Tod durch "Friendly Fire"
Der Einsatz von DU-Munition im Golfkrieg zeitigt späte Folgen
Die Diskussion um das abgereicherte Uran, das in Geschossköpfen Verwendung findet und im Golfkrieg 1991 sowie im Jugoslawienkrieg (1999) und im Afghanistankrieg (2001/02) von den US-Streitkräften eingesetzt wurde, geht weiter. Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht der US-amerikanischen Journalistin über die gesundheitlichen Folgen von DU (depleted uranium) am Beispiel von Familienangehörigen. Der Artikel erschien Ende April in der Zeitung "junge welt".
Von Tina Ellis
Die Bodenoffensive der Alliierten im Golfkrieg ist in vollem
Gange. Ein britischer Konvoi des Royal Regiments of Fusiliers
bewegt sich am 26. Februar 1991 mit gepanzerten Fahrzeugen
auf seine Stellungen zu. Um 15 Uhr sind die Stellungen erreicht
und den jungen Soldaten wird erlaubt, eine
Verpflegungspause einzulegen. Die Männer sind müde und
freuen sich auf eine Tasse Tee - ein Gruß von zu Hause gegen
das Heimweh.
Auch der 17jährige C.P. Cole aus Rochdale, der erst seit ein
paar Monaten Soldat ist, freut sich auf die Pause. Er weiß nicht,
daß er nur noch ein paar Sekunden zu leben hat. Um 15.02 Uhr
erschüttern zwei Detonationen die gepanzerten
Warrior-Fahrzeuge C/S 22 und 23. Schreie gellen durch die
Wüste, verzweifelt versuchen die überlebenden Soldaten, ihre
Freunde aus den brennenden Fahrzeugen zu befreien. Doch
für neun junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren kommt
jede Hilfe zu spät. Auch Conrad Philip Cole, der jüngste Tote
des Konfliktes auf britischer Seite, wird nie wieder heimkehren.
Elf weitere Briten werden bei der Attacke schwer verletzt.
Ein eventueller irakischer Angriff wird den Soldaten als Grund
der Explosionen genannt. Doch schon bald verdichten sich die
Verdachtsmomente, daß ein US-Flugzeug vom Typ A10 den
britischen Konvoi beschossen hat - ein »Friendly Fire«-Vorfall
wie ein Beschuß durch eigene oder befreundete Truppenteile
genannt wird.
Die Bordgeschütze der 144 A10 Maschinen, die im Golfkrieg
eingesetzt wurden, verwenden DU-Munition, das heißt, ihre
Geschosse beinhalten abgereichertes Uran (depleted
Uranium), auch als Uran 238 bezeichnet. Es pulverisiert bei
Verbrennung, zum Beispiel bei Durchschlag durch ein
gepanzertes Fahrzeug, und wirkt nicht nur in höchstem Maße
toxisch, sondern auch radioaktiv.
Schon 1978 beginnt die US Army DU Munition in ihr Arsenal
aufzunehmen. Doch ein passendes Testgebiet ist noch nicht
gefunden. Erstmalig getestet wird sie dann, trotz
verschiedenster Expertenwarnungen, im Golfkrieg 1991. Die
Gefahren einer Verseuchung werden sogar den eigenen
Soldaten, die zu Tausenden mit dem Gift in Berührung
kommen, wissentlich verschwiegen.
Nicht nur die A10-Flieger verwenden das abgereicherte Uran,
sondern ebenso die amerikanischen M1-Abrams-Panzer und
Bradley-Truppentransporter sowie die britischen
Challenger-Panzer. Insgesamt 300 Tonnen verschossenes
abgereichertes Uran haben die alliierten Truppen nach
Beendigung des Krieges in Irak und Kuwait zurückgelassen.
Ein Geheimbericht der British Atomic Energy Authority gelangt
im November 1991 in die Londoner Redaktion des
Independent. Er besagt, daß 40 Tonnen verschossenes
abgereichertes Uran ein tödliches Potential für bis zu 500.000
Menschen darstellen - wohlgemerkt nur 40, nicht wie im
Golfkrieg 300 Tonnen.
