Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Geschenk des Himmels"

Dank Kampfdrohnen scheint Krieg risikolos. US-Präsident Obama hat daraus ein "Killing Business" gemacht. Mit freundlicher Unterstützung der Merkel-Regierung

Von Rüdiger Göbel *

Die USA führen seit Jahren mit Drohnen einen verdeckten Krieg mit mehreren tausend Toten. Regelmäßig verstößt die Supermacht dabei gegen das Völkerrecht. Bei einigen der ferngelenkten Attacken Washingtons handelt es sich wohl auch um Kriegsverbrechen. Zu diesem Schluß kommt die Studie »Will I be next?« von Amnesty International (siehe junge Welt vom 23. Oktober 2013). Nicht einer der Einsätze wurde gerichtlich untersucht und geahndet. Ähnliche Vorwürfe hat gerade auch die Organisation Human Rights Watch mit Blick auf den Luftterror im Jemen erhoben.

Die BRD ist – wie andere europäische Länder – am Mordprogramm beteiligt. Deutsche Geheimdienste haben den Kollegen von der CIA laut Amnesty Handynummern von Zielpersonen geliefert, die später per Drohnen liquidiert wurden. Die Forderung der Menschenrechtler, die Bundesregierung müsse als Verbündete Washingtons »endlich öffentlich einfordern, daß auch die USA sich an das geltende Recht halten« und die Drohnenangriffe »nicht auch noch unterstützen«, laufen ins Leere. Die Aufregung um abgehörte Telefonate der Bundeskanzlerin durch die Freunde in Übersee überlagert alles.

Die US-Drohnenangriffe fördern den Terrorismus, erklärte die junge Pakistani Malala Yousafzai, als sie von Präsident Barack Obama kürzlich im Weißen Haus empfangen wurde. »Unschuldige Opfer werden durch diese Akte getötet.« Die Attacken riefen in der pakistanischen Bevölkerung »Unmut« hervor. Was der Friedensnobelpreisträger der 16jährigen antwortete, ist nicht bekannt. Die Amnesty-Vorwürfe ließ er jedenfalls umgehend zurückweisen. Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, behauptete, die US-Drohnenangriffe seien »präzise, rechtmäßig und effektiv«. Das ist zynisch, dreist und machtarrogant. Nicht zuletzt, wenn man sich die Skrupellosigkeit vor Augen führt, einem ersten Drohnenangriff kurz darauf den nächsten folgen zu lassen, der dann diejenigen Menschen trifft, die den Verletzten helfen wollten. Unbemannte Flugsysteme wie »Reaper« (Sensenmann) oder »Predator« (Raubtier) verbreiten in den betroffenen Regionen Angst und Schrecken.

Wie »präzise« und »effektiv« Obama morden läßt, beschreibt Mark Mazzetti in seinem gerade erschienenen Buch »Killing Business«. Auf gut 400 Seiten schildert der Pulitzerpreisträger, »den geheimen Krieg der CIA«. »In einem auf dem ganzen Erdball geführten Schattenkrieg verfolgen die USA ihre Feinde mit Killerdrohnen und Spezialeinsatzkräften«, so Mazzetti. Der mächtige Geheimdienst ist eine große Tötungsmaschine geworden. Menschenjagd ist sein Geschäft. Mazzetti, Geheimdienstexperte der New York Times, beschreibt präzise und spannend, wie es dazu kam, wer die Veränderungen forcierte, wie das Budget dafür anschwoll.

