhnen, Umweltbedingungen und Sozialleistungen führt

Wir wollen die Spielräume des EU-Rechts bietet, mit einem hessischen Tariftreuegesetz konsequent nutzen, mit welchem man mehr als bisher Dumpingpraktiken verhindern kann. So wollen wir unter anderem im Bereich von öffentlichen Ausschreibungen Qualität zu fairen Preisen und anständige Löhne sicherstellen. Eines ist aber auch deutlich zu machen: In einer immer mehr globalisierten Welt, werden soziale Standards zum Schutz der abhängig Beschäftigten nur dann greifen, wenn diese Standards europaweit gelten.

Und hier liegt noch ein weiter Weg vor uns!

Das soziale Europa ist für uns kein Schlagwort, sondern ein Auftrag, der mit Leben gefüllt werden muss. Wir meinen, dass nun nach einer Zeit, wo Deregulierung und Privatisierung und dem Marktradikalismus in Europa das Wort geredet wurde, es nun höchste Zeit ist, dass ein Europa der sozialen Marktwirtschaft, der sozialen Verantwortung, der gestärkten demokratischen Institutionen, der Mitwirkung und der Solidarität endlich Wirklichkeit wird. Wenn man bedenkt, dass bis zum Jahr 2013 9,4 Milliarden Euro aus dem Europäischen Sozialfond nach Deutschland fließen werden, dann ist dies auch für uns hier in Hessen Anlass und Auftrag genug ,für gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Schulabbrecher und Einwanderer entsprechende Hilfestellungen zu schaffen. Und wir sollten das, was in Europa längst Standard ist, nämlich die Mindestlöhne, endlich in die Tat umsetzen! So wie es Kurt Beck in seiner Rede vor dem Bundestag ausgesprochen hat und wie wir es in unserem Antrag zitiert haben: „Alle Bürgerinnen und Bürger müssen zu anständigen Bedingungen arbeiten können und die Chance haben, mit ihrer Arbeit sich und ihre Familien zu ernähren“.

Herr Minister Hoff, Sie haben in ihrer Regierungserklärung betont, dass eine größere Gemeinsamkeit in einer nachhaltigen Klima-, Energie- und Umweltpolitik auf der europäischen Agenda steht. Dem kann man nur zustimmen! Herr Hoff, gilt diese Aussage auch für ihre Partei hier in Hessen? „Die Botschaft hör` ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ heißt es, so glaub ich, bei Goethe.( Faust, 1. Akt,1. Szene ) Mal sehen, wie lange es dauert, bis bei der Hessen-CDU die grünliche Farbe wieder ab ist, und die Kohlekraftwerk- und Atomkraftwerk- Befürworter wieder das große Sagen haben werden! Wir jedenfalls werden darauf drängen, dass in diesem Bereich mehr als bisher europäische Fördergelder auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung im Bereich des Klimas, der Umwelt und der Natur hier in Hessen zukunftsgerichtet eingesetzt werden. Dies schont und schützt unsere Umwelt und schafft oder sichert Arbeitsplätze auch bei uns hier in Hessen.

Meine Fraktion wird dem Vertag von Lissabon zustimmen, weil durch diesen die große historische Chance besteht, dass in Zukunft Europa handlungsfähiger, demokratischer, bürgernäher und transparenter werden wird, wie es zutreffend in einer Bundesratsdrucksache formuliert wird.“

13.05.2008


Nachfolgend dokumentieren wir die Rede, die Willi van Ooyen am 13. Mai im Plenum des Hessischen Landtags gehalten hat (es gilt das gesprochene Wort): Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen und Herren,

der von den Staats- und Regierungschefs der EU am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnete "Vertrag über eine Verfassung für Europa" wurde in einigen EU-Mitgliedsstaaten dem Volk, dem Souverän, zur Abstimmung vorgelegt. In Frankreich und den Niederlanden wurde dieser Verfassungsentwurf mehrheitlich abgelehnt. Gründe dafür waren in erster Linie die Festschreibung einer konsequent neoliberalen Wirtschaftspolitik, welche sich über den Nizzavertrag auch im jetzt vorgelegten Reformvertrag wiederfindet, aber auch die – und dies bisher einmalig in einer Verfassung – Verankerung einer Aufrüstungspolitik, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern."

Um Volksentscheide über diesen Text in Zukunft zu vermeiden, wurde bewusst die Bezeichnung "Verfassung" vermieden und das Vertragswerk umbenannt in "Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft." Jedoch sind genau die Punkte, die zur mehrheitlichen Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden geführt hatten, weiterhin Grundbestandteile des nun vorliegenden Vertrages.

