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Europa rüstet auf - mit Waffen und Satellitensystemen

Die EU fühlt sich als Global Player

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich beide mit den neuesten Entwicklungen auf dem europäischen Rüstungsmarkt befassen. Sie erschienen am 4. Dezember 2004 in der Tageszeitung "junge Welt".

Europa rüstet auf

Die EU fühlt sich als Global Player. Dazu muß der Kontinent noch stärker militarisiert werden. Politik und Kapital forcieren die Bildung von Rüstungsmonopolen

Von Klaus Fischer


ThyssenKrupp ist davon überzeugt, daß die EU-Kommission noch in diesem Jahr die Genehmigung für den geplanten Werftenverbund aus Blohm+Voss, Nordseewerken Emden und der Kieler HDW erteilen wird. Das bekräftigte Konzernchef Ekkehard Schulz bei der Vorstellung der Bilanz des Unternehmens am Mittwoch in Essen. Was da eher am Rande erwähnt wurde, markiert jedoch eine der strategischen Optionen europäischer Wirtschaftspolitik: Der alte Kontinent rüstet auf und wer kann, möchte dabeisein.

Die EU gebe etwa halb soviel für Rüstung aus wie die Vereinigten Staaten, erreiche aber nur zehn Prozent von deren Effektivität, beklagte bereits vor zwei Jahren der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Was wie ein betriebswirtschaftlicher Exkurs klingt, beschreibt jedoch in erster Linie den Wunsch des deutschen und europäischen Kapitals nach koordinierteren Rüstungsanstrengungen, einer Konsolidierung der Branche auf EU-Ebene und letztlich nach Extraprofit. Der ist üblicherweise bei Kriegs- und Rüstungsgeschäften gesetzt, wird auch in der gegenwärtigen EU realisiert, aber die Margen scheinen den Eignern und Managern wohl zu gering. Deshalb lautet die klare Forderung an Politik und EU-Gesetzgebung: Laßt die Bildung schlagkräftiger Militärkonzerne zu, lockert die aus Sicht der Wirtschaft unsinnigen Exportbeschränkungen für Kriegsgüter, und steckt vor allem mehr öffentliche Gelder in die militärische Forschung, Entwicklung und Produktion.

Geostrategische Ziele

Der Machtblock EU hat seine geostrategischen Ambitionen in den vergangenen Jahren zunehmend deutlicher formuliert. Man will in Brüssel, Paris und Berlin nicht mehr von der Gnade Washingtons abhängig sein, will die eigenen globalen Ansprüche durchsetzen, notfalls auch gegen den Wunsch der USA. Erst die Fähigkeit zur Führung sogenannter asymmetrischer Kriege – »Terrorabwehr« am Hindukusch, Kommandoeinsätze in Afrika gegen »feindliche« Regimes und »Menschenrechtsverletzer«, Sicherung der Rohstoffquellen – läßt dieses Ziel politische Realität werden. Dazu glaubt sich das Staatenbündnis trotz der vermeintlich in die Verteidigung investierten Milliardensummen gegenwärtig noch nicht in der Lage. Also drücken Lobbyisten, Konzerne und Politiker auf das Tempo. Fatale Konsequenz: Wenn erst genügend Waffen da sind, werden sie irgendwann auch eingesetzt.

Wie das militärisch eigenständige, zur schnellen Hochrüstung fähige Europa aussehen könnte, zeigt sich dabei an den Vorhaben, die auf dem Wege sind. So bildet der eingangs erwähnte Werftenverbund den Grundstock für den maritimen Teil der europäischen Aufrüstung. Der ThyssenKrupp-Ableger produziert die modernsten und gefährlichsten konventionellen U-Boote (sog. U-31), baut Fregatten und Korvetten mit Offensiveigenschaften und Stealth-Technologie, die von gegnerischen Radarsystemen kaum zu orten sind. Ausgesuchte Partner des neuen Verbundes sind die staatlichen französischen Kriegswerften aus dem Thales- und DCN-Verbund. Schwedische, griechische und spanische Werften hat Thyssen bereits integriert. Strittig ist nur, wer die Führung der europäischen Rüstungsmonopole übernehmen wird. Im maritimen Bereich gibt sich ThyssenKrupp optimistisch. Konzernchef Schulz deutete gegenüber der Welt in dieser Woche an, daß die Düsseldorfer die Mehrheit beim künftigen Werftenverbund übernehmen könnten.

Bei aller bekundeten Freundschaft – Paris und Berlin sind gerade auf dem Rüstungssektor harte Konkurrenten. Keiner möchte dem anderen die Dominanz überlassen. Das wurde in der zurückliegenden Zeit beim europäischen Vorzeigekonzern der militärischen Luft- und Raumfahrt deutlich. EADS, ein Zusammenschluß deutscher, französischer und spanischer Unternehmen, sollte nach Willen von Präsident Jaques Chirac unter alleinige französische Führung gestellt werden. Derzeit teilen sich ein Deutscher und ein Franzose in die Spitzenposition des Rüstungsgiganten. DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp intervenierte massiv gegen den französischen Plan, und schon ist der vom Tisch. Schrempp, dessen DASA größter EADS-Anteilseigner ist, dürfte auch die Bestrebungen der Franzosen, konkret die des aufstrebenden Führungsmannes Nikolas Sarkozy, EADS mit dem Thales-Konzern zu verbinden, mit Argwohn betrachten. Würden die beiden derzeit größten EU-Rüstungskonzerne fusioniert, hätte Paris das Sagen. Thales ist ein französisch-britischer Konzern, EADS ein eher französisch-deutscher.

Weichen gestellt

Trotz der Machtrangeleien wird immer deutlicher, daß der Zug in Richtung der Schaffung europäischer Rüstungsmonopole fährt. Im Bereich der Heerestechnik hat die Trennung des Rheinmetall-Konzerns von der Familie Röchling vergangene Woche ebenfalls den Weg für die Konzentration bereitet. Bereits seit langem arbeiten Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann beim Panzer- und Fahrzeugbau zusammen. Jetzt denkt man in den Unternehmenszentralen und im Berliner Verteidigungsministerium über eine Verbindung der beiden nach. Analog dem Kriegsschiffbau, soll später eine Verbindung mit dem französischen Panzerbauer GIAT, eventuell mit der britischen Alvis, angestrebt werden.



Europas wichtigste Rüstungskonzerne:

Luft- und Raumfahrt
  • EADS
    European Aeronautic Defence and Space Company (EADS). Konzernsitz in Paris und bei München. Deutsch-französisch-spanisches Konglomerat. Entstanden aus dem Zusammenschluß der DASA (Daimler), der privaten französischen Lagardčre-Gruppe und einer Staatsholding sowie der spanischen Casa. Hauptprodukte: Airbus-Transporter, Eurofighter, Hubschrauber, Raketen und Weltraumtechnik
  • BAe Systems
    Britischer Konzern, der mit EADS, aber auch mit US-Konzernen kooperiert. Ist über Beteiligungen an Thales mit französischen Kapital verbunden. Hauptprodukte: Jagdflugzeuge, Mitarbeit am neuen US-Kampfflugzeug F-35, Weltraumtechnik
  • Französischer Rüstungsunternehmen, zu mehr als 30 Prozent im Staatsbesitz. Baut u.a. elektronische Leit und Steuerungssysteme für die Luftfahrt- und Marinetechnik.
Marinetechnik
  • ThyssenKrupp-Werften
    Aus dem Zusammenschluß von Blohm+Voss, Nordseewerken und HDW entstehender Marinekonzern, der in einem zukünftigen Verbund europäischer Kriegswerften die Hauptrolle spielen will. Baut u. a. konventionelle U-Boote mit Brennstoffzellenantrieb (U-31), modernste Fregatten (Sachsen-Klasse) und Stealth-Korvetten.
Heerestechnik
  • Rheinmetall/KMW
    Deutsche Rüstungskonzerne, die eng kooperieren. Bauen u. a. den Leopard-Panzer, modernste Schützenpanzer und Land-Gefechtssysteme. Eine Fusion ist nicht auszuschließen.
  • GIAT
    Defizitärer französische Konzern unter Staatsdominanz. Baut nahezu das komplette Heerestechniksortiment von Panzern über Kanonen und komplette Gefechtssysteme. Eine Fusion europäischer Konzerne mit GIAT dürfte nur bei Sicherung von dessen Dominanz möglich sein.



Galileo – Blick auf das globale Schlachtfeld

Das europäische Satellitennavigationsystem soll der Durchsetzung von Machtansprüchen dienen. Die USA haben etwas dagegen

Von Dieter Schubert


Landvermessung, Schiffsbewegungen, komplizierte Bauprojekte oder der weltweite Containerfrachtverkehr haben etwas gemeinsam: Alle funktionieren präziser und komplikationsloser durch die Hilfe der Satellitennavigation. Selbst unbedarfte PKW-Fahrer können sich heutzutage mit Navigationssystemen im Auto kaum noch verfahren, weil die Bewegung des Vehikels aus dem Weltraum verfolgt und konkret bestimmt wird. Global Positioning System (GPS) heißt die Zauberformel, die das möglich macht.

Was für zivile Belange von großem Wert ist, spielt auch auf militärischer Ebene inzwischen eine herausragende strategische Rolle. Mit Hilfe von GPS ist die gesamte Erde Teil eines gespenstischen – und realen – Computerspiels in der Hand von Generälen. Jedes Flugzeug, jeder Rakete oder Bombe kann zentimetergenau dorthin dirigiert werden, wo es die Strategen in ihren Führungsbunkern für richtig halten. Moderne Infanteristen sind per GPS mit ihren leitenden Kommandostrukturen vernetzt und können im Zusammenspiel von GPS mit Spionagesatelliten ihren tödlichen Auftrag erfüllen.

Aus Sicht fast aller Militärs und Politiker der Welt, hat GPS jedoch einen gravierenden Fehler: Es befindet sich unter ausschließlichem Zugriff der USA, und die verkaufen nur diejenigen Features des Systems als Dienstleistungen, die den eigenen Interessen nicht zuwiderlaufen. Gerade auf militärischem Gebiet ist das ein gravierender Nachteil. Wer auf der Welt GPS für Kriege oder Kriegsspiele nutzt, ist von Washington abhängig. Bis jetzt, jedenfalls.

Der EU war dieses US-Monopol lange Zeit ein Dorn im Auge. Deshalb beschloß man in Brüssel – offiziell als ziviles Projekt – ein eigenes Satellitennavigationssystem aufzubauen. »Galileo« heißt das ambitionierte Vorhaben, und es soll bis zum Jahr 2008 funktionsfähig sein. Unter Federführung der Europäischen Weltraumagentur (ESA) soll Galileo dann die Abhängigkeit von GPS beseitigen – und selbstverständlich auch den EU-Militärs dienen. Galileo ist moderner und leistungsfähiger als GPS, kostet vorsichtig geschätzt vier bis fünf Milliarden Euro, und wird teils aus Steuermitteln, teils privat finanziert. Außer den europäischen Staaten beteiligen sich China, Indien und Israel an dem Projekt. Verhandlungen über die Partizipation von Brasilien, Rußland und Japan laufen. Da verwundert es nicht, daß die USA das Ganze behindern wollen, damit ihre militärische Dominanz nicht untergraben wird.

Washington hat lange Zeit versucht, Galileo zu verhindern. Als das nicht realisierbar schien, machte man auf Zusammenarbeit. Galileo und GPS sollten kompatibel werden. Diese Kooperation hatte immer zum Ziel, den USA einen strategischen Vorteil zu sichern. So verzichtete die ESA auf Druck der Vereinigten Staaten auf das modernere und präzisere europäische Datenübertragungssystem BOC (Binary Offset Carrier). Als entscheidenden Trumpf sicherte sich Washington die Möglichkeit, die Galileo-Signale jederzeit stören zu können. Zumindest im militärischen Bereich der künftigen Nutzung bleibt Europa vom Wohlwollen der USA abhängig.

Aus: junge Welt, 4. Dezember 2004


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