Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Europäische Union setzt auf das Militär", sagen die einen - "Es gibt kein Verfassungsgebot zur Aufrüstung", sagen die anderen

Die Kontroverse um die EU-Verfassung wird fortgesetzt

Am 10. Mai 2005 wartete die Frankfurter Rundschau mit einer Themenseite (Seite 2) zur EU-Außen- und Scherheitspolitik auf. Nicht nur das: Auf der Dokumentationsseite werden die einschlägigen Artikel der EU-Verfassung veröffentlicht, die sich mit der Außen- und Sicherheitspoltik befassen - soweit wir sehen können, ist das eine Premiere bei den großen überregionalen Zeitungen, gleichwohl längst überfällig, denn über die Aspekte der EU-Militarisierung schwieg sich bisher nicht nur die amtliche Politik, sondern schwiegen sich auch die Medien weitgehend aus.
Im Folgenden dokumentieren wir einen Gastbeitrag aus der FR, der auf der Themenseite erschien und die außen- und sicherheitspolitischen Implikationen der EU-Verfassung einer gründlichen Kritik unterzog. Der Autor, Thomas Carl Schwoerer, ist Verleger des Campus Verlags und aktiv in der Friedensorganisation DFG-VK. Des Weiteren zitieren wir aus einem Beitrag des FR-Redakteurs und Verfassungsbefürworters Martin Winter jene Passagen, die sich explizit mit dem Verfassungstext auseinandersetzen.



Gastbeitrag

Aufrüstung ist der falsche Weg

Die Europäische Union setzt auf das Militär. Stattdessen müsste sie sich entschieden zur zivilen Konfliktbearbeitung bekennen - und das Recht ihrer Bürger auf Kriegsdienstverweigerung festschreiben.

Von Thomas Carl Schwoerer

Noch immer sind vielen Bürgern die friedenspolitisch relevanten Passagen des Entwurfs eines EU-Verfassungsvertrags nicht bekannt. Darin verpflichten sich "die Mitgliedsstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Artikel I-40): eine Aufrüstungsverpflichtung, die es in keiner anderen Verfassung gibt und die nichts in einer Verfassung zu suchen hat.

Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich auch zu "Kampfeinsätzen als Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet" (Artikel III-210), also etwa im Hindukusch - ein extrem weit gefasstes Mandat mit völlig offener Grenzziehung. Frappierend und skandalös an beiden Passagen ist nicht zuletzt, dass kontinuierliche Aufrüstung und Interventionstruppen Verfassungsrang bekommen sollen, während die Bundeswehr nach dem Grundgesetz jederzeit im Rahmen einer Haushaltsdebatte auf Null gesetzt werden kann.

Hinzu kommt, dass die Regelung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung den Einzelstaaten vorbehalten bleibt, die EU also die von Staat zu Staat unterschiedlichen Repressionen gegenüber Kriegsdienstverweigerern legitimiert. Notwendig wären hingegen das Recht für jeden EU-Bürger, jegliche Kriegs-, Kriegsersatz- und -hilfsdienste zu verweigern, sowie das Recht politisch Verfolgter - auch der Kriegsdienstverweigerer und Deserteure - auf politisches Asyl. Im Entwurf für eine "Europäische Sicherheitsstrategie" hat der EU-Generalsekretär und Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, ausgeführt: "Eine Union mit 25 Mitgliedern und einem Verteidigungsgesamthaushalt von 160 Milliarden Euro sollte in der Lage sein, mehrere Operationen gleichzeitig auszuführen. Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die frühe, schnelle und, falls erforderlich, robuste Interventionen fördert." Die EU soll also neben den USA eine zweite militärische Weltmacht werden. Und sie soll Kriege auf dem Gebiet des Gegners führen (siehe oben, Artikel III-210: "in ihrem Hoheitsgebiet"; in der EU-Militärstrategie heißt es: "Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen."). Die Grenze zum Angriffskrieg ist durchlässig.

Im Vorgriff auf Artikel I-42 haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU am 25. März 2004 bereits verpflichtet, alle ihnen "zur Verfügung stehenden Mittel einschließlich der ... militärischen" zu mobilisieren, um terroristischen Bedrohungen "vorzubeugen". Aber Soldaten taugen nicht zur "Vorbeugung" gegen Anschläge. Krieg ist die falsche und untaugliche Antwort auf Terrorismus und andere Bedrohungen. Krieg ist kein Mittel gegen Terror - Krieg ist Terror.