Ich will daran erinnern, dass über den Vorgänger-Vertrag zum nunmehr anstehenden Lissabonvertrag eine breite politische Debatte stattgefunden hat. Auch die Gewerkschaften, die Friedens- und die sozialen Bewegungen haben mit den 2002 in Florenz, dann in Paris, London und vor zwei Jahren in Athen fortgesetzten Sozialforen an einer europäischen Charta gearbeitet. Dies wollen wir im September in Malmö fortsetzen. In unserem Aufruf dazu heißt es:
"Wir streiten in Malmö für ein gerechtes, friedliches, demokratisches und umweltfreundliches Europa. Das Europäische Sozialforum ist der richtige Ort, um über Alternativen zu beraten und Schritte zu diskutieren, die uns unseren Zielen näher bringen. Hier können wir uns fit machen für gemeinsame Aktionen."
und weiter:

"Wir wollen ein Signal setzen gegen die Phrasen des neoliberalen Einheitsdenkens, die uns vorgaukeln, es gäbe keine Alternativen zur herrschenden Politik. Angeblichen 'Zwängen der Globalisierung' sowie einer Europäischen Union, die uns lediglich Militarisierung, Umweltzerstörung und weiteren Sozialabbau bringt, die globale Armut und globale Probleme mehrt, setzen wir eine Globalisierung der Solidarität, des Widerstands und der Alternativen entgegen."

Das bedeutet für uns: mehr Demokratie, Abrüstung, zivile Konfliktlösungen, die Gleichstellung von MigrantInnen und ein menschlicher Umgang mit Flüchtlingen und MigrantInnen. Migration ist kulturelle Bereicherung! Für die Außenpolitik der EU müssen die Rechte der Armen in den Entwicklungsländern Vorrang vor billigen Agrarprodukten, Profit und Rohstoffsicherung für die europäische und internationalen Konzerne haben.

Weil wir Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und prekäre Beschäftigung in ganz Europa nicht hinnehmen, setzen wir uns für eine Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik ein, die sich nicht an Börsennotierungen, sondern an den Bedürfnissen der Menschen und dem Schutz der Natur orientiert. Dazu gehören sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, Mindeststandards bei Kranken-, Arbeitslosengeld und Renten sowie europäische Mindestlöhne. Der Ausbau der Mitbestimmungsrechte gehört für uns zu einem demokratischen Europa. Die Wirtschaft muss konsequent ökologisch umgebaut werden.

Qualitativ hochwertige Bildung ist für uns ein öffentliches Gut, zu dem alle Menschen freien Zugang haben müssen. Studiengebühren in jeglicher Form lehnen wir ab.

Wir erwarten Geschlechtergleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Bei den Europäischen Sozialforen arbeiten Menschen aller Schichten, Klassen und Religionen zusammen – nur Rassismus und Nationalismus wird nicht geduldet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit zahlreichen Initiativen und Veranstaltungen haben wir wie viele Organisationen und Basisgruppen der Friedensbewegung versucht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und die Öffentlichkeit über den EU-Reformvertrag zu informieren. Aufklärungsbedarf bestand und besteht bis heute vor allem hinsichtlich der außen- und sicherheitspolitischen Festlegungen, die mit der Annahme des Reformvertrags getroffen werden.

