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Europäische Visitenkarten

EU-Verteidigungsminister beschlossen Verhaltenskodex für Militärinterventionen

Von Tobias Pflüger*

»Europäische Soldaten sind unsere Visitenkarten in der Welt«, mit diesem Worten lobte der luxemburgische Verteidigungsminister Luc Frieden, daß die EU-Verteidigungsminister sich bei ihrem Treffen zu Wochenbeginn in Brüssel auf einen Verhaltenskodex für Militärinterventionen geeinigt haben. Dieser Kodex sieht vor, daß die Soldaten ethnische, religiöse und kulturelle Unterschiede beachten sollen, daß sie die Menschenrechte einhalten sollen. Sexuelle Ausbeutung und der Gebrauch von Drogen sollen verboten werden.

Dies war notwendig geworden, nachdem immer mehr Militärmissionen von der EU durchgeführt werden sollen. So findet zur Zeit in Bosnien die sogenannte ALTHEA-Mission mit über 7 000 Soldaten unter der EU-Flagge statt. Geplant ist zudem, den Kosovo-Einsatz von der NATO zu übernehmen. Im Planungszustand sind auch noch mögliche Einsätze in der indonesischen Provinz Aceh. Nach eignem Selbstverständnis sollen all diese Einsätze auch dazu dienen, die Europäer für kommende Kampfeinsätze fit zu machen.

Für diese Einsätze muß selbstverständlich kräftig aufgerüstet werden. So verabschiedete der EU-Ministerrat einen neuen Katalog von militärischen Beschaffungen, um möglichst bald eine wirkliche globale Kriegsführungsfähigkeit erreichen zu können. Alle sechs Monate soll in Zukunft überprüft werden, was die EU-Mitgliedsstaaten hier schon erreicht haben.

Angesichts dieses Aufrüstungsszenarios ist es schon erstaunlich, daß mit Vehemenz jede Militarisierung der EU von den EU-Verteidigungsministern dementiert wird. Luc Frieden betonte denn auf dem Ministertreffen noch einmal explizit, daß »Europa kein Europa mit militärischer Dimension werden soll«. Zugleich betonte er allerdings, daß »Europa eine Außenpolitik wünscht, in der die Verteidigungsdimension eine wichtige Rolle spielt.«

Auch was die Frage der Kampfgruppen angeht, fielen wichtige Entscheidungen beim Minstertreffen. So wurden noch einmal die Resultate des Treffens vom 11. Mai bestätigt. Hier war verabredet worden, daß bis 2007/2008 die volle Kampfbereitschaft erreicht werden soll. In diesem Zusammenhang ist auch die Einbindung des NATO-Mitglieds Norwegen in das Schlachtgruppenkonzept von Bedeutung. Vom 1. Januar 2007 an sollen zwei Operationen gleichzeitig geführt werden können. In jedem Falle sollen 2005 drei Kampfgruppen, 2006 und 2007 noch einmal jeweils drei und 2008 vier weitere Schlachtgruppen aufgestellt werden. Diese 13 Einheiten sollen jeweils 1500 Mann umfassen und binnen 15 Tagen einsetzbar sein.

In Brüssel wurde vereinbart, daß – ohne jede vertragliche Grundlage – jetzt auch noch die EU-Rüstungsagentur mit weitreichenden Aufgaben versehen wird. Die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden von den Ministern einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Gerade auch angesichts der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages von weiten Teilen der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden entbehrt dies nicht einer gewissen Pikanterie. Für die EU-Rüstungsunternehmen war ja bekanntlich von entscheidender Bedeutung, daß die Rüstungsagentur in der EU-Verfassung vertraglich verankert wurde. Forderungen nach einem Moratorium beim Aufbau der Rüstungsagentur, zumindest bis zu den Referenden im Herbst 2006, die über den Verfassungsvertrag entscheiden, verhallten denn bisher auch ungehört. Das zivile Europa ist völlig aus dem Blick des EU-Ministergipfels geraten. Statt dessen geht es nur um ein besseres Funktionieren von Aufrüstung und der Zusammenarbeit bei künftigen Kriegseinsätzen.

* Tobias Pflüger, IMI e.V. Tübingen, Mitglied des Europäischen Parlaments

Aus: junge Welt, 26. Mai 2005



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