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Abschied von "hohlen Strukturen"? Bundeswehr-Einheiten sollen mehr Groß-Waffensysteme bekommen

Ein Beitrag von Joachim Samse in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderator):
Zunächst also zur Bundeswehr. Mit ihrer Einsatzbereitschaft steht es nicht zum Besten. Darüber können auch die jüngsten Beteiligungen an NATO-Manövern nicht hinwegtäuschen. Soldaten fehlt es weiterhin an Ausrüstung und Gerät - und zwar seit Jahren. Verteidigungsministerin von der Leyen spricht mittlerweile von „hohlen Strukturen“. D.h., auf dem Papier und in der Theorie hat die Truppe alles was benötigt wird. Die Praxis aber sieht ganz anders aus. Die Soldaten können ein Lied davon singen. Besonders stöhnt die Truppe über das sogenannte Dynamische Verfügbarkeitsmanagement. Es wurde eingeführt in Zeiten knapper Kassen - mit Billigung der militärischen Führung. Die Verteidigungsministerin hat jetzt die Reißleine gezogen, das missratene Projekt gestoppt. Allerdings ist keineswegs sicher, dass damit die Mangelwirtschaft in der Bundeswehr ein Ende haben wird. Einzelheiten von Joachim Samse:


Manuskript Joachim Samse

Offiziell sollte das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement der Truppe helfen, Großgerät, wie zum Beispiel den Kampfpanzer Leopard 2 effizient und kostengünstig zu nutzen. Die Einheiten wurden deswegen nicht mehr zu 100 Prozent ausgestattet, sondern nur zu 75 Prozent oder manchmal sogar noch weniger. Werden weitere Kampfpanzer dann zum Beispiel von einem Panzerbataillon für die Ausbildung oder für eine Übung benötigt, werden die Kettenfahrzeuge von einem anderen Verband angefordert, der die Panzer gerade nicht braucht. Vollausstattung der Bataillone – das war einmal. Das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement also als ein geeignetes Instrument, in Zeiten knapper Kassen die Ressourcen der Bundeswehr optimal zu nutzen – so zumindest die Idee. Für Kritiker war dieser Ansatz aber von vorneherein nichts anderes als eine Mangelverwaltung. Das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement kaschierte, dass es in den Einheiten zu wenig Großgerät gibt. Zugleich versuchte man, mit diesem Konzept krampfhaft Ausbildung, Manöver und Bereitschaft der einzelnen Truppenteile aufrechtzuerhalten. Das Verfügbarkeitsmanagement - für Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, ein untauglicher Versuch, die Probleme der Bundeswehr zu lösen:

O-Ton Arnold
„D.h., es entstehen erhebliche Logistikkosten, es entsteht Frust in der Truppe, weil es hinten und vorne fehlt. Und im Truppenalltag will jemand, der mit Panzern zu tun hat, in seiner Liegenschaft natürlich auch einen Panzer anfassen können und nicht warten, bis ihm einer dieses System auf den Hof stellt.“

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat das inzwischen auch erkannt. Für sie war das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement offenbar ein Modellprojekt. Eingeführt von ihrem Vorgänger Thomas de Maizière. Die Verteidigungsministerin hat es jetzt für beendet erklärt:

O-Ton von der Leyen
„Die Realität für viele Soldatinnen und Soldaten in der Truppe ist, dass sie merken, dass sie zu wenig Material haben, zu wenig Ausrüstung. Und ich bin der Auffassung, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht in so eine schleichende Mangelverwaltung reinkommen, die zum Schluss zu hohlen Strukturen führt und dann natürlich unsere Einsatzfähigkeit auch infrage stellt.“

In der Bundeswehr ist die Mangelverwaltung allerdings schon seit langem Realität. In die die Truppe rumort es gewaltig. Schon jetzt stößt die Bundeswehr vielerorts an die Grenzen der Leistungsbereitschaft. In vielen Bereichen fehlt es an Gerät - zu wenig Maschinengewehre, kaum Nachtsichtgeräte, Panzerbataillone quasi ohne Panzer, das sind nur einige Beispiele, die bei den Soldaten für Frust sorgen. Beim Wehrbeauftragten des Bundestages, Hellmut Königshaus, gehen regelmäßig Beschwerden über diese Zustände ein. Die im Grundgesetz verankerte Hauptaufgabe der Streitkräfte, nämlich die Landesverteidigung, könne nur mit 100 Prozent und nicht mit 75 Prozent geleistet werden. Die momentane Situation ist für Königshaus unbefriedigend:

O-Ton Königshaus
„Wenn wir einfach mal sehen, wie wir in der Einsatzvorbereitung die Soldaten quer durch die Republik schicken, damit sie sich ihr Übungsgerät zusammenklauben - das ist schon wirklich frustrierend für die Kameraden und vor allem, anstatt dass wir sie [die Fahrzeuge] im Einsatz oder in der Übung bewegen, bewegen wir sie auf der Autobahn und verschleißen sie und bringen sie immer wieder in die Werkstätten.“

Erst vor kurzem hat eine deutscher Verband, der jetzt zur Schnellen Eingreiftruppe der NATO gehört, sehr deutlich spüren müssen, wie schlecht es um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bestellt. Auf einer internationalen Übung im vergangenen Jahr haben Soldaten die nicht vorhandene Kanone ihres Radpanzers Boxer durch schwarzgestrichene Besenstiele ersetzt.

