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"Operative Effizienz"

Europäischer Rat in Brüssel: Staats- und Regierungschefs der EU diskutieren über gemeinsame Militäreinsätze und Stärkung der Rüstungsindustrie

Von Jörg Kronauer *

Im Bundesverteidigungsministerium wird er mit einigem Interesse erwartet: der Europäische Rat, der am heutigen Donnerstag beginnt. Zum ersten Mal seit fünf Jahren befassen sich die Staats- und Regierungschefs der EU schwerpunktmäßig mit Fragen gemeinsamer Militäreinsätze bzw., wie es im Brüsseler Jargon heißt, mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Um die militärischen Kapazitäten der EU soll es gehen, um die »operative Effizienz« der europäischen Truppen und nicht zuletzt auch um die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie. »In Zeiten neuer Bedrohungen« sei die GSVP »zu einer Notwendigkeit geworden«, schreibt das deutsche Verteidigungsministerium. Der aktuelle EU-Gipfel biete die Chance »zum dringend benötigten Austausch« darüber, wie man sie schlagkräftiger gestalten könne.

Hinsichtlich der Entwicklung der GSVP in den letzten Jahren hat sich im deutschen Politestablishment erhebliche Unzufriedenheit angestaut. »Als es 1999 losging« mit der gemeinsamen EU-Militärpolitik, da habe man zunächst »eine relativ intensive Dynamik« erlebt, erinnerte sich Ulrike Guérot, deutsches Mitglied in der »Denkfabrik« European Council on Foreign Relations, im Februar vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestags. In der Tat: Schon 2003 starteten die ersten Interventionen, »Concordia« in Mazedonien und – ein wichtiger Testlauf – »Artemis« in der Demokratischen Republik Kongo. 2004 übernahm die EU mit »Althea« Bosnien-Herzegowina von der NATO. Ebenfalls 2004 wurde das »Battle Group«-Konzept aus der Taufe gehoben. Zum 1. Januar 2007 verkündete man die volle Einsatzbereitschaft der schlagkräftigen Einheiten. Noch im selben Jahr kam der Vertrag von Lissabon, der »ja auch besonders« darauf abgezielt habe, der EU-Militärpolitik neue »Fortschritte« zu bringen, wie Guérot rückblickend bemerkte; doch »diese Erwartungen« hätten sich »nicht so erfüllt, wie wir uns das vielleicht vorgestellt haben«. Auf einer Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) zum Thema EU-Militärpolitik war Anfang Dezember gar von einem »Dornröschenschlaf« der GSVP die Rede.

Dornröschenschlaf? Mehr als 2800 Soldaten sind derzeit im Rahmen von EU-Operationen im Einsatz – vor dem Horn von Afrika bzw. Somalia, in Mali und in Bosnien-Herzegowina. Das ist kein Pappenstiel, und es sind damit auch ziemlich genau 2800 Soldaten mehr im Ausland stationiert, als Kriegsgegner und Kriegsgegnerinnen es sich wünschen würden. Im deutschen Politestablishment dominiert jedoch Enttäuschung: Keine einzige der einst so stolz präsentierten »Battle Groups« ist je eingesetzt worden, und von der ersehnten EU-Armee – einer wichtigen Grundlage weltweiter deutsch-europäischer Machtpolitik – ist man immer noch Lichtjahre entfernt.

Woran liegt’s? In den letzten Monaten ist in Berlin und Brüssel viel Ursachenforschung betrieben worden. Bis heute gebe es Koordinationsmängel zwischen den jeweiligen nationalen Streitkräften, stellte im November etwa das Institut der EU für Sicherheitsstudien (EUISS) fest. Auch hätten die Kriege in Afghanistan und im Irak zu einer spürbaren Überdehnung geführt. Das entscheidende Hindernis für die Ausweitung der EU-Kriegseinsätze liege jedoch in den divergierenden nationalen Interessen, konstatierte das EUISS. Paris wolle EU-Truppen eben zur Intervention in seinem afrikanischen »Hinterhof« nutzen, Berlin strebe Einsätze in deutschen Einflußzonen an. Die »Battle Groups« etwa seien daher zwar militärisch, nicht aber politisch einsatzbereit.

Nun hat sich im deutsch-französischen Verhältnis in den letzten Jahren viel verschoben. Die Krise hat die Berliner Dominanz in der EU voll zum Tragen gebracht, während Paris dramatisch schwächelt. Ökonomisch hat die Bundesrepublik Europa ihren Austeritätsstempel aufgedrückt; nun sucht sie Frankreichs Schwäche zu nutzen, um das Land auch außen- und militärpolitisch abzudrängen. Seit Monaten dringen deutsche Politiker, Regierungsapparate und Thinktanks auf eine »Weiterentwicklung« der GSVP, die häufigere Einsätze – selbstverständlich nach deutschen Prioritäten – ermöglichen würde. »Wir wollen, daß die Europäische Union ihrer Verantwortung als Trägerin des Friedensnobelpreises auch künftig gerecht wird«, liest man im aktuellen Koalitionsvertrag. Frieden aber, das weiß man seit Orwell, heißt in der westlichen Zivilisation bekanntlich Krieg.

