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"Die Freiheit breitet sich auf dramatische Weise aus"

Rede von US-Außenministerin Condoleezza Rice vor der Parlamentarischen Versammlung der OSZE

Am 1. Juni 2005 fand die jährliche Sitzung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Washington statt. Dabei hielt die US-Außenministerin Condoleezza Rice eine bemerkenswerte Rede, die wir im Folgenden in einer Übersetzung des Amerika Dienstes dokumentieren.



OSZE-Parlamentarier müssen kühn und global denken

Rede der Außenministerin

Vielen Dank. Vielen Dank, Herr Kongressabgeordneter Hastings, für den herzlichen Empfang und Ihre Führungsrolle in dieser großartigen Organisation. Ich danke Ihnen für die freundliche Einladung, vor den heute hier anwesenden Mitgliedern der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu sprechen. Ich freue mich über die Möglichkeit, erneut der tiefen Wertschätzung Präsident Bushs für die OSZE und ihre wichtige Rolle bei der Förderung der Freiheit Ausdruck zu verleihen.

Starke Parlamente, die das Volk vertreten und sich vor ihm verantworten müssen, sind für die Verteidigung der menschlichen Freiheit und das Wachstum lebendiger Demokratien unerlässlich. Ich danke den anwesenden Abgeordneten, die sich unermüdlich für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, freie und faire Wahlen sowie die Entwicklung transparenter, verantwortungsbewusster Regierungsinstitutionen in den Mitgliedsländern der OSZE und überall auf der Welt eingesetzt haben. Ich danke der Parlamentarierversammlung außerdem dafür, dass sie für die Projekte der OSZE die wichtige Unterstützung der Parlamente zahlreicher Länder gewonnen hat.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch kurz auf meinen Dank an unseren scheidenden Botschafter bei der OSZE, Stephan Minikes, lenken. Er hat es geschafft, die Agenda der OSZE in den Mittelpunkt der amerikanischen Außenpolitik zu rücken. Außerdem möchte ich Julie Finley willkommen heißen, die erst kürzlich vom US-Senat als neue Botschafterin bei der OSZE bestätigt wurde.

Am 1. August werden wir den 30. Jahrestag der Schlussakte von Helsinki feierlich begehen. Die Prinzipien der Schlussakte, gemäß derer die Sicherheit zwischen Staaten mit dem Respekt der Menschenrechte innerhalb der Staaten verbunden ist, stellen bis heute den Kern der Aufgaben der OSZE dar. Vor dreißig Jahren verursachte das Abkommen von Helsinki in den Vereinigten Staaten sowie in Kanada und Westeuropa ernst zu nehmende Kontroversen. Viele befürchteten, dass der Westen die sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa im Tausch gegen schriftlich niedergelegte Versprechen bezüglich Sicherheit und Menschenrechten legitimierte. Als Präsident Gerald Ford das Abkommen unterzeichnete, sprach er deshalb vor den Politikern aus Ost- und Westeuropa folgende prophetischen Worte: "Die Geschichte wird diese Konferenz beurteilen", sagte er, "nicht basierend auf dem, was wir hier heute sagen, sondern auf dem, was wir morgen tun; nicht basierend auf den Versprechen, die wir eingehen, sondern auf den Versprechen, die wir halten."

Im darauf folgenden Mai hielt der Physiker und Menschenrechtler Juri Orlow in Moskau eine Pressekonferenz ab, auf der er die Bildung einer Bürgergruppe ankündigte, um die Einhaltung des Abkommens von Helsinki zu fördern. Mit einem Schmunzeln forderte Orlow die Mitglieder der Gruppe auf, in den traditionellen Trinkspruch der sowjetischen Dissidenten einzustimmen: "Auf den Erfolg unserer hoffnungslosen Sache!"

