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"Todesstaub"

Kriegsgegner fordern, Waffen mit abgereichertem Uran zu ächten

Von Wolfgang Kötter *

In der Auseinandersetzung um den Libyeneinsatz der NATO flammt erneut der Streit um eine mögliche Verwendung von Munition mit abgereichertem Uran auf, den sogenannten DU-(Depleted Uranium)-Waffen. Kritiker wie die „Internationale Kampagne zum Verbot von Uranwaffen“ warnen vor dem Einsatz derartiger Bomben und Munition. Die Besorgnis ist nicht unbegründet, denn die von der westlichen Koalitions-Marine und -Luftwaffe eingesetzten Kampfflugzeuge sollen Raketen mit DU-Sprengköpfen tragen. Urangehärtet sind ebenfalls sowohl die Bomben an Bord der US-amerikanischen B-2-Maschinen als auch die Sprengköpfe der Flügelraketen auf den im Mittelmeer stationierten Kriegsschiffen. (...)

Opfer über mehrere Generationen hinweg

„Depleted Uranium“ entsteht als Atommüll bei der Urananreicherung von Brennelementen für Atomkraftwerke und wird als panzer- und bunkerbrechende Waffe eingesetzt. Durch seine extreme Dichte verleiht das in uranummantelter Munition enthaltene Uran-238 dem Geschoss ein hohes Gewicht und damit eine enorme Durchschlagskraft. Dabei entsteht eine extreme Reibungshitze von Temperaturen zwischen 3.000 bis 5.000 Grad Celsius. Die Rakete oder Bombe bohrt sich in das Ziel, explodiert dort und setzt eine brennende radioaktive Dunstwolke frei. Die Folgen gehen wegen ihrer vielschichtigen biochemischen Reaktionen aber weit über die der Radioaktivität hinaus, denn das entstehende Metallgas ist zwar nur schwach radioaktiv, aber hochgiftig. Die eingeatmeten Uranoxidpartikelchen lösen sich in der Lunge auf und gelangen so in die Blutbahn und ins Gewebe. Auch über Wunden kann die Substanz in den Körper eindringen und Vergiftungen auslösen, die den Stoffwechsel der inneren Organe, vorwiegend von Nieren und Leber, angreifen. Folgeschäden sind Tumore, Leukämie und andere Krebserkrankungen sowie eine massive Schwächung des Immunsystems und Missbildungen durch Genmutationen. Solche genetische Veränderungen werden dann über viele Generationen an die Kinder und Kindeskinder vererbt.

Gesundheitsgefährdung besteht vor allem an den kontaminierten Orten, betrifft aber auch angrenzende Regionen. Opfer sind neben den Soldaten häufig auch unbeteiligte Zivilisten.

Uranwaffen sind völkerrechtswidrig

Obwohl kein internationales Abkommen Uranmunition explizit verbietet, ist ihr Einsatz gerade wegen dieser unterschiedslosen Wirkung rechtlich geächtet. Das sogenannte humanitäre Völkerrecht stellt Verhaltensregeln für die Kriegsführung auf, um das Leid nicht direkt an den Kämpfen beteiligter Personen zu lindern. So verbietet die IV. Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen z.B. militärische Angriffe auf Zivilkrankenhäuser, Sanitätstransporte, Frauen und Kinder. Nach Artikel 35 des ersten Zusatzprotokolls, ist es verboten, Waffen, Geschosse und Material sowie Methoden der Kriegführung zu verwenden, die überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden verursachen. Ob der beim Beschuss mit Uranmunition entstehende hochgiftige Dampf unter das Verbot der Chemiewaffenkonvention fällt, wäre zusätzlich zu prüfen.

In jüngster Zeit wurde Uranmunition in indisch-pakistanischen Grenzkonflikten, in Tschetschenien und während der sowjetischen Invasion Afghanistans eingesetzt. Die westlichen alliierten Streitkräfte verschossen Uranmunition bereits in den Golfkriegen gegen den Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan. Arabische Staaten werfen Israel vor, im Libanonkrieg 2006 wie auch im letzten Gaza-Krieg ebenfalls Munition mit abgereichertem Uran verschossen zu haben.

Mindestens 18 Staaten verfügen vermutlich über die radioaktiv strahlenden Geschosse, die zwar keine Nuklearexplosion auslösen, aber auf Grund ihrer langen Halbwertszeit faktisch unbegrenzt strahlen und noch ewig nach ihrer Anwendung Mensch und Umwelt schädigen.

Bereits im Oktober 2003 konstatierten die Teilnehmer einer Uranwaffenkonferenz in Hamburg gravierende Folgen der Uranmunitionseinsätze von 1991 im Irak. Dort herrsche eine zehnfach höhere Krebsrate und es gäbe sieben Mal mehr Missbildungen bei Kindern, berichtete die irakische Epidemiologin Genan Hassan von der Universität Basra. Es sterben sowohl die Opfer des Krieges als auch die Verursacher, die sich in den Einsatzgebieten aufgehalten haben. Der schwerkranke US-Reservemajor Doug Rokke sammelte nach 1991 mit seinem Aufräumteam für ein halbes Jahr im Irak verstrahlte Munition ein, die die USA vorher auf irakischem Boden abgefeuert hatten: „Ich gehöre zu den Überlebenden", sagt er, „30 Mitglieder meines Teams sind inzwischen tot."

