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Rüstungsagenten

Europäische Verteidigungsagentur forciert neue Militärprojekte. Konzerne wie EADS und Thales/Alenia profitieren

Von Dago Langhans *

Ich bin nur ein bescheidener Arbeiter im europäischen Weinberg. Wichtig ist, daß es uns bei aller kulturellen Unterschiedlichkeit gelingt, einen ausgezeichneten Wein herzustellen. Das können wir tun, indem wir das Beste nehmen, was die Mitgliedsländer anzubieten haben.« Nicht nur bei Weinliebhabern dürfte diese Aussage gehörige Skepsis auslösen, denn mit dieser biblischen Metapher führte sich Alexander Weis Ende September als neuer Chef der europäischen Rüstungsagentur EDA ein. Weis war bislang Abteilungsleiter Rüstung im Bundesverteidigungsministerium und gilt als ausgewiesener Kenner militärischer Beschaffungspolitik. Unmittelbar nach Amtsübernahme kündigte er nun gemeinsame länderübergreifende Forschungs- und Entwicklungsbemühungen zum Bau eines neuen Transporthubschraubers und eines militärischen Satellitensystems an.

Weltraummilitarisierung

Europäische Konzerne wie EADS Astrium und Thales/Alenia haben ein immenses Interesse an einer zukünftigen Militarisierung des Weltraumes. So erscheint es beinahe zwangsläufig, daß der neue EDA-Hauptgeschäftsführer Weis kurz nach einer von beiden Konzernen gesponserten Konferenz über die Perspektiven der europäischen Raumfahrtentwicklung zu einer Bündelung der Aktivitäten auffordert. Im industrienahen Fachdienst Aviation Week wurde kurz nach der Pariser Veranstaltung betont, daß die europäische Raumfahrt-Produktion trotz nationaler Begehrlichkeiten weit abgeschlagen hinter den USA zurückliege. Insbesondere Frankreich drängt in diesem Bereich auf die Entwicklung gemeinsamer zivilmilitärischer Projekte. Das von Weis verlangte Satellitenbeobachtungssystem zielt exakt in diese Richtung.

Für die Koordination aktueller länderübergreifender Beschaffungsprojekte ist die Partnerorganisation der Europäischen Verteidigungsagentur OCCAR (Conjointe de Coopération en Matière d’Armement) zuständig. Sie genießt bei der Abwicklung militärischer Großprogramme ein noch geringeres Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit als die gemeinsame Verteidigungsagentur EDA. Zu den wichtigsten derzeit betriebenen Aufrüstungsprogrammen gehört die Belieferung der Partnerländer mit dem Militär-Airbus A 400 M, dem Kampfhubschrauber Tiger, dem gepanzerten Militärtransporter Boxer, dem Artillerie-Ortungsradar Cobra, den Luftabwehrraketensystemen Roland, FSAF und PAAMS. Hauptnutznießer sind die wichtigsten europäischen Rüstungskonzerne EADS, BAE Systems und deren Beteiligungsgesellschaften wie der Raketenhersteller MBDA.

Letztlich jedoch beruht die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rüstungsmarktes auf der Bereitwilligkeit der Mitgliedsstaaten zur Zusammenarbeit. Bedeutsame langfristige Rüstungsvorhaben werden von den nationalen Beschaffungsbehörden nach wie vor den eigenen Waffenkonzernen zugeschanzt. Die letzte Ausschreibung für den Kauf von Fregatten und Korvetten für die deutsche Marine zum Beispiel ging an die deutschen Anbieter Thyssen und Lürssen. Simultan entwickeln der französische Schiffsbaukonzern DCN und der Rüstungsmulti Thales gemeinsam mit der italienischen Finmeccanica einen neuen Fregattentyp für die Seestreitkräfte beider Länder. Ob der Weg zu einem koordinierten europäischen Rüstungsmarkt nun allerdings »nur im Schneckentempo« zurückgelegt wird, wie der Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Michael Brzoska, Ende September in einem Beitrag für den NDR konstatierte, ist fraglich. Denn geht es nach Alexander Weis, wird nunmehr kräftig auf die Tube gedrückt. Mit Hinweis auf die ständig ausgeweiteten Auslandseinsätze europäischer Streitkräfte, beispielsweise in Afghanistan, fordert der EDA-Chef die Entwicklung eines eigenen europäischen schweren Transporthubschraubers, nach Art der US-Helikopter vom Typ Chinook der Firma Boeing, die bis zu 30 Tonnen Nutzlast bewegen können.

Neuer Think-Tank

Weis löst an der Spitze der EDA den Briten Nick Witney ab. Seit Gründung der Agentur im Jahr 2003 war Witney für deren Aufbauphase verantwortlich. Er hatte zuvor einschlägige Erfahrungen bei der Abwicklung großangelegter Waffenexportgeschäfte gesammelt. Im britischen Verteidigungsministerium war er unter anderem mit den spektakulären Tauschgeschäften Öl gegen Waffen zwischen Großbritannien und Saudi-Arabien betraut. Witney wechselt nun zu der neugegründeten Denkfabrik European Council on Foreign Relations (siehe jW vom 12. Oktober 2007). Dort befindet er sich in »guter« Gesellschaft mit solch politischen Größen wie dem früheren deutschen Außenminister Joseph Fischer und dem ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari. Entscheidender Wesenszug strategieorientierter Berater- und Lobbytätigkeit ist die räumliche und personelle Anbindung an die Machtzentren der politischen Elite. Zur festlichen Auftaktveranstaltung des außenpolitischen Think-Tanks werden am 9. November 250 Experten und Entscheidungsträger in den Weltsaal des deutschen Außenministeriums nach Berlin eingeladen. Dort wird Hausherr Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Versammlung mit einer programmatischen Grundsatzrede eröffnen.

* Aus: junge Welt, 29. Oktober 2007


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