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Brüsseler Despotie

Hintergrund. Aggressiver Euro-Imperialismus: Ist das der alte Kolonialismus?

Von Hannes Hofbauer *

Am 10. März luden jW und Marx-Engels-Stiftung in der Ladengalerie der jungen Welt zu einer Konferenz unter dem Titel »Aggressiver Euro-Imperialismus« ein. Bei der mit über 70 Teilnehmern gut besuchten Veranstaltung referierte neben Rainer Rupp, Lucas Zeise und Georg Polikeit auch der Wiener Verleger und Publizist Hannes Hofbauer. Der folgende Text basiert auf seinen Ausführungen.

Abstrakt und komprimiert beschrieben, besteht Kolonialismus ökonomisch aus der Extraktion von Ressourcen und einer entsprechenden »Verwertung« der Kolonisierten, politisch aus fremdbestimmter Verwaltung, kulturell aus Mission und Deutungshoheit, rechtlich aus unterschiedlich definiertem Status von Menschen und Regionen im Zentrum und der Peripherie und militärisch aus der Interventionskraft der Kolonisierer. Von allem ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Zunahme zu bemerken.

Wir können beobachten, wie die systemübliche Diktatur des Kapitals mit ihren sozioökonomischen Verwerfungen planmäßig um politisches Diktat ergänzt wird, in dem bürgerlich-parlamentarische Wahlen als Hindernisse auf dem scheinbar alternativlosen Weg zur einzig sinnstiftenden Gesellschaftsform, dem Akkumulationsregime, begriffen werden. Wenn jeder Urnengang in der Europäischen Union medial mit der Standardfloskel, vor Wahlen sei eben nichts zu machen, begleitet wird, transportiert diese Sicht ein Selbstverständnis von Gesellschaft, das nicht den Menschen, sondern die Verwertung desselben in den Mittelpunkt stellt. Dazu kommt eine auch die Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft bedrohende Verrechtlichung menschlicher Interaktionen, die (supra)staatliche Wahrheit an die Stelle von Meinungsaustausch setzt sowie ein ideologischer Vormarsch eines sich vom weströmischen kulturellen Überlegenheitsgefühl ableitenden Universalismus, der im Aufruf zum Menschenrechtskrieg gipfelt. All dies geschieht im Weltmaßstab und bildet die Folie für ein neokoloniales Denken. EU-Europa spielt darin eine schwankende Rolle: als Juniorpartner der USA auf der einen und in der Verfolgung eigener Interessen auf der anderen Seite, dies allerdings bisher nur so lange, wie es nicht in Widerspruch zur NATO gerät.

Neuordnung im Osten

Das Ende der Bipolarität mit der Auflösung von Warschauer Pakt, Sowjetunion und RGW im Jahre 1991 markiert jene welthistorische Zäsur, die zu neuen, offen imperialistischen Strukturen geführt hat. USA und NATO waren darauf nicht unvorbereitet, ging doch dem politischen Ende des längst pervertierten sozialistischen Blocks eine Phase indirekter militärischer Konfrontation voraus. Der Warschauer Pakt ließ sich vom NATO-Doppelbeschluß 1979 in einen Rüstungswettlauf hineintreiben, den er verlor. Dies war gleichbedeutend mit der Vernichtung enormer finanzieller Mittel und großen kreativen Potentials, was die Führungskader der kommunistischen Parteien in den Jahren ab 1988/89 dazu veranlaßte, kampflos das Feld zu räumen, ihre Pfründe zu kapitalisieren und die Verwaltung in die Hände ungeschulten Personals zu legen. Das Totrüsten der Sowjetunion war jedoch nur der militärische Schlußpunkt eines bereits Mitte der 1970er Jahre statistisch ablesbaren ökonomischen Abschwungs, der in eine Modernisierungsblockade und – für eine Reihe von RGW-Staaten – in die Schuldenfalle führte.