Der Kölner Journalist und Filmemacher Frieder Wagner hat sich in den Filmen “Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra” und “Deadly Dust - Todesstaub” mit den gefährlichen Folgen von Uranmunition beschäftigt. Nach seinen Erhebungen sind in Italien mehr als Hundert der im Kosovo stationierten Soldaten an aggressiven Krebserkrankungen gestorben. Obwohl vom Verteidigungsministerium deutsche Opfer abgestritten werden, schätzt Wagner, dass bis zu 30 Prozent der an Auslandseinsätzen Beteiligten geschädigt sind. Allein aus seinem Bekanntenkreis seien bereits drei Bundeswehrangehörige, die in der Umgebung von Prizren im Kosovo stationiert waren, ebenfalls an Krebs gestorben.

Für ein Verbot von Uranmunition

Deshalb regt sich Widerstand gegen den Einsatz von urangehärteter Munition auch unter den Militärangehörigen. So befassten sich die im Arbeitskreis „Darmstädter Signal“ zusammengeschlossenen aktiven und ehemaligen Bundeswehrsoldaten auf ihrer Arbeitstagung im vergangenen November mit den verheerenden Auswirkungen von Uranmunition und verurteilten sie als völkerrechtswidrig. Zu den verabschiedeten Forderungen gehören: Bundeswehrsoldaten, die aus den Einsatzgebieten zurückkehren, auf mögliche Kontamination durch Uranwaffen zu untersuchen; die durch die Weltgesundheitsorganisation WHO unter Verschluss gehaltenen Studien offen zu legen; von den Staaten, die Uranwaffen verschossen haben, umfassend über die Einsatzkoordinaten zu informieren und betroffene Regionen unverzüglich zu dekontaminieren. Uranwaffen sollten nach Meinung der friedenspolitischen Gruppe weltweit geächtet und die Entwicklung, Herstellung, Lagerung, Weitergabe und deren Einsatz verboten werden. Auch auf internationaler Ebene organisiert sich der Widerstand. Sowohl das Europaparlament als auch die UNO-Vollversammlung – allerdings gegen die Stimmen Frankreichs, Großbritanniens, Israels und der USA - verabschiedeten Entschließungen gegen Uranmunition. Über 120 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 30 Ländern fanden sich in der „International Coalition to Ban Uranium Weapons“ (ICBUW) zusammen.

Staaten, die Uranmunition in ihren Arsenalen haben:

Ägypten, Bahrein, Belarus, China, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Israel, Kuwait, Oman, Pakistan, Russland, Saudi Arabien, Taiwan, Thailand, Türkei, USA

Quelle: „Internationale Kampagne zum Verbot von Uranwaffen“


“Depleted Uranium ist eine Waffe, die das eigene Militär zerstört wie auch die ihr hauptsächlich ausgesetzte Zivilbevölkerung, ebenso wie die gegnerischen Soldaten. DU zerstört die zivile Umwelt nach dem Krieg und macht sie für viele Jahrzehnte gefährlich - ähnlich wie Landminen, die heute geächtet und verboten sind.”

Quelle: Biologin und Krebsexpertin Rosalie Bertell, International Journal of Health Services, Volume 36, Number 3/2006


“Trotz aller noch existierenden offenen Fragen hat die neuere und insbesondere die unabhängige Forschung hinreichend Beweise erbracht, dass Menschen, die Uranpartikelchen in ihren Körper aufgenommen haben, seien es Soldaten oder Zivilbevölkerung, aber vor allem Kinder und Jugendliche, einer schweren Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens ausgesetzt sind. Das alleine reicht aus, um von den Regierungen der Welt, also in der UN und im UN-Sicherheitsrat, ein striktes Verbot des Einsatzes von DU-Waffen zu fordern. Keine Macht dieser Welt hat das Recht, auf ihren selbstgewählten Kriegsschauplätzen die Menschen noch lange nach Beendigung der Kriegshandlungen zu vergiften und zu töten.”

Quelle: Sachverständigenstellungnahme und Fazit von Ärzten und Wissenschaftlern über “Die Folgen des Einsatzes von Uranmunition” in Berlin am 19.06.2004


“Es ist eindeutig, dass abgereichertes Uran verantwortlich ist für eine ganze Anzahl von biochemischen Ereignissen, die Menschen erheblich schädigen. Diese Schädigung trifft alle unterschiedslos und unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit, dem Alter, dem Geschlecht oder ihrem Status als Kriegsteilnehmer oder Zivilist. Es ist unbestreitbar, dass das abgereicherte Uran beim Verbrennen bei Temperaturen von bis zu 5.000 Grad Celsius einen unsichtbaren gefährlichen Metallrauch erzeugt. Dies allein stellt eine Verletzung des Genfer Protokolls für das Verbot des Gebrauchs von Gas im Krieg dar, denn Metallrauch entspricht einem Gas.”

Quelle: Rosalie Bertell, International Journal of Health Services, Volume 36, Number 3/2006.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - im "Neuen Deutschland" vom 1. April 2011. Kürzungen unsererseits sind mit Auslassungspunkten gekennzeichnet.


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