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Das Embargo muss bleiben - Das Embargo verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht

Zwei Ansichten über den Irak

Unterschiedlicher können die Meinungen nicht sein. Während eine UNO-Kommision zu der Überzeugung gelangt, dass das gegen den Irak verhängte Embargo in den vergangenen 10 Jahren zu gravierenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts führte, während Kofi Annan sich liebend gern für eine Aufhebung der gegen die Bevölkerung gerichteten Sanktionen ausspräche und während immer mehr Staaten das Embargo faktisch ignorieren, veröffentlicht die "linke" Tageszeitung taz einen leidenschaftlichen Appell für die Aufrechterhaltung der Sanktionen. Wir dokumentieren im Folgenden zunächst den Leitartikel aus der taz vom 5. Dezember 2000 und anschließend einen Artikel aus dem Wiener Standard vom 18. August 2000, worin ein paar Fakten über die Wirkung des UNO-Embargos geschildert werden. Wir stellen es dem Leser anheim, sich ein Urteil über Sinn oder Unsinn, über Wohltat oder Grausamkeit dieses zehnjährigen Embargos zu bilden.

Das Embargo muss bleiben

Von THOMAS DREGER

Iraks Staatsführung meldet sich auf dem internationalen Parkett zurück. Zehn Jahre nach dem zweiten Golfkrieg landen wieder Linienflugzeuge auf dem Saddam International Airport, eröffnet das Regime Botschaften in Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Südafrika - und nebenbei erfährt man, dass Irak inzwischen wieder zweitgrößter Erdölexporteur der Welt ist, übertroffen nur von Saudi-Arabien.

Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird Saddams Regime international bald wieder so gefürchtet sein wie vor gut zehn Jahren. Damals verschloss man angesichts möglicher Geschäfte lieber die Augen vor den Verbrechen der wirtschaftlich potenten Folterknechte - bis der Irak einen anderen wichtigen Geschäftspartner überfiel: Kuwait.

UN-Generalsekretär Kofi Annan fordert nun, das 1990 verhängte internationale Embargo müsse "so schnell wie möglich" aufgehoben werden. Begründung: Durch die Sanktionsfolgen und die Ignoranz des irakischen Regimes sind in den zurückliegenden zehn Jahren tausende, vielleicht sogar zehntausende unschuldiger Menschen gestorben, das Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem liegt darnieder, und die Gesellschaft teilt sich in eine winzige Elite, die vom Schmuggel profitiert, und verarmende Massen.

Alles richtig. Doch das galt auch schon vor fünf oder acht Jahren. Warum also wurde nicht schon damals das Embargo aufgehoben? Oder umgekehrt: Warum soll es ausgerechnet jetzt aufgehoben werden? Eine Antwort drängt sich für beide Fragen auf: weil bis heute niemand so recht weiß, wofür das Embargo eigentlich gut sein sollte; denn ein wirkliches Ziel der Sanktionen wurde nie definiert.

Dabei gäbe es genügend Gründe für eine repressive Politik gegenüber Irak. Wer sich unter irakischen Oppositionellen, Menschenrechtlern und anderen "Irak-Watchern" umhört, kommt zu der Erkenntnis: Innenpolitisch sieht es im Reich Saddam Husseins so finster aus wie ehedem. In den Reihen des Militärs wird weggesäubert, wer nur verdächtig mit der Wimper zuckt, des Diktators Söhne lassen unterirdische Privatgefängnisse bauen, in denen ihre persönlichen Feinde dahinvegetieren oder gänzlich verschwinden.

Nur das Embargo könnte die irakische Führung langfristig dazu zu zwingen, die Menschenrechte und internationale Konventionen zu achten - und zudem Umsturzbestrebungen unterstützen. Der Abschied vom Embargo ist hingegen Ausdruck einer gescheiterten Irak-Politik.
Aus: taz Nr. 6314 vom 5.12.2000

UNO-Bericht: Irak-Sanktionen verstoßen gegen humanitäres Völkerrecht

1,5 Millionen Tote zu verantworten - USA weisen Kritik zurück

Bagdad/Genf - Die Sanktionen gegen den Irak verstoßen nach Einschätzung des UNO-Berichterstatters Marc Bossuyt gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Sanktionen des Sicherheitsrates hätten seit 1990 zum Tod von 500.000 bis zu 1,5 Millionen Irakern geführt, hieß es in dem am Donnerstag dem UNO-Unterausschuss für Menschenrechte vorgelegten Bericht Bossuyts. Nie zuvor hätten die Vereinten Nationen einem Staat vergleichbare Strafen auferlegt, betonte er.

Die USA, die sich im Sicherheitsrat immer wieder gegen eine Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak ausgesprochen haben, widersprachen dieser Einschätzung vehement. "Jeder Beobachter, der die Fakten kennt, kann seinen Bericht nur unkorrekt, voreingenommen und aufrührerisch finden", sagte der US-Botschafter in Genf, George Moose. Die humanitäre Situation im Irak habe sich in den vergangenen Jahren mit Hilfe des Programms Öl-für-Nahrungsmittel verbessert. "Wir werden weiter verlangen, dass der Irak sich an die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates hält, wozu auch die Überwachung des Öl-für-Nahrungsmittel-Programms zählt, und dass, obwohl Saddams Regime dies mit allen Mitteln zu verhindern sucht".

Flughafen wiedereröffnet

Mehr als neun Jahre nach dem Krieg am Persischen Golf hat die irakische Regierung den Flughafen von Bagdad offiziell wiedereröffnet. Der Saddam-International-Airport glich am Donnerstag allerdings einem Geisterflughafen: Es gab keine an- oder abfliegenden Maschinen, keine Fracht und keine Passagiere, die befördert wurden. Verkehrsminister Ahmed Murtada Ahmed Khalil erklärte, der Flughafen sei nun wieder in Betrieb und die Regierung erwarte die Ankunft von Flugzeugen aus befreundeten Staaten; Einzelheiten nannte er nicht. Das letzte zivile Flugzeug startete am 15. Jänner 1991 wenige Stunden vor dem Beginn des von den USA und Großbritannien angeführten Kriegs gegen den Irak. Bagdad hatte seine Flugzeugflotte nach Jordanien, Tunesien und den Iran verlegt, um sie vor den Angriffen zu schützen. Alle Bemühungen in den vergangenen Jahren, die Maschinen zurück nach dem Irak zu bringen, scheiterten; inzwischen dürften sie fluguntauglich sein. In den vergangenen Jahre landeten nur vereinzelt internationale Hilfsflugzeuge auf dem Flughafen. Die Vereinten Nationen hatten 1990 nach der irakischen Invasion in Kuwait umfassende Sanktionen gegen den Golfstaat verhängt.

USA weisen Kritik zurück

Die USA wiesen unterdessen die Vorwürfe eines im Auftrag der UNO erstellten Berichts des belgischen Völkerrechtlers Marc Bossuyt zurück, der die Sanktionen als widerrechtlich kritisiert hatte und von einer "humanitären Katastrophe" schlimmsten Ausmaßes gesprochen hatte. Der amerikanische UNO-Botschafter in Genf, George Moose, erklärte, nicht die Sanktionen seien schuld am Leid der irakischen Bevölkerung, sondern die Politik des irakischen Präsidenten Saddam Hussein.
Der Standard, 18. August 2000

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