Doch auch der militärische Sieger im großen Wettrüsten, die USA, war spätestens 1989/91 finanziell am Ende und hoch verschuldet. Linke Ökonomen wie André Gunder Frank konstatierten bereits Mitte der 1970er Jahre das »Ende des – kurzen – amerikanischen Jahrhunderts«, bis Washington mit dem ersten Krieg gegen den Irak (1991) zum militärkeynesianistischen Befreiungsschlag ansetzte. Staatsaufträge in Milliardenhöhe an Rüstungs- und Sicherheitsfirmen verzögerten – ein weiteres Mal nach der Reaganschen Aufrüstungspolitik – den Crash der Ökonomie im Inneren und erzwangen gleichzeitig durch pure militärische Machtausübung die Glaubwürdigkeit des Dollars nach außen. Vor diesem Hintergrund der vollständigen Militärisierung von Wirtschaft und Politik in den USA kann die Osterweiterung EU-Europas als kleine Antwort auf die große US-Expansion gesehen werden.

Für das von Bonn und später von Berlin aus dirigierte Brüssel war territoriale Expansion zum Mittel der Lösung einer systemischen Krise im Kapitalismus geworden. Zuvor begnügte man sich mit betriebswirtschaftlichen und technologischen Rationalisierungen bzw. dem Export arbeitsintensiver Produktion in sogenannte Weltmarktfabriken und dem Import von billigen Arbeitskräften aus dem Süden und Osten. Nun, nach dem Ende des RGW, war Erweiterung angesagt. Die Abfolge dieses Prozesses sei nur kurz in Erinnerung gerufen: Anfangs stand jeweils eine hyperinflationäre Phase, die außer in der Tschechoslowakei und in Ungarn überall dreistellig gewesen war und einer Enteignung jener gleichkam, die nichts als Sparbuch und Arbeitskraft zur Verfügung hatten. Sie diente dazu, im Kommunesystem angehäufte Konsumversprechen zu eliminieren, um den nun als Markt konzipierten Platz wirtschaftlichen Austausches, von Altlasten geräumt, an ausländische Investoren übergeben zu können. Für deren Sicherheit mußte Währungskonvertibilität garantiert werden, was im Anschluß an die Hyperinflation per Schocktherapie passierte. Diese gewährleistete den radikalen Abbau von Subventionen für staatliche Unternehmen, Wohnen, Nahrungsmittel etc. Der Herstellung von Märkten inklusive Arbeitsmärkten folgte durch unterschiedliche Privatisierungsmodelle der vollständige Eigentümerwechsel und dessen rechtliche Absicherung durch den sogenannten Acquis communautaire, den rechtlichen Besitzstand der zur Union mutierten Europäischen Gemeinschaft. Mit dem Kopenhagener Gipfel im Dezember 2002 war die periphere Anbindung ehemaliger sozialistischer Staaten an die Brüsseler Union bewerkstelligt.

Mit der ökonomisch und politisch erzwungenen Neuordnung kehrte auch der Krieg nach Europa zurück. Neben militärischen Auseinandersetzungen in und zwischen kaukasischen und zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken fanden in unmittelbarer Umgebung der EU im Zuge der Neuordnung Kämpfe auf zwei Schauplätzen statt: der kurze Krieg zwischen Chisinau und Tiraspol um den Zugriff auf die moldawischen industriellen Kernstücke in Transnistrien im Jahre 1991, der bis heute die Teilung dieses kleinen Landes bestimmt; und die ein Jahrzehnt andauernden Bürgerkriege in Jugoslawien, die im Angriff der NATO-Allianz am 24. März 1999 gipfelten.

