Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Darf die EU am Kaspischen Meer militärisch intervenieren?

Zum Streit in EU und NATO und zwischen beiden

Von Rainer Rupp

Beim Treffen der NATO-Außenminister Ende Mai in Budapest kam es beim Streit zwischen der EU und dem NATO-Land Türkei zu einer kuriosen Situation. Während der türkische Außenminister nach der Sitzung stolz verkündete, dass sein Land nun doch ein Mitspracherrecht bei zukünftigen EU-Militäroperationen habe, so wurde das von seinen EU-Kollegen heftig bestritten. In der Zwischenzeit wurde deutlich, dass die Differenzen zwischen der EU und der Türkei längst nicht beigelegt sind.

Bei dem Streit geht es darum, dass die Europäer in ihrer gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik auf Militärstrukturen der NATO zurückgreifen wollen, dies aber von der türkischen Regierung in Ankara mit dem Verweis auf eigene Sicherheitsinteressen bislang blockiert wurde. Die Türken sollen dabei den Europäern vorgerechnet haben, dass von den möglichen Krisenherden, in denen die EU-Interventionstruppen zukünftig zum Einsatz kommen könnten, der größte Teil unmittelbar vor der türkischen Haustür liegt. Die Türken verlangen deshalb für Ankara für den Fall ein Mitspracherecht, dass die EU-Eingreiftruppe in Regionen operieren, die zur Interessenssphäre der Türkei gehören. Zu dieser Sphäre zählt die Türkei die Insel Zypern, den Nahe Osten und insbesondere den Kaukasus und die ölreiche Region um das Kaspische Meer.

Die Europäische Union will bis 2003 eine schnelle Eingreiftruppe aufgestellt haben, die mit 60.000 Soldaten, 400 Kampfflugzeugen und 100 Kriegsschiffen im Umkreis von 4.000 Km von Europas Grenzen mindestens ein Jahr Krieg führen kann. Bis Jahresende soll bereits eine erste Einheit für die „militärischen und humanitären Operationen“ einsatzbereit sein, wie es im offizielle Sprachgebrauch heißt. Um aber amerikanischen Bedenken gegen die EU-Truppe als „Konkurrenz“ zur NATO entgegen zu wirken, aber auch aus Kostengründen, soll beim Aufbau der EU-Armee eine Duplizität mit bestehenden NATO-Strukturen verhindert werden, weshalb eine enge Zusammenarbeit mit der NATO vorgesehen ist. Die NATO-Staaten hatten diesem Vorhaben mit Ausnahme der Türkei bereits grundsätzlich zugestimmt. Da die EU im Ernstfall erwartet, auf NATO-Basen und Installationen auf türkischem Territorium zugreifen zu können, möchten die Türken auf keinen Fall abseits stehen, wenn die EU in ihrem „Hinterhof“ militärisch interveniert. Deshalb will sie der EU den Zugriff auf NATO-Mechanismen und NATO-Infrastruktur nur gegen ein türkisches Mitspracherecht bei EU-Operationen gewähren. Nach Aussage eines EU-Diplomat besteht Ankara auf „einer vollen Beteiligung an den Sitzungen der EU zu entsprechenden Themen“ („Streit zwischen EU und Türkei brodelt weiter“, AP, Meldung vom 27.05.2001 08:59)

Kompromissvorschläge Großbritanniens und der Niederlande konnten die Türken auch beim NATO-Treffen in Budapest nicht umstimmen. Wie der New York Times zu entnehmen ist, geht der Streit weiter, weshalb sich nun Washington direkt eingemischt hat. Gemeinsam mit Großbritannien haben die USA nun einen Entwurf für ein Abkommen zur Beilegung des Disputs vorgelegt. Demnach würde der Türkei zwar kein Veto-Recht über die von der EU-geplanten militärischen Operationen gewährt. Aber die Türkei hätte „eine Stimme bei den Beratungen der EU bei der Anwendung militärischer Gewalt ebenso wie eine mögliche Teilnahme bei der Durchführung militärischer Operationen, insbesondere bei jenen in der Nähe des türkischen Territoriums“. (“Turkey Tentatively Agrees European Union Force May Use NATO Bases”, By MICHAEL R. GORDON, NYT, June 5, 2001)

Dieser amerikanische Kompromißvorschlag hat bisher weder die Zustimmung der 15 EU-Mitgliedsländern noch die der Türkei gefunden. Aber amerikanische Diplomaten hoffen, dass eine Lösung bereits bei den für Juni anstehenden Treffen ranghoher NATO-und EU-Vertreter finden lässt. So treffen sich bereits heute (am 7. Juni) die NATO-Verteidigungsminister und am 14. Juni kommen die NATO-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammen, um sich unmittelbar danach beim EU-Gipfel im schwedischen Göteborg gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten Bush erneut zu treffen.

“Für die Vereinigten Staaten steht bei dieser Frage viel auf dem Spiel”, erklärt die New York Times ihren Lesern. „Um die führende Rolle der NATO (und damit der USA in Europa, Anm. RR) zu erhalten und um Verwirrung zu vermeiden, wollen die USA dass die EU sich auf die NATO-Planer verlässt und mit der Allianz eng kooperiert.“ „Wenn das Problem mit der Türkei nicht gelöst wird und die EU eigene Wege geht, dann würde das (die Vorherrschaft der NATO, Anm. RR) ausgeschlossen“, erklärte ein amerikanischer Diplomat in der NYT,. Deshalb gehen EU-Diplomaten auch davon aus, daß der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei seinem Besuch in Ankara Anfang der Woche den Türken klar gemacht hat, dass ein Kompromiß mit der EU gefunden werden muß.

Fraglich ist allerdings, ob der amerikanisch-britische Kompromißvorschlag auch den anderen Europäern schmeckt, insbesondere den Griechen. Der Entwurf enthält nämlich auch die Zusicherung, dass die EU-Interventionstruppe nicht in politische Streitereien zwischen NATO-Alliierten eingreifen werden. Das ist eine nicht zu übersehende Anspielung auf die türkisch-griechischen Streitereien. Ob Athen allerdings mit dieser Preisgabe seiner legitimen Sicherheitsinteressen durch die EU im Rahmen einer gemeinsamen Verteidigung der EU-Außengrenzen einverstanden ist, dürfte bezweifelt werden.

Rainer Rupp, Saarburg, den 6. Juni 2001

Weitere Beiträge zu Europa

Weitere Beiträge zur NATO

Zur Themen-Seite

Zurück zur Homepage