Später wurden weitere Bürgergruppen in der Ukraine, in Litauen, Armenien und Georgien gegründet, und ähnliche Bestrebungen wurden in der Tschechoslowakei, in Polen und anderen Ländern unternommen. Diese mutigen Frauen und Männer akzeptierten die Schlussakte nicht als Legitimation eines inakzeptablen Status quo. Sie begriffen das Abkommen von Helsinki vielmehr als Instrument, mit dem sie für Menschenrechte und friedlichen Wandel kämpfen konnten. Nacheinander mussten sie die schwere Hand der Unterdrückung ertragen. Aber sie hörten nie auf, an die Kraft der Prinzipien von Helsinki bei der Verbreitung der Sache der Freiheit zu glauben und zwangen die Unterzeichnerländer dazu, die schriftlichen Versprechen in entschlossene Handlungen umzusetzen.

Da diese mutigen Frauen und Männer nicht aufgaben - und die freien Nationen des Westens ihr Vertrauen in sie und die demokratischen Prinzipien bewahrten - konnte das, was vor drei Jahrzehnten wie eine hoffnungslose Sache erschien, in eine Zukunft der Hoffnung für zahlreiche Millionen von Menschen umgewandelt werden.

In den drei Jahrzehnten seit der Unterzeichung der Schlussakte von Helsinki entwickelte sich ein gewaltsam geteiltes Europa zu einem friedlich geeinten Europa. Wir beobachteten, wie unterdrückte Nationen sich aus der kommunistischen Tyrannei befreiten und geschlossene Gesellschaften sich einer Welt der Ideen und Informationen öffneten. Wir beobachteten, wie mutige Frauen und Männer geleitet von ihrem Gewissen nach langen Jahren der Verfolgung ihre Länder auf den Pfad der Demokratie führten. Während der vergangenen dreißig Jahre hat der Prozess von Helsinki historischen Wandel nicht nur bezeugt, sondern dazu beigetragen, diesen Wandel zu ermöglichen.

Heute nehmen Menschen überall auf der Welt dieselben universellen Werte begeistert an, die in der Schlussakte von Helsinki verankert sind. Ungeduldige Patrioten fordern ihre Regierungen auf, den nicht verhandelbaren Forderungen der menschlichen Würde gerecht zu werden, und tragen so dazu bei, die Grundlagen für andauernde Sicherheit zu schaffen. Wer hätte sich vorstellen können, dass die Bürgerinnen und Bürger von Afghanistan auf langen, staubigen Straßen Schlange stehen würden, um ihre Stimmen abzugeben, oder dass Wahlbeobachter der OSZE vor Ort sein würden, um diese einmaligen Wahlen zu überwachen? Wer hätte sich vorstellen könne, dass sich Millionen Iraker den Todesdrohungen widersetzen würden, um wählen zu können? Oder dass in den Palästinensergebieten freie und faire Wahlen abgehalten würden? Und wer hätte sich in seinen kühnsten Träumen ausmalen können, dass im Libanon die Zedernrevolution stattfinden würde?

Allein im letzen Jahr haben wir in der Gemeinschaft der OSZE erlebt, wie Bürger sich inmitten von Rosen, orangefarbenen Bannern und Tulpen erhoben, um eine demokratische Zukunft für ihre Länder zu sichern. Während wir hier zusammentreffen, unterstützt die OSZE Kirgisistan bei der Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen in nur zehn Tagen - auf diese Wahlen werden große Hoffnungen für die demokratische Zukunft Kirgisistans gesetzt.

Die Freiheit breitet sich auf dramatische Weise aus, aber es bleibt noch viel zu tun, wenn das großartige Versprechen Helsinkis in allen 55 Unterzeichnerstaaten vollständig verwirklicht werden soll.

Bedauerlicherweise kommen die Regierungen einiger OSZE-Staaten, insbesondere Weißrussland und Usbekistan, ihren Verpflichtungen in Bezug auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht nach. Sie weisen die Unterstützungsangebote der OSZE zurück, indem sie sie als Einmischungsversuche in ihre inneren Angelegenheiten bezeichnen. Das war eine falsche Anschuldigung, als sie von der Sowjetunion kam, und es ist auch jetzt eine falsche Anschuldigung.