Am Beispiel (Ex-)Jugoslawien ist der neokoloniale Charakter der europäischen Neuordnung nach 1991 besonders klar ersichtlich. Das Diktum vom »Teilen und Herrschen« könnte kaum eindeutigere Resultate zeigen: Aus der ehemaligen sozialistischen Föderation mit sechs Republiken sind binnen einem Jahrzehnt acht territoriale, staatliche Einheiten geworden: Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina mit der Föderation und der Republika Srpska, Montenegro, Makedonien und Kosovo. Das Gebiet, auf dem 1990 überall der jugoslawische Dinar als Zahlungsmittel galt, zerfällt heute in fünf Währungsräume: den Euro in Slowenien, Montenegro und Kosovo; die Kuna in Kroatien, die Konvertible Mark in Bosnien-Herzegowina; den Dinar in Serbien und den Denar in Makedonien. Zwei Gebiete des ehemaligen Jugoslawien sind direkt ausländischen, von der EU zu bestimmenden (und von der UNO zu kontrollierenden) Kolonialverwaltern unterstellt, sogenannten Hohen Repräsentanten: Bosnien-Herzegowina und Kosovo. In beiden Gebilden steht dieser Verwalter über dem Gesetz, sein Wort hat letzte Gültigkeit. Damit ist auch ein wesentliches Konstrukt bürgerlicher Gesellschaftsordnung, die Gewaltenteilung von Exekutive und Legislative, außer Kraft gesetzt, überwunden. Dies könnte als Modell auch Präzedenzcharakter für Neuordnungspläne in Nordafrika haben.

Neuordnung im Süden

Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2008 hat die Mär von der nachholenden Entwicklung unter kapitalistischen Bedingungen in Osteuropa (die auch schon unter sozialistischen nicht geklappt hatte) ihre Strahlkraft eingebüßt. Zu sichtbar war die Abhängigkeit rasch aufgebauter Exportökonomien von westlichen Märkten. Sobald die Nachfrage in Deutschland und anderen Kern-EU-Staaten stagnierte oder sank, zerstoben die eben noch erhobenen Wachstumszahlen. Sagenhafte Renditen für eingesetztes Kapital aus ausländischen Direktinvestitionen, die 2007 noch 18,4 Prozent in Ungarn, 14,4 Prozent in Tschechien und zehn Prozent in Polen betragen hatten, gehörten der Vergangenheit an. Und die mechanistischen Modernisierungsmodelle, nach denen Mitte der 1990er Jahre vorhergesagt wurde, daß z.B. Polen 23 Jahre brauchen würde, um das durchschnittliche Entwicklungsniveau der EU-15 zu erreichen, wurden revidiert. Nun lautet die neue Prognose gut 15 Jahre später, es würde nochmals 20 Jahre brauchen, um auf das Durchschnittsniveau der EU-27 zu gelangen. Soziale Indikatoren kommen in solchen Rechenspielen ohnehin nicht vor.

Die Antwort auf das Ende des Hypes mit seinem ausgesaugten, renditearm gemachten Osteuropa liegt im Süden, genauer: in Nordafrika. Dort könnte eine neue Expansionsrunde aus der kapitalistischen Strukturkrise helfen. Mit der Militärintervention in Libyen ist ein Anfang gemacht, die Neuverteilung ist in vollem Gange. Anders als in Osteuropa haben es die Interventen diesmal aber nicht mit weitgehend leergeräumten Märkten und einer konkurrenzlosen Situation zu tun, vielmehr sind im vergangenen Jahrzehnt vor allem russische und chinesische Investoren um Neueinstiege in diverse Branchen Afrikas bemüht. So gingen z.B. den monatelangen Bombardements französischer, britischer und katarischer Flugstaffeln in Libyen Gespräche der alten, mittlerweile eliminierten Führung in Tripolis mit Moskau voraus. In den Jahren 2007 und 2008 machten hintereinander in aufsteigender Hierarchie Außenminister Sergej Lawrow, Ministerpräsident Wladimir Putin und Gasprom-Chef Alexej Miller dem »Revolutionsführer« Ghaddafi ihre Aufwartung. Neben dem Ausbau von Bahnverbindungen ging es vor allem um ein Projekt, von dem sich EU-Europa offensichtlich bedroht fühlte: eine Mittelmeerpipeline, in der – analog zur Nord Stream-Leitung zwischen Vyborg und Greifswald – Gas von der nordafrikanischen Küste nach Italien gepumt werden sollte. Wie Interfax am 9. Juli 2008 berichtete, war Gasprom daran interessiert, sämtliches libysches Gas für den Export nach Europa vor seiner Einspeisung in die Pipeline auf Jahre hinaus zu noch zu verhandelnden Preisen zu kaufen. Damit wäre Europa von Nordosten und Süden mit »russischem« Gas beliefert worden und energiepolitisch unter enormen Druck geraten. Diese russische ökonomische Offensive könnte einer der Gründe für die militärische Intervention des Westens gewesen sein.