Berlin macht Druck. Bundespräsident Joachim Gauck berichtete in seiner Rede zum 3. Oktober, er habe »Stimmen« wahrgenommen, die sich »eine starke Rolle Deutschlands« »in Europa und in der Welt« wünschten. Wenig später plädierten rund 50 teils maßgebliche deutsche Außenpolitiker in einem breit diskutierten Strategiepapier für eine »Neuvermessung« der deutschen Weltpolitik (siehe jW vom 26. Oktober 2013). Daß man dazu die militärischen Mittel der EU benötigt, darüber sind sich die herrschenden Kreise einig. »Die Bundesregierung wird anknüpfend an den EU-Gipfel im Dezember 2013 neue politische Initiativen zur Stärkung und Vertiefung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ergreifen«, heißt es im Koalitionsvertrag. Vom aktuellen Europäischen Rat solle die »klare Botschaft an die europäische Bevölkerung ausgehen: Sicherheit und Verteidigung geht uns alle an«, schreibt das Bundesverteidigungsministerium. Nun – bei dieser Aussage werden ihm wohl auch Kriegsgegner ausnahmsweise einmal zustimmen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Dezember 2013


Steigende Exporte

EU zweitgrößter Verkäufer von Kriegsgerät weltweit

Von Jörg Kronauer **


Zu den Themen, die nach dem Willen deutscher Politiker eine zentrale Rolle auf dem aktuellen EU-Gipfel spielen sollen, gehört die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie. Eigentlich, sollte man denken, läuft es für die Waffenschmieden in der EU doch recht rund. Zwar wachsen die europäischen Militäretats krisenbedingt nicht mehr in einem Maße, wie es sich EADS, Rheinmetall & Co. wünschen würden. Doch gelingt es den Rüstungskonzernen zuverlässig, ihre Geschäfte durch steigende Exporte immer stärker auszuweiten. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinistitut SIPRI ist die EU weltweit der zweitgrößte Waffenverkäufer nach den USA. Mißt man die EU-Staaten einzeln, dann liegt Deutschland auf Platz drei, Frankreich auf Platz vier; Großbritannien, Spanien und Italien folgen auf den Plätzen sechs bis acht. Die Waffenschmieden der EU darben ganz sicherlich nicht.

Politiker wie Michael Gahler, CDU-Europaparlamentarier aus Hessen und Exmitarbeiter des Auswärtigen Amts, machen sich dennoch Sorgen. »Mit Blick auf die europäische Rüstungsbasis ist es fraglich, ob dringend benötigte militärische Fähigkeiten noch innerhalb des europäischen Marktes beschafft werden können«, schrieb Gahler im Oktober im Rüstungsfachblatt Europäische Sicherheit & Technik. Der Weltmarkt kümmert sich nun einmal nicht darum, ob etwa die jeweils topaktuelle Killerdrohne nur in den USA produziert wird oder auch in der EU. Letzteres aber halten viele in Berlin für notwendig – schließlich baut man ja EU-Truppen neben der NATO auf, um unabhängig von den USA in den Krieg ziehen können. Da wäre es kontraproduktiv, industriell abhängig zu sein. Gahler macht daher als sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament Druck, die rüstungsindustrielle Basis der EU zu stärken.

Neu ist das Vorhaben nicht. Schon »Mitte der 2000er Jahre« habe man »vollmundige Bekenntisse gehört zu einem gemeinsamen Rüstungsmarkt, zu einer gemeinsamen rüstungsindustriellen Basis«, rief Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Februar vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestages in Erinnerung. 2004 wurde die Europäische Verteidigungsagentur gegründet, es gab Verhandlungen über die Fusion von Rüstungskonzernen nach dem Vorbild von EADS. Die Fusionspläne scheiterten, unter anderem weil Deutschland nicht bereit war, nationale Interessen preiszugeben. Aus demselben Grund komme auch die Verteidigungsagentur nicht recht vom Fleck, hieß es im Oktober in einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU). »Wenn wir uns das heute genau angucken, hat es keine Europäisierung gegeben im Rüstungsbereich«, stellte Mölling denn auch trocken fest.

Und nun? Gahler hat in Brüssel die Initiative ergriffen, plädiert für eine Bestandsaufnahme (»EU Defence Review«), will danach »klären, was wir brauchen, um was zu können«, und anschließend ein EU-»Weißbuch« erstellen, »um die europäischen strategischen Ambitionen mit der berechtigten Nachfrage nach militärischen Fähigkeiten in Einklang zu bringen«. Man wird sehen, was dabei herauskommt. Klar ist allerdings: Die deutsche Wirtschaft dominiert derzeit, ihre französische Konkurrenz schwächelt. Das erhöht die Chancen Berlins, nationale Interessen Frankreichs auszuhebeln und die eigenen durchzusetzen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Dezember 2013


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