John Brennan, von Obama im März 2013 zum CIA-Chef gekürt, verteidigt die neue Kriegführung mit den Worten, statt mit dem »Hammer« zuzuschlagen, setze Amerika jetzt das »Skalpell« an. Das Bild vom Skalpell suggeriert, so Mazzetti, »daß die neue Art des Kriegs ohne Fehler und unnötige Kosten vonstatten geht – wie eine Operation ohne Komplikationen. Doch das ist falsch.« Der Drohnenkrieg schaffe genauso schnell neue Feinde, wie er die früheren vernichtete. Die »Operation« mit dem »Skalpell« hat, so Mazzetti weiter, »die tradierten Mechanismen außer Kraft gesetzt, nach denen das amerikanische Volk in den Krieg zieht, und den US-Präsidenten zum letzten Richter darüber erhoben, ob bestimmte Menschen in weit entfernten Ländern leben dürfen oder sterben müssen«. Die neue Art der Kriegführung habe die Schwelle zur Gewaltanwendung gesenkt und dazu geführt, daß die USA heute »leichter als jemals zuvor in den fernsten Weltregionen Tötungsoperationen durchführen können«. Akribisch schildert der Autor den mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 entfesselten Furor – Guantánamo-Lager, Geheimgefängnisse, Gefangenenfolter und die schier grenzenlose Gier privater Söldnerfirmen angesichts eines neuen Milliardengeschäfts. Ebenso die Debatten in der CIA, mit dem »Killing Business« bloß nicht zum Meuchelmörder zu werden.

Die Drohnen gelten als Geschenk des Himmels. »Wenn die Predator abgeschossen wird, geht der Pilot nach Hause und schläft mit seiner Frau«, kommt in »Killing Business« der frühere US-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Richard Clarke, zu Wort. »Es gibt in diesem Fall kein Kriegsgefangenenproblem.«

Das Geschäft mit Militär und Geheimdienst blüht. Im Jahr 2012 waren die »Anforderungen des globalen Schlachtfelds« laut Mazzetti »zu groß für die Kapazitäten der amerikanischen Geheimarmee«. Die CIA und andere Geheimdienste vergeben mittlerweile einige ihrer wichtigsten Aufträge an private Unternehmen. Die werden für Spionageaufträge, für Nachrichtenanalyse und als Hilfspersonal für die US-Drohneneinsätze angeheuert. Sie machen alles, vom Bestücken der Drohnen auf geheimen Stützpunkten mit Bomben und Raketen bis hin zur Steuerung in den Kontrollstationen in Nevada.

Das Rassistische an Washingtons Drohnenkrieg macht der frühere Agent Hank Crumpton deutlich: »Wie wir tödliche Gewalt anwenden und wo wir sie anwenden – das ist eine extrem wichtige Diskussion, die wir im Grunde genommen noch gar nicht geführt haben. Zumindest scheinen wir kein Problem damit zu haben, eine Hellfire-Rakete auf ein klar definiertes Feindziel in Gegenden wie Afghanistan, den pakistanischen Stammesgebieten, Somalia oder dem Jemen abzufeuern. Was aber, wenn man einen Terrorverdächtigen in einer Stadt wie Paris oder Hamburg oder irgendwo hat, wo man keine Drohnen hinschicken kann? Wenn man dann einen CIA-Agenten oder jemandem vom Militär losschickt, der ihm eine Kugel in den Kopf jagt? Dann sehen die Leute darin einen Mordanschlag.«

Gezielte Tötungen von Verdächtigten gehören zum täglichen Kriegshandwerk nicht nur der USA, sondern auch Großbritanniens und Israels. Die Bundeswehr hat Aufklärungsdrohnen im Einsatz. ­Ungeachtet des »Euro Hawk«-Debakels sollen ab 2016 bewaffnete Drohnen in Dienst genommen werden, zunächst aus israelischer oder amerikanischer Produktion, bis ein europäisches Pendant entwickelt ist. Darauf macht der von Peter Strutynski herausgegebene Sammelband »Töten per Fernbedienung« aufmerksam. Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag hat Rüstungsexperten, Völkerrechtler und Friedensaktivisten versammelt, die sich mit der Geschichte dieser Waffentechnik auseinandersetzen. Mit Beiträgen u.a. von Chris Cole, Lühr Henken, Andrej Hunko und Mattias Monroy (Vorabdruck in jW vom 7. Oktober), Knut Mellenthin, Norman Paech, Elsa Rassbach und Nick Turse liegt ein aktuelles wie brisantes Handbuch über »Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg« vor.

