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Ein erster Schritt

"Alternativgipfel" in Athen ging zu Ende. Geringe Beteiligung, Absprachen für weitere Konferenzen

Von Wolfgang Pomrehn *

In Athen ist am Samstag der sogenannte »Alter Summit« zu Ende gegangen – ein Alternativgipfel, zu dem Gewerkschaften und ein Teil der sozialen Bewegungen aus ganz Europa aufgerufen hatten. Mit nur etwa 1000 Besuchern blieb die Beteiligung weit hinter den Erwartungen zurück. Allerdings waren tatsächlich aus vielen europäischen Ländern kleine und größere Delegationen gekommen. Insbesondere auch osteuropäische Gewerkschaften waren vertreten, was bisher bei solchen Alternativveranstaltungen eher die Ausnahme war.

Andererseits hatten sich die Organisatoren mehr griechische Teilnehmer erhofft, doch in Athen war das Treffen kaum beworben worden. Die griechische Linke habe zur Zeit andere Probleme, meinte ein Mitarbeiter der Linkspartei Syriza gegenüber jW. Viele seien in ihren Kommunen und Stadtteilen mit dem Aufbau von Solidaritätsgruppen beschäftigt, die das tägliche Überleben sichern sollen.

Abgeschlossen wurde der zweitägige Gipfel am Samstag abend mit einer kleinen, kämpferischen Demonstration durch die Athener Innenstadt. Knapp eineinhalbtausend Teilnehmer zogen unter einem Meer bunter Fahnen zum Parlamentsgebäude am Syntagma-Platz im Herzen der Stadt. Darunter die roten Banner des norwegischen Gewerkschaftsdachverbandes LO, die ebenfalls roten Wimpel italienischer Metallarbeiter- und Basisgewerkschaften sowie die grünen Fahnen der belgischen Arbeiterorganisationen. Auch rumänische Gewerkschafter machten lautstark auf sich aufmerksam, und ihre französischen Kollegen forderten auf einem Transparent »Troïka dégage!« (Troika, hau ab!). Damit dürften sie nicht zuletzt den vielen Syriza-Mitgliedern unter den Demonstranten aus dem Herzen gesprochen haben.

Auch linke Parteien waren auf der Demonstration zahlreich vertreten. Türkische Kommunisten warben für ein Netzwerk revolutionärer Organisationen im Mittelmeerraum und erinnerten an den im Februar von Salafisten ermordeten tunesischen Kommunisten und Sprecher der dortigen Volksfront, Chokri Belaïd. Die griechische Kommunistische Partei hatte hingegen Demonstration und Alternativgipfel als reformistische Veranstaltungen verdammt und war beiden ferngeblieben.

Zuvor war auf dem Alternativgipfel eineinhalb Tage über die verschiedenen Facetten der europäischen Krise und vor allem auch möglicher Gegenmaßnahmen diskutiert worden. Aus Deutschland hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften die Veranstaltung finanziell unterstützt, aber auch ATTAC und führende Mitglieder anderer Gewerkschaften waren an der Vorbereitung beteiligt. Der ver.di-Bundesvorstand hatte einen Vertreter geschickt und IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban hatte sogar auf der großen Plenarveranstaltung am Freitag abend gesprochen, allerdings nicht als Vertreter seiner Organisation, sondern für den Aufruf »Europa neu begründen«.

An diesem Abend war auf dem Alternativgipfel ein Manifest vorgestellt worden, das die Organisatoren in monatelangen Diskussionen vorbereitet hatten. Es wird von der DGB-Jugend, dem Dachverband der britischen Gewerkschaften TUC sowie zahlreichen Gewerkschaften und anderen Organisationen aus der ganzen EU mitgetragen. Darin wird zum Beispiel ein sofortiger Stopp der krisenverschärfenden Auflagen der Troika sowie die demokratische Kontrolle der Banken gefordert.

Auf dem Gipfel ging es darum, die verschiedenen im Manifest angesprochenen Problemfelder, wie Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, die Schuldenkrise oder die grassierende Jugendarbeitslosigkeit, zu diskutieren und gemeinsame Aktionen vorzubereiten. Heraus kam allerdings zunächst nur eine Sammlung von internationalen Aktionstagen. Die Gemeinsamkeiten, für die das Manifest stehen könnte, müßten unbedingt noch gestärkt werden, meinte Martin Beckmann, der im Auftrag des ver.di-Bundesvorstandes in Athen war. In Deutschland habe sich ein Koordinierungskreis gebildet, der einerseits in den hiesigen Gewerkschaften für mehr Unterstützung werben will und andererseits zum internationalen Vorbereitungskreis Kontakt hält. Letzterer will weiter auf gemeinsame europäische Aktionen gegen die Austeritätspolitik der EU hinwirken.

Trotz der eher enttäuschenden Beteiligung bewerten die meisten Unterstützer das Treffen überwiegend positiv. Es sei ein erster Schritt in die richtige Richtung gewesen, so Beckmann. Hugo Braun von ATTAC Deutschland sieht den Anfang für eine »gemeinsame Widerstandsfront« gemacht. Weitere Konferenzen sollen folgen. Schon für den 23. Juni hat die britische Coalition of Resistance zu einem Großereignis nach London eingeladen. Bei ATTAC heißt es, daß eine internationale Konferenz über »Restrukturierung öffentlicher Schulden« geplant ist. Ein Thema, das auch für Deutschland von erheblichem Interesse ist, denn hier werden in den nächsten Jahren die sogenannten Schuldenbremsen zu wirken beginnen, die zu weiteren Einschnitten in Sozial-, Bildungs- und Kulturausgaben führen werden.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. Juni 2013


"Die Troika kommt zu uns allen"

1000 Europäer diskutierten beim Alter Summit

Von Katja Herzberg, Athen **


Ein »Manifest der Menschen« und Ideen für ein »demokratisches, soziales, ökologisches und feministisches Europa« brachte der Alter Summit, der Alternativgipfel von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Politikern.

Rost frisst sich an den weißen Stahlbauten um das Olympiastadion in Athen entlang. Nicht gerade einladend wirkt das riesige Areal. Hier Menschen zu finden, ist zu Beginn des Alter Summits am Freitagmittag nicht leicht. Neben ein paar umherschwirrenden Aktivisten zieht lediglich noch eine Handvoll Schwimmer ihre Bahn im Freiluftbecken.

Symbolischer hätte der Veranstaltungsort dieses Treffens der »Europäischen Bewegungen« aber nicht sein können. Sind es doch auch die Millionen Euro, die in die für die Olympischen Spiele 2004 errichteten Anlagen geflossen sind, die zum heutigen Schuldenberg in der griechischen Staatskasse beigetragen haben. Nicht zuletzt Olympia steht heute weltweit für Misswirtschaft, Kommerz und Großprojekte ohne Bürgerbeteiligung.

Dies waren neben den Fragen zur Überwindung der Wirtschafts- und sozialen Krise in Europa auch Themen, mit denen sich Gewerkschafter, Verbände, Aktivisten und Politiker beim Alternativgipfel beschäftigen wollten.

Nach Angaben der Veranstalter haben rund 200 Organisationen aus ganz Europa das Vorhaben unterstützt. Statt der erwarteten 5000 Teilnehmer war am Wochenende allerdings nur eine knapp vierstellige Zahl an Menschen gekommen, immerhin nicht nur aus EU-Europa. Vertreten waren auch die Ukraine, Weißrussland und Norwegen.

Die unter Linken mit Austerität bezeichnete Politik soll nicht nur in dem Mittelmeerstaat ein Ende haben. »Die Troika kommt zu uns allen«, lautete die Warnung des Organisationskomitees bei der Vorstellung des Manifests, zu der am Freitagabend knapp 1000 Menschen in das Velodrom gefunden hatten. Auch das IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban forderte einen Politikwechsel. »Es ist Zeit, dass die Menschen in Europa aufstehen. Widerstand ist jetzt nötig, je internationaler, desto besser.«

Dabei geht es nicht allein darum, die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zu vertreiben. Nagia Nikolaou vom Athener Labour Centre EKA forderte in ihrem Statement den Sturz der neoliberalen Regierungen in Europa. »Dafür sind Solidarität und Koordinierung grundlegend. Beides soll vom Alter Summit ausgehen.«

Besonderen Applaus erhielten die Demonstranten in der Türkei und die Aktivisten, die auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki gegen eine Goldmine kämpfen. Die Proteste des Blockupy-Bündnisses wurden als Erfolg gefeiert. Einige Dutzend norwegische Gewerkschafter zeigten sich mit knallroten T-Shirts, auf denen »Organize, Unite, Fight« (Organisieren, Vereinen, Kämpfen) zu lesen war. Die Krise würde nach Norden kommen, und schon jetzt gelte es, gegen unsoziale Maßnahmen ihrer Regierung wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre zu kämpfen.

Eine große Rolle spielte die wachsende Gefahr durch Neonazis auf den Straßen und in den Parlamenten Europas. In einer der insgesamt 15 thematischen Versammlungen einigten sich die Teilnehmer, eine Konferenz in Ungarn zu organisieren und den nächsten 8. Mai zu einem paneuropäischen Tag des Widerstands gegen Nazis zu machen. »Der Kapitalismus ist immer ein Türöffner für Faschismus«, ist sich Achim Rollhäuser, der für das griechische Netzwerk für politische und soziale Rechte (DIKTIO) sprach, sicher. Ein »Europäisches Antifaschistisches Manifest« nimmt darauf Bezug, dass sich die Geschichte nicht wiederholen dürfe. Schon einmal sei in den 20 er und 30er Jahren eine »tiefe ökonomische, soziale Krise, politische und sogar moralische sowie ökologische Krise des Kapitalismus« Auslöser für die Machtübernahme durch die extreme Rechte gewesen.

In der »Assembly« zur Stärkung der Rechte von Flüchtlingen wurde darauf verwiesen, dass Migranten am stärksten unter der Krise zu leiden hätten. Sie werden nicht nur in Griechenland dafür verantwortlich gemacht, dass die Menschen arbeitslos werden. Sie selbst verlieren ihren legalen Aufenthaltsstatus, weil der an Arbeit geknüpft ist, erklärte Yiannis Felekis, der das Seminar leitete.

»Ich hoffe, dass linke Parteien in Europa die Macht übernehmen können. Dafür müssen sie ein gemeinsames Programm entwickeln«, sagte der Student Modestos Siotos. Bei den Europa-Wahlen im nächsten Jahr wünscht er sich eine gute Beteiligung. Dafür sei es aber wichtig, die sozialen Bewegungen einzubeziehen.

Auch die Demonstration zum Abschluss des offiziellen Teils des Alter Summit am Samstagabend im Zentrum von Athen änderte dies nicht. Etwa 1500 Menschen liefen vom Nationalen Archäologischen Museum vor das Parlamentsgebäude am Syntagma-Platz. Die Formel »Für ein Europa der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit« auf dem Banner an der Spitze des Marsches fasste die Hauptaussage des gesamten Alter Summit zusammen. Ohne Zwischenfälle, aber auch ohne Abschlusskundgebung endete die Demonstration vor dem Parlamentsgebäude und traf dort auf einen feiernden Zug der Athener Schwulen- und Lesben-Bewegung.

** Aus: neues deutschland, Montag, 10. Juni 2013


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