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"Tausende von Toten an den EU-Außengrenzen sind Folge des Dublin-II-Systems"

Menschenrechtsorganisationen fordert die EU-Staaten zur Achtung der Menschenrechtskonvention auf - Pressemitteilung von amnesty, AWO, Caritas und weiteren Organisationen

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung, die am 30. Juni 2009 von zahlreichen humanitären Organisationen veröffentlicht wurde, sowie einen Artikel hierzu aus dem "Neuen Deutschland". Die gemeinsame Erklärung der Organisationen kann hier als pdf-Dokument heruntergeladen werden:
Gemeinsame Stellungnahme zum derzeitigen Stand der Harmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechts.



Breites Bündnis fordert Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik *

Mit einem gemeinsamen Positionspapier fordert ein Bündnis bestehend aus Amnesty International, AWO, Caritas, Diakonie, Deutscher Anwaltsverein, Deutsches Rotes Kreuz, Neue Richtervereinigung, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband und PRO ASYL eine grundlegende Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik.

Die Organisationen werfen der EU Völkerrechtsverletzungen vor, wenn Schutzsuchende durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex auf dem offenen Meer zurückgedrängt werden. Deutschland stelle dafür Hubschrauber zur Verfügung und leiste damit Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Verhalten. „Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt auch auf Hoher See“, betont Rechtsanwalt Reinhard Marx, „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass es den Vertragsstaaten nicht erlaubt ist, die Konventionen im eigenen Hoheitsgebiet oder außerhalb des eigenen Territoriums zu verletzen. Aufgegriffenen Asylsuchenden muss ein wirksamer Zugang zu einem Asylverfahren in der EU gewährt werden.“

Die Organisationen fordern eine faire Teilung der Verantwortung bei der Verteilung von Flüchtlingen in den Mitgliedstaaten. In der Dublin II-Verordnung ist festgelegt, dass der Staat, über den Schutzsuchende die EU erreichen, für die Behandlung des Asylsuchenden zuständig ist. Dadurch werden insbesondere die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU wie Griechenland oder Malta mit einem hohen Zugang konfrontiert. Weil diese Staaten mit der Verantwortung allein gelassen werden, greifen sie zu einer rigiden Grenzpolitik und drastischen Abschottungsmaßnahmen. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL: „Tausende von Toten an den EU-Außengrenzen, dramatische Defizite in der Qualität der Asylverfahren und in der Unterbringung von Asylbewerbern und die Inhaftierung von Schutzsuchenden sind ein Skandal – und mittelbare Folge des Dublin II-Systems.“

Amnesty International und PRO ASYL wenden sich gegen die im derzeit auf EU-Ebene verhandelten „Stockholmer Programm“ vorgesehene Ausweitung der europäischen Abschottungsmaßnahmen gegen Flüchtlinge in Transit- und Herkunftsstaaten und die Zusammenarbeit mit diesen Staaten unter Missachtung der Menschenrechte. „Die EU darf den „Türsteherjob“ beim Zugang zur Festung Europa nicht auf Transitstaaten verlagern“ sagte Wiebke Hennig, Flüchtlingsreferentin von Amnesty International. „Staaten wie Libyen oder Mauretanien sind kein Schutz-Raum für Flüchtlinge, sondern weisen ihrerseits eine hochproblematische Menschenrechtsbilanz auf.“ Zwar ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn die EU Transitländer dabei unterstützt, ein funktionierendes Schutzsystem zu errichten. Die fortbestehenden gravierenden Schutzdefizite in Drittländern dürfen jedoch nicht verschleiert und die Unterschiede in den nationalen Schutzkapazitäten und der Bedarf nach mehr Solidarität im internationalen Flüchtlingsschutz müssen anerkannt und berücksichtigt werden.

* Quelle: Website von pro asyl; www.proasyl.de

Hier geht es zur "Gemeinsamen Stellungnahme zum derzeitigen Stand der Harmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechts".


Kein Menschenrecht auf Hoher See

Hilfsorganisationen: Frontex weist mit Hilfe deutscher Hubschrauber Flüchtlinge zurück **

Hilfsorganisationen haben am Dienstag (30. Juni) in Berlin eine grundlegende Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik gefordert. Die Organisationen werfen der EU Völkerrechtsverletzungen vor.

Berlin (epd/ND). Immer wieder würden Flüchtlinge durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex auf dem offenen Meer zurückgedrängt, kritisierte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Deutschland stelle dabei Hubschrauber zur Verfügung und leiste damit Beihilfe zu völkerrechtswidrigem Verfahren.

In einem gemeinsamen Positionspapier, das unter anderem auch von Amnesty International, Caritas und Diakonie, vom Roten Kreuz, von Arbeiterwohlfahrt und Paritätischem Wohlfahrtsverband unterzeichnet wurde, fordern die Organisationen eine faire Verteilung von Flüchtlingen in den Mitgliedsstaaten. Durch die Dublin-II-Verordnungen würden insbesondere die EU-Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen mit der Verantwortung alleingelassen. Dabei verfolgten sie eine rigide Grenzpolitik und griffen zu drastischen Abschottungsmaßnahmen, hieß es.

»Es geht nicht an, dass auf offener See Flüchtlingsboote umgedreht werden«, sagte der Rechtsanwalt Reinhard Marx. Er kritisierte die systematische »Verstopfung« der Flüchtlingswege nach Europa sowie Pläne, außerhalb Europas sogenannte Verfahrenszentren für Flüchtlinge einzurichten. Nach Berichten der maltesischen Tageszeitung »Malta today« wurden zuletzt Mitte Juni 74 illegale Flüchtlinge auf hoher See zurückgewiesen. Erstmals sei dies vor Malta durch eine koordinierte Aktion von Frontex mit deutschen Hubschraubern geschehen, sagte Burkhardt. Derartige Fälle seien bisher nur aus Italien bekannt. Burkhardt forderte die Bundesregierung auf, ihre Flüchtlingspolitik zu korrigieren.

Das Vorgehen im Mittelmeer sei »ein Skandal«, zu dem das europäische Parlament schweige, sagte Burkhardt. Der Jurist Marx forderte, aufgegriffenen Flüchtlingen müsse ein wirksamer Zugang zu einem Asylverfahren in der EU gewährt werden: »Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt auch auf Hoher See.«

Auch UNHCR pocht auf faire Asylverfahren

Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) forderte zur Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Schweden an diesem Mittwoch eine Verbesserung des europäischen Flüchtlingsschutzes. Derzeit könne nicht davon ausgegangen werden, dass Asylsuchende überall in der EU ein faires und effizientes Asylverfahren nach internationalen Mindeststandards erhalten. Das UNHCR forderte höhere Schutzstandards sowie unter anderem die Einrichtung eines EU-Asylunterstützungsbüros. Im kommenden halben Jahr müsse zudem eine Debatte über eine EU-weite Bewegungsfreiheit für Schutzbedürftige beginnen. Bei der europäischen Asylharmonisierung bestehe dringender Handlungsbedarf.

** Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2009


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