Jugoslawisch-libysche Analogien

Die zwei NATO-Kriege gegen Jugoslawien (1999) und Libyen (2011), wenn sie auch mit unterschiedlicher Beteiligung auf seiten der Aggressoren stattgefunden haben, weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Da ist einmal die Randlage der beiden Länder im Verhältnis zur sich zeitgleich integrierenden Europäischen Union. Auch die zeithistorische Entwicklung von Jugoslawien und Libyen kennt Parallelen, haben es doch sowohl Belgrad (nach 1945) wie Tripolis (nach 1969) verstanden, ihre unterschiedlich konzipierte nationale Eigenständigkeit mit sozialer Programmatik zu verknüpfen und sich gleichzeitig von Moskau fernzuhalten. Weder Jugoslawien noch Libyen kannten fremde militärische Stützpunkte auf ihren Staatsgebieten. Diese Stärke war es wohl auch, die die Führungskader der beiden Länder den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages nicht als ihr eigenes Problem erkennen ließen. Anders als die KP-Eliten innerhalb der Mitgliedsländer beharrten Slobodan Milosevic und Muammar Al-Ghaddafi in Zeiten der Neuordnung auf Selbstbestimmung. Als erste imperialistische Reaktion auf diese Starrhalsigkeit setzte der Westen ein UN-Embargo gegen die beiden Staaten durch, das nicht zufällig zeitgleich erlassen wurde: am 30. Mai 1992 gegen Jugoslawien, am 31. Mai 1992 gegen Libyen. Beide wurden nicht wegen ihrer zweifellos begangenen schlechten Taten (der Minderheitenpolitik in Jugoslawien oder der zunehmenden Autokratie in Libyen), sondern wegen ihrer guten, mit den Neuordnungsplänen von EU-Europa und US-Amerika nicht kompatiblen Politik wirtschaftlich isoliert. Auch am Ende sahen sich Milosevic und Ghaddafi vereint. Ersterer starb am 11. Mai 2006 infolge unterlassener Hilfeleistung im Gefängnis von Scheveningen, weil ihm eine gewünschte medizinische Behandlung nicht gewährt worden war, während Ghaddafi am 20. Oktober 2011 unter Generalaufsicht der NATO von einer bewaffneten Bande gelyncht worden ist: Regimewechsel brutal.

Gesichter des neuen Kolonialismus

In der seit 1991 betriebenen territorialen Zersplitterung erkennt man das bereits oben beschriebene Prinzip des »Teile und herrsche«. Alle drei multiethnischen Staatlichkeiten in Europa – die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Jugoslawien – überlebten die imperiale Aggression nicht. Allein die Tatsache, daß sieben der zwölf neuen EU-Mitglieder – Slowenien, Tschechien, die Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, (Griechisch-)Zypern – territoriale Zerfallsprodukte größerer Länder sind, erklärt, wie erwünscht schwache Staaten mit noch schwächeren Eliten zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme vom Brüsseler Unionsprojekt waren. Auch das von EU-Politikern und ihren medialen Begleitern vielfach ausgesprochene Verbot nationaler Integrationen schlägt in dieselbe Kerbe. Eine Vergrößerung Ungarns um ungarisch besiedelte Gebiete in Serbien, der Slowakei und Rumänien (bzw. Österreich) ist nach EU-Vorgaben ebenso undenkbar wie eine gemeinsame albanisch-kosovarische Staatlichkeit, ein um Moldawien vergrößertes Rumänien oder ein Zusammenschluß der Republika Srpska mit Serbien. Nicht, daß der Autor dieser Zeilen sich für derlei nationale Irredentismen ins Zeug legen würde, aber auffällig ist es schon, daß die Zeitenwende 1989/91 nur einem Staat die territoriale Vergrößerung nach nationalem Gesichtspunkt erlaubt hat: Deutschland. Seine Autorität in territorialen Fragen wiegt folgerichtig nicht schwer.