Statt einer Militarisierung der europäischen Politik brauchen wir ein konsequentes Bekenntnis der EU zur zivilen Konfliktbearbeitung und zur Bereitstellung von mehr Mitteln dafür und für die Friedensforschung. Nötig sind Schritte zur Abrüstung, nicht zur Aufrüstung. Das Zitat von Carl Friedrich von Weizsäcker ist von ungebrochener Aktualität: "Man kann zwar Gewalt durch Gewalt eindämmen, man wird aber immer die Folgen zu tragen haben, dass man sich dem Prinzip, das man bekämpfte, unterworfen hat. (...) Die Meinung (...), man könne gewissermaßen zum letzten Mal Gewalt anwenden und - weil die Gewalt für das Gute ausgeübt wird - danach werde dann das Gute herrschen und nicht die Gewalt, ist einer der gefährlichsten Irrtümer und eine der Hauptquellen mörderischer Kriege."

Aus: Frankfurter Rundschau, 10. Mai 2005


Sicherungen gegen Abenteuer

Von Martin Winter, Brüssel [ A u s z u g ]

(...) Entgegen dem Eindruck, den manche Kritik erweckt, führt die Verfassung das Militärische nicht in die EU ein. Die EU-Sicherheitspolitik gibt es schon seit dem Vertrag von Maastricht von 1992. Angesichts des eigenen Versagens bei den Bürgerkriegen auf dem Balkan entwickelte die EU ihre "gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik". Auf dem Gipfel von Köln wurde 1999 die Aufstellung "glaubwürdiger militärischer Kräfte" beschlossen, um auf "internationale Krisen" reagieren zu können. Der Nizza-Vertrag von Ende 2000 schrieb diese Entwicklung fort.

Zu den Aufgaben der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, also des Einsatzes von zivilen und militärischen Mitteln, zählt der Artikel III-309 der Verfassung "gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung". Dazu gehört auch die Bekämpfung des Terrorismus "unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet". Nichts davon gibt eine Basis für Angriffskriege ab. Der Verfassungsentwurf also schreibt eine vor 13 Jahren eingeleitete Politik nur fort und er aktualisiert sie.

Die Verfassung zwingt Deutschland weder zur Aufrüstung noch kann es gegen seinen Willen in einen Krieg gezogen werden.

Auf besondere Kritik aus der Friedensbewegung stößt dabei die Einrichtung der "Europäischen Verteidigungsagentur" und die Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern". Doch damit wird Aufrüstung nicht zum "Verfassungsgebot", wie der auch bei der Verfassungsgegnerin Attac aktive Pflüger behauptet.

Die Bedrohungen durch regionale, ethnische und religiöse Krisen und durch den Terrorismus erfordern nach Meinung der 25 EU-Länder eine Umrüstung, was nicht gleichbedeutend mit Aufrüstung ist. Gebraucht wird vieles von der Panzerarmee zur flexibel einsetzbaren Truppe von Spezialisten. Damit dabei nicht alles 25-mal gemacht und angeschafft wird, soll die Verteidigungsagentur planen, koordinieren und "harmonisieren".

So wenig es ein Verfassungsgebot zur Aufrüstung gibt, so wenig kann die Agentur den Mitgliedsländern Vorschriften machen. Die Verfassung zwingt Deutschland weder zur Aufrüstung noch kann es durch sie gegen seinen Willen in einen Krieg gezogen werden. Zum einen nämlich wird die Sicherheitspolitik der EU einstimmig betrieben. Berlin hält also wie alle anderen ein Veto in der Hand.

Zum anderen ersetzt der europäische Verfassungsvertrag nicht das deutsche Grundgesetz. Deutschland darf sich also weiterhin nicht an einem Angriffskrieg beteiligen und jeder Einsatz der Bundeswehr im Ausland bedarf der Zustimmung des Bundestages. Sicherungen genug gegen eine Politik der Abenteuer, die sich eh nicht auf diese Verfassung berufen könnte.

Aus: Frankfurter Rundschau, 10. Mai 2005


Weitere Beiträge zur EU-Verfassung

Weitere Beiträge zu Europa

Zurück zur Homepage