Die Auswirkungen dieser immensen Menge des Giftes für die
Menschen in der Region, für die Natur und für die
Golfkriegsveteranen und deren Familien lassen sich nur
erahnen. Der Tod Tausender irakischer Zivilisten - zum größten
Teil Kinder -, sowie schon über 4000 mittlerweile verstorbene
US-amerikanische Soldaten geben einen leisen Vorgeschmack
auf die Zukunft.
Obwohl die US-Regierung schon vor Beginn der Operation
»Wüstensturm« über die tödlichen Gefahren des Uran 238
aufgeklärt ist, setzt sie skrupellos auch das Leben der eigenen
Männer aufs Spiel. Nicht nur das: Seit 1991 exportieren die
USA DU-Waffen in großer Zahl. Abnehmer sind unter anderem
Israel, Saudi-Arabien, Südkorea, die Türkei, Thailand, Taiwan
und Bahrain.
Die Lüge vom »Computerspielkrieg der Präzisionswaffen« stößt
angesichts der hohen Anzahl von Friendly-Fire-Vorfällen sauer
auf. Nicht nur die sogenannten Kollateralschäden durch den
Beschuß irakischer Einrichtungen sind weit höher als anfänglich
vom Pentagon zugegeben. 51 Prozent der Toten auf alliierter
Seite im Golfkrieg sind, wie der 17jährige Cole, Opfer der
eigenen Geschütze geworden.
Viele der Verantwortlichen sind, wie der Todesflieger der
US-amerikanischen A10-Maschine, nie zur Rechenschaft
gezogen worden. Bis heute verweigern das britische
Verteidigungsministerium und die US Air Force den Familien der
getöteten Soldaten eine lückenlose Aufklärung. Die Identität
des Piloten bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis der Militärs.
Doch nicht nur die getöteten Männer sind Opfer der eigenen
Militärmaschinerie geworden. Tausende Golfkriegsveteranen
sind, wie Michael Ellis, mein Ehemann, unwissentlich mit
abgereichertem Uran in Kontakt gekommen und haben sich
ungeschützt tagelang in kontaminiertem Gebiet aufgehalten
und vergiftet - der wohl größte Fall von »Friendly Fire« seit
Menschengedenken.
Michael ist während der Operation »Wüstensturm« Fahrer
eines Warrior-Panzerfahrzeugs in dem oben genannten, durch
amerikanisches »Friendly Fire« angegriffenen britischen
Konvoi. Er erhält kurz vor dem Beschuß Befehl, auszuscheren,
was ihm und seinen Kameraden im Fahrzeug das Leben rettet.
Heute ist das Leben des 37jährigen ehemaligen
Wettkampfschwimmers oftmals eine Qual. Heftige
Nierenschmerzen machen den Tag zur Hölle. Mein Mann leidet
außerdem unter Depressionen, heftigem Nasen- und
Zahnfleischbluten, und sein Kurzzeitgedächtnis läßt ihn mehr
und mehr im Stich.