Politisch hat der neue Kolonialismus unterschiedliche Gesichter: vom militärischen Putsch in Libyen über die protektionistischen Nachkriegsverwaltungen in Bosnien-Herzegowina bis zu den sanften Putschen in Griechenland und Italien, wo Europäische Zentralbank und IWF Ministerpräsidenten einsetzen.

Die militärische Intervention als Fortsetzung der Politik hat längst in der Brüsseler Politik Platz gegriffen. Ideologisch mit der Formel von der »Schutzverantwortung« – NATO-Deutsch: »Responsibility to protect« – verbrämt, stehen Truppen mit Soldaten aus der EU außerhalb der NATO-Länder zur Zeit in Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Makedonien sowie in Libyen.

Die Beschreibung der ökonomischen Gesichter des neuen Kolonialismus würde den Rahmen sprengen: Innerhalb der Europäischen Union gilt ganz allgemein der Grundsatz der Herstellung von ökonomischer Konvergenz bei gleichzeitiger sozialer und steuerlicher Divergenz. Aus den daraus sich speisenden sozioökonomischen Ungleichzeitigkeiten ziehen die Global Player ihren Nutzen. Überall dort, wo diese Diskrepanz zwischen ökonomischer Konvergenz und sozialer Divergenz von nationalen Parlamenten politisch nicht gemeistert werden kann, haben EU und IWF Währungsräte installiert, die die nationale Budgethoheit ausüben, so in Bulgarien, Estland, Litauen, Bosnien-Herzegowina (und Ungarn). All diese Maßnahmen garantieren einen konstanten Kapitalabfluß von der Peripherie EU-Europas in die Zentren der großen Konzerne. Allein die Gewinnrückführung aus investiertem Kapital übersteigt Jahr für Jahr die Neuinvestitionen. Für das Jahr 2010 liest sich das entsprechend der Statistik des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche folgendermaßen: 10,5 Milliarden Euro Gewinnrückführung aus Tschechien (bei fünf Milliarden Neuinvestitionen), zwölf Milliarden Euro aus Polen (bei sieben Milliarden Neuinvestitionen) und sechs Milliarden Euro aus Ungarn (bei 1,5 Milliarden Neuinvestitionen).

Die Absicherung dieses Zustandes wird auch kulturell und juristisch betrieben. So gehören meist von den Bildungsorganisationen der großen westlichen Parteien (mit)finanzierte sogenannte Nichtregierungsorganisationen seit 20 Jahren zum Beiwerk des neokolonialen Vormarsches. Die in Serbien mit Geldern von US-Fonds großgewordene »Otpor« (»Widerstand«) tritt rund um Europa als Knowhow-Konzern für proimperialistische Umstürze auf. Daneben werden in immer kürzeren Takten Embargos, Einreiseverbote und Kontosperren gegen widerspenstige Staaten und einzelne mißliebige Funktionsträger verhängt, zur Zeit insbesondere gegen Belarus, Syrien und den Iran. Und schließlich wird die ideologische Flanke des Kolonialismus noch mit einer Reihe von Meinungsgesetzen gestärkt, die Geschichtsschreibung und Erinnerung ganz allgemein suprastaatlich verordnet. Gemeint sind damit Gesetze, die die Leugnung von Völkermorden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit EU-weit unter Strafe gestellt haben. Damit wird nicht nur historisches Schindluder getrieben, sondern auch über künftige Interventionen eine per juristischer Keule durchgesetzte Deutungshoheit gewonnen. Wenn demnächst beispielsweise Saif Ghaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden sollte, darf diese gerichtlich bestimmte Wahrheit künftig niemand mehr leugnen. Die Legitimation der militärischen Aggression gegen Libyen kann damit in einer Art Zirkelschluß gerichtlich hergestellt werden.

Von Hannes Hofbauer erschien zuletzt: »Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument«. Promedia Verlag, Wien 2011, 264 S., brosch., 17,90 Euro

* Aus: junge Welt, 10. April 2012


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