Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

USA nehmen sich Lizenz zum Töten

Amnesty-Bericht: Deutschland hat Drohnenangriffe unterstützt *

Amnesty International wirft den USA vor, mit Drohnenangriffen in Pakistan Völkerrecht zu brechen – mit deutscher Unterstützung. Insgesamt sollen schon mehr als 2500 Menschen getötet worden seien.

Die USA werden nach Angaben von Amnesty International bei ihren Drohnenangriffen auf Ziele in Pakistan von Deutschland unterstützt. Deutschland habe Daten wie Handynummern von späteren Drohnen-Opfern an den US-Geheimdienst CIA geliefert, kritisierte die Menschenrechtsorganisation. Sie stützt sich dabei auf Informationen pensionierter Offiziere des pakistanischen Geheimdienstes. Nach unbestätigten Angaben sollen inzwischen mehr als 2500 Menschen getötet worden sein.

Von der Bundesregierung gab es keine offizielle Stellungnahme zu den Vorwürfen. Der Bundesnachrichtendienst wollte sich nicht äußern. In Zusammenhang mit ähnlichen Vorwürfen hatte der Dienst kürzlich aber erklärt, die Weitergabe von Mobilfunknummern Terrorverdächtiger an befreundete ausländische Geheimdienste sei rechtmäßig. Die Praxis gebe es seit den Jahren 2003/04. Für eine zielgenaue Lokalisierung seien die Nummern aber nicht geeignet.

In dem Bericht heißt es: »Die USA haben beim Einsatz bewaffneter Drohnen in Pakistan immer wieder Völkerrecht gebrochen. Bei einigen Angriffen kann es sich sogar um Kriegsverbrechen handeln.« Die CIA sei von europäischen Geheimdiensten unterstützt worden. Die deutsche Amnesty-Sektion sprach von einer »Lizenz zum Töten«, die das Völkerrecht und menschenrechtliche Standards ignoriere.

Der Pakistan-Experte von Amnesty International, Mustafa Qadri, sagte: »Wir veröffentlichen diesen Bericht, um Regierungen einschließlich der deutschen dazu zu drängen, ihre Rolle in dem US-Drohnenprogramm offenzulegen.« Bislang verlasse sich Deutschland auf Zusagen der USA, wonach das Völkerrecht eingehalten werde, was aber nicht ausreiche. »Die Bundesregierung muss endlich öffentlich einfordern, dass auch die USA sich an das geltende Recht halten.«

Amnesty überprüfte nach eigenen Angaben alle 45 Drohnenangriffe, die von Januar 2012 bis August 2013 aus dem schwer zugänglichen Nord-Waziristan bekannt wurden. Im Oktober 2012 sei eine 68-jährige Großmutter bei der Feldarbeit vor den Augen ihrer Enkel getötet worden. Die Kinder selbst seien schwer verletzt worden. Im Juli 2012 hätten US-Drohnen 18 Dorfbewohner getötet, die dann als Kämpfer bezeichnet worden seien.

Die Drohneneinsätze werden auch Thema beim Treffen des pakistanischen Premierministers Nawaz Sharif mit US-Präsident Barack Obama an diesem Mittwoch in Washington sein. Pakistan fordert seit langem einen Stopp der Angriffe im Grenzgebiet zu Afghanistan.

Die CIA setzt die unbemannten Flugzeuge ein, um gezielt im Ausland mutmaßliche Aufständische zu töten, denen zuvor kein rechtsstaatlicher Prozess gemacht wurde. Dabei kommen immer wieder Unschuldige ums Leben. Das »Büro für Investigativen Journalismus« in London schätzt, dass seit 2004 bei 376 CIA-Drohnenangriffen zwischen 2525 und 3613 Menschen getötet wurden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 23. Oktober 2013


Merkel mordet mit

Amnesty: US-Drohnenangriffe in Pakistan verstoßen gegen Völkerrecht. Bundesregierung liefert Zieldaten für extralegale Hinrichtungen

Von Rüdiger Göbel **


US-Präsident Barack Obama hat wie kein anderer den Einsatz bewaffneter Drohnen vorangetrieben. Gezielte Tötungen von Verdächtigten gehören zum täglichen Kriegshandwerk Washingtons und seiner Verbündeten. Durch Drohnen wurden bereits Tausende Menschen verletzt oder getötet. In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht wirft die Menschenrechtsorganisation Amnesty International den USA vor, bei Angriffen mit diesen unbemannten Luftfahrzeugen in Pakistan »regelmäßig« das Völkerrecht zu brechen. Bei einigen Attacken könne es sich sogar um Kriegsverbrechen handeln, heißt es darin weiter. Unterstützt wird das Mordprogramm der Supermacht auch von Deutschland. Laut Amnesty hat die Bundesregierung dem US-Geheimdienst CIA etwa die Handynummern von Zielpersonen geliefert, die später per Drohnen liquidiert wurden. Der Bundesnachrichtendienst wollte zu den Vorwürfen keine Stellungnahme abgeben.