Der Herausgeber führt sechs »Argumente der Ostermarschierer und anderer Drohnen-Gegner« wider das Joystick-Morden an: (1) Der Einsatz von Kampfdrohnen dient ausschließlich der »gezielten Tötung« von Menschen innerhalb und außerhalb von Kriegen. Die Bilanz ist verheerend, was insbesondere die dabei getöteten Zivilpersonen betrifft. (2) Die ferngesteuerte Tötung »Verdächtiger« ist nichts anderes als eine Aushebelung der Gewaltenteilung und eine Aufweichung rechtsstaatlicher Grundsätze und Verfahren: Politiker, die solche Einsätze anordnen, sind Ankläger, Ermittler, Richter und Henker in einer Person. (3) Der Einsatz von Kampfdrohnen senkt die Schwelle für künftige Kriege – siehe auch Mazzetti. Der Kampfeinsatz erfolgt aus einer sicheren Distanz, etwa von einem US-Hauptquartier in der Wüste Nevada aus, die unbemannte Drohne tötet in einer Entfernung von 6000 oder 8000 Kilometern. Die Angreifer tun dies ohne jedes persönliche Risiko. »Wenn die Theorie von den asymmetrischen Kriegen zutreffend ist, dann hier«, so Strutynski. (4) Die permanente Bedrohung durch Kampfdrohnen verängstigt und terrorisiert die Bevölkerung. Um Malala Yousafzais Bemerkungen, der Drohnenkrieg befördere den Terrorismus, zu präzisieren: Die Angriffe sind Terrorismus. (5) Kampfdrohnen entziehen sich (bislang) bestehenden Rüstungskontroll- oder Abrüstungsvereinbarungen. Die Ausrüstung der Streitkräfte mit dem neuen Kriegsgerät heizt den Wettlauf an. »In Ländern wie China, Frankreich, Indien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Südafrika existieren staatliche Programme zur Entwicklung bewaffneter Drohnen«, warnt der Autor. (6) Und schließlich droht eine weitere Automatisierung des Krieges. Wissenschaftler entwickeln im Regierungsauftrag vollautomatische Robotersysteme, die autonom, d.h. unabhängig von menschlichen Entscheidungen, ihre Zielsuche und das Abfeuern erledigen. »Eine derart entfesselte Kriegsmaschinerie führt zu noch schrecklicheren Kriegen; denn die Opfer bleiben Menschen«, erinnert Strutynski.

Drohnenangriffe gälten als »sauber«, »weil von vorneherein nicht vorgesehen ist, das Opfer zu verhaften, zu verstümmeln, zu entwaffnen oder gefangenzunehmen«, spitzt Medea Benjamin die Haltung von CIA und Co. zu. »Sie sollen augenblicklich töten, ein Leben auslöschen – und die potentiellen Probleme mit der Öffentlichkeit gleich mit.« Die Mitbegründerin der Hilfsorganisation Global Exchange und der antimilitaristischen Gruppe Code Pink hat mit »Drohnenkrieg. Tod aus heiterem Himmel. Morden per Fernbedienung« ein packendes Essay über das kalte klinische Morden verfaßt. Präsident Obama habe die Praxis der gezielten Tötungen institutionalisiert und die nach »9/11« eingeführten Ad-hoc-Elemente von Notfallmaßnahmen in eine »Antiterrorinfrastruktur« umgewandelt, die auf einen dauerhaften Krieg ausgelegt sei. Die vom »National Counterterrrorism Center« zusammengestellte »Killing List«, über die sich Obama jeden Dienstag beugt, wurde in »Disposition Matrix« umbenannt.

Wie die Autoren der anderen Bücher warnt auch Benjamin davor, der Luftterror nütze letztlich denjenigen, die offiziell bekämpft werden sollen. »Eine Aussetzung der Drohnenangriffe würde den radikalen Islamisten nicht vollständig den Boden entziehen, aber eine Fortsetzung des Tötens (…) kann das Problem nur verschärfen. Das ist der Grund dafür, daß gewaltbereite Extremisten zwar unbeliebt sind, aber einer verängstigten Bevölkerung weniger bedrohlich erscheinen als ein allgegenwärtiger, am Himmel kreisender Feind, dem es jeden Augenblick einfallen kann, geliebte Menschen mit einer Hellfire-Rakete auszulöschen.« Selbst wenn man bereit sei, zuzugestehen, daß »die Tötung unverbesserlicher Terroristen ohne Prozeß moralisch gerechtfertigt ist« und daß mit Drohnen »schlechte Menschen« getötet werden, »die ihr Schicksal vielleicht sogar verdienen« – die Drohnen töten auch viele Unschuldige, »gewöhnlich zur gleichen Zeit«. Benjamin: »Die Frage ist darum nicht nur, ob es moralisch gerechtfertigt ist, Mörder umzubringen, sondern ob dies auch gerechtfertigt ist, wenn es bedeutet, gleichzeitig unschuldige Männer, Frauen und Kinder zu töten – und ob wir alle dadurch wirklich sicherer leben können.«