Nach dem Krieg bekommt der ausgebildete Sanitäter einen
nicht erklärbaren Ausschlag am Oberkörper. Doch bei der
Entlassungsuntersuchung der Armee im Jahre 1992 wird er als
»völlig gesund« entlassen. »Die gesamte Untersuchung hat
nicht länger als zwei Minuten gedauert,« sagt Michael und
zuckt die Achseln. »Der Armeearzt blickte nicht einmal auf. Es
fanden keine Blut- oder Urinproben statt, und selbst mein
Ausschlag blieb unbeachtet.«
Zu diesem Zeitpunkt, also ein Jahr nach Beendigung des
Einsatzes am Golf, ist den meisten Veteranen der Begriff
»abgereichertes Uran« ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei
warnt schon im Juli 1990 die SAIC, eine Firma, die für das
amerikanische Militär arbeitet, vor den Gefahren
abgereicherten Urans auf dem Schlachtfeld. » Eingeatmete
DU-Partikel können bei den Soldaten Verseuchungen
radiologischer und toxikologischer Art zur Folge haben«, heißt
es. Doch diese Warnungen erreichen die Soldaten an der Front
ebensowenig wie die in Akte 25/22/40/2 des britischen
Verteidigungsministeriums festgehaltene Vorschrift, sich in der
Nähe verschossener DU-Munition nur in spezieller
Schutzkleidung zu bewegen. »Viele von uns haben erst lange
nach dem Krieg erfahren, daß überhaupt Uranmunition
verwendet wurde,« erklärt Michael. »Unsere Vorgesetzten
hielten dies anscheinend für nicht so wichtig. Dafür hat man
uns täglich eingeimpft, wie gefährlich unser Gegner sei. Wir
dachten wirklich, wir stünden einer gigantischen
Kampfmaschine aus lauter Fanatikern gegenüber. Doch die
Kriegsgefangenen, die wir sahen, waren ganz normale
Männer. Sie waren unterernährt und hatten oft keine Schuhe
an den Füßen. Das waren ganz arme Schweine. Aber uns
wurde gesagt, daß dies nicht die Männer der Eliteeinheiten
seien und uns das Schlimmste noch bevorstünde.« Nach einer
kurzen Pause bemerkt er sarkastisch: »Da haben sie wohl
recht gehabt!«
Michael erklärt immer wieder, daß die Soldaten seiner Einheit
zu keiner Zeit während der gesamten Bodenoffensive in
irgendeiner Form über die Verseuchungsgefahr, in der sie sich
befanden, aufgeklärt wurden. »Wenn die mitgeführten
Strahlenmeßgeräte ausschlugen, wurden wir mit den Worten
beruhigt, die Dinger seien wohl defekt.«
Sträflicher Leichtsinn oder Vorsatz seitens der
kommandierenden Offiziere? Nachforschungen legen den
Verdacht nahe, daß die Offiziere tatsächlich auf Befehl handeln,
als sie ihren Männern die Wahrheit verschweigen und alle
moralischen Bedenken über Bord werfen.
So werden britischen Soldaten angewiesen, die Meßgeräte
ganz abzuschalten und ihre Schutzkleidung abzugeben. Kaum
zu glauben, wenn man bedenkt, daß laut wissenschaftlichen
Aussagen ein einziges Stück DU-Munition außerhalb der
Metallummantelung innerhalb einer Stunde die Radioaktivität
von 50 Röntgenuntersuchungen abgibt.
Doch im Vertuschen von Gefahren und Wahrheiten haben es
die Militärs zu einer wahren Meisterschaft gebracht. So
versuchen sie auch im Dezember 1995, einen amerikanischen
DU-Zwischenfall in Japan herunterzuspielen: Auf einer kleinen
unbewohnten Insel in der Nähe Okinawas veranstaltet die US
Army Schießübungen, bei denen auch eine geringe Menge der
Uran-Munition verwandt wird. Als dies der japanischen
Regierung bekannt wird, protestiert sie. Die Amerikaner
versuchen, die Gefahren des Giftes herunterzuspielen. Es sei
nicht gefährlicher als ein »Fernseher aus den 50er Jahren«,
heißt es lapidar. Doch diesmal kommt man mit dieser Arroganz
nicht durch. Die Japaner bestehen auf einer offiziellen
Entschuldigung und verbieten für die Zukunft die Verwendung
der Uranmunition auf ihrem Gebiet.