»Mit dem strikt geheimgehaltenen Drohnenprogramm geben sich die USA eine Lizenz zum Töten, die menschenrechtliche Standards und das Völkerrecht vollkommen ignoriert«, kritisierte die Asienexpertin der deutschen Sektion von Amnesty International, Verena Harpe. Die Bundesregierung als Verbündete Washingtons müsse »endlich öffentlich einfordern, daß auch die USA sich an das geltende Recht halten«. Deutsche Behörden dürften die Drohnenangriffe »nicht auch noch unterstützen«, forderte die Völkerrechtsexpertin.

Als »besonders perfide« wird die Praxis charakterisiert, einem ersten Drohnenangriff kurz darauf den nächsten folgen zu lassen, der dann diejenigen Menschen trifft, die den Verletzten helfen wollten. In dem 76seitigen Amnesty-Report »Will I be Next?« wird etwa die Ermordung von Mamana Bibi beschrieben. Die 68jährige Großmutter war vor einem Jahr, am 24. Oktober 2012, vor den Augen ihrer Enkel bei der Feldarbeit mit einer »Hellfire«-Rakete getötet worden. Die beiden Kinder Zubair und Nabila wurden bei einer zweiten Drohnenattacke wenige Minuten später schwer verletzt. In dieser Woche sollen der 13jährige und seine neun Jahre alte Schwester bei einem Hearing im Kongreß in Washington von dem Schreckenstag berichten. Wochenlang hatten sich die US-Behörden geweigert, den Kronzeugen die notwendigen Visa zu erteilen.

Die Amnesty-Recherche belegt eindrücklich, daß die Zivilbevölkerung in den per Drohnen heimgesuchten Gebieten in ständiger Angst leben. Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation haben alle 45 Angriffe überprüft, die zwischen Januar 2012 und August 2013 aus dem schwer zugänglichen Nordwasiristan bekanntgeworden sind. Attacken in anderen Regionen Pakistans sind also nicht berücksichtigt, auch nicht der Drohnenkrieg in Jemen und Somalia.

Genaue Zahlen über den Massenmord liegen nicht vor, da weder die USA noch Pakistan Einzelheiten zu den Angriffen nennen. Nach US-Angaben wurden seit 2004 in Pakistan 376 Drohnenangriffe geflogen. Die internationale Vereinigung »Initiative Bureau of Investigative Journalism« schätzt die Zahl der dabei Getöteten auf 2525 bis 3613. Nach pakistanischen Medienberichten waren bis zu 926 von ihnen Zivilisten.

Der Rüstungskonzern Lockheed-Martin verkündete am Dienstag neue Erfolgszahlen. Im dritten Quartal stieg der Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 20 Prozent auf 873 Millionen Dollar. Lockheed-Martin stellt unter anderem Kampfjets, Raketen, gepanzerte Fahrzeuge und Drohnen her. Die Aktie stieg vorbörslich um zwei Prozent.

** Aus: junge welt, Mittwoch, 23. Oktober 2013


Henkershelfer

Von Klaus Joachim Herrmann ***

Der Bundesnachrichtendienst schweigt bislang zum Bericht von Amnesty International. Doch wenn die CIA zum Beispiel eine Mobilfunknummer braucht, gibt der BND offenbar hilfsbereit Auskunft. Manche solcher Handyeigner wurden später Opfer eines Drohnenangriffes, meint Amnesty. Doch vorsorglich erklärte der Geheimdienst schon früher: Die Nummern taugen nicht zur zielgenauen Lokalisierung. Ob dies lautere Wahrheit oder Ausrede ist, verdiente staatsanwaltschaftliche Prüfung.

Denn die Bundesrepublik steht unter Verdacht als Henkershelfer. In der Welt der Drohnen herrscht nicht nur Hochtechnologie, sondern auch Willkür. Ohne jeden Prozess, also gerichtliche Wahrheitsfindung in Anklage und Verteidigung, fallen Todesurteile. Sie werden von Drohnen als Henker weltweit vollstreckt – jedenfalls dort, wo es sich die USA angesichts des Zustandes solcher Länder wie Pakistan ungestraft leisten können.

Dabei nehmen es die Flugkörper nicht genau. Es sterben auch »Zivilisten«. Das Wort bezeichnet nicht einfach Menschen, die keine Uniform tragen. Es geht um Tausende Unschuldige, davon Hunderte Kinder. Niemand sollte dabei mittun dürfen. Denn was wird wohl den Unterschied machen, von einer Terroristenbombe auf dem Markt oder einer Staatsdrohne auf dem Feld in die Luft gejagt zu werden?

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 23. Oktober 2013 (Kommentar)

Das Buch zum Thema:

Peter Strutynski (Hg.): TÖTEN PER FERNBEDIENUNG. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg
Mit Beiträgen von Jürgen Altmann, Tom Barry, Chris Cole, Lühr Henken, Andrej Hunko, Hans-Arthur Marsiske, Knut Mellenthin, Matthias Monroy, Norman Paech, Elsa Rassbach, Noel Sharkey, Franz Sölkner, Ralf E. Streibl, Peter Strutynski und Nick Turse.
Promedia-Verlag: Wien 2013, br., 224 Seiten, 14,90 Euro (ISBN 978-3-85371-366-2)

Info zum Buch




Zurück zur Drohnen-Seite

Zurück zur Völkerrechts-Seite

Zurück zur Homepage