Der Widerstand gegen den Krieg mit Kampfdrohnen wächst. Strutynskis Band gibt dazu einen Überblick. Die kleine Gemeinde Deer Trail im US-Bundesstaat Colorado übrigens will Drohnen zum Abschuß freigeben. Vom Stadtrat soll es entsprechende Lizenzen zum Feuern auf unbemannte Luftfahrzeuge mit US-Hoheitszeichen geben. Entschieden wird darüber im Dezember. »Wir wollen keine Drohnen in unserer Stadt«, sagt Initiator Philip Steel. »Ich halte nichts von einer Überwachungsgesellschaft.« Auch Bürgermeister Frank Fields unterstützt die Initiative: »Das wäre etwas ganz Neues. Ein kleines Drohnenfest, bei dem die Leute zusammenkommen und Spaß haben.«

Das wäre auch hierzulande die erste sinnvolle Betätigung für Schützenvereine.

Mark Mazzetti: Killing Business. Der geheime Krieg der CIA. Berlin Verlag, Berlin 2013, 416 Seiten, 22,99 Euro

Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg. Promedia-Verlag, Wien 2013, 222 Seiten, 14,90 Euro

Medea Benjamin: Drohnenkrieg. Tod aus heiterem Himmel. Morden per Fernbedienung. Laika Verlag, Hamburg 2013, 208 Seiten, 19 Euro


* Aus: junge Welt, Freitag, 1. November 2013 (Beilage)


Ultima Ratio

Peter Strutynski über das "Töten per Fernbedienung" **

Die USA haben in den vergangenen zehn Jahren rund 550 bewaffnete Drohnenangriffe geflogen. Mindestens 330 davon fielen in die Amtszeit von Präsident Barack Obama. »Bush war der Haft- und Folter-Präsident. Nun haben wir den Präsidenten des gezielten Tötens«, schreibt der US-amerikanische Theologieprofessor Cornel West.

Die bisherige Bilanz des Anti-Terror-Krieges zeigt noch einmal, wie unverdient Obama 2009 den Friedensnobelpreis erhalten hat. Der Friedensforscher Peter Strutynski kommentiert dies zur Einleitung des von ihm herausgegebenen Sammelbandes »Töten per Fernbedienung«: Obama habe die Auszeichnung nicht für praktische Schritte für mehr Frieden erhalten, »sondern für seine wohl klingende Rhetorik«.

Zur Rhetorik des US-Präsidenten gehörte es jahrelang auch, bewaffnete Drohnenangriffe – vor allem in Pakistan, Jemen und Somalia – zu verschweigen. Erst 2012 gaben die USA deren Einsatz offiziell zu. Ein Jahr später erließ Obama striktere Regeln für den Einsatz dieser Kampfmaschinen: Das Töten ausländischer Terroristen mittels Drohnen soll ebenso hohen Hürden unterliegen wie der Einsatz gegen US-Staatsbürger. Zielpersonen dürfen nur Menschen sein, die eine dauerhafte und unmittelbare Bedrohung für US-Amerikaner darstellen. Der Tod solle ultima ratio sein, also dann, wenn eine Festnahme unmöglich sei.

Auch das sei hauptsächlich Rhetorik, meint Norman Paech in seinem Beitrag. Zahlen deuteten darauf hin, dass in der Praxis die gezielte Tötung der Festnahme häufig vorgezogen werde: Auf 380 Drohneneinsätze von 2004 bis 2013 kommen laut Bureau of Investigative Journalism in London – offizielle Statistiken veröffentlichen die USA nicht – bis zu 3600 Tote, darunter mindestens 950 Zivilisten, und rund 1500 Verletzte allein in Pakistan.

Johanna Treblin

Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg. Promedia, 224 Seiten, 14,90.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 21. Dezember 2013


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