Im Golfkrieg hingegen leisten die Uran-Waffensysteme ganze
Arbeit. Der größte Teil der zerstörten irakischen Waffen geht
auf ihr Konto. Mit verheerenden Folgen nicht nur für den
Gegner. »Fast alle von uns haben sich die abgeschossenen
russischen Panzerfahrzeuge der Iraker angesehen. Wir haben
sie regelrecht untersucht, da wir noch nie vorher solche Panzer
gesehen hatten und einfach neugierig waren«, sagt Michael
Ellis. »Wir hatten ja keine Ahnung, daß wir uns auf
verseuchtem Gebiet befanden. Viele nahmen sich auch kleinere
Souvenirs mit. Ich selbst hatte ein irakisches
Erste-Hilfe-Päckchen gefunden und schleppte es die ganze Zeit
mit mir rum.«
Von den über 15000 gemeldeten erkrankten Soldaten hielten
sich Untersuchungen zufolge 82 Prozent in zerstörten
irakischen oder eigenen, durch Friendly Fire beschossenen
Fahrzeugen auf.
Zwar findet nachträglich eine Befragung der Armee statt, bei
denen die Veteranen nach Kontakt mit toxischen oder
radioaktiven Stoffen befragt werden, doch wird hierbei
unterschlagen, den Begriff DU überhaupt zu erläutern. So ist
den meisten Männern gar nicht bewußt, wonach sie überhaupt
gefragt werden. Sie verneinen die Frage aus purer
Unwissenheit und verspielen sich damit im Falle eintretender
Spätfolgen womöglich jeden Anspruch auf Hilfe oder Pension
seitens der Armee oder des Staates. Ein gut kalkulierter
Schachzug des Verteidigungsministeriums.
Von offizieller Seite beginnt nach dem Waffenstillstand eine
Souvenirjagd im großen Stil. Zwischen März und April 1991
werden von Mitarbeitern des »National Army Museum« im
britischen Chelsea über 200 Teile irakisches und britisches
Militär-Equipment auf den Schlachtfeldern am Golf
eingesammelt und zur Ausstellung nach England transportiert.
Dort sind die Kuratoren des Museums stolz: »Täglich trifft
neues Material hier ein. Wir laden herzlich zum Besuch der
absolut authentischen Ausstellung ein.« Absolut authentisch -
einschließlich der Vergiftungen durch DU?
Heute ist das Gift schon bei der nächsten Generation
angelangt. Im Irak wie auch in vielen Familien ehemaliger
Golfkriegsteilnehmer kommen auffällig viele Kinder mit
Geburtsfehlern zur Welt oder erkranken im Laufe ihres kurzen
Lebens schwer, häufig an Leukämie, an einer Fehlfunktion der
inneren Organe oder dem völligen Zusammenbruch des
Immunsystems.
Auch unsere beiden jüngsten Söhne kommen krank zur Welt.
Bei dem älteren Kind wird eine Blutanämie festgestellt, der
jüngste leidet an einer Fehlfunktion des Herzens. Der
Dreijährige hat mehrere Krankenhausaufenthalte hinter sich.
Kurz nach seiner Geburt wird er wegen schwerer
Atemprobleme in die Intensivstation der Kinderklinik
eingewiesen. Schon zweimal ist bei dem Jungen Atemstillstand
eingetreten. Er kann jedes Mal reanimiert werden, doch die
Angst vor einem neuen Anfall ist unser täglicher Begleiter.
Wissenschaftlich ist längst bestätigt, daß kleinste Partikel
abgereicherten Urans im Körper genetische Folgen für
nachgeborene Kinder haben können. Während für die Kinder
der Veteranen in westlichen Krankenhäusern die medizinische
Versorgung gewährleistet ist, haben die Kleinen im Irak
aufgrund der immer noch aufrechterhaltenen Sanktionen keine
Chance. Sie sterben - im Namen der UNO, angeführt von den
USA und Großbritannien - oft unter unsagbaren Qualen. Sogar
eine Krankheit wie Masern bedeutet im Irak mittlerweile schon
ein Todesurteil. ...
Aus: junge welt, 27. April 2002
Weitere Beiträge zu den DU-Geschossen
Zur Irak-Seite
Zurück zur Homepage