Wir kritisieren insbesondere folgende Bestimmungen:
  • die EU-Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten "schrittweise zu verbessern" (Art. 28c);
  • die Einrichtung einer "Europäischen Verteidigungsagentur", die "Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis desVerteidigungssektors" ergreifen soll (Art. 28a, Ziff. die "Verteidigungsagentur" arbeitet bereits seit 2004 - also ohne vertragliche Grundlage);
  • wir wollen keine "Verteidigungsagentur" sondern eine "Abrüstungsagentur"
  • die Einführung "besonderer Verfahren, um den schnellen Zugriff auf die Haushaltsmittel der Union zu gewährleisten", damit Militäreinsätze ("Missionen") durchgeführt werden können; hierfür wird ein sog. "Anschubfond" gebildet;
  • der Aufbau "Schneller Eingreiftruppen" und sog. Battle groups (Schlachtgruppen), die zu "Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung" benötigt werden;
  • die Einstufung des schwerkriminellen Tatbestands des "Terrorismus" als einer Handlung, die mit militärischen Mitteln (d.h. mit Krieg) beantwortet werden kann;
  • die Konstruktion einer exklusiven Gruppe von Staaten der EU, welche die "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" bilden sollen; in dieser Gruppe sind Staaten vertreten, die "anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen"; (Art. 28a und Art. 1 und 2. des Protokolls über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit);
  • die Machtlosigkeit des Europäischen Parlaments: das EP wird in Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik lediglich informiert und angehört; Entscheidungen trifft ausschließlich der Rat (also die "Exekutive" der EU);
  • der ganze Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik wird rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen; nach Art. 240 ist der Gerichtshof der Europäischen Union hierfür "nicht zuständig"
  • der europäische Außenminister (korrekte Bezeichnung: "Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitsfragen", Art. 9e) ist gleichzeitig Vizepräsident der Kommission, erhält also ein besonderes Gewicht im Institutionengefüge der EU; zu kritisieren daran ist vor allem das ressortmäßige Zusammenfallen von "Außenpolitik" und "Verteidigungspolitik"; kein EUStaat und keine andere Demokratie ist jemals auf die Idee gekommen, Außenministerium und Verteidigungsministerium in eine Hand zu legen; der Verdacht liegt also nahe, dass die EU-Außenpolitik vornehmlich als "Militärpolitik" verstanden wird.
All dies zusammengenommen komme ich zu folgenden Schlussfolgerungen:
  1. Militärinterventionen in aller Welt und somit Kriege werden zum selbstverständlichen Mittel der Außenpolitik; die EU militarisiert sich.
  2. Die Militarisierung und die ständige Verbesserung der militärischen Fähigkeiten kostet mehr Geld, das in anderen Bereichen fehlen wird.
  3. Mit der inneren und äußeren Militarisierung verliert die Europäische Union künftig an Attraktivität als "Zivilmacht". Sie wird zu einem hochgerüsteten Global Player und trägt damit zur Verschärfung weltweiter Konflikte und Spannungen bei.
Auch in den Gewerkschaften mehren sich die Stimmen gegen diesen "Lissabon-Vertrag".

So hat die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD auf ihrem Bundeskongress am 19. April 2008 in Kassel den "Lissabon-Vertrag" abgelehnt. In der Begründung heißt es u. a.:

"Dieser Vertrag schreibt die antisoziale und antidemokratische Politik des Maastrichter Vertrages ... fest. ... Der 'Lissabon-Vertrag' übernimmt den Artikel über den Binnenmarkt , in dessen Namen alle EU-Richtlinien für die Privatisierung der Öffentlichen Dienste (Bahn, Post, Telekommunikation, Strom, Gas) erlassen und in allen europäischen Ländern umgesetzt werden."

Recht haben diese Sozialdemokraten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der Reformvertrag ist in seinem politischen Gehalt nichts anderes als der alte Verfassungsvertrag, der 2005 in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. Ich will daran erinnern, dass die Vorlage zur letzten Fassung des Verfassungsvertrages eine breite europäische politische Debatte erzeugte. Begleitet von vielfältigen Aktionen (z. B. europaweit gegen die "Bolkestein-Richtlinie"). Dies auch weil er stärker in der Öffentlichkeit bekannt war. Beispielsweise in Frankreich erhielten alle Haushalte – einschließlich meines eigenen - den zur Abstimmung stehenden Vertrag als Exemplar ausgehändigt. Ich weiß dies, weil auch bei mir in der Familie immerhin drei französische Stimmen zur Verfügung standen, die – ich will es nicht verheimlichen – zum "Non" in Frankreich beigetragen haben.

Es zeugt von einem merkwürdigen Demokratieverständnis, wenn dasselbe Papier unter einem anderen Namen und mit lediglich kosmetischen Änderungen heute als "Reformvertrag" von den Parlamenten durchgewinkt werden soll. Volksabstimmungen darüber werden als "riskant" eingestuft und sollen deshalb unterbleiben. Das ist nicht das Europa, das wir wollen.

Wir in Hessen sollten uns ein Beispiel an Irland nehmen, die immerhin eine Volksabstimmung zur Bedingung der Akzeptanz des Vertrages machen.

Auch die hessische Verfassung schreibt vor, dass in Art. 123 "Eine Verfassungsänderung kommt dadurch zustande, daß der Landtag sie mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder beschließt und das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimmt."

Wir sollten unser Grundgesetz und unsere hessische Verfassung ernst nehmen und nicht einen anti-demokratischen Vertrag zum Maßstab für die europäische Zukunft machen. Aus all diesen Gründen fordert Die Linke den hessischen Ministerpräsidenten auf, dem EU-Reformvertrag im Bundesrat nicht zuzustimmen. Wer für die weitere Integration der EU als anerkannte Zivilmacht ist, muss ihre Umwandlung in einen Militärpakt ablehnen.

Wir sollten gemeinsam eine breite politische Debatte über die Zukunft eines freiheitlichen, friedlichen, solidarischen und grenzenlosen Europa initiieren. Herr Ministerpräsident, nur dies würde dem Land Hessen – in Anlehnung an die revolutionären Gedanken der Paulskirchen-Bewegung von 1848 - wirklich gerecht werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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