Um solche peinlichen Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, klingt die von der Verteidigungsministerin angekündigte bessere Ausstattung für Ausbildung und Grundbetrieb erst einmal vernünftig, sagt auch Rainer Arnold von der SPD. Er fordert sogar, zur Vollausstattung zurückzukehren.

O-Ton Arnold
„Da gibt es unterschiedliche Bereiche: in manchen kann man jetzt ganz schnell die Reißleine ziehen und mit dem Unfug aufhören, bezahltes und funktionierendes Gerät, das man eigentlich schon hat, zu verschrotten oder für wenig Geld zu verkaufen. Also da, wo man noch genügend hat, sollte man es jetzt einfach behalten.“

Doch das könnte in einigen Bereichen schwierig werden. Die Zielgröße der Bundeswehr bei den Kampfpanzern lag bisher bei 225 Leopard-2-Kampfpanzern. Zu wenig, für eine Vollausstattung der insgesamt sechs Panzerbataillone. Die Bundeswehr hat zwar zurzeit noch rund 270 Leopard-Panzer. Doch viele dieser Kettenfahrzeuge sind bereits an Polen verkauft worden. Und nach jetzigem Stand werde dieser Kaufvertrag auch erfüllt werden, heißt es aus der Bundeswehr. Allerdings hat das Verteidigungsministerium in der vergangenen Woche angekündigt, gebrauchte Kampfpanzer von der Industrie zurückzukaufen und zu modernisieren. Damit soll die Zahl der Leopard-2-Panzer künftig auf 328 erhöht werden.

Bei einem anderen Großgerät ist die Bundeswehr sogar noch weiter von einer Vollausstattung entfernt. Beim neuen Gefechtsfahrzeug der Infanterie, dem Boxer, weiß die Truppe teilweise gar nicht, wie viele Fahrzeuge künftig tatsächlich in die Bataillone kommen werden. Beim gerade in der Aufstellung befindlichen Jägerbataillon 413 in Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel sind derzeit sieben Boxer vorhanden. Bis zum Ende des Jahres sollen es 16 sein – für über 1.000 Soldaten. Eigentlich sieht die Struktur vor, dass in einem Jägerbataillon über 50 Boxer vorhanden sein sollen. Die Differenz, so ein Bundeswehrsprecher, wird durch den Transportpanzer Fuchs, ein sehr altes Modell, ersetzt. Die groß angekündigte Rückkehr zu einer besseren Ausstattung könnte daher eine Mogelpackung sein. Von einer Vollausstattung sind alle sechs Jägerbataillone der Bundeswehr jedenfalls weit entfernt. Die reinen Zahlen belegen das: insgesamt sollten zunächst 272 Boxer angeschafft werden – die sind aber nicht alle für die Infanterie-Verbände gedacht, sondern auch für andere militärische Bereiche; jetzt sollen noch einmal weitere 131 Fahrzeuge nachbestellt werden. Aber auch das wird für eine Vollausstattung noch nicht reichen, räumte kürzlich Oberst Ingo Gerhartz vom Verteidigungsministerium ganz offen ein:

O-Ton Gerhartz
„Das heißt, selbst wenn wir diesen Bedarf, diese weiteren 131 Boxer zusätzlich bekommen sollten, werden wir nicht umhin kommen können - das ist in der Praxis nicht schön, aber es geht eben nicht anders -, das entsprechende Gerät zu rotieren. Das heißt, selbst dann würden wir lediglich über 75 Prozent der Ausstattung unserer Bataillone verfügen. Das heißt, wir sind noch weit von einer Vollausstattung entfernt, die wir uns zukünftig einmal wünschen würden.“

Zumindest mittelfristig soll die Bundeswehr modernisiert und besser ausgestattet werden. Doch ob das dafür notwendige Geld tatsächlich bereitgestellt wird, das sehen die betroffenen Soldaten eher kritisch. In der Truppe gibt es erhebliche Zweifel, dass es jemals wieder zur Vollausstattung der Verbände, so wie zu Zeiten des Kalten Krieges, kommen wird. Die kürzlich beschlossene Anhebung des Verteidigungshaushaltes um 1,2 Milliarden Euro geht nur zu geringen Teilen in die Modernisierung der Bundeswehr. Allein 800 Millionen sind reine Personalkosten. Es bleiben lediglich etwas mehr als 300 Millionen Euro für die Ausrüstung. Diese Summe sei zu gering, um die Bundeswehr umfassend zu modernisieren, sagt Rainer Arnold von der SPD:

O-Ton Arnold
„Mittelfristig wird das nicht ausreichen. Die NATO sieht vor, dass wir 20 Prozent unserer Etats im Bundeswehrbereich für Modernisierung, also für investive Rüstungsgüter, ausgeben. Wir haben das nicht erreicht.“

Die Verteidigungsministerin hat das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement für beendet erklärt. Doch von Erleichterung in der Truppe kann keine Rede sein. Denn es ist weiterhin offen, ob es langfristig zu einer Vollausstattung der Truppenteile kommen wird. Vieles steht in den Sternen. Ratlosigkeit herrscht auch im Verteidigungsministerium. Dort gibt es zurzeit keine Gesprächspartner, die in der Lage wären, die vielen offenen Fragen kompetent zu beantworten.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 18. April 2015; www.ndr.de/info


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