An anderen Orten in der Gemeinschaft der OSZE wie im Kaukasus und in Moldawien erwarten eingefrorene Konflikte noch immer eine friedliche Lösung. Die Spannungen in diesen Regionen müssen auch durch die Einhaltung der von Russland eingegangenen Istanbuler Verpflichtungen reduziert werden. Die vor kurzem zwischen Russland und Georgien getroffene Vereinbarung ist ein positiver Schritt in diese Richtung.

Während wir an der Beilegung alter Konflikte arbeiten, müssen wir uns auch gemeinsam der neuen transnationalen Bedrohung unserer Sicherheit durch den Terrorismus stellen.

Es gibt noch vieles, das wir innerhalb der Gemeinschaft der OSZE zur Bekämpfung von Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung, einschließlich der Diskriminierung von Muslimen, und zur Beendigung des Menschenhandels tun müssen. Es ist noch einiges für Frauenrechte und die Ausbildung von Mädchen zu leisten.

Wenn sich der Amtierende Vorsitzende und die Parlamentarische Versammlung der OSZE-Agenda zuwenden und diese und andere Punkte in Betracht ziehen, müssen die Bewahrung der Integrität der Prinzipien von Helsinki und die Gewährleistung, dass die OSZE weiterhin eine treibende Kraft für friedlichen, demokratischen Wandel bleibt, überragende Ziele sein. Neue Verfahren dürfen nicht auf Kosten der Prinzipien gehen, und jedwede institutionelle Reform sollte auf die Stärkung der Fähigkeit der OSZE ausgerichtet sein, vor Ort Ergebnisse zu erzielen, insbesondere durch Auslandseinsätze.

Während Sie erörtern, wie sich die OSZE in die entstehende Architektur Europas einfügt, möchte ich Sie auffordern, sich zuversichtlich das bahnbrechende Beispiel der OSZE in Erinnerung zu rufen, das Regierungen und Bürgern geholfen hat, in Teilen der Welt für Demokratie, Wohlstand und Frieden zu arbeiten, denen die Freiheit noch verweigert wird.

Wie vor 30 Jahren gilt auch heute: Wir, die Mitgliedstaaten der OSZE, werden nicht an den Versprechen gemessen werden, die wir eingehen, sondern an den Versprechen, die wir halten.

Ich hatte 1989, am Ende des Kalten Krieges, das Glück, als Expertin für die Sowjetunion im Weißen Haus zu arbeiten. Woran ich mich aus dieser turbulenten, aber hoffnungsvollen Zeit des Aufkommens der Solidarität und der samtenen Revolution in der Tschechoslowakei, der Revolution in Rumänien und schließlich des friedlichen Zusammenbruchs der Sowjetunion am meisten erinnere, ist, dass das, was an einem beliebigen Tag unmöglich erschien, am nächsten Tag unausweichlich schien. Das ist das Wesen großer historischer Veränderungen, und wir befinden uns in einer Zeit historischer Veränderungen.

Wir wissen allerdings alle, dass das, was unausweichlich erscheint, natürlich nicht unausweichlich ist. Es erfordert die harte Arbeit, das Engagement und das Pflichtbewusstsein der nach Freiheit strebenden Frauen und Männer. Es erfordert die harte Arbeit, das Engagement und das Pflichtbewusstsein derjenigen, die sie in Organisationen wie dieser unterstützen. Aber es erfordert auch den Glauben an allgemeine Grundsätze wie Freiheit und Menschenrechte.

Vielen Dank für alles, was Sie jeden Tag tun.

Originaltext: Rice Urges Parliamentarians to Think Boldly, Globally

(siehe http://usinfo.state.gov)



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