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Aufbruch in eine neue Ära der Kriegsführung? – Bundeswehr will bewaffnete Drohnen kaufen

Ein Beitrag von Otfried Nassauer aus der Sendereihe des NDR "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Die Bundeswehr will auf der Höhe der Zeit sein und bei neuen Militärtechnologien nicht den Anschluss verlieren. Für manche sind Kampfflugzeuge inzwischen ein Auslaufmodell. Die Zukunft gehört unbemannten Luftfahrzeugen, sogenannten Drohnen, sagen immer mehr Experten. Auf Großdrohnen setzt mittlerweile auch die Bundeswehr. In Afghanistan sind drei solcher Systeme im Einsatz. Die Heron 1. Sie wurde von Israel geleast, für rund 100 Mio. Euro. Ihr Nachteil aus Sicht der Bundeswehr: Diese Drohnen lassen sich nicht bewaffnen. Doch das soll sich nach dem Willen des Verteidigungsministeriums schon bald ändern. Zurzeit werden die Weichen für ein Nachfolge-Modell gestellt. Umstritten ist allerdings, welche Großdrohne beschafft werden soll. Einzelheiten von Otfried Nassauer:


Manuskript Otfried Nassauer

Viele Militärs glauben, dass Drohnen die Zukunft gehört. Bewaffnete Drohnen zu besitzen, die ein Ziel aufklären und zugleich bekämpfen können - davon träumt nicht zuletzt auch die deutsche Luftwaffe.

„Einspruch!“ hieß es dazu bislang offiziell aus dem Verteidigungsministerium. Die Bundeswehr hat nur Aufklärungsdrohnen und sie plant derzeit nicht, bewaffnete Drohnen zu bestellen. Sie halte sich lediglich die Möglichkeit offen, künftig auch bewaffnete Systeme zu beschaffen. Noch im Juli reagierte Verteidigungsminister de Maizière etwas ungehalten, als er vom NDR-Fernsehmagazin PANORAMA auf das Thema angesprochen wurde:

O-Ton de Maizière
„Wir werden dann, wenn wir etwas mitzuteilen haben, werden wir das ausführlich und begründet mitteilen und stellen uns dann auch allen Fragen. Heute und hier nicht.“

Dabei beschäftigt sich das Verteidigungsministerium schon seit Jahren mit dem Thema. Bereits 2001 ließ das BMVg eine „Studie zur Wirksamkeit von unbemannten Luftangriffsflugzeugen“ erstellen. 2007 beauftragte das Ministerium gleich fünf deutsche Rüstungsunternehmen, die – wie es hieß - „Fähigkeiten unbemannter Gefechtsluftfahrzeuge in der Luft-Boden-Rolle“ zu untersuchen. 2008 verabschiedete die Bundeswehr ihre „Konzeptionellen Grundvorstellungen zum Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge“, in denen selbstverständlich auch bewaffnete Drohnen eine Rolle spielen. Und der Bundeswehrplan 2009 enthielt folgenden Planungsvorbehalt: Ab 2016 solle wahrscheinlich mit der Entwicklung einer Mehrzweckplattform Luftwaffe - Unbemanntes Gefechtsluftfahrzeug begonnen werden.

Seit einigen Wochen ist plötzlich Bewegung in die Diskussion über bewaffnete Drohnen gekommen. Das Verteidigungsministerium muss entscheiden, ob und womit es seine in Afghanistan eingesetzten drei Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron 1 ersetzen will. Die Systeme sind in Israel geleast worden. Sie lassen sich nicht bewaffnen. Der Vertrag läuft im Herbst 2014 aus. Die Luftwaffe dringt auf eine Entscheidung noch in diesem Herbst.

Mittel- und längerfristig will die Luftwaffe 16 Drohnensysteme für die Aufgabe SAATEG beschaffen. SAATEG steht für System Abbildende Aufklärung in der Tiefe des Einsatz-Gebietes. Als erster Schritt sollen die drei geleasten Heron-Systeme zunächst durch drei Folgesysteme ersetzt werden. Diese Entscheidung könnte bereits eine Richtungsentscheidung sein.

Die Bundeswehr hat drei Möglichkeiten: Sie kann den Nachfolger der Heron 1, die Heron-TP in Israel beschaffen. Diese Drohne ist noch in Entwicklung, vorrangig für die Aufklärung ausgelegt, kann aber auch bewaffnet werden. Eine zweite Option wäre, einsatzerprobte Drohnen vom Typ Predator B in den USA zu kaufen. Diese sind beides zugleich – Aufklärer und Waffenträger. In Deutschland angeboten werden sie vom amerikanischen Hersteller General Atomics und den deutschen Betrieben der Schweizer RUAG. Schließlich gibt es noch eine dritte, industriepolitisch motivierte Möglichkeit: Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie will den zukunftsträchtigen Markt der Großdrohnen nicht den USA und Ländern wie Israel überlassen. Sie drängt darauf, dass Europas Staaten endlich die Entwicklung europäischer Großdrohnen finanzieren.

Das Heron-Leasing wurde 2009 als Zwischenlösung gewählt, weil diese Drohne sofort in Afghanistan eingesetzt werden konnte. Israel bekam durch das Geschäft außerdem Devisen, mit denen es seinen Kostenanteil an den in Deutschland bestellten Dolphin-U-Booten bezahlen konnte. Schließlich sollte diese Lösung der europäischen Industrie mehr Zeit geben, um eine attraktive europäische Alternative zum Kauf amerikanischer Drohnen zu entwickeln.

Die Luftwaffe war allerdings schon damals nicht glücklich mit dieser Zwischenlösung. Man wollte statt der israelischen lieber die amerikanische Predator-Drohne. Der Inspekteur der Luftwaffe, Klaus-Peter Stieglitz, 2009 auf NDR Info:

O-Ton Stieglitz
„Ja, es ist richtig, die Luftwaffe hat ein anderes Gerät bevorzugt und tut es eigentlich heute noch.“

Denn die Predator-B-Drohnen sind erprobt, auch bei anderen NATO-Staaten im Einsatz und erbringen die geforderte Aufklärungsleistung. Zudem haben sie aus Sicht der Luftwaffe einen positiven Nebeneffekt: Man kann sie auch mit Hellfire-Raketen und lasergelenkten Bomben bewaffnen. Produziert wird heute die Version MQ-9, die bis zu 14 Waffen tragen kann. Diese Drohne könnte Soldaten im Einsatz nicht nur ein detailliertes Lagebild aus der Luft übermitteln, sondern ihnen auch sofort mit Luftnahunterstützung zu Hilfe kommen.

In dieser Doppelfunktion liegt aber zugleich das größte Problem des amerikanischen Angebots. Die US-Drohnen haben in der Weltöffentlichkeit einen äußerst zweifelhaften Ruf. Washington nutzt sie u.a. zur gezielten Jagd auf mutmaßliche Terroristen - also für gezielte Tötungen, eine höchst umstrittene Praxis. Dies hat eine weltweite juristische und ethische Debatte ausgelöst. Darf sich ein Staat das Recht herausnehmen, ganz ohne Gerichtsverfahren Todesurteile auf dem Boden eines anderen Staates zu vollstrecken? Die pakistanische Außenministerin Hina Rabbani Khar formuliert diese Kritik stellvertretend für viele andere:

O-Ton Rabbani Khar (overvoice)
„Unserer Meinung nach ist der Einsatz von Drohnen komplett illegal und durch kein Gesetz sanktioniert. Er widerspricht internationalem Recht.“

Das Bundesverteidigungsministerium versuchte lange, eine solche Debatte in Deutschland gar nicht erst aufkommen zu lassen: Es gehe um Aufklärungssysteme. Man wolle keine bewaffneten Drohnen beschaffen. Forderungen der Grünen oder der katholischen Militärseelsorge, vor einer Bestellung eine ausführliche ethische und völkerrechtliche Debatte im nationalen und internationalen Rahmen zu führen, hält man im Ministerium für überzogen. Ja, die Luftwaffe spreche sich klar für amerikanische Drohnen aus, die man auch bewaffnen kann, argumentiert neuerdings Karl Müllner, der neue Luftwaffeninspekteur. Aber bei der Bundeswehr erfolge jeder Einsatz strikt nach Völkerrecht und Bundestagsmandat.

Und die europäische Variante? Deren großer Nachteil ist, dass niemand genau sagen kann, wann sie verfügbar sein wird. Europäische Großdrohnen wie die Talarion existieren bislang nur auf dem Papier oder als Experimentalflieger. Europäische Staaten benötigen nur eine kleine Stückzahl. Viele Länder müssten sich auf gemeinsame Anforderungen einigen, um Entwicklung und Bau einer europäischen Großdrohne finanzierbar zu machen. Das kostet Zeit und sicher auch viel Geld. Ein weiteres Problem: Die Industrie, die solche Drohnen herstellen könnte, ist noch immer in Positions- und Konkurrenzkämpfe verstrickt. Welches Unternehmen übernimmt die Federführung? In Frankreich konkurrieren die EADS-Tochter Cassidian und Dassault, in Deutschland gibt es neben Cassidian noch Rheinmetall, das die israelische Heron TP-Drohne anbietet. In Deutschland haben sich die Konkurrenten allerdings kürzlich zusammengeschlossen: Cassidian und Rheinmetall bringen ihr Drohnengeschäft in ein Joint Venture ein. EADS-Cassidian hält 51 Prozent und stellt den Geschäftsführer, Rheinmetall hält 49 Prozent und gibt den Namen: „Rheinmetall Airborne Systems GmbH.“

Der Zusammenschluss hat einen durchdachten Zweck: Mit dem bisherigen Rheinmetall-Angebot der israelischen Heron TP-Drohne kann das Joint Venture der Bundeswehr eine Zwischenlösung für die Zeit nach 2014 bieten, bis die konkrete Planung für eine europäische Großdrohne steht. Langfristig käme dann das Cassidian-Vorhaben einer europäischen Drohne zum Zug, die man dann auch bewaffnen kann. Egal ob diese wie bisher Talarion heißt oder einen neuen Namen trägt.

Aber warum ist die Luftwaffe jetzt vorgeprescht und hat eine schnelle Entscheidung angemahnt? Sie will verhindern, dass sie erneut eine andere Drohne bekommt als von ihr gewünscht. Würde jetzt die amerikanische Predator B gekauft, dann könnte die Luftwaffe in Ruhe abwarten, ob es später eine leistungsfähige europäische Alternative gibt. Wenn nicht, kauft man in einigen Jahren einfach weitere US-Drohnen nach. Im Kampf um die Drohnen-Beschaffung der Bundeswehr hat also die nächste Runde begonnen.

Mehr zum Thema auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter www.ndr.de/info. Dort finden Sie u.a. eine Studie des Bundestages zu den Perspektiven von Großdrohnen.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 8. September 2012; www.